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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Besorgnisse der kleinen Höfe.
Staates redet wie Württemberg." Man fühlt dies in Stuttgart und ist
daher bemüht "das Partikularinteresse Württembergs bis zur eigentlichen
Politik zu steigern." Doch eine Vereinigung der kleinen Staaten, min-
destens der süddeutschen, zu einem gemeinsamen politischen Systeme ohne
förmlichen Bundesvertrag hielt auch er für geboten; die fünf Mächte be-
fänden sich "nicht mehr auf einer Linie", dies ermögliche den Kleinen
"die relative Selbständigkeit", die ihnen gebühre, zu wahren und "der
Ciment des Staatensystems" zu werden.*) Wenn ein hochconservativer
Centralist also redete, was mochten die partikularistischen Liberalen empfin-
den! Für den Augenblick war diese Verstimmung der kleinen Höfe un-
schädlich, aber sie konnte gefährlich werden, wenn der Zwiespalt im Schooße
der großen Allianz fortwährte. Als die Troppauer Conferenz zu Weih-
nachten geschlossen wurde, trennte man sich nicht in heiterer Stimmung.
Die Politik der Legitimität verlangte starke Nerven. Mitten in der fröh-
lichen Festzeit, bei grimmiger Kälte unternahmen die beiden Kaiser und
ihr diplomatisches Gefolge die beschwerliche Reise nach Wien um nach
kurzer Rast das mühselige Friedenswerk in Laibach abzuschließen. --

Zwei beglückende Gedanken nahm Metternich doch von dem Congresse
mit hinweg: er durfte bestimmt auf eine glückliche Lösung der neapoli-
tanischen Verwicklung rechnen, und er wußte jetzt nahezu sicher, daß die
gefürchtete preußische Verfassung in einer absehbaren Zukunft nicht zu
Stande kommen würde. Als König Friedrich Wilhelm in Troppau ein-
traf, befand er sich in einer Verstimmung, welche der Oesterreicher jetzt
ebenso leicht wie einst in Teplitz für seine Zwecke ausbeuten konnte; er
war unzufrieden mit den mißrathenen Communalordnungs-Entwürfen und
seit dem Erscheinen der Benzenbergischen Schrift dermaßen aufgebracht
gegen seinen Kanzler, daß dieser ihn während des Congresses kaum zu Ge-
sicht bekam. Hardenberg hielt zwar mehrere ernste Unterredungen mit
General Witzleben, dem treuen Förderer der Verfassungsarbeit, und be-
sprach mit ihm die Zusammensetzung der künftigen Reichsstände, die ge-
heime Reaktion am Hofe, alle die versteckten Hemmnisse, die sich seinen
Plänen in den Weg stellten. Der König aber ließ dem Staatskanzler
trocken sagen, er wolle über die Verfassungssache erst in Berlin mit ihm
verhandeln.**) Unterdessen blieb der liebe Heimliche der Hofburg, Fürst
Wittgenstein, des Monarchen täglicher Begleiter, und noch einen zweiten
ergebenen Freund erwarb sich Metternich an dem Kronprinzen. Dieser
junge Herr war schon mehrere Wochen vor seinem Vater nach Troppau

*) Blittersdorff's Denkschriften: an Frhr. v. Fahnenberg in München, 16. Novbr.
Ueber die wahrscheinlichen Ergebnisse des Congresses von Troppau, 24. Nov. 1820.
Einige Bemerkungen über die gegenwärtige Politik Württembergs (ohne Datum, aber
unverkennbar aus derselben Zeit). Betrachtungen über den gegenwärtigen politischen
Zustand Europas, 27. Febr. 1821.
**) Hardenberg's Tagebuch, 9., 13., 20. Nov. 1820.

Beſorgniſſe der kleinen Höfe.
Staates redet wie Württemberg.“ Man fühlt dies in Stuttgart und iſt
daher bemüht „das Partikularintereſſe Württembergs bis zur eigentlichen
Politik zu ſteigern.“ Doch eine Vereinigung der kleinen Staaten, min-
deſtens der ſüddeutſchen, zu einem gemeinſamen politiſchen Syſteme ohne
förmlichen Bundesvertrag hielt auch er für geboten; die fünf Mächte be-
fänden ſich „nicht mehr auf einer Linie“, dies ermögliche den Kleinen
„die relative Selbſtändigkeit“, die ihnen gebühre, zu wahren und „der
Ciment des Staatenſyſtems“ zu werden.*) Wenn ein hochconſervativer
Centraliſt alſo redete, was mochten die partikulariſtiſchen Liberalen empfin-
den! Für den Augenblick war dieſe Verſtimmung der kleinen Höfe un-
ſchädlich, aber ſie konnte gefährlich werden, wenn der Zwieſpalt im Schooße
der großen Allianz fortwährte. Als die Troppauer Conferenz zu Weih-
nachten geſchloſſen wurde, trennte man ſich nicht in heiterer Stimmung.
Die Politik der Legitimität verlangte ſtarke Nerven. Mitten in der fröh-
lichen Feſtzeit, bei grimmiger Kälte unternahmen die beiden Kaiſer und
ihr diplomatiſches Gefolge die beſchwerliche Reiſe nach Wien um nach
kurzer Raſt das mühſelige Friedenswerk in Laibach abzuſchließen. —

Zwei beglückende Gedanken nahm Metternich doch von dem Congreſſe
mit hinweg: er durfte beſtimmt auf eine glückliche Löſung der neapoli-
taniſchen Verwicklung rechnen, und er wußte jetzt nahezu ſicher, daß die
gefürchtete preußiſche Verfaſſung in einer abſehbaren Zukunft nicht zu
Stande kommen würde. Als König Friedrich Wilhelm in Troppau ein-
traf, befand er ſich in einer Verſtimmung, welche der Oeſterreicher jetzt
ebenſo leicht wie einſt in Teplitz für ſeine Zwecke ausbeuten konnte; er
war unzufrieden mit den mißrathenen Communalordnungs-Entwürfen und
ſeit dem Erſcheinen der Benzenbergiſchen Schrift dermaßen aufgebracht
gegen ſeinen Kanzler, daß dieſer ihn während des Congreſſes kaum zu Ge-
ſicht bekam. Hardenberg hielt zwar mehrere ernſte Unterredungen mit
General Witzleben, dem treuen Förderer der Verfaſſungsarbeit, und be-
ſprach mit ihm die Zuſammenſetzung der künftigen Reichsſtände, die ge-
heime Reaktion am Hofe, alle die verſteckten Hemmniſſe, die ſich ſeinen
Plänen in den Weg ſtellten. Der König aber ließ dem Staatskanzler
trocken ſagen, er wolle über die Verfaſſungsſache erſt in Berlin mit ihm
verhandeln.**) Unterdeſſen blieb der liebe Heimliche der Hofburg, Fürſt
Wittgenſtein, des Monarchen täglicher Begleiter, und noch einen zweiten
ergebenen Freund erwarb ſich Metternich an dem Kronprinzen. Dieſer
junge Herr war ſchon mehrere Wochen vor ſeinem Vater nach Troppau

*) Blittersdorff’s Denkſchriften: an Frhr. v. Fahnenberg in München, 16. Novbr.
Ueber die wahrſcheinlichen Ergebniſſe des Congreſſes von Troppau, 24. Nov. 1820.
Einige Bemerkungen über die gegenwärtige Politik Württembergs (ohne Datum, aber
unverkennbar aus derſelben Zeit). Betrachtungen über den gegenwärtigen politiſchen
Zuſtand Europas, 27. Febr. 1821.
**) Hardenberg’s Tagebuch, 9., 13., 20. Nov. 1820.
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[171/0187] Beſorgniſſe der kleinen Höfe. Staates redet wie Württemberg.“ Man fühlt dies in Stuttgart und iſt daher bemüht „das Partikularintereſſe Württembergs bis zur eigentlichen Politik zu ſteigern.“ Doch eine Vereinigung der kleinen Staaten, min- deſtens der ſüddeutſchen, zu einem gemeinſamen politiſchen Syſteme ohne förmlichen Bundesvertrag hielt auch er für geboten; die fünf Mächte be- fänden ſich „nicht mehr auf einer Linie“, dies ermögliche den Kleinen „die relative Selbſtändigkeit“, die ihnen gebühre, zu wahren und „der Ciment des Staatenſyſtems“ zu werden. *) Wenn ein hochconſervativer Centraliſt alſo redete, was mochten die partikulariſtiſchen Liberalen empfin- den! Für den Augenblick war dieſe Verſtimmung der kleinen Höfe un- ſchädlich, aber ſie konnte gefährlich werden, wenn der Zwieſpalt im Schooße der großen Allianz fortwährte. Als die Troppauer Conferenz zu Weih- nachten geſchloſſen wurde, trennte man ſich nicht in heiterer Stimmung. Die Politik der Legitimität verlangte ſtarke Nerven. Mitten in der fröh- lichen Feſtzeit, bei grimmiger Kälte unternahmen die beiden Kaiſer und ihr diplomatiſches Gefolge die beſchwerliche Reiſe nach Wien um nach kurzer Raſt das mühſelige Friedenswerk in Laibach abzuſchließen. — Zwei beglückende Gedanken nahm Metternich doch von dem Congreſſe mit hinweg: er durfte beſtimmt auf eine glückliche Löſung der neapoli- taniſchen Verwicklung rechnen, und er wußte jetzt nahezu ſicher, daß die gefürchtete preußiſche Verfaſſung in einer abſehbaren Zukunft nicht zu Stande kommen würde. Als König Friedrich Wilhelm in Troppau ein- traf, befand er ſich in einer Verſtimmung, welche der Oeſterreicher jetzt ebenſo leicht wie einſt in Teplitz für ſeine Zwecke ausbeuten konnte; er war unzufrieden mit den mißrathenen Communalordnungs-Entwürfen und ſeit dem Erſcheinen der Benzenbergiſchen Schrift dermaßen aufgebracht gegen ſeinen Kanzler, daß dieſer ihn während des Congreſſes kaum zu Ge- ſicht bekam. Hardenberg hielt zwar mehrere ernſte Unterredungen mit General Witzleben, dem treuen Förderer der Verfaſſungsarbeit, und be- ſprach mit ihm die Zuſammenſetzung der künftigen Reichsſtände, die ge- heime Reaktion am Hofe, alle die verſteckten Hemmniſſe, die ſich ſeinen Plänen in den Weg ſtellten. Der König aber ließ dem Staatskanzler trocken ſagen, er wolle über die Verfaſſungsſache erſt in Berlin mit ihm verhandeln. **) Unterdeſſen blieb der liebe Heimliche der Hofburg, Fürſt Wittgenſtein, des Monarchen täglicher Begleiter, und noch einen zweiten ergebenen Freund erwarb ſich Metternich an dem Kronprinzen. Dieſer junge Herr war ſchon mehrere Wochen vor ſeinem Vater nach Troppau *) Blittersdorff’s Denkſchriften: an Frhr. v. Fahnenberg in München, 16. Novbr. Ueber die wahrſcheinlichen Ergebniſſe des Congreſſes von Troppau, 24. Nov. 1820. Einige Bemerkungen über die gegenwärtige Politik Württembergs (ohne Datum, aber unverkennbar aus derſelben Zeit). Betrachtungen über den gegenwärtigen politiſchen Zuſtand Europas, 27. Febr. 1821. **) Hardenberg’s Tagebuch, 9., 13., 20. Nov. 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/187>, abgerufen am 24.11.2024.