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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Philhellenismus.
Sieger, und wenn sie in offener Feldschlacht unterlagen, so starben ihre
"heiligen Schaaren" doch rühmlich auf dem Schilde; über den Türken aber
war der Stab gebrochen, seit sie die blühende Insel Chios nach einem
scheußlichen Blutbad in eine Einöde verwandelt hatten. Auch eine statt-
liche Zahl deutscher Kriegsgenossen eilte den Fahnen der Hellenen zu, leider
eine seltsam gemischte Gesellschaft: neben dem napoleonischen Landsknecht
General Normann aus Württemberg, demselben, der einst bei Kitzen die
Lützower Freischaar niedergehauen hatte, kamen hochherzige Enthusiasten
wie Franz Lieber, der, mattgehetzt von den deutschen Demagogenjägern, das
Ideal der Freiheit nun im Osten suchte, und andere jugendliche Schwärmer,
die nur ihre Kraft stählen wollten für den dereinstigen Freiheitskampf da-
heim. In der vornehmen Welt war Kronprinz Ludwig von Baiern neben
dem König von Württemberg das anerkannte Haupt der Griechenfreunde;
er betrachtete die griechische Sache fast wie seine eigene, unterstützte sie
mit fürstlicher Freigebigkeit und zwang auch seine Muse zu wiederholten
philhellenischen Kraftleistungen:

Du der edler'n Menschheit treue Wiege,
Hochbegabte Hellas, siege, siege!

Die liberale und die ästhetische Begeisterung zugleich führten diesen
Prinzen in das griechische Lager. Aber auch hochconservative Männer
wie der Convertit Beckedorff in Berlin verweigerten der Hofburg die
Heeresfolge zu dem Kampfe des Halbmonds wider das Kreuz. Sogar der
sanftmüthige Tiedge, der erbauliche und beschauliche Poet des kursächsischen
Stilllebens, besang den Kampf der Griechen wider die Barbarei. Marwitz
schalt mit gewohntem Freimuth auf den gottlosen Oesterreichischen Beob-
achter, der so gar nicht begreifen wolle, daß in diesem Kriege wider eine
heimathlose Horde die Griechen die Macht des Beharrens, der Erhaltung
verträten; und nicht lange, so erzählte man unter der Hand, daß sich in
den griechischen Sammelkästen namhafte Beiträge der Könige Friedrich
Wilhelm und Max Joseph befänden: die beiden wohlmeinenden Fürsten
empfanden doch mit stiller Beschämung, wie schwer sich die hadernde Chri-
stenheit seit Jahrhunderten an den Rajahvölkern versündigt hatte. Auch
Niebuhr, der über die romanischen Revolutionen so schonungslos aburtheilte,
wendete diesem Kampfe den ganzen Enthusiasmus seines großen Herzens
zu, er hoffte den Tag noch zu schauen, der die letzte Scholle Europas
der freien abendländischen Gesittung zurückgeben sollte.

Bei aller phantastischen Leichtgläubigkeit, bei allen gelehrten Schrullen,
die mit unterliefen, entsprang die philhellenische Begeisterung doch nicht blos
aus unklaren Empfindungen, sondern aus einem gesunden politischen In-
stinkt. Die Deutschen ahnten dunkel, daß diese Erhebung des Ostens den
unerträglichen Druck, der auf dem Welttheil lastete, dereinst mildern würde,
sie waren nicht russisch gesinnt, sie hofften vielmehr durch die Befreiung der
orientalischen Christen den geheimen Eroberungsplänen Rußlands die Spitze

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Der Philhellenismus.
Sieger, und wenn ſie in offener Feldſchlacht unterlagen, ſo ſtarben ihre
„heiligen Schaaren“ doch rühmlich auf dem Schilde; über den Türken aber
war der Stab gebrochen, ſeit ſie die blühende Inſel Chios nach einem
ſcheußlichen Blutbad in eine Einöde verwandelt hatten. Auch eine ſtatt-
liche Zahl deutſcher Kriegsgenoſſen eilte den Fahnen der Hellenen zu, leider
eine ſeltſam gemiſchte Geſellſchaft: neben dem napoleoniſchen Landsknecht
General Normann aus Württemberg, demſelben, der einſt bei Kitzen die
Lützower Freiſchaar niedergehauen hatte, kamen hochherzige Enthuſiaſten
wie Franz Lieber, der, mattgehetzt von den deutſchen Demagogenjägern, das
Ideal der Freiheit nun im Oſten ſuchte, und andere jugendliche Schwärmer,
die nur ihre Kraft ſtählen wollten für den dereinſtigen Freiheitskampf da-
heim. In der vornehmen Welt war Kronprinz Ludwig von Baiern neben
dem König von Württemberg das anerkannte Haupt der Griechenfreunde;
er betrachtete die griechiſche Sache faſt wie ſeine eigene, unterſtützte ſie
mit fürſtlicher Freigebigkeit und zwang auch ſeine Muſe zu wiederholten
philhelleniſchen Kraftleiſtungen:

Du der edler’n Menſchheit treue Wiege,
Hochbegabte Hellas, ſiege, ſiege!

Die liberale und die äſthetiſche Begeiſterung zugleich führten dieſen
Prinzen in das griechiſche Lager. Aber auch hochconſervative Männer
wie der Convertit Beckedorff in Berlin verweigerten der Hofburg die
Heeresfolge zu dem Kampfe des Halbmonds wider das Kreuz. Sogar der
ſanftmüthige Tiedge, der erbauliche und beſchauliche Poet des kurſächſiſchen
Stilllebens, beſang den Kampf der Griechen wider die Barbarei. Marwitz
ſchalt mit gewohntem Freimuth auf den gottloſen Oeſterreichiſchen Beob-
achter, der ſo gar nicht begreifen wolle, daß in dieſem Kriege wider eine
heimathloſe Horde die Griechen die Macht des Beharrens, der Erhaltung
verträten; und nicht lange, ſo erzählte man unter der Hand, daß ſich in
den griechiſchen Sammelkäſten namhafte Beiträge der Könige Friedrich
Wilhelm und Max Joſeph befänden: die beiden wohlmeinenden Fürſten
empfanden doch mit ſtiller Beſchämung, wie ſchwer ſich die hadernde Chri-
ſtenheit ſeit Jahrhunderten an den Rajahvölkern verſündigt hatte. Auch
Niebuhr, der über die romaniſchen Revolutionen ſo ſchonungslos aburtheilte,
wendete dieſem Kampfe den ganzen Enthuſiasmus ſeines großen Herzens
zu, er hoffte den Tag noch zu ſchauen, der die letzte Scholle Europas
der freien abendländiſchen Geſittung zurückgeben ſollte.

Bei aller phantaſtiſchen Leichtgläubigkeit, bei allen gelehrten Schrullen,
die mit unterliefen, entſprang die philhelleniſche Begeiſterung doch nicht blos
aus unklaren Empfindungen, ſondern aus einem geſunden politiſchen In-
ſtinkt. Die Deutſchen ahnten dunkel, daß dieſe Erhebung des Oſtens den
unerträglichen Druck, der auf dem Welttheil laſtete, dereinſt mildern würde,
ſie waren nicht ruſſiſch geſinnt, ſie hofften vielmehr durch die Befreiung der
orientaliſchen Chriſten den geheimen Eroberungsplänen Rußlands die Spitze

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[195/0211] Der Philhellenismus. Sieger, und wenn ſie in offener Feldſchlacht unterlagen, ſo ſtarben ihre „heiligen Schaaren“ doch rühmlich auf dem Schilde; über den Türken aber war der Stab gebrochen, ſeit ſie die blühende Inſel Chios nach einem ſcheußlichen Blutbad in eine Einöde verwandelt hatten. Auch eine ſtatt- liche Zahl deutſcher Kriegsgenoſſen eilte den Fahnen der Hellenen zu, leider eine ſeltſam gemiſchte Geſellſchaft: neben dem napoleoniſchen Landsknecht General Normann aus Württemberg, demſelben, der einſt bei Kitzen die Lützower Freiſchaar niedergehauen hatte, kamen hochherzige Enthuſiaſten wie Franz Lieber, der, mattgehetzt von den deutſchen Demagogenjägern, das Ideal der Freiheit nun im Oſten ſuchte, und andere jugendliche Schwärmer, die nur ihre Kraft ſtählen wollten für den dereinſtigen Freiheitskampf da- heim. In der vornehmen Welt war Kronprinz Ludwig von Baiern neben dem König von Württemberg das anerkannte Haupt der Griechenfreunde; er betrachtete die griechiſche Sache faſt wie ſeine eigene, unterſtützte ſie mit fürſtlicher Freigebigkeit und zwang auch ſeine Muſe zu wiederholten philhelleniſchen Kraftleiſtungen: Du der edler’n Menſchheit treue Wiege, Hochbegabte Hellas, ſiege, ſiege! Die liberale und die äſthetiſche Begeiſterung zugleich führten dieſen Prinzen in das griechiſche Lager. Aber auch hochconſervative Männer wie der Convertit Beckedorff in Berlin verweigerten der Hofburg die Heeresfolge zu dem Kampfe des Halbmonds wider das Kreuz. Sogar der ſanftmüthige Tiedge, der erbauliche und beſchauliche Poet des kurſächſiſchen Stilllebens, beſang den Kampf der Griechen wider die Barbarei. Marwitz ſchalt mit gewohntem Freimuth auf den gottloſen Oeſterreichiſchen Beob- achter, der ſo gar nicht begreifen wolle, daß in dieſem Kriege wider eine heimathloſe Horde die Griechen die Macht des Beharrens, der Erhaltung verträten; und nicht lange, ſo erzählte man unter der Hand, daß ſich in den griechiſchen Sammelkäſten namhafte Beiträge der Könige Friedrich Wilhelm und Max Joſeph befänden: die beiden wohlmeinenden Fürſten empfanden doch mit ſtiller Beſchämung, wie ſchwer ſich die hadernde Chri- ſtenheit ſeit Jahrhunderten an den Rajahvölkern verſündigt hatte. Auch Niebuhr, der über die romaniſchen Revolutionen ſo ſchonungslos aburtheilte, wendete dieſem Kampfe den ganzen Enthuſiasmus ſeines großen Herzens zu, er hoffte den Tag noch zu ſchauen, der die letzte Scholle Europas der freien abendländiſchen Geſittung zurückgeben ſollte. Bei aller phantaſtiſchen Leichtgläubigkeit, bei allen gelehrten Schrullen, die mit unterliefen, entſprang die philhelleniſche Begeiſterung doch nicht blos aus unklaren Empfindungen, ſondern aus einem geſunden politiſchen In- ſtinkt. Die Deutſchen ahnten dunkel, daß dieſe Erhebung des Oſtens den unerträglichen Druck, der auf dem Welttheil laſtete, dereinſt mildern würde, ſie waren nicht ruſſiſch geſinnt, ſie hofften vielmehr durch die Befreiung der orientaliſchen Chriſten den geheimen Eroberungsplänen Rußlands die Spitze 13*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/211>, abgerufen am 21.11.2024.