Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

III. 3. Troppau und Laibach.
Castlereagh die Empfindungen seines Herzens nicht mehr zurückhalten.
Er sendete dem Wiener Freunde seinen Glückwunsch und sprach zugleich
die Hoffnung aus: man werde die Besetzung des unterworfenen Landes
doch nicht französischen Truppen anvertrauen. Wie jubelte Metternich
über diese Aeußerung politischer Unschuld; der Czar aber fragte lächelnd:
wofür halten uns eigentlich diese Leute?*) --

Indessen hatte das Schicksal dem österreichischen Staatsmanne be-
reits einen bitteren Tropfen in den Becher seiner Freuden gegossen. Der
doktrinäre Gedanke des unwandelbaren großen europäischen Bundes wider-
sprach so offenbar der Mannichfaltigkeit entgegengesetzter Interessen und
ungelöster Fragen, welche das europäische Leben umschloß, daß jede große
Wendung der Völkergeschicke ihn nothwendig stören mußte. Noch während
des Laibacher Congresses brach eine fünfte Revolution aus, die anfangs
am wenigsten beachtet, zuletzt der großen Allianz am verderblichsten wer-
den sollte. Die gräcoslavische Welt begann zu erwachen, die schwerste aller
europäischen Fragen, die orientalische, gerieth wieder in Fluß. Seit hundert
Jahren schon bestand das Reich der Osmanen auf abendländischem Boden
nur noch durch die wechselseitige Eifersucht der europäischen Mächte, nicht
mehr durch eigene Kraft. Eine im Schlaf erstarrte Völkerwanderung
hatte sich wie eine ungeheure Schuttlawine, alle Cultur begrabend, über
jene gesegneten Lande des Südostens gelagert, wo einst die Christenheit
ihr zweites Rom und der Handel zweier Welttheile seinen Mittelpunkt
gehabt. Was in dieser Trümmerwelt noch lebte, arbeitete, um die Güter
der Gesittung rang, war christlich; das Herrenvolk, das der Rajah mit
dem sicheren Griffe orientalischer Herrscherkunst das Halsband der Unter-
thänigkeit fest um den Nacken gelegt hatte, blieb im Glanze seines er-
beuteten Reichthums unwandelbar eine orientalische Reiterhorde, die nie-
mals heimisch ward in Europa und über die Weltanschauung des kriege-
rischen Nomadenthums nie hinausgelangte. Unausbleiblich mußte sich
dereinst an den Türken, wie vormals an der polnischen Adelsrepublik,
das historische Gesetz erfüllen, das in diesem Jahrhundert der bürgerlichen
Arbeit kein Volk von Rittern und Müßiggängern mehr duldet.

Niemals hatten die Rajah-Völker sich ausgesöhnt mit ihren mitleidlosen
Herren, niemals aufgehört die Rache Gottes herabzurufen für jenen Tag
der Schmach, da der Eroberer in die Hagia Sophia einritt und die Hufe
seines Rosses das schönste Gotteshaus der morgenländischen Christenheit
schändeten. Mitten im Schmutz und Elend ihrer Knechtschaft geboten sie
noch über jene unverwüstliche Kraft der Verjüngung und Selbsterneuerung,
welche das Christenthum überall von der geistlosen Erstarrung des Islam
unterscheidet. Als nun die weltbürgerliche Heilslehre der französischen Re-
volution und mit ihr zugleich die nationalen Freiheitsgedanken der spa-

*) Krusemark's Bericht, 19. April 1821.

III. 3. Troppau und Laibach.
Caſtlereagh die Empfindungen ſeines Herzens nicht mehr zurückhalten.
Er ſendete dem Wiener Freunde ſeinen Glückwunſch und ſprach zugleich
die Hoffnung aus: man werde die Beſetzung des unterworfenen Landes
doch nicht franzöſiſchen Truppen anvertrauen. Wie jubelte Metternich
über dieſe Aeußerung politiſcher Unſchuld; der Czar aber fragte lächelnd:
wofür halten uns eigentlich dieſe Leute?*)

Indeſſen hatte das Schickſal dem öſterreichiſchen Staatsmanne be-
reits einen bitteren Tropfen in den Becher ſeiner Freuden gegoſſen. Der
doktrinäre Gedanke des unwandelbaren großen europäiſchen Bundes wider-
ſprach ſo offenbar der Mannichfaltigkeit entgegengeſetzter Intereſſen und
ungelöſter Fragen, welche das europäiſche Leben umſchloß, daß jede große
Wendung der Völkergeſchicke ihn nothwendig ſtören mußte. Noch während
des Laibacher Congreſſes brach eine fünfte Revolution aus, die anfangs
am wenigſten beachtet, zuletzt der großen Allianz am verderblichſten wer-
den ſollte. Die gräcoſlaviſche Welt begann zu erwachen, die ſchwerſte aller
europäiſchen Fragen, die orientaliſche, gerieth wieder in Fluß. Seit hundert
Jahren ſchon beſtand das Reich der Osmanen auf abendländiſchem Boden
nur noch durch die wechſelſeitige Eiferſucht der europäiſchen Mächte, nicht
mehr durch eigene Kraft. Eine im Schlaf erſtarrte Völkerwanderung
hatte ſich wie eine ungeheure Schuttlawine, alle Cultur begrabend, über
jene geſegneten Lande des Südoſtens gelagert, wo einſt die Chriſtenheit
ihr zweites Rom und der Handel zweier Welttheile ſeinen Mittelpunkt
gehabt. Was in dieſer Trümmerwelt noch lebte, arbeitete, um die Güter
der Geſittung rang, war chriſtlich; das Herrenvolk, das der Rajah mit
dem ſicheren Griffe orientaliſcher Herrſcherkunſt das Halsband der Unter-
thänigkeit feſt um den Nacken gelegt hatte, blieb im Glanze ſeines er-
beuteten Reichthums unwandelbar eine orientaliſche Reiterhorde, die nie-
mals heimiſch ward in Europa und über die Weltanſchauung des kriege-
riſchen Nomadenthums nie hinausgelangte. Unausbleiblich mußte ſich
dereinſt an den Türken, wie vormals an der polniſchen Adelsrepublik,
das hiſtoriſche Geſetz erfüllen, das in dieſem Jahrhundert der bürgerlichen
Arbeit kein Volk von Rittern und Müßiggängern mehr duldet.

Niemals hatten die Rajah-Völker ſich ausgeſöhnt mit ihren mitleidloſen
Herren, niemals aufgehört die Rache Gottes herabzurufen für jenen Tag
der Schmach, da der Eroberer in die Hagia Sophia einritt und die Hufe
ſeines Roſſes das ſchönſte Gotteshaus der morgenländiſchen Chriſtenheit
ſchändeten. Mitten im Schmutz und Elend ihrer Knechtſchaft geboten ſie
noch über jene unverwüſtliche Kraft der Verjüngung und Selbſterneuerung,
welche das Chriſtenthum überall von der geiſtloſen Erſtarrung des Islam
unterſcheidet. Als nun die weltbürgerliche Heilslehre der franzöſiſchen Re-
volution und mit ihr zugleich die nationalen Freiheitsgedanken der ſpa-

*) Kruſemark’s Bericht, 19. April 1821.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0202" n="186"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 3. Troppau und Laibach.</fw><lb/>
Ca&#x017F;tlereagh die Empfindungen &#x017F;eines Herzens nicht mehr zurückhalten.<lb/>
Er &#x017F;endete dem Wiener Freunde &#x017F;einen Glückwun&#x017F;ch und &#x017F;prach zugleich<lb/>
die Hoffnung aus: man werde die Be&#x017F;etzung des unterworfenen Landes<lb/>
doch nicht franzö&#x017F;i&#x017F;chen Truppen anvertrauen. Wie jubelte Metternich<lb/>
über die&#x017F;e Aeußerung politi&#x017F;cher Un&#x017F;chuld; der Czar aber fragte lächelnd:<lb/>
wofür halten uns eigentlich die&#x017F;e Leute?<note place="foot" n="*)">Kru&#x017F;emark&#x2019;s Bericht, 19. April 1821.</note> &#x2014;</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en hatte das Schick&#x017F;al dem ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Staatsmanne be-<lb/>
reits einen bitteren Tropfen in den Becher &#x017F;einer Freuden gego&#x017F;&#x017F;en. Der<lb/>
doktrinäre Gedanke des unwandelbaren großen europäi&#x017F;chen Bundes wider-<lb/>
&#x017F;prach &#x017F;o offenbar der Mannichfaltigkeit entgegenge&#x017F;etzter Intere&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
ungelö&#x017F;ter Fragen, welche das europäi&#x017F;che Leben um&#x017F;chloß, daß jede große<lb/>
Wendung der Völkerge&#x017F;chicke ihn nothwendig &#x017F;tören mußte. Noch während<lb/>
des Laibacher Congre&#x017F;&#x017F;es brach eine fünfte Revolution aus, die anfangs<lb/>
am wenig&#x017F;ten beachtet, zuletzt der großen Allianz am verderblich&#x017F;ten wer-<lb/>
den &#x017F;ollte. Die gräco&#x017F;lavi&#x017F;che Welt begann zu erwachen, die &#x017F;chwer&#x017F;te aller<lb/>
europäi&#x017F;chen Fragen, die orientali&#x017F;che, gerieth wieder in Fluß. Seit hundert<lb/>
Jahren &#x017F;chon be&#x017F;tand das Reich der Osmanen auf abendländi&#x017F;chem Boden<lb/>
nur noch durch die wech&#x017F;el&#x017F;eitige Eifer&#x017F;ucht der europäi&#x017F;chen Mächte, nicht<lb/>
mehr durch eigene Kraft. Eine im Schlaf er&#x017F;tarrte Völkerwanderung<lb/>
hatte &#x017F;ich wie eine ungeheure Schuttlawine, alle Cultur begrabend, über<lb/>
jene ge&#x017F;egneten Lande des Südo&#x017F;tens gelagert, wo ein&#x017F;t die Chri&#x017F;tenheit<lb/>
ihr zweites Rom und der Handel zweier Welttheile &#x017F;einen Mittelpunkt<lb/>
gehabt. Was in die&#x017F;er Trümmerwelt noch lebte, arbeitete, um die Güter<lb/>
der Ge&#x017F;ittung rang, war chri&#x017F;tlich; das Herrenvolk, das der Rajah mit<lb/>
dem &#x017F;icheren Griffe orientali&#x017F;cher Herr&#x017F;cherkun&#x017F;t das Halsband der Unter-<lb/>
thänigkeit fe&#x017F;t um den Nacken gelegt hatte, blieb im Glanze &#x017F;eines er-<lb/>
beuteten Reichthums unwandelbar eine orientali&#x017F;che Reiterhorde, die nie-<lb/>
mals heimi&#x017F;ch ward in Europa und über die Weltan&#x017F;chauung des kriege-<lb/>
ri&#x017F;chen Nomadenthums nie hinausgelangte. Unausbleiblich mußte &#x017F;ich<lb/>
derein&#x017F;t an den Türken, wie vormals an der polni&#x017F;chen Adelsrepublik,<lb/>
das hi&#x017F;tori&#x017F;che Ge&#x017F;etz erfüllen, das in die&#x017F;em Jahrhundert der bürgerlichen<lb/>
Arbeit kein Volk von Rittern und Müßiggängern mehr duldet.</p><lb/>
          <p>Niemals hatten die Rajah-Völker &#x017F;ich ausge&#x017F;öhnt mit ihren mitleidlo&#x017F;en<lb/>
Herren, niemals aufgehört die Rache Gottes herabzurufen für jenen Tag<lb/>
der Schmach, da der Eroberer in die Hagia Sophia einritt und die Hufe<lb/>
&#x017F;eines Ro&#x017F;&#x017F;es das &#x017F;chön&#x017F;te Gotteshaus der morgenländi&#x017F;chen Chri&#x017F;tenheit<lb/>
&#x017F;chändeten. Mitten im Schmutz und Elend ihrer Knecht&#x017F;chaft geboten &#x017F;ie<lb/>
noch über jene unverwü&#x017F;tliche Kraft der Verjüngung und Selb&#x017F;terneuerung,<lb/>
welche das Chri&#x017F;tenthum überall von der gei&#x017F;tlo&#x017F;en Er&#x017F;tarrung des Islam<lb/>
unter&#x017F;cheidet. Als nun die weltbürgerliche Heilslehre der franzö&#x017F;i&#x017F;chen Re-<lb/>
volution und mit ihr zugleich die nationalen Freiheitsgedanken der &#x017F;pa-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0202] III. 3. Troppau und Laibach. Caſtlereagh die Empfindungen ſeines Herzens nicht mehr zurückhalten. Er ſendete dem Wiener Freunde ſeinen Glückwunſch und ſprach zugleich die Hoffnung aus: man werde die Beſetzung des unterworfenen Landes doch nicht franzöſiſchen Truppen anvertrauen. Wie jubelte Metternich über dieſe Aeußerung politiſcher Unſchuld; der Czar aber fragte lächelnd: wofür halten uns eigentlich dieſe Leute? *) — Indeſſen hatte das Schickſal dem öſterreichiſchen Staatsmanne be- reits einen bitteren Tropfen in den Becher ſeiner Freuden gegoſſen. Der doktrinäre Gedanke des unwandelbaren großen europäiſchen Bundes wider- ſprach ſo offenbar der Mannichfaltigkeit entgegengeſetzter Intereſſen und ungelöſter Fragen, welche das europäiſche Leben umſchloß, daß jede große Wendung der Völkergeſchicke ihn nothwendig ſtören mußte. Noch während des Laibacher Congreſſes brach eine fünfte Revolution aus, die anfangs am wenigſten beachtet, zuletzt der großen Allianz am verderblichſten wer- den ſollte. Die gräcoſlaviſche Welt begann zu erwachen, die ſchwerſte aller europäiſchen Fragen, die orientaliſche, gerieth wieder in Fluß. Seit hundert Jahren ſchon beſtand das Reich der Osmanen auf abendländiſchem Boden nur noch durch die wechſelſeitige Eiferſucht der europäiſchen Mächte, nicht mehr durch eigene Kraft. Eine im Schlaf erſtarrte Völkerwanderung hatte ſich wie eine ungeheure Schuttlawine, alle Cultur begrabend, über jene geſegneten Lande des Südoſtens gelagert, wo einſt die Chriſtenheit ihr zweites Rom und der Handel zweier Welttheile ſeinen Mittelpunkt gehabt. Was in dieſer Trümmerwelt noch lebte, arbeitete, um die Güter der Geſittung rang, war chriſtlich; das Herrenvolk, das der Rajah mit dem ſicheren Griffe orientaliſcher Herrſcherkunſt das Halsband der Unter- thänigkeit feſt um den Nacken gelegt hatte, blieb im Glanze ſeines er- beuteten Reichthums unwandelbar eine orientaliſche Reiterhorde, die nie- mals heimiſch ward in Europa und über die Weltanſchauung des kriege- riſchen Nomadenthums nie hinausgelangte. Unausbleiblich mußte ſich dereinſt an den Türken, wie vormals an der polniſchen Adelsrepublik, das hiſtoriſche Geſetz erfüllen, das in dieſem Jahrhundert der bürgerlichen Arbeit kein Volk von Rittern und Müßiggängern mehr duldet. Niemals hatten die Rajah-Völker ſich ausgeſöhnt mit ihren mitleidloſen Herren, niemals aufgehört die Rache Gottes herabzurufen für jenen Tag der Schmach, da der Eroberer in die Hagia Sophia einritt und die Hufe ſeines Roſſes das ſchönſte Gotteshaus der morgenländiſchen Chriſtenheit ſchändeten. Mitten im Schmutz und Elend ihrer Knechtſchaft geboten ſie noch über jene unverwüſtliche Kraft der Verjüngung und Selbſterneuerung, welche das Chriſtenthum überall von der geiſtloſen Erſtarrung des Islam unterſcheidet. Als nun die weltbürgerliche Heilslehre der franzöſiſchen Re- volution und mit ihr zugleich die nationalen Freiheitsgedanken der ſpa- *) Kruſemark’s Bericht, 19. April 1821.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/202
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/202>, abgerufen am 21.11.2024.