Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Griechische Revolution.
nischen und der deutschen Unabhängigkeitskriege langsam ihren Weg in
den fernen Osten fanden, da wirkten sie zunächst auf das rührigste der
Rajah-Völker, das unter dem wirthschaftlichen Druck der Türkenherrschaft
am wenigsten litt. Die Griechen hatten seit dem Frieden von Kutschuk-
Kainardsche fast den gesammten Handel des ägeischen Meeres an sich ge-
rissen, sie schöpften aus den Erinnerungen einer glorreichen Vergangenheit
das Selbstgefühl eines unzerstörbaren Volksthums, das befleckt mit allen
Sünden vielhundertjähriger Sklaverei doch immer noch zäh genug blieb um
seine uralte Sprache in erstaunlicher Reinheit zu bewahren und stark genug
um die zahlreichen in das hellenische Culturgebiet eingedrungenen albane-
sischen und slavischen Stämme aufzusaugen und mit griechischer Bildung
zu erfüllen.

Der Gedanke der Wiederherstellung des byzantinischen Reichs war
nie ganz verschwunden. Selbst in dem harten siebzehnten Jahrhundert
hatte Milton mit einem hellenischen Freunde von der Wiedergeburt Grie-
chenlands geträumt, und hundert Jahre darauf waren die Sendboten der
Czarin Katharina unter den Griechen umhergezogen um den Haß gegen
die osmanischen Herrscher aufzustacheln. Doch erst seit Rhigas in feurigen
Liedern die Freiheit der Hellenen besungen hatte, begann die nationale
Bewegung stärkere Wellen zu schlagen. Korais und seine Freunde führten
die neugriechische Sprache in den Kreis der Cultursprachen ein und schufen
die ersten Anfänge einer nationalen Literatur. Der literarische Bund der
Philomusen von Athen vermittelte den Gedankenaustausch zwischen den
weithin in allen Hafenplätzen der Balkanhalbinsel und Kleinasiens zer-
streuten Griechen, und gleichzeitig, seit 1812, gründete die politische Hetärie
von Odessa überall in den gräcoslavischen Landen ihre Geheimbünde.

Während in den meisten anderen Unabhängigkeitskriegen der neuen
Geschichte die Kämpfenden sich erst spät ihres letzten Zieles bewußt wurden,
faßte diese Verschwörung von vornherein die völlige Befreiung fest ins
Auge, da jede Vermittlung zwischen dem Kreuz und dem Halbmond un-
möglich schien: Unabhängigkeit aller Hellenen hieß die Losung, und nur
wenn das Kreuz wieder auf der Kuppel der Weisheitskirche prangte, sollte
der Kampf enden. Der Beistand der Schutzmacht der orthodoxen Kirche
schien den Verschworenen um so gewisser, da ein Liebling des Czaren, der
Fanariot Alexander Ypsilanti an ihrer Spitze stand und russische Agenten
überall auf der Halbinsel ihr Wesen trieben. Auch Kapodistrias unter-
hielt mit der Hetärie geheimen Verkehr, er besuchte im Jahre 1819, sicher-
lich nicht ohne Hintergedanken, seine Heimath Corfu und ermuthigte die
Freunde durch halbe Zusagen, als sie ihm ein Jahr darauf die bevor-
stehende Empörung ankündigten. Obwohl die Hetärie mit den Venten
der Carbonari nicht unmittelbar zusammenhing, so mußte doch der Anblick
der Revolution auf den beiden Nachbarhalbinseln die Ungeduld der Ver-
schworenen reizen, den Ausbruch des Krieges beschleunigen. Im December

Griechiſche Revolution.
niſchen und der deutſchen Unabhängigkeitskriege langſam ihren Weg in
den fernen Oſten fanden, da wirkten ſie zunächſt auf das rührigſte der
Rajah-Völker, das unter dem wirthſchaftlichen Druck der Türkenherrſchaft
am wenigſten litt. Die Griechen hatten ſeit dem Frieden von Kutſchuk-
Kainardſche faſt den geſammten Handel des ägeiſchen Meeres an ſich ge-
riſſen, ſie ſchöpften aus den Erinnerungen einer glorreichen Vergangenheit
das Selbſtgefühl eines unzerſtörbaren Volksthums, das befleckt mit allen
Sünden vielhundertjähriger Sklaverei doch immer noch zäh genug blieb um
ſeine uralte Sprache in erſtaunlicher Reinheit zu bewahren und ſtark genug
um die zahlreichen in das helleniſche Culturgebiet eingedrungenen albane-
ſiſchen und ſlaviſchen Stämme aufzuſaugen und mit griechiſcher Bildung
zu erfüllen.

Der Gedanke der Wiederherſtellung des byzantiniſchen Reichs war
nie ganz verſchwunden. Selbſt in dem harten ſiebzehnten Jahrhundert
hatte Milton mit einem helleniſchen Freunde von der Wiedergeburt Grie-
chenlands geträumt, und hundert Jahre darauf waren die Sendboten der
Czarin Katharina unter den Griechen umhergezogen um den Haß gegen
die osmaniſchen Herrſcher aufzuſtacheln. Doch erſt ſeit Rhigas in feurigen
Liedern die Freiheit der Hellenen beſungen hatte, begann die nationale
Bewegung ſtärkere Wellen zu ſchlagen. Korais und ſeine Freunde führten
die neugriechiſche Sprache in den Kreis der Culturſprachen ein und ſchufen
die erſten Anfänge einer nationalen Literatur. Der literariſche Bund der
Philomuſen von Athen vermittelte den Gedankenaustauſch zwiſchen den
weithin in allen Hafenplätzen der Balkanhalbinſel und Kleinaſiens zer-
ſtreuten Griechen, und gleichzeitig, ſeit 1812, gründete die politiſche Hetärie
von Odeſſa überall in den gräcoſlaviſchen Landen ihre Geheimbünde.

Während in den meiſten anderen Unabhängigkeitskriegen der neuen
Geſchichte die Kämpfenden ſich erſt ſpät ihres letzten Zieles bewußt wurden,
faßte dieſe Verſchwörung von vornherein die völlige Befreiung feſt ins
Auge, da jede Vermittlung zwiſchen dem Kreuz und dem Halbmond un-
möglich ſchien: Unabhängigkeit aller Hellenen hieß die Loſung, und nur
wenn das Kreuz wieder auf der Kuppel der Weisheitskirche prangte, ſollte
der Kampf enden. Der Beiſtand der Schutzmacht der orthodoxen Kirche
ſchien den Verſchworenen um ſo gewiſſer, da ein Liebling des Czaren, der
Fanariot Alexander Ypſilanti an ihrer Spitze ſtand und ruſſiſche Agenten
überall auf der Halbinſel ihr Weſen trieben. Auch Kapodiſtrias unter-
hielt mit der Hetärie geheimen Verkehr, er beſuchte im Jahre 1819, ſicher-
lich nicht ohne Hintergedanken, ſeine Heimath Corfu und ermuthigte die
Freunde durch halbe Zuſagen, als ſie ihm ein Jahr darauf die bevor-
ſtehende Empörung ankündigten. Obwohl die Hetärie mit den Venten
der Carbonari nicht unmittelbar zuſammenhing, ſo mußte doch der Anblick
der Revolution auf den beiden Nachbarhalbinſeln die Ungeduld der Ver-
ſchworenen reizen, den Ausbruch des Krieges beſchleunigen. Im December

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="187"/><fw place="top" type="header">Griechi&#x017F;che Revolution.</fw><lb/>
ni&#x017F;chen und der deut&#x017F;chen Unabhängigkeitskriege lang&#x017F;am ihren Weg in<lb/>
den fernen O&#x017F;ten fanden, da wirkten &#x017F;ie zunäch&#x017F;t auf das rührig&#x017F;te der<lb/>
Rajah-Völker, das unter dem wirth&#x017F;chaftlichen Druck der Türkenherr&#x017F;chaft<lb/>
am wenig&#x017F;ten litt. Die Griechen hatten &#x017F;eit dem Frieden von Kut&#x017F;chuk-<lb/>
Kainard&#x017F;che fa&#x017F;t den ge&#x017F;ammten Handel des ägei&#x017F;chen Meeres an &#x017F;ich ge-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie &#x017F;chöpften aus den Erinnerungen einer glorreichen Vergangenheit<lb/>
das Selb&#x017F;tgefühl eines unzer&#x017F;törbaren Volksthums, das befleckt mit allen<lb/>
Sünden vielhundertjähriger Sklaverei doch immer noch zäh genug blieb um<lb/>
&#x017F;eine uralte Sprache in er&#x017F;taunlicher Reinheit zu bewahren und &#x017F;tark genug<lb/>
um die zahlreichen in das helleni&#x017F;che Culturgebiet eingedrungenen albane-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen und &#x017F;lavi&#x017F;chen Stämme aufzu&#x017F;augen und mit griechi&#x017F;cher Bildung<lb/>
zu erfüllen.</p><lb/>
          <p>Der Gedanke der Wiederher&#x017F;tellung des byzantini&#x017F;chen Reichs war<lb/>
nie ganz ver&#x017F;chwunden. Selb&#x017F;t in dem harten &#x017F;iebzehnten Jahrhundert<lb/>
hatte Milton mit einem helleni&#x017F;chen Freunde von der Wiedergeburt Grie-<lb/>
chenlands geträumt, und hundert Jahre darauf waren die Sendboten der<lb/>
Czarin Katharina unter den Griechen umhergezogen um den Haß gegen<lb/>
die osmani&#x017F;chen Herr&#x017F;cher aufzu&#x017F;tacheln. Doch er&#x017F;t &#x017F;eit Rhigas in feurigen<lb/>
Liedern die Freiheit der Hellenen be&#x017F;ungen hatte, begann die nationale<lb/>
Bewegung &#x017F;tärkere Wellen zu &#x017F;chlagen. Korais und &#x017F;eine Freunde führten<lb/>
die neugriechi&#x017F;che Sprache in den Kreis der Cultur&#x017F;prachen ein und &#x017F;chufen<lb/>
die er&#x017F;ten Anfänge einer nationalen Literatur. Der literari&#x017F;che Bund der<lb/>
Philomu&#x017F;en von Athen vermittelte den Gedankenaustau&#x017F;ch zwi&#x017F;chen den<lb/>
weithin in allen Hafenplätzen der Balkanhalbin&#x017F;el und Kleina&#x017F;iens zer-<lb/>
&#x017F;treuten Griechen, und gleichzeitig, &#x017F;eit 1812, gründete die politi&#x017F;che Hetärie<lb/>
von Ode&#x017F;&#x017F;a überall in den gräco&#x017F;lavi&#x017F;chen Landen ihre Geheimbünde.</p><lb/>
          <p>Während in den mei&#x017F;ten anderen Unabhängigkeitskriegen der neuen<lb/>
Ge&#x017F;chichte die Kämpfenden &#x017F;ich er&#x017F;t &#x017F;pät ihres letzten Zieles bewußt wurden,<lb/>
faßte die&#x017F;e Ver&#x017F;chwörung von vornherein die völlige Befreiung fe&#x017F;t ins<lb/>
Auge, da jede Vermittlung zwi&#x017F;chen dem Kreuz und dem Halbmond un-<lb/>
möglich &#x017F;chien: Unabhängigkeit aller Hellenen hieß die Lo&#x017F;ung, und nur<lb/>
wenn das Kreuz wieder auf der Kuppel der Weisheitskirche prangte, &#x017F;ollte<lb/>
der Kampf enden. Der Bei&#x017F;tand der Schutzmacht der orthodoxen Kirche<lb/>
&#x017F;chien den Ver&#x017F;chworenen um &#x017F;o gewi&#x017F;&#x017F;er, da ein Liebling des Czaren, der<lb/>
Fanariot Alexander Yp&#x017F;ilanti an ihrer Spitze &#x017F;tand und ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Agenten<lb/>
überall auf der Halbin&#x017F;el ihr We&#x017F;en trieben. Auch Kapodi&#x017F;trias unter-<lb/>
hielt mit der Hetärie geheimen Verkehr, er be&#x017F;uchte im Jahre 1819, &#x017F;icher-<lb/>
lich nicht ohne Hintergedanken, &#x017F;eine Heimath Corfu und ermuthigte die<lb/>
Freunde durch halbe Zu&#x017F;agen, als &#x017F;ie ihm ein Jahr darauf die bevor-<lb/>
&#x017F;tehende Empörung ankündigten. <choice><sic>Obwobl</sic><corr>Obwohl</corr></choice> die Hetärie mit den Venten<lb/>
der Carbonari nicht unmittelbar zu&#x017F;ammenhing, &#x017F;o mußte doch der Anblick<lb/>
der Revolution auf den beiden Nachbarhalbin&#x017F;eln die Ungeduld der Ver-<lb/>
&#x017F;chworenen reizen, den Ausbruch des Krieges be&#x017F;chleunigen. Im December<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0203] Griechiſche Revolution. niſchen und der deutſchen Unabhängigkeitskriege langſam ihren Weg in den fernen Oſten fanden, da wirkten ſie zunächſt auf das rührigſte der Rajah-Völker, das unter dem wirthſchaftlichen Druck der Türkenherrſchaft am wenigſten litt. Die Griechen hatten ſeit dem Frieden von Kutſchuk- Kainardſche faſt den geſammten Handel des ägeiſchen Meeres an ſich ge- riſſen, ſie ſchöpften aus den Erinnerungen einer glorreichen Vergangenheit das Selbſtgefühl eines unzerſtörbaren Volksthums, das befleckt mit allen Sünden vielhundertjähriger Sklaverei doch immer noch zäh genug blieb um ſeine uralte Sprache in erſtaunlicher Reinheit zu bewahren und ſtark genug um die zahlreichen in das helleniſche Culturgebiet eingedrungenen albane- ſiſchen und ſlaviſchen Stämme aufzuſaugen und mit griechiſcher Bildung zu erfüllen. Der Gedanke der Wiederherſtellung des byzantiniſchen Reichs war nie ganz verſchwunden. Selbſt in dem harten ſiebzehnten Jahrhundert hatte Milton mit einem helleniſchen Freunde von der Wiedergeburt Grie- chenlands geträumt, und hundert Jahre darauf waren die Sendboten der Czarin Katharina unter den Griechen umhergezogen um den Haß gegen die osmaniſchen Herrſcher aufzuſtacheln. Doch erſt ſeit Rhigas in feurigen Liedern die Freiheit der Hellenen beſungen hatte, begann die nationale Bewegung ſtärkere Wellen zu ſchlagen. Korais und ſeine Freunde führten die neugriechiſche Sprache in den Kreis der Culturſprachen ein und ſchufen die erſten Anfänge einer nationalen Literatur. Der literariſche Bund der Philomuſen von Athen vermittelte den Gedankenaustauſch zwiſchen den weithin in allen Hafenplätzen der Balkanhalbinſel und Kleinaſiens zer- ſtreuten Griechen, und gleichzeitig, ſeit 1812, gründete die politiſche Hetärie von Odeſſa überall in den gräcoſlaviſchen Landen ihre Geheimbünde. Während in den meiſten anderen Unabhängigkeitskriegen der neuen Geſchichte die Kämpfenden ſich erſt ſpät ihres letzten Zieles bewußt wurden, faßte dieſe Verſchwörung von vornherein die völlige Befreiung feſt ins Auge, da jede Vermittlung zwiſchen dem Kreuz und dem Halbmond un- möglich ſchien: Unabhängigkeit aller Hellenen hieß die Loſung, und nur wenn das Kreuz wieder auf der Kuppel der Weisheitskirche prangte, ſollte der Kampf enden. Der Beiſtand der Schutzmacht der orthodoxen Kirche ſchien den Verſchworenen um ſo gewiſſer, da ein Liebling des Czaren, der Fanariot Alexander Ypſilanti an ihrer Spitze ſtand und ruſſiſche Agenten überall auf der Halbinſel ihr Weſen trieben. Auch Kapodiſtrias unter- hielt mit der Hetärie geheimen Verkehr, er beſuchte im Jahre 1819, ſicher- lich nicht ohne Hintergedanken, ſeine Heimath Corfu und ermuthigte die Freunde durch halbe Zuſagen, als ſie ihm ein Jahr darauf die bevor- ſtehende Empörung ankündigten. Obwohl die Hetärie mit den Venten der Carbonari nicht unmittelbar zuſammenhing, ſo mußte doch der Anblick der Revolution auf den beiden Nachbarhalbinſeln die Ungeduld der Ver- ſchworenen reizen, den Ausbruch des Krieges beſchleunigen. Im December

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/203
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/203>, abgerufen am 17.05.2024.