Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
Ergebnisse des Troppauer Congresses.

Nicht ohne Besorgniß schaute der Wiener Hof auf die Ergebnisse dieses
zweiten großen Fürstenvereins zurück. Wie anders konnte er jetzt vor der Welt
dastehen, wenn die Kühnheit statt der Schlauheit sein Ruder geführt, wenn
er schon im Herbst auf eigene Faust die Revolution in Neapel niederge-
schlagen und dann, bei einiger Mäßigung, unzweifelhaft die nachträgliche
Zustimmung der großen Mächte erhalten hätte! Der klägliche Zustand
seines Heeres hatte ihn gezwungen, die Entscheidung zu vertagen. Wohl
durfte er jetzt hoffen, in einigen Monaten das Versäumte nachzuholen,
aber um welchen Preis waren Metternich's diplomatische Siege erkauft.
Die alte Eintracht der großen Allianz bestand nicht mehr unerschüttert.
Von Aachen aus hatten noch alle fünf Mächte gemeinsam zu Europa ge-
sprochen, das Troppauer Rundschreiben vom 8. Dec. war nur von den
Ostmächten unterzeichnet, und die laute Schadenfreude der liberalen Presse
zeigte, daß die Welt diese Wendung der Dinge verstand. Der französische
Hof schwankte freilich noch immer rathlos zwischen den Parteien. Wäh-
rend die Ultras die Wiederherstellung der bourbonischen Macht in Neapel
verlangten, predigten die Blätter der Opposition den Krieg wider Oester-
reich, und die neueste Haartour der Pariser Damen führte den unzweideu-
tigen Namen Chemin de Mayence. Zu Weihnachten gaben die franzö-
sischen Bevollmächtigten eine schüchterne Erklärung zu Protokoll, welche wie
eine halbe Zustimmung zu den Schritten der Ostmächte klang, aber dem
Allerchristlichsten Könige die Freiheit der Entschließung vorbehielt.*) Gleich-
zeitig war indeß eine weit unfreundlicher gehaltene geheime Weisung aus
Paris eingelaufen; Marquis Caraman theilte diese Depesche eigenmächtig
dem Fürsten Metternich mit, und nun konnte der Oesterreicher dem Czaren
schwarz auf weiß beweisen, wie wenig auf die Meinung dieses doppel-
züngigen Cabinets zu geben sei.

England dagegen bekannte endlich Farbe. Am 19. Dec. verlas Lord
Stewart eine Note Lord Castlereagh's, die in aller Freundschaft, aber sehr
nachdrücklich erklärte, England könne sich nicht im Voraus auf die Grund-
sätze einer europäischen Interventionspolitik verpflichten, sondern halte fest
an seiner alten Meinung, daß die Mächte bei jeder Gefährdung des allge-
meinen Friedens sich von Fall zu Fall frei verständigen müßten. Harden-
berg bemerkte in seinem Tagebuche zu dieser britischen Erklärung kurzab:
"Eigentlich erbärmlich!"**) Der Czar ließ der englischen Regierung hoch-
müthig antworten, ihre Note sei zu den Akten genommen und werde keine
anderen Folgen haben. In Wahrheit fühlten sich die Ostmächte lebhaft
beunruhigt; sie erkannten, daß Castlereagh's behutsamer Widerspruch zum
ersten male einen Keil in das feste Gefüge der großen Allianz getrieben

*) Erklärung der französischen Bevollmächtigten, 24. Dec. 1820.
**) Englische Erklärung zum Protokoll, 19. Dec., Hardenberg's Tagebuch, 19. Dec.
1820.
Ergebniſſe des Troppauer Congreſſes.

Nicht ohne Beſorgniß ſchaute der Wiener Hof auf die Ergebniſſe dieſes
zweiten großen Fürſtenvereins zurück. Wie anders konnte er jetzt vor der Welt
daſtehen, wenn die Kühnheit ſtatt der Schlauheit ſein Ruder geführt, wenn
er ſchon im Herbſt auf eigene Fauſt die Revolution in Neapel niederge-
ſchlagen und dann, bei einiger Mäßigung, unzweifelhaft die nachträgliche
Zuſtimmung der großen Mächte erhalten hätte! Der klägliche Zuſtand
ſeines Heeres hatte ihn gezwungen, die Entſcheidung zu vertagen. Wohl
durfte er jetzt hoffen, in einigen Monaten das Verſäumte nachzuholen,
aber um welchen Preis waren Metternich’s diplomatiſche Siege erkauft.
Die alte Eintracht der großen Allianz beſtand nicht mehr unerſchüttert.
Von Aachen aus hatten noch alle fünf Mächte gemeinſam zu Europa ge-
ſprochen, das Troppauer Rundſchreiben vom 8. Dec. war nur von den
Oſtmächten unterzeichnet, und die laute Schadenfreude der liberalen Preſſe
zeigte, daß die Welt dieſe Wendung der Dinge verſtand. Der franzöſiſche
Hof ſchwankte freilich noch immer rathlos zwiſchen den Parteien. Wäh-
rend die Ultras die Wiederherſtellung der bourboniſchen Macht in Neapel
verlangten, predigten die Blätter der Oppoſition den Krieg wider Oeſter-
reich, und die neueſte Haartour der Pariſer Damen führte den unzweideu-
tigen Namen Chemin de Mayence. Zu Weihnachten gaben die franzö-
ſiſchen Bevollmächtigten eine ſchüchterne Erklärung zu Protokoll, welche wie
eine halbe Zuſtimmung zu den Schritten der Oſtmächte klang, aber dem
Allerchriſtlichſten Könige die Freiheit der Entſchließung vorbehielt.*) Gleich-
zeitig war indeß eine weit unfreundlicher gehaltene geheime Weiſung aus
Paris eingelaufen; Marquis Caraman theilte dieſe Depeſche eigenmächtig
dem Fürſten Metternich mit, und nun konnte der Oeſterreicher dem Czaren
ſchwarz auf weiß beweiſen, wie wenig auf die Meinung dieſes doppel-
züngigen Cabinets zu geben ſei.

England dagegen bekannte endlich Farbe. Am 19. Dec. verlas Lord
Stewart eine Note Lord Caſtlereagh’s, die in aller Freundſchaft, aber ſehr
nachdrücklich erklärte, England könne ſich nicht im Voraus auf die Grund-
ſätze einer europäiſchen Interventionspolitik verpflichten, ſondern halte feſt
an ſeiner alten Meinung, daß die Mächte bei jeder Gefährdung des allge-
meinen Friedens ſich von Fall zu Fall frei verſtändigen müßten. Harden-
berg bemerkte in ſeinem Tagebuche zu dieſer britiſchen Erklärung kurzab:
„Eigentlich erbärmlich!“**) Der Czar ließ der engliſchen Regierung hoch-
müthig antworten, ihre Note ſei zu den Akten genommen und werde keine
anderen Folgen haben. In Wahrheit fühlten ſich die Oſtmächte lebhaft
beunruhigt; ſie erkannten, daß Caſtlereagh’s behutſamer Widerſpruch zum
erſten male einen Keil in das feſte Gefüge der großen Allianz getrieben

*) Erklärung der franzöſiſchen Bevollmächtigten, 24. Dec. 1820.
**) Engliſche Erklärung zum Protokoll, 19. Dec., Hardenberg’s Tagebuch, 19. Dec.
1820.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0185" n="169"/>
          <fw place="top" type="header">Ergebni&#x017F;&#x017F;e des Troppauer Congre&#x017F;&#x017F;es.</fw><lb/>
          <p>Nicht ohne Be&#x017F;orgniß &#x017F;chaute der Wiener Hof auf die Ergebni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;es<lb/>
zweiten großen Für&#x017F;tenvereins zurück. Wie anders konnte er jetzt vor der Welt<lb/>
da&#x017F;tehen, wenn die Kühnheit &#x017F;tatt der Schlauheit &#x017F;ein Ruder geführt, wenn<lb/>
er &#x017F;chon im Herb&#x017F;t auf eigene Fau&#x017F;t die Revolution in Neapel niederge-<lb/>
&#x017F;chlagen und dann, bei einiger Mäßigung, unzweifelhaft die nachträgliche<lb/>
Zu&#x017F;timmung der großen Mächte erhalten hätte! Der klägliche Zu&#x017F;tand<lb/>
&#x017F;eines Heeres hatte ihn gezwungen, die Ent&#x017F;cheidung zu vertagen. Wohl<lb/>
durfte er jetzt hoffen, in einigen Monaten das Ver&#x017F;äumte nachzuholen,<lb/>
aber um welchen Preis waren Metternich&#x2019;s diplomati&#x017F;che Siege erkauft.<lb/>
Die alte Eintracht der großen Allianz be&#x017F;tand nicht mehr uner&#x017F;chüttert.<lb/>
Von Aachen aus hatten noch alle fünf Mächte gemein&#x017F;am zu Europa ge-<lb/>
&#x017F;prochen, das Troppauer Rund&#x017F;chreiben vom 8. Dec. war nur von den<lb/>
O&#x017F;tmächten unterzeichnet, und die laute Schadenfreude der liberalen Pre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zeigte, daß die Welt die&#x017F;e Wendung der Dinge ver&#x017F;tand. Der franzö&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Hof &#x017F;chwankte freilich noch immer rathlos zwi&#x017F;chen den Parteien. Wäh-<lb/>
rend die Ultras die Wiederher&#x017F;tellung der bourboni&#x017F;chen Macht in Neapel<lb/>
verlangten, predigten die Blätter der Oppo&#x017F;ition den Krieg wider Oe&#x017F;ter-<lb/>
reich, und die neue&#x017F;te Haartour der Pari&#x017F;er Damen führte den unzweideu-<lb/>
tigen Namen <hi rendition="#aq">Chemin de Mayence.</hi> Zu Weihnachten gaben die franzö-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Bevollmächtigten eine &#x017F;chüchterne Erklärung zu Protokoll, welche wie<lb/>
eine halbe Zu&#x017F;timmung zu den Schritten der O&#x017F;tmächte klang, aber dem<lb/>
Allerchri&#x017F;tlich&#x017F;ten Könige die Freiheit der Ent&#x017F;chließung vorbehielt.<note place="foot" n="*)">Erklärung der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Bevollmächtigten, 24. Dec. 1820.</note> Gleich-<lb/>
zeitig war indeß eine weit unfreundlicher gehaltene geheime Wei&#x017F;ung aus<lb/>
Paris eingelaufen; Marquis Caraman theilte die&#x017F;e Depe&#x017F;che eigenmächtig<lb/>
dem Für&#x017F;ten Metternich mit, und nun konnte der Oe&#x017F;terreicher dem Czaren<lb/>
&#x017F;chwarz auf weiß bewei&#x017F;en, wie wenig auf die Meinung die&#x017F;es doppel-<lb/>
züngigen Cabinets zu geben &#x017F;ei.</p><lb/>
          <p>England dagegen bekannte endlich Farbe. Am 19. Dec. verlas Lord<lb/>
Stewart eine Note Lord Ca&#x017F;tlereagh&#x2019;s, die in aller Freund&#x017F;chaft, aber &#x017F;ehr<lb/>
nachdrücklich erklärte, England könne &#x017F;ich nicht im Voraus auf die Grund-<lb/>
&#x017F;ätze einer europäi&#x017F;chen Interventionspolitik verpflichten, &#x017F;ondern halte fe&#x017F;t<lb/>
an &#x017F;einer alten Meinung, daß die Mächte bei jeder Gefährdung des allge-<lb/>
meinen Friedens &#x017F;ich von Fall zu Fall frei ver&#x017F;tändigen müßten. Harden-<lb/>
berg bemerkte in &#x017F;einem Tagebuche zu die&#x017F;er briti&#x017F;chen Erklärung kurzab:<lb/>
&#x201E;Eigentlich erbärmlich!&#x201C;<note place="foot" n="**)">Engli&#x017F;che Erklärung zum Protokoll, 19. Dec., Hardenberg&#x2019;s Tagebuch, 19. Dec.<lb/>
1820.</note> Der Czar ließ der engli&#x017F;chen Regierung hoch-<lb/>
müthig antworten, ihre Note &#x017F;ei zu den Akten genommen und werde keine<lb/>
anderen Folgen haben. In Wahrheit fühlten &#x017F;ich die O&#x017F;tmächte lebhaft<lb/>
beunruhigt; &#x017F;ie erkannten, daß Ca&#x017F;tlereagh&#x2019;s behut&#x017F;amer Wider&#x017F;pruch zum<lb/>
er&#x017F;ten male einen Keil in das fe&#x017F;te Gefüge der großen Allianz getrieben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0185] Ergebniſſe des Troppauer Congreſſes. Nicht ohne Beſorgniß ſchaute der Wiener Hof auf die Ergebniſſe dieſes zweiten großen Fürſtenvereins zurück. Wie anders konnte er jetzt vor der Welt daſtehen, wenn die Kühnheit ſtatt der Schlauheit ſein Ruder geführt, wenn er ſchon im Herbſt auf eigene Fauſt die Revolution in Neapel niederge- ſchlagen und dann, bei einiger Mäßigung, unzweifelhaft die nachträgliche Zuſtimmung der großen Mächte erhalten hätte! Der klägliche Zuſtand ſeines Heeres hatte ihn gezwungen, die Entſcheidung zu vertagen. Wohl durfte er jetzt hoffen, in einigen Monaten das Verſäumte nachzuholen, aber um welchen Preis waren Metternich’s diplomatiſche Siege erkauft. Die alte Eintracht der großen Allianz beſtand nicht mehr unerſchüttert. Von Aachen aus hatten noch alle fünf Mächte gemeinſam zu Europa ge- ſprochen, das Troppauer Rundſchreiben vom 8. Dec. war nur von den Oſtmächten unterzeichnet, und die laute Schadenfreude der liberalen Preſſe zeigte, daß die Welt dieſe Wendung der Dinge verſtand. Der franzöſiſche Hof ſchwankte freilich noch immer rathlos zwiſchen den Parteien. Wäh- rend die Ultras die Wiederherſtellung der bourboniſchen Macht in Neapel verlangten, predigten die Blätter der Oppoſition den Krieg wider Oeſter- reich, und die neueſte Haartour der Pariſer Damen führte den unzweideu- tigen Namen Chemin de Mayence. Zu Weihnachten gaben die franzö- ſiſchen Bevollmächtigten eine ſchüchterne Erklärung zu Protokoll, welche wie eine halbe Zuſtimmung zu den Schritten der Oſtmächte klang, aber dem Allerchriſtlichſten Könige die Freiheit der Entſchließung vorbehielt. *) Gleich- zeitig war indeß eine weit unfreundlicher gehaltene geheime Weiſung aus Paris eingelaufen; Marquis Caraman theilte dieſe Depeſche eigenmächtig dem Fürſten Metternich mit, und nun konnte der Oeſterreicher dem Czaren ſchwarz auf weiß beweiſen, wie wenig auf die Meinung dieſes doppel- züngigen Cabinets zu geben ſei. England dagegen bekannte endlich Farbe. Am 19. Dec. verlas Lord Stewart eine Note Lord Caſtlereagh’s, die in aller Freundſchaft, aber ſehr nachdrücklich erklärte, England könne ſich nicht im Voraus auf die Grund- ſätze einer europäiſchen Interventionspolitik verpflichten, ſondern halte feſt an ſeiner alten Meinung, daß die Mächte bei jeder Gefährdung des allge- meinen Friedens ſich von Fall zu Fall frei verſtändigen müßten. Harden- berg bemerkte in ſeinem Tagebuche zu dieſer britiſchen Erklärung kurzab: „Eigentlich erbärmlich!“ **) Der Czar ließ der engliſchen Regierung hoch- müthig antworten, ihre Note ſei zu den Akten genommen und werde keine anderen Folgen haben. In Wahrheit fühlten ſich die Oſtmächte lebhaft beunruhigt; ſie erkannten, daß Caſtlereagh’s behutſamer Widerſpruch zum erſten male einen Keil in das feſte Gefüge der großen Allianz getrieben *) Erklärung der franzöſiſchen Bevollmächtigten, 24. Dec. 1820. **) Engliſche Erklärung zum Protokoll, 19. Dec., Hardenberg’s Tagebuch, 19. Dec. 1820.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/185
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/185>, abgerufen am 28.11.2024.