III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
In seinem berechtigten Eifer wider die gewaltsame Härte der josephi- nischen Staatsgewalt war dem geistvollen Gelehrten ganz entgangen, daß eine Macht, welche allen Königen der Erde die Grenzen ihrer Herrschaft vorzeichnen will, nothwendig selber nach der Weltherrschaft trachten muß, wie es die dreifach gekrönten Priester des Mittelalters auch gethan hatten. Er hatte das Wunder vollbracht, die absoluteste Gewalt, welche die Geschichte kennt, durch die Idee der Freiheit zu rechtfertigen, und die werdende ultra- montane Partei säumte nicht, die kühne Paradoxie des protestantischen Denkers für sich zu verwerthen. Walter selbst wagte nur leise anzudeuten, daß die so lange durch List und Gewalt geleitete europäische Politik viel- leicht dereinst -- aber nur ganz friedlich, von innen heraus -- wieder unter die sanfte schiedsrichterliche Obhut des Stellvertreters Christi gerathen könne. Vorläufig begnügte man sich also mit der Müller'schen Forderung: Gleichgewicht von Staat und Kirche, vollkommene Freiheit der beiden Ge- walten; und da das große Wort der Freiheit diesem durch thörichte poli- zeiliche Quälerei erbitterten Geschlechte unwiderstehlich klang, so warb der clericale Gedanke des kirchenpolitischen Dualismus auch im liberalen Lager, sehr langsam freilich, vereinzelte Anhänger. Der gesammten deutschen Geschichtsforschung wies Müller den Weg zu einer billigeren Würdigung der mittelalterlichen Kirche. Ein streng clericaler Historiker von irgend welcher Bedeutung war freilich bisher noch nicht aufgetreten, aber in der Stille seines Schweizer Pfarrhauses brütete ein Fanatiker der Priester- herrschaft, der Protestant F. E. Hurter bereits über dem Plane, dem herrschsüchtigsten aller Päpste, Innocenz III. ein leuchtendes Denkmal zu errichten.
Und seltsam: wie die Idee der Freiheit den Zwecken der Clericalen dienen mußte, so führte auch die vaterländische Begeisterung manchen unklaren jungen Schwärmer hinüber in das Lager der römischen Welt- macht, die doch zu allen Zeiten der natürliche Feind jedes starken natio- nalen Staates und vornehmlich der deutschen Einheit war. Das acht- zehnte Jahrhundert hatte die Romfahrten unserer alten Kaiser mit aufge- klärter Selbstgefälligkeit verurtheilt und die Reformation als einen freilich nur halb gelungenen Kampf für Licht und Wahrheit anerkannt. Der romantischen Jugend ward die Seele weit bei den Namen der Ottonen und der Staufer, und wenn sie die phantastisch ausgeschmückten Bilder alter Kaiserherrlichkeit mit dem Elend des dreißigjährigen Krieges verglich, so lief sie leicht Gefahr, den Grund dieses Verfalls in den Thaten Luther's zu suchen. Von ähnlichen patriotischen Idealen erfüllt hatte einst Julius Pflugk zur Zeit des Augsburger Friedens seine feurigen Reden an die Deutschen geschrieben und die Kirchenspaltung als den Anfang des natio- nalen Unglücks beklagt. Es ließ sich doch nicht leugnen, daß die Refor- mation die längst schon vorhandenen Keime des Zerfalls gefördert, die längst schon lebendigen politischen Gegensätze noch durch kirchlichen Haß
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
In ſeinem berechtigten Eifer wider die gewaltſame Härte der joſephi- niſchen Staatsgewalt war dem geiſtvollen Gelehrten ganz entgangen, daß eine Macht, welche allen Königen der Erde die Grenzen ihrer Herrſchaft vorzeichnen will, nothwendig ſelber nach der Weltherrſchaft trachten muß, wie es die dreifach gekrönten Prieſter des Mittelalters auch gethan hatten. Er hatte das Wunder vollbracht, die abſoluteſte Gewalt, welche die Geſchichte kennt, durch die Idee der Freiheit zu rechtfertigen, und die werdende ultra- montane Partei ſäumte nicht, die kühne Paradoxie des proteſtantiſchen Denkers für ſich zu verwerthen. Walter ſelbſt wagte nur leiſe anzudeuten, daß die ſo lange durch Liſt und Gewalt geleitete europäiſche Politik viel- leicht dereinſt — aber nur ganz friedlich, von innen heraus — wieder unter die ſanfte ſchiedsrichterliche Obhut des Stellvertreters Chriſti gerathen könne. Vorläufig begnügte man ſich alſo mit der Müller’ſchen Forderung: Gleichgewicht von Staat und Kirche, vollkommene Freiheit der beiden Ge- walten; und da das große Wort der Freiheit dieſem durch thörichte poli- zeiliche Quälerei erbitterten Geſchlechte unwiderſtehlich klang, ſo warb der clericale Gedanke des kirchenpolitiſchen Dualismus auch im liberalen Lager, ſehr langſam freilich, vereinzelte Anhänger. Der geſammten deutſchen Geſchichtsforſchung wies Müller den Weg zu einer billigeren Würdigung der mittelalterlichen Kirche. Ein ſtreng clericaler Hiſtoriker von irgend welcher Bedeutung war freilich bisher noch nicht aufgetreten, aber in der Stille ſeines Schweizer Pfarrhauſes brütete ein Fanatiker der Prieſter- herrſchaft, der Proteſtant F. E. Hurter bereits über dem Plane, dem herrſchſüchtigſten aller Päpſte, Innocenz III. ein leuchtendes Denkmal zu errichten.
Und ſeltſam: wie die Idee der Freiheit den Zwecken der Clericalen dienen mußte, ſo führte auch die vaterländiſche Begeiſterung manchen unklaren jungen Schwärmer hinüber in das Lager der römiſchen Welt- macht, die doch zu allen Zeiten der natürliche Feind jedes ſtarken natio- nalen Staates und vornehmlich der deutſchen Einheit war. Das acht- zehnte Jahrhundert hatte die Romfahrten unſerer alten Kaiſer mit aufge- klärter Selbſtgefälligkeit verurtheilt und die Reformation als einen freilich nur halb gelungenen Kampf für Licht und Wahrheit anerkannt. Der romantiſchen Jugend ward die Seele weit bei den Namen der Ottonen und der Staufer, und wenn ſie die phantaſtiſch ausgeſchmückten Bilder alter Kaiſerherrlichkeit mit dem Elend des dreißigjährigen Krieges verglich, ſo lief ſie leicht Gefahr, den Grund dieſes Verfalls in den Thaten Luther’s zu ſuchen. Von ähnlichen patriotiſchen Idealen erfüllt hatte einſt Julius Pflugk zur Zeit des Augsburger Friedens ſeine feurigen Reden an die Deutſchen geſchrieben und die Kirchenſpaltung als den Anfang des natio- nalen Unglücks beklagt. Es ließ ſich doch nicht leugnen, daß die Refor- mation die längſt ſchon vorhandenen Keime des Zerfalls gefördert, die längſt ſchon lebendigen politiſchen Gegenſätze noch durch kirchlichen Haß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0230"n="214"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.</fw><lb/><p>In ſeinem berechtigten Eifer wider die gewaltſame Härte der joſephi-<lb/>
niſchen Staatsgewalt war dem geiſtvollen Gelehrten ganz entgangen, daß<lb/>
eine Macht, welche allen Königen der Erde die Grenzen ihrer Herrſchaft<lb/>
vorzeichnen will, nothwendig ſelber nach der Weltherrſchaft trachten muß,<lb/>
wie es die dreifach gekrönten Prieſter des Mittelalters auch gethan hatten.<lb/>
Er hatte das Wunder vollbracht, die abſoluteſte Gewalt, welche die Geſchichte<lb/>
kennt, durch die Idee der Freiheit zu rechtfertigen, und die werdende ultra-<lb/>
montane Partei ſäumte nicht, die kühne Paradoxie des proteſtantiſchen<lb/>
Denkers für ſich zu verwerthen. Walter ſelbſt wagte nur leiſe anzudeuten,<lb/>
daß die ſo lange durch Liſt und Gewalt geleitete europäiſche Politik viel-<lb/>
leicht dereinſt — aber nur ganz friedlich, von innen heraus — wieder<lb/>
unter die ſanfte ſchiedsrichterliche Obhut des Stellvertreters Chriſti gerathen<lb/>
könne. Vorläufig begnügte man ſich alſo mit der Müller’ſchen Forderung:<lb/>
Gleichgewicht von Staat und Kirche, vollkommene Freiheit der beiden Ge-<lb/>
walten; und da das große Wort der Freiheit dieſem durch thörichte poli-<lb/>
zeiliche Quälerei erbitterten Geſchlechte unwiderſtehlich klang, ſo warb der<lb/>
clericale Gedanke des kirchenpolitiſchen Dualismus auch im liberalen Lager,<lb/>ſehr langſam freilich, vereinzelte Anhänger. Der geſammten deutſchen<lb/>
Geſchichtsforſchung wies Müller den Weg zu einer billigeren Würdigung<lb/>
der mittelalterlichen Kirche. Ein ſtreng clericaler Hiſtoriker von irgend<lb/>
welcher Bedeutung war freilich bisher noch nicht aufgetreten, aber in der<lb/>
Stille ſeines Schweizer Pfarrhauſes brütete ein Fanatiker der Prieſter-<lb/>
herrſchaft, der Proteſtant F. E. Hurter bereits über dem Plane, dem<lb/>
herrſchſüchtigſten aller Päpſte, Innocenz <hirendition="#aq">III.</hi> ein leuchtendes Denkmal zu<lb/>
errichten.</p><lb/><p>Und ſeltſam: wie die Idee der Freiheit den Zwecken der Clericalen<lb/>
dienen mußte, ſo führte auch die vaterländiſche Begeiſterung manchen<lb/>
unklaren jungen Schwärmer hinüber in das Lager der römiſchen Welt-<lb/>
macht, die doch zu allen Zeiten der natürliche Feind jedes ſtarken natio-<lb/>
nalen Staates und vornehmlich der deutſchen Einheit war. Das acht-<lb/>
zehnte Jahrhundert hatte die Romfahrten unſerer alten Kaiſer mit aufge-<lb/>
klärter Selbſtgefälligkeit verurtheilt und die Reformation als einen freilich<lb/>
nur halb gelungenen Kampf für Licht und Wahrheit anerkannt. Der<lb/>
romantiſchen Jugend ward die Seele weit bei den Namen der Ottonen<lb/>
und der Staufer, und wenn ſie die phantaſtiſch ausgeſchmückten Bilder<lb/>
alter Kaiſerherrlichkeit mit dem Elend des dreißigjährigen Krieges verglich,<lb/>ſo lief ſie leicht Gefahr, den Grund dieſes Verfalls in den Thaten Luther’s<lb/>
zu ſuchen. Von ähnlichen patriotiſchen Idealen erfüllt hatte einſt Julius<lb/>
Pflugk zur Zeit des Augsburger Friedens ſeine feurigen Reden an die<lb/>
Deutſchen geſchrieben und die Kirchenſpaltung als den Anfang des natio-<lb/>
nalen Unglücks beklagt. Es ließ ſich doch nicht leugnen, daß die Refor-<lb/>
mation die längſt ſchon vorhandenen Keime des Zerfalls gefördert, die<lb/>
längſt ſchon lebendigen politiſchen Gegenſätze noch durch kirchlichen Haß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[214/0230]
III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
In ſeinem berechtigten Eifer wider die gewaltſame Härte der joſephi-
niſchen Staatsgewalt war dem geiſtvollen Gelehrten ganz entgangen, daß
eine Macht, welche allen Königen der Erde die Grenzen ihrer Herrſchaft
vorzeichnen will, nothwendig ſelber nach der Weltherrſchaft trachten muß,
wie es die dreifach gekrönten Prieſter des Mittelalters auch gethan hatten.
Er hatte das Wunder vollbracht, die abſoluteſte Gewalt, welche die Geſchichte
kennt, durch die Idee der Freiheit zu rechtfertigen, und die werdende ultra-
montane Partei ſäumte nicht, die kühne Paradoxie des proteſtantiſchen
Denkers für ſich zu verwerthen. Walter ſelbſt wagte nur leiſe anzudeuten,
daß die ſo lange durch Liſt und Gewalt geleitete europäiſche Politik viel-
leicht dereinſt — aber nur ganz friedlich, von innen heraus — wieder
unter die ſanfte ſchiedsrichterliche Obhut des Stellvertreters Chriſti gerathen
könne. Vorläufig begnügte man ſich alſo mit der Müller’ſchen Forderung:
Gleichgewicht von Staat und Kirche, vollkommene Freiheit der beiden Ge-
walten; und da das große Wort der Freiheit dieſem durch thörichte poli-
zeiliche Quälerei erbitterten Geſchlechte unwiderſtehlich klang, ſo warb der
clericale Gedanke des kirchenpolitiſchen Dualismus auch im liberalen Lager,
ſehr langſam freilich, vereinzelte Anhänger. Der geſammten deutſchen
Geſchichtsforſchung wies Müller den Weg zu einer billigeren Würdigung
der mittelalterlichen Kirche. Ein ſtreng clericaler Hiſtoriker von irgend
welcher Bedeutung war freilich bisher noch nicht aufgetreten, aber in der
Stille ſeines Schweizer Pfarrhauſes brütete ein Fanatiker der Prieſter-
herrſchaft, der Proteſtant F. E. Hurter bereits über dem Plane, dem
herrſchſüchtigſten aller Päpſte, Innocenz III. ein leuchtendes Denkmal zu
errichten.
Und ſeltſam: wie die Idee der Freiheit den Zwecken der Clericalen
dienen mußte, ſo führte auch die vaterländiſche Begeiſterung manchen
unklaren jungen Schwärmer hinüber in das Lager der römiſchen Welt-
macht, die doch zu allen Zeiten der natürliche Feind jedes ſtarken natio-
nalen Staates und vornehmlich der deutſchen Einheit war. Das acht-
zehnte Jahrhundert hatte die Romfahrten unſerer alten Kaiſer mit aufge-
klärter Selbſtgefälligkeit verurtheilt und die Reformation als einen freilich
nur halb gelungenen Kampf für Licht und Wahrheit anerkannt. Der
romantiſchen Jugend ward die Seele weit bei den Namen der Ottonen
und der Staufer, und wenn ſie die phantaſtiſch ausgeſchmückten Bilder
alter Kaiſerherrlichkeit mit dem Elend des dreißigjährigen Krieges verglich,
ſo lief ſie leicht Gefahr, den Grund dieſes Verfalls in den Thaten Luther’s
zu ſuchen. Von ähnlichen patriotiſchen Idealen erfüllt hatte einſt Julius
Pflugk zur Zeit des Augsburger Friedens ſeine feurigen Reden an die
Deutſchen geſchrieben und die Kirchenſpaltung als den Anfang des natio-
nalen Unglücks beklagt. Es ließ ſich doch nicht leugnen, daß die Refor-
mation die längſt ſchon vorhandenen Keime des Zerfalls gefördert, die
längſt ſchon lebendigen politiſchen Gegenſätze noch durch kirchlichen Haß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/230>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.