Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. schaftliche sogar, daß der epikuräische Zeitgeist dieser genügsamen Tage jedewissenschaftliche Arbeit untergrabe! Sein zartbesaitetes Gemüth empfand ein Grauen vor den bildungsfeindlichen Mächten der Revolution; schon als Student hatte er beim Durchlesen von Fichtes Vertheidigung der Revo- lution ausgerufen: was bleibe noch übrig als der Tod wenn solche Grund- sätze zur Herrschaft gelangten! Der Sohn eines berühmten Vaters, und zudem eines jener seltenen Wunderkinder, die als Männer halten was ihre Frühreife zu verheißen schien, ward er von Kindesbeinen an ver- wöhnt durch die Bewunderung seiner Umgebungen und selber schon be- rühmt bevor er noch etwas geschrieben hatte; dann stand der Liebevolle sein Lebelang in vertrauter, zärtlicher Freundschaft mit geistvollen Män- nern wie Graf Moltke, Dahlmann, Graf Deserre; das Platte und Niedrige ließ er nicht an sich heran. Was Wunder, daß diesem Aristo- kraten des Geistes nichts entsetzlicher vorkam als jene Macht der breiten Mittelmäßigkeit, die in demokratischen Epochen immer das große Wort führt. Wenn er die politische Unreife seines Volks und die Trivialität der II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre. ſchaftliche ſogar, daß der epikuräiſche Zeitgeiſt dieſer genügſamen Tage jedewiſſenſchaftliche Arbeit untergrabe! Sein zartbeſaitetes Gemüth empfand ein Grauen vor den bildungsfeindlichen Mächten der Revolution; ſchon als Student hatte er beim Durchleſen von Fichtes Vertheidigung der Revo- lution ausgerufen: was bleibe noch übrig als der Tod wenn ſolche Grund- ſätze zur Herrſchaft gelangten! Der Sohn eines berühmten Vaters, und zudem eines jener ſeltenen Wunderkinder, die als Männer halten was ihre Frühreife zu verheißen ſchien, ward er von Kindesbeinen an ver- wöhnt durch die Bewunderung ſeiner Umgebungen und ſelber ſchon be- rühmt bevor er noch etwas geſchrieben hatte; dann ſtand der Liebevolle ſein Lebelang in vertrauter, zärtlicher Freundſchaft mit geiſtvollen Män- nern wie Graf Moltke, Dahlmann, Graf Deſerre; das Platte und Niedrige ließ er nicht an ſich heran. Was Wunder, daß dieſem Ariſto- kraten des Geiſtes nichts entſetzlicher vorkam als jene Macht der breiten Mittelmäßigkeit, die in demokratiſchen Epochen immer das große Wort führt. Wenn er die politiſche Unreife ſeines Volks und die Trivialität der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0080" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.</fw><lb/> ſchaftliche ſogar, daß der epikuräiſche Zeitgeiſt dieſer genügſamen Tage jede<lb/> wiſſenſchaftliche Arbeit untergrabe! Sein zartbeſaitetes Gemüth empfand<lb/> ein Grauen vor den bildungsfeindlichen Mächten der Revolution; ſchon als<lb/> Student hatte er beim Durchleſen von Fichtes Vertheidigung der Revo-<lb/> lution ausgerufen: was bleibe noch übrig als der Tod wenn ſolche Grund-<lb/> ſätze zur Herrſchaft gelangten! 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Der weitblickende<lb/> Denker, der ſchon damals mit wunderbarer Sicherheit den Krieg zwiſchen<lb/> dem Süden und dem Norden der amerikaniſchen Union vorausſah, be-<lb/> wies doch durch ſeinen niederländiſchen Verfaſſungsplan, daß die gründ-<lb/> lichſte Kenntniß der Vergangenheit das gänzliche Mißverſtehen der Gegen-<lb/> wart keineswegs ausſchließt. Er kannte das wunderliche Staatsgebäude<lb/> der Republik der ſieben Provinzen bis in ſeine letzten Ecken und Winkel<lb/> und wußte, warum es morſch zuſammengebrochen war. Als ihn aber im<lb/> November 1813 der Prinz von Oranien aufforderte ſeine Vorſchläge für<lb/> den Neubau niederzuſchreiben, da konnte ſich der Feind der Revolution<lb/> doch nicht entſchließen, den gewaltigen Umſturz, der ſeit dem Jahre 1794<lb/> über das Land gekommen war, mindeſtens als eine Thatſache anzuerken-<lb/> nen. Der durch Frankreichs Waffen geſchaffene, aber durch die Geſchichte<lb/> des Landes längſt vorbereitete Einheitsſtaat galt ihm als revolutionäre<lb/> Einerleiheit; alles Ernſtes dachte er den gänzlich vernichteten Foederalismus<lb/> wieder zu beleben und forderte die Wiederherſtellung des alten Staa-<lb/> tenbundes. Die hiſtoriſche Pietät verführte ihn alſo zu einem Entwurfe,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0080]
II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
ſchaftliche ſogar, daß der epikuräiſche Zeitgeiſt dieſer genügſamen Tage jede
wiſſenſchaftliche Arbeit untergrabe! Sein zartbeſaitetes Gemüth empfand
ein Grauen vor den bildungsfeindlichen Mächten der Revolution; ſchon als
Student hatte er beim Durchleſen von Fichtes Vertheidigung der Revo-
lution ausgerufen: was bleibe noch übrig als der Tod wenn ſolche Grund-
ſätze zur Herrſchaft gelangten! Der Sohn eines berühmten Vaters, und
zudem eines jener ſeltenen Wunderkinder, die als Männer halten was
ihre Frühreife zu verheißen ſchien, ward er von Kindesbeinen an ver-
wöhnt durch die Bewunderung ſeiner Umgebungen und ſelber ſchon be-
rühmt bevor er noch etwas geſchrieben hatte; dann ſtand der Liebevolle
ſein Lebelang in vertrauter, zärtlicher Freundſchaft mit geiſtvollen Män-
nern wie Graf Moltke, Dahlmann, Graf Deſerre; das Platte und
Niedrige ließ er nicht an ſich heran. Was Wunder, daß dieſem Ariſto-
kraten des Geiſtes nichts entſetzlicher vorkam als jene Macht der breiten
Mittelmäßigkeit, die in demokratiſchen Epochen immer das große Wort führt.
Wenn er die politiſche Unreife ſeines Volks und die Trivialität der
landläufigen conſtitutionellen Doktrinen betrachtete, dann ſchien ihm mit
Steins Verwaltungsreformen vorläufig genug geſchehen, und er mußte
von dem beherzteren Dahlmann den Einwurf hören: „Verfaſſung und
Verwaltung bilden keine Parallelen, es kommt der Punkt, auf welchem
ſie unfehlbar zuſammenlaufen um nicht wieder aus einander zu weichen.“
Obgleich er die Nichtswürdigkeit der italieniſchen Regierungen durchſchaute
und offen ausſprach, Rom ſei unter Napoleon weit glücklicher geweſen
als unter dem wiederhergeſtellten Papſtthum, ſo übermannte ihn doch der
Todhaß wider die Revolution ſobald der erſte Aufſtand von dem miß-
handelten Volke gewagt ward, und zornig rief er, nur ein Narr oder
ein Böſewicht könne in dieſem Lande von Freiheit reden! Der weitblickende
Denker, der ſchon damals mit wunderbarer Sicherheit den Krieg zwiſchen
dem Süden und dem Norden der amerikaniſchen Union vorausſah, be-
wies doch durch ſeinen niederländiſchen Verfaſſungsplan, daß die gründ-
lichſte Kenntniß der Vergangenheit das gänzliche Mißverſtehen der Gegen-
wart keineswegs ausſchließt. Er kannte das wunderliche Staatsgebäude
der Republik der ſieben Provinzen bis in ſeine letzten Ecken und Winkel
und wußte, warum es morſch zuſammengebrochen war. Als ihn aber im
November 1813 der Prinz von Oranien aufforderte ſeine Vorſchläge für
den Neubau niederzuſchreiben, da konnte ſich der Feind der Revolution
doch nicht entſchließen, den gewaltigen Umſturz, der ſeit dem Jahre 1794
über das Land gekommen war, mindeſtens als eine Thatſache anzuerken-
nen. Der durch Frankreichs Waffen geſchaffene, aber durch die Geſchichte
des Landes längſt vorbereitete Einheitsſtaat galt ihm als revolutionäre
Einerleiheit; alles Ernſtes dachte er den gänzlich vernichteten Foederalismus
wieder zu beleben und forderte die Wiederherſtellung des alten Staa-
tenbundes. Die hiſtoriſche Pietät verführte ihn alſo zu einem Entwurfe,
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