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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
und den gesammten wissenschaftlichen Unterricht der jungen Cleriker allein
der Universität zu überweisen; darauf sollte nur noch ein kurzer prakti-
scher Cursus im Kölner Priesterseminar folgen. In der theologischen Fa-
cultät aber herrschten Hermes und sein Gesinnungsgenosse Gratz. Nun
und nimmer wollte Droste die künftigen Pfarrer des frommen Münster-
landes solchen Lehrern und dem Verkehre mit ketzerischen Studenten preis-
geben. Er ließ daher in der Akademie eine Verordnung anschlagen, welche
allen Theologen des Bisthums, bei Strafe der Versagung der Weihen,
untersagte, ohne ausdrückliche Erlaubniß des Generalvicars außerhalb
Münsters zu studiren. Einem Studenten, der daraufhin anfragte, verbot
er sofort, nach Bonn zu gehen, ohne Angabe von Gründen.

Es war eine offene Kriegserklärung wider die rheinische Universität
und zugleich ein dreister Eingriff in die Rechte der Staatsgewalt; denn
die Akademie gehörte dem Staate, und nur der Curator Vincke durfte
ihr Befehle ertheilen. Der letzte Zweifel über Droste's Absichten mußte
schwinden, als einige Wochen später (3. März) der Weihbischof v. Graben
im benachbarten Osnabrück seinen Theologen ebenfalls befahl, vorläufig
nur in Münster weiter zu studiren, bis die geistliche Obrigkeit über den
Geist der andern Universitäten unterrichtet sei.*) Was sollte aus der
Bonner theologischen Facultät werden, wenn sie also von den Bischöfen
in den Bann gethan ward? Sie errieth auch alsbald die Gefahr und be-
schwor die Staatsbehörden um kräftige Abwehr: "wir haben mit einem
Gegner zu thun, der mit einem Schlage töden will." Diese hermesiani-
schen Theologen erklärten unumwunden, noch immer sei "der hierarchische
Despotismus an der Standhaftigkeit der Regierungen gescheitert", und
erinnerten den preußischen Staat an das ruhmreiche Beispiel der Republik
Venedig.**)

Die Mahnung war kaum nöthig; denn Vincke hatte inzwischen
schon die Verordnung Droste's für nichtig erklärt und sie vom schwarzen
Brett abreißen lassen. Selbst Altenstein billigte das entschlossene Auf-
treten des Curators, obgleich er in seiner Friedfertigkeit jeden Streit mit
der geistlichen Gewalt fast eben so ängstlich scheute wie sein Rathgeber,
der halbclericale Schmedding; er forderte den Generalvicar auf, sich zu
rechtfertigen wegen eines Betragens, das den Vorschriften des Allgemeinen
Landrechts offenbar widerspreche.***) Darauf erfolgte (20. März) eine Ant-
wort, die selbst aus solcher Feder noch überraschen mußte. Droste er-

*) Droste an stud. th. v. d. Meulen, 23. Febr.; Verordnung des Weihbischofs
v. Graben, Osnabrück 3. März 1820. Diese und die in den folgenden Anmerkungen
erwähnten Schriftstücke habe ich in den Akten des Bonner Curatoriums, mit Erlaubniß
des Herrn Geh.-Rath Beseler, eingesehen.
**) Eingabe der Bonner theologischen Facultät an Altenstein, 26. Febr., an den
Curator v. Rehfues, 26. Febr.; Dekan Gratz an Rehfues, 16. März 1820.
***) Altenstein an Vincke 1. März, an Droste 1. März 1820.

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
und den geſammten wiſſenſchaftlichen Unterricht der jungen Cleriker allein
der Univerſität zu überweiſen; darauf ſollte nur noch ein kurzer prakti-
ſcher Curſus im Kölner Prieſterſeminar folgen. In der theologiſchen Fa-
cultät aber herrſchten Hermes und ſein Geſinnungsgenoſſe Gratz. Nun
und nimmer wollte Droſte die künftigen Pfarrer des frommen Münſter-
landes ſolchen Lehrern und dem Verkehre mit ketzeriſchen Studenten preis-
geben. Er ließ daher in der Akademie eine Verordnung anſchlagen, welche
allen Theologen des Bisthums, bei Strafe der Verſagung der Weihen,
unterſagte, ohne ausdrückliche Erlaubniß des Generalvicars außerhalb
Münſters zu ſtudiren. Einem Studenten, der daraufhin anfragte, verbot
er ſofort, nach Bonn zu gehen, ohne Angabe von Gründen.

Es war eine offene Kriegserklärung wider die rheiniſche Univerſität
und zugleich ein dreiſter Eingriff in die Rechte der Staatsgewalt; denn
die Akademie gehörte dem Staate, und nur der Curator Vincke durfte
ihr Befehle ertheilen. Der letzte Zweifel über Droſte’s Abſichten mußte
ſchwinden, als einige Wochen ſpäter (3. März) der Weihbiſchof v. Graben
im benachbarten Osnabrück ſeinen Theologen ebenfalls befahl, vorläufig
nur in Münſter weiter zu ſtudiren, bis die geiſtliche Obrigkeit über den
Geiſt der andern Univerſitäten unterrichtet ſei.*) Was ſollte aus der
Bonner theologiſchen Facultät werden, wenn ſie alſo von den Biſchöfen
in den Bann gethan ward? Sie errieth auch alsbald die Gefahr und be-
ſchwor die Staatsbehörden um kräftige Abwehr: „wir haben mit einem
Gegner zu thun, der mit einem Schlage töden will.“ Dieſe hermeſiani-
ſchen Theologen erklärten unumwunden, noch immer ſei „der hierarchiſche
Despotismus an der Standhaftigkeit der Regierungen geſcheitert“, und
erinnerten den preußiſchen Staat an das ruhmreiche Beiſpiel der Republik
Venedig.**)

Die Mahnung war kaum nöthig; denn Vincke hatte inzwiſchen
ſchon die Verordnung Droſte’s für nichtig erklärt und ſie vom ſchwarzen
Brett abreißen laſſen. Selbſt Altenſtein billigte das entſchloſſene Auf-
treten des Curators, obgleich er in ſeiner Friedfertigkeit jeden Streit mit
der geiſtlichen Gewalt faſt eben ſo ängſtlich ſcheute wie ſein Rathgeber,
der halbclericale Schmedding; er forderte den Generalvicar auf, ſich zu
rechtfertigen wegen eines Betragens, das den Vorſchriften des Allgemeinen
Landrechts offenbar widerſpreche.***) Darauf erfolgte (20. März) eine Ant-
wort, die ſelbſt aus ſolcher Feder noch überraſchen mußte. Droſte er-

*) Droſte an stud. th. v. d. Meulen, 23. Febr.; Verordnung des Weihbiſchofs
v. Graben, Osnabrück 3. März 1820. Dieſe und die in den folgenden Anmerkungen
erwähnten Schriftſtücke habe ich in den Akten des Bonner Curatoriums, mit Erlaubniß
des Herrn Geh.-Rath Beſeler, eingeſehen.
**) Eingabe der Bonner theologiſchen Facultät an Altenſtein, 26. Febr., an den
Curator v. Rehfues, 26. Febr.; Dekan Gratz an Rehfues, 16. März 1820.
***) Altenſtein an Vincke 1. März, an Droſte 1. März 1820.
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[218/0234] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. und den geſammten wiſſenſchaftlichen Unterricht der jungen Cleriker allein der Univerſität zu überweiſen; darauf ſollte nur noch ein kurzer prakti- ſcher Curſus im Kölner Prieſterſeminar folgen. In der theologiſchen Fa- cultät aber herrſchten Hermes und ſein Geſinnungsgenoſſe Gratz. Nun und nimmer wollte Droſte die künftigen Pfarrer des frommen Münſter- landes ſolchen Lehrern und dem Verkehre mit ketzeriſchen Studenten preis- geben. Er ließ daher in der Akademie eine Verordnung anſchlagen, welche allen Theologen des Bisthums, bei Strafe der Verſagung der Weihen, unterſagte, ohne ausdrückliche Erlaubniß des Generalvicars außerhalb Münſters zu ſtudiren. Einem Studenten, der daraufhin anfragte, verbot er ſofort, nach Bonn zu gehen, ohne Angabe von Gründen. Es war eine offene Kriegserklärung wider die rheiniſche Univerſität und zugleich ein dreiſter Eingriff in die Rechte der Staatsgewalt; denn die Akademie gehörte dem Staate, und nur der Curator Vincke durfte ihr Befehle ertheilen. Der letzte Zweifel über Droſte’s Abſichten mußte ſchwinden, als einige Wochen ſpäter (3. März) der Weihbiſchof v. Graben im benachbarten Osnabrück ſeinen Theologen ebenfalls befahl, vorläufig nur in Münſter weiter zu ſtudiren, bis die geiſtliche Obrigkeit über den Geiſt der andern Univerſitäten unterrichtet ſei. *) Was ſollte aus der Bonner theologiſchen Facultät werden, wenn ſie alſo von den Biſchöfen in den Bann gethan ward? Sie errieth auch alsbald die Gefahr und be- ſchwor die Staatsbehörden um kräftige Abwehr: „wir haben mit einem Gegner zu thun, der mit einem Schlage töden will.“ Dieſe hermeſiani- ſchen Theologen erklärten unumwunden, noch immer ſei „der hierarchiſche Despotismus an der Standhaftigkeit der Regierungen geſcheitert“, und erinnerten den preußiſchen Staat an das ruhmreiche Beiſpiel der Republik Venedig. **) Die Mahnung war kaum nöthig; denn Vincke hatte inzwiſchen ſchon die Verordnung Droſte’s für nichtig erklärt und ſie vom ſchwarzen Brett abreißen laſſen. Selbſt Altenſtein billigte das entſchloſſene Auf- treten des Curators, obgleich er in ſeiner Friedfertigkeit jeden Streit mit der geiſtlichen Gewalt faſt eben ſo ängſtlich ſcheute wie ſein Rathgeber, der halbclericale Schmedding; er forderte den Generalvicar auf, ſich zu rechtfertigen wegen eines Betragens, das den Vorſchriften des Allgemeinen Landrechts offenbar widerſpreche. ***) Darauf erfolgte (20. März) eine Ant- wort, die ſelbſt aus ſolcher Feder noch überraſchen mußte. Droſte er- *) Droſte an stud. th. v. d. Meulen, 23. Febr.; Verordnung des Weihbiſchofs v. Graben, Osnabrück 3. März 1820. Dieſe und die in den folgenden Anmerkungen erwähnten Schriftſtücke habe ich in den Akten des Bonner Curatoriums, mit Erlaubniß des Herrn Geh.-Rath Beſeler, eingeſehen. **) Eingabe der Bonner theologiſchen Facultät an Altenſtein, 26. Febr., an den Curator v. Rehfues, 26. Febr.; Dekan Gratz an Rehfues, 16. März 1820. ***) Altenſtein an Vincke 1. März, an Droſte 1. März 1820.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/234>, abgerufen am 21.11.2024.