endlich am 15. Sept. 1821 die mit der Curie Wort für Wort vereinbarte Tegernseeer Erklärung. Er genehmigte darin die Errichtung der neuen Bisthümer und fügte die zweifache Versicherung hinzu: der Verfassungseid beziehe sich, nach den Bestimmungen der Verfassung selbst, lediglich auf die bürgerliche Ordnung und verpflichte die Unterthanen zu nichts, was den Gesetzen Gottes oder der katholischen Kirche widerstreiten könne; sodann: das Concordat sei Staatsgesetz und solle von den Behörden in allen Fällen befolgt werden.
Nunmehr konnte der Nuntius die Circumscriptionsbulle Dei ac Do- mini, die seit ihrer Unterzeichnung am 1. April 1818 geruht hatte, in der Münchener Frauenkirche unter feierlichem Gepränge verkündigen. Er stellte sich an, als ob er einen großen Sieg errungen hätte; den aus- wärtigen Diplomaten fiel es auf, wie zuversichtlich er fortan redete.*) In Wahrheit war die Curie der Klugheit Zentner's und seiner Freunde unter- legen; sie hatte ausdrücklich zugestanden, daß die Verfassung den Satzun- gen der Kirche nicht widerspreche, und sie hatte das Concordat abermals als ein Staatsgesetz anerkannt. Ganz unzweideutig war die Tegern- seeer Erklärung freilich nicht. Auch an ihr, wie an allen Vereinbarungen zwischen dem modernen Staate und dem römischen Stuhle, sollte sich der- einst noch das Jesuitensprüchlein bewähren: überall lauert eine Schlange im Grase. Indeß konnte der bairische Staat einem Streite mit dem Papstthum gleichmüthig entgegensehen; er hatte vor Preußen zwei große Vortheile voraus: einen rechtgläubigen König, dem die Curie wie das katho- lische Volk Vieles nachsehen mußte, und ein Beamtenthum, das in katho- lischer Luft aufgewachsen, mit dem Clerus umzugehen verstand. Seine Krone ernannte alle Bischöfe, bestätigte alle Pfarrer und übte ihre Kir- chenhoheit mit solcher Strenge, daß selbst Fastenpatente oder Breven über die Domherrentalare nicht ohne königliches Placet erscheinen und kein Priester öffentliche Kirchenbußen verhängen durfte. Nach einer selbstver- schuldeten Demüthigung hatte sich die Staatsgewalt wieder kräftig aufge- rafft, und ein volles Jahrzehnt hindurch blieb der Friede zwischen Staat und Kirche fast ungestört. --
Minder glücklich verliefen die Verhandlungen der oberrheinischen Staaten. Seit dem März 1818 tagten unter Wangenheim's Leitung die Frankfurter Conferenzen, und die liberale Presse, welche der Vorsitzende stets auf dem Laufenden hielt, erwartete von diesen Berathungen des reinen Deutschlands die Magna Charta deutscher Kirchenfreiheit, die Be- gründung des "geläuterten Kirchenrechts". Minder wohlwollend betrachtete der Vatican diese Staaten des Südwestens, denn gerade hier war die katholische Kirche wohl berechtigt, über bureaukratischen Druck zu klagen. In den kurmainzischen Bezirken Hessen-Darmstadts hatte der protestan-
*) Zastrow's Bericht, 31. Dec. 1821.
Die Erklärung von Tegernſee.
endlich am 15. Sept. 1821 die mit der Curie Wort für Wort vereinbarte Tegernſeeer Erklärung. Er genehmigte darin die Errichtung der neuen Bisthümer und fügte die zweifache Verſicherung hinzu: der Verfaſſungseid beziehe ſich, nach den Beſtimmungen der Verfaſſung ſelbſt, lediglich auf die bürgerliche Ordnung und verpflichte die Unterthanen zu nichts, was den Geſetzen Gottes oder der katholiſchen Kirche widerſtreiten könne; ſodann: das Concordat ſei Staatsgeſetz und ſolle von den Behörden in allen Fällen befolgt werden.
Nunmehr konnte der Nuntius die Circumſcriptionsbulle Dei ac Do- mini, die ſeit ihrer Unterzeichnung am 1. April 1818 geruht hatte, in der Münchener Frauenkirche unter feierlichem Gepränge verkündigen. Er ſtellte ſich an, als ob er einen großen Sieg errungen hätte; den aus- wärtigen Diplomaten fiel es auf, wie zuverſichtlich er fortan redete.*) In Wahrheit war die Curie der Klugheit Zentner’s und ſeiner Freunde unter- legen; ſie hatte ausdrücklich zugeſtanden, daß die Verfaſſung den Satzun- gen der Kirche nicht widerſpreche, und ſie hatte das Concordat abermals als ein Staatsgeſetz anerkannt. Ganz unzweideutig war die Tegern- ſeeer Erklärung freilich nicht. Auch an ihr, wie an allen Vereinbarungen zwiſchen dem modernen Staate und dem römiſchen Stuhle, ſollte ſich der- einſt noch das Jeſuitenſprüchlein bewähren: überall lauert eine Schlange im Graſe. Indeß konnte der bairiſche Staat einem Streite mit dem Papſtthum gleichmüthig entgegenſehen; er hatte vor Preußen zwei große Vortheile voraus: einen rechtgläubigen König, dem die Curie wie das katho- liſche Volk Vieles nachſehen mußte, und ein Beamtenthum, das in katho- liſcher Luft aufgewachſen, mit dem Clerus umzugehen verſtand. Seine Krone ernannte alle Biſchöfe, beſtätigte alle Pfarrer und übte ihre Kir- chenhoheit mit ſolcher Strenge, daß ſelbſt Faſtenpatente oder Breven über die Domherrentalare nicht ohne königliches Placet erſcheinen und kein Prieſter öffentliche Kirchenbußen verhängen durfte. Nach einer ſelbſtver- ſchuldeten Demüthigung hatte ſich die Staatsgewalt wieder kräftig aufge- rafft, und ein volles Jahrzehnt hindurch blieb der Friede zwiſchen Staat und Kirche faſt ungeſtört. —
Minder glücklich verliefen die Verhandlungen der oberrheiniſchen Staaten. Seit dem März 1818 tagten unter Wangenheim’s Leitung die Frankfurter Conferenzen, und die liberale Preſſe, welche der Vorſitzende ſtets auf dem Laufenden hielt, erwartete von dieſen Berathungen des reinen Deutſchlands die Magna Charta deutſcher Kirchenfreiheit, die Be- gründung des „geläuterten Kirchenrechts“. Minder wohlwollend betrachtete der Vatican dieſe Staaten des Südweſtens, denn gerade hier war die katholiſche Kirche wohl berechtigt, über bureaukratiſchen Druck zu klagen. In den kurmainziſchen Bezirken Heſſen-Darmſtadts hatte der proteſtan-
*) Zaſtrow’s Bericht, 31. Dec. 1821.
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Die Erklärung von Tegernſee.
endlich am 15. Sept. 1821 die mit der Curie Wort für Wort vereinbarte
Tegernſeeer Erklärung. Er genehmigte darin die Errichtung der neuen
Bisthümer und fügte die zweifache Verſicherung hinzu: der Verfaſſungseid
beziehe ſich, nach den Beſtimmungen der Verfaſſung ſelbſt, lediglich auf die
bürgerliche Ordnung und verpflichte die Unterthanen zu nichts, was den
Geſetzen Gottes oder der katholiſchen Kirche widerſtreiten könne; ſodann:
das Concordat ſei Staatsgeſetz und ſolle von den Behörden in allen
Fällen befolgt werden.
Nunmehr konnte der Nuntius die Circumſcriptionsbulle Dei ac Do-
mini, die ſeit ihrer Unterzeichnung am 1. April 1818 geruht hatte, in
der Münchener Frauenkirche unter feierlichem Gepränge verkündigen. Er
ſtellte ſich an, als ob er einen großen Sieg errungen hätte; den aus-
wärtigen Diplomaten fiel es auf, wie zuverſichtlich er fortan redete. *) In
Wahrheit war die Curie der Klugheit Zentner’s und ſeiner Freunde unter-
legen; ſie hatte ausdrücklich zugeſtanden, daß die Verfaſſung den Satzun-
gen der Kirche nicht widerſpreche, und ſie hatte das Concordat abermals
als ein Staatsgeſetz anerkannt. Ganz unzweideutig war die Tegern-
ſeeer Erklärung freilich nicht. Auch an ihr, wie an allen Vereinbarungen
zwiſchen dem modernen Staate und dem römiſchen Stuhle, ſollte ſich der-
einſt noch das Jeſuitenſprüchlein bewähren: überall lauert eine Schlange
im Graſe. Indeß konnte der bairiſche Staat einem Streite mit dem
Papſtthum gleichmüthig entgegenſehen; er hatte vor Preußen zwei große
Vortheile voraus: einen rechtgläubigen König, dem die Curie wie das katho-
liſche Volk Vieles nachſehen mußte, und ein Beamtenthum, das in katho-
liſcher Luft aufgewachſen, mit dem Clerus umzugehen verſtand. Seine
Krone ernannte alle Biſchöfe, beſtätigte alle Pfarrer und übte ihre Kir-
chenhoheit mit ſolcher Strenge, daß ſelbſt Faſtenpatente oder Breven über
die Domherrentalare nicht ohne königliches Placet erſcheinen und kein
Prieſter öffentliche Kirchenbußen verhängen durfte. Nach einer ſelbſtver-
ſchuldeten Demüthigung hatte ſich die Staatsgewalt wieder kräftig aufge-
rafft, und ein volles Jahrzehnt hindurch blieb der Friede zwiſchen Staat
und Kirche faſt ungeſtört. —
Minder glücklich verliefen die Verhandlungen der oberrheiniſchen
Staaten. Seit dem März 1818 tagten unter Wangenheim’s Leitung die
Frankfurter Conferenzen, und die liberale Preſſe, welche der Vorſitzende
ſtets auf dem Laufenden hielt, erwartete von dieſen Berathungen des
reinen Deutſchlands die Magna Charta deutſcher Kirchenfreiheit, die Be-
gründung des „geläuterten Kirchenrechts“. Minder wohlwollend betrachtete
der Vatican dieſe Staaten des Südweſtens, denn gerade hier war die
katholiſche Kirche wohl berechtigt, über bureaukratiſchen Druck zu klagen.
In den kurmainziſchen Bezirken Heſſen-Darmſtadts hatte der proteſtan-
*) Zaſtrow’s Bericht, 31. Dec. 1821.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/237>, abgerufen am 21.11.2024.
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