den des Protestantismus möglich geworden; jetzt wurden sie von seinen Gegnern verwerthet um das eigenste Werk der Reformation, die Souve- ränität des verweltlichten Staates wieder zu zerstören. In solchem Sinne schrieb Christian Brentano über die bairischen Concordatshändel und J. F. J. Sommer in Arnsberg, unter dem Namen Westphalus Eremita, ein Buch "von der Kirche in dieser Zeit." Der ehrliche conservative West- phale, ein eifriger Anhänger der altständischen Partei, wollte die Deut- schen als "Bürger zweier Welten" anerkannt sehen und leugnete in aller Unschuld, daß es noch Ultramontane in Deutschland gebe; die einzigen Römlinge von heute seien die Vertreter jener absoluten Staatsgewalt, die "in dem Jahrhundert der Polizei" der Freiheit der Kirche so schwere Wunden geschlagen habe.
Bald fand sich auch ein namhafter Gelehrter, der die neue Doctrin der römischen Kirchenfreiheit zu einem wohlgeordneten Systeme abrundete. In Bonn schaarte sich ein kleiner, streng clericaler Kreis um den geist- reichen Arzt und Naturphilosophen C. J. H. Windischmann zusammen; hier empfing der junge Danziger Jurist C. H. Jarcke unvergeßliche Eindrücke, die über sein Leben entschieden und ihn zum Uebertritt in die römische Kirche bewogen. Windischmann's Schwiegersohn Ferdinand Walter ver- öffentlichte nun im Jahre 1822 ein handliches Lehrbuch des Kirchenrechts, das durch klare, übersichtliche Darstellung die meisten Compendien jener Zeit übertraf und in dreizehn Auflagen verbreitet auf die kirchenpoliti- schen Ansichten des katholischen Deutschlands sehr tief einwirkte. Ein ge- scheidter Schüler Niebuhr's und der historischen Juristen, hatte Walter als Freiwilliger im Befreiungskriege seine warme Begeisterung für das deutsche Vaterland bewährt, wie er auch nachher, in den Stürmen des Jahres 1848, bewies, daß er ein treuer und tapferer preußischer Monarchist war. Er rühmte sich selber seiner wohlwollenden und schonenden Ge- sinnung gegen alle Confessionen. Doch aus den vorsichtigen, modern klingenden Sätzen seines Kirchenrechts sprach unverkennbar eine rein mit- telalterliche Ansicht vom Wesen des Staates; er setzte den Staat als "von der Kirche durchdrungen" voraus und nannte die advocatia ecclesiae, die Schutzherrschaft des Staates über die Kirche, ganz im Sinne Gre- gor's VII. und Innocenz's III. "eher eine Pflicht als ein Recht", woraus denn unzweifelhaft folgte, daß der weltliche Arm dem geistlichen zu dienen habe. Von der Verfassung der evangelischen Kirche entwarf er in aller Höflichkeit ein widriges Zerrbild. Dahin war es durch die schlaffe Nach- sicht der Protestanten schon längst gekommen, daß der beleidigende, einst durch die Reichsgesetze streng verbotene Ausdruck "katholische Kirche" sich im allgemeinen Sprachgebrauche eingebürgert hatte; den evangelischen Namen aber wollten die Römischen nicht gelten lassen. Walter's Kirchenrecht stellte in jedem Abschnitte zunächst ausführlich "das System der katholischen Kirche" dar und ließ darauf eine kurze Schilderung der "Ansichten der
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„Der Katholik“. F. Walter.
den des Proteſtantismus möglich geworden; jetzt wurden ſie von ſeinen Gegnern verwerthet um das eigenſte Werk der Reformation, die Souve- ränität des verweltlichten Staates wieder zu zerſtören. In ſolchem Sinne ſchrieb Chriſtian Brentano über die bairiſchen Concordatshändel und J. F. J. Sommer in Arnsberg, unter dem Namen Westphalus Eremita, ein Buch „von der Kirche in dieſer Zeit.“ Der ehrliche conſervative Weſt- phale, ein eifriger Anhänger der altſtändiſchen Partei, wollte die Deut- ſchen als „Bürger zweier Welten“ anerkannt ſehen und leugnete in aller Unſchuld, daß es noch Ultramontane in Deutſchland gebe; die einzigen Römlinge von heute ſeien die Vertreter jener abſoluten Staatsgewalt, die „in dem Jahrhundert der Polizei“ der Freiheit der Kirche ſo ſchwere Wunden geſchlagen habe.
Bald fand ſich auch ein namhafter Gelehrter, der die neue Doctrin der römiſchen Kirchenfreiheit zu einem wohlgeordneten Syſteme abrundete. In Bonn ſchaarte ſich ein kleiner, ſtreng clericaler Kreis um den geiſt- reichen Arzt und Naturphiloſophen C. J. H. Windiſchmann zuſammen; hier empfing der junge Danziger Juriſt C. H. Jarcke unvergeßliche Eindrücke, die über ſein Leben entſchieden und ihn zum Uebertritt in die römiſche Kirche bewogen. Windiſchmann’s Schwiegerſohn Ferdinand Walter ver- öffentlichte nun im Jahre 1822 ein handliches Lehrbuch des Kirchenrechts, das durch klare, überſichtliche Darſtellung die meiſten Compendien jener Zeit übertraf und in dreizehn Auflagen verbreitet auf die kirchenpoliti- ſchen Anſichten des katholiſchen Deutſchlands ſehr tief einwirkte. Ein ge- ſcheidter Schüler Niebuhr’s und der hiſtoriſchen Juriſten, hatte Walter als Freiwilliger im Befreiungskriege ſeine warme Begeiſterung für das deutſche Vaterland bewährt, wie er auch nachher, in den Stürmen des Jahres 1848, bewies, daß er ein treuer und tapferer preußiſcher Monarchiſt war. Er rühmte ſich ſelber ſeiner wohlwollenden und ſchonenden Ge- ſinnung gegen alle Confeſſionen. Doch aus den vorſichtigen, modern klingenden Sätzen ſeines Kirchenrechts ſprach unverkennbar eine rein mit- telalterliche Anſicht vom Weſen des Staates; er ſetzte den Staat als „von der Kirche durchdrungen“ voraus und nannte die advocatia ecclesiae, die Schutzherrſchaft des Staates über die Kirche, ganz im Sinne Gre- gor’s VII. und Innocenz’s III. „eher eine Pflicht als ein Recht“, woraus denn unzweifelhaft folgte, daß der weltliche Arm dem geiſtlichen zu dienen habe. Von der Verfaſſung der evangeliſchen Kirche entwarf er in aller Höflichkeit ein widriges Zerrbild. Dahin war es durch die ſchlaffe Nach- ſicht der Proteſtanten ſchon längſt gekommen, daß der beleidigende, einſt durch die Reichsgeſetze ſtreng verbotene Ausdruck „katholiſche Kirche“ ſich im allgemeinen Sprachgebrauche eingebürgert hatte; den evangeliſchen Namen aber wollten die Römiſchen nicht gelten laſſen. Walter’s Kirchenrecht ſtellte in jedem Abſchnitte zunächſt ausführlich „das Syſtem der katholiſchen Kirche“ dar und ließ darauf eine kurze Schilderung der „Anſichten der
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„Der Katholik“. F. Walter.
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Gegnern verwerthet um das eigenſte Werk der Reformation, die Souve-
ränität des verweltlichten Staates wieder zu zerſtören. In ſolchem Sinne
ſchrieb Chriſtian Brentano über die bairiſchen Concordatshändel und J. F.
J. Sommer in Arnsberg, unter dem Namen Westphalus Eremita, ein
Buch „von der Kirche in dieſer Zeit.“ Der ehrliche conſervative Weſt-
phale, ein eifriger Anhänger der altſtändiſchen Partei, wollte die Deut-
ſchen als „Bürger zweier Welten“ anerkannt ſehen und leugnete in aller
Unſchuld, daß es noch Ultramontane in Deutſchland gebe; die einzigen
Römlinge von heute ſeien die Vertreter jener abſoluten Staatsgewalt, die
„in dem Jahrhundert der Polizei“ der Freiheit der Kirche ſo ſchwere
Wunden geſchlagen habe.
Bald fand ſich auch ein namhafter Gelehrter, der die neue Doctrin
der römiſchen Kirchenfreiheit zu einem wohlgeordneten Syſteme abrundete.
In Bonn ſchaarte ſich ein kleiner, ſtreng clericaler Kreis um den geiſt-
reichen Arzt und Naturphiloſophen C. J. H. Windiſchmann zuſammen; hier
empfing der junge Danziger Juriſt C. H. Jarcke unvergeßliche Eindrücke,
die über ſein Leben entſchieden und ihn zum Uebertritt in die römiſche
Kirche bewogen. Windiſchmann’s Schwiegerſohn Ferdinand Walter ver-
öffentlichte nun im Jahre 1822 ein handliches Lehrbuch des Kirchenrechts,
das durch klare, überſichtliche Darſtellung die meiſten Compendien jener
Zeit übertraf und in dreizehn Auflagen verbreitet auf die kirchenpoliti-
ſchen Anſichten des katholiſchen Deutſchlands ſehr tief einwirkte. Ein ge-
ſcheidter Schüler Niebuhr’s und der hiſtoriſchen Juriſten, hatte Walter
als Freiwilliger im Befreiungskriege ſeine warme Begeiſterung für das
deutſche Vaterland bewährt, wie er auch nachher, in den Stürmen des
Jahres 1848, bewies, daß er ein treuer und tapferer preußiſcher Monarchiſt
war. Er rühmte ſich ſelber ſeiner wohlwollenden und ſchonenden Ge-
ſinnung gegen alle Confeſſionen. Doch aus den vorſichtigen, modern
klingenden Sätzen ſeines Kirchenrechts ſprach unverkennbar eine rein mit-
telalterliche Anſicht vom Weſen des Staates; er ſetzte den Staat als „von
der Kirche durchdrungen“ voraus und nannte die advocatia ecclesiae,
die Schutzherrſchaft des Staates über die Kirche, ganz im Sinne Gre-
gor’s VII. und Innocenz’s III. „eher eine Pflicht als ein Recht“, woraus
denn unzweifelhaft folgte, daß der weltliche Arm dem geiſtlichen zu dienen
habe. Von der Verfaſſung der evangeliſchen Kirche entwarf er in aller
Höflichkeit ein widriges Zerrbild. Dahin war es durch die ſchlaffe Nach-
ſicht der Proteſtanten ſchon längſt gekommen, daß der beleidigende, einſt
durch die Reichsgeſetze ſtreng verbotene Ausdruck „katholiſche Kirche“ ſich
im allgemeinen Sprachgebrauche eingebürgert hatte; den evangeliſchen
Namen aber wollten die Römiſchen nicht gelten laſſen. Walter’s Kirchenrecht
ſtellte in jedem Abſchnitte zunächſt ausführlich „das Syſtem der katholiſchen
Kirche“ dar und ließ darauf eine kurze Schilderung der „Anſichten der
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/227>, abgerufen am 21.11.2024.
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