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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
tische Großherzog die Ernennung der Pfarrer, die bisher dem Erzbischof
zugestanden, kurzerhand an sich gerissen, als ob sie zu den Hoheitsrechten
des Staates gehörte. In Nassau war seit 1817 die Simultan-Volks-
schule eingeführt, so daß fortan nur ein einziges Schullehrerseminar für
alle Bekenntnisse bestand und die Kinder zuerst gemeinsam "den allge-
meinen", dann gesondert den confessionellen Religionsunterricht empfingen;
zur Vollendung der Aufklärung wurde den Schulbuben, ganz wie im
wiedergeborenen Spanien, auch Landesverfassungslehre vorgetragen --
natürlich nur die nassauische, denn was ging die Nassauer Deutschland
an? Die Ergebnisse dieser bureaukratischen Volksaufklärung waren nicht
ganz schlecht, da so viele Confessionen in dem Ländchen bunt durch einander
hausten; der römische Stuhl aber konnte an der allgemeinen nassauischen
Schulreligion unmöglich Gefallen finden. Und noch weniger behagten ihm
die Bevollmächtigten der Conferenz.

Für Württemberg erschien außer Wangenheim, der sich von vorn-
herein zu den Sätzen "des musterhaften josephinischen Kirchenrechts" be-
kannte, der Generalvikariatsrath Jaumann, ein gelehrter geistlicher Herr,
nebenbei archäologischer Dilettant, ebenfalls erklärter Josephiner. Der
nassauische Bevollmächtigte Koch, einer der Begründer der aufgeklärten
Simultan-Volksschule, hatte den geistlichen Stand bereits aufgegeben und
ließ sich während der Conferenzen durch einen protestantischen Pfarrer
trauen, so daß er des Skandals halber abberufen werden mußte. Von
den Vertretern Badens war der eine, Dekan Burg einst mit Wessenberg
nach Rom gegangen; auch der andere, der vielseitig gebildete, um die Frei-
burger Universität hoch verdiente Staatsrath v. Ittner, verdankte seine
Berufung der Empfehlung des Constanzer Coadjutors und stand zu Rom
als Freund und Mitarbeiter des rationalistischen Eiferers Zschokke in üblem
Ansehen. Domherr v. Wreden, der darmstädtische Bevollmächtigte, hatte
schon zur Zeit der Emser Bischofsversammlung die Ansprüche des Papst-
thums mit scharfer Feder bekämpft. Außer Wangenheim war der Kur-
hesse Ries der einzige Protestant in der Versammlung.

Begreiflich also, daß Consalvi in der Frankfurter Conferenz nur einen
Parteitag der Wessenbergischen Partei sah, und diese Richtung war dem
Papste augenblicklich noch verdächtiger als der Protestantismus selber. Wan-
genheim aber blickte mit unerschütterlicher Zuversicht auf die gesammelte
Macht seines reinen Deutschlands und hielt für undenkbar, daß der Va-
tican sich je erdreisten könnte, dem geeinten Willen von fünf deutschen
Souveränen zu widersprechen; sogar die Ernennung der Bischöfe glaubte
er der Curie abtrotzen zu können, da der Papst zur Zeit des Rheinbundes,
in einem Augenblicke höchster Bedrängniß, einmal nahe daran gewesen war,
dies Recht, den alten Grundsätzen der vaticanischen Politik zuwider, dem
protestantischen Könige von Württemberg zuzugestehn. Auf Wangenheim's
Vorschlag stellte die Conferenz die Rechte, welche sie für die Staatsgewalt in

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
tiſche Großherzog die Ernennung der Pfarrer, die bisher dem Erzbiſchof
zugeſtanden, kurzerhand an ſich geriſſen, als ob ſie zu den Hoheitsrechten
des Staates gehörte. In Naſſau war ſeit 1817 die Simultan-Volks-
ſchule eingeführt, ſo daß fortan nur ein einziges Schullehrerſeminar für
alle Bekenntniſſe beſtand und die Kinder zuerſt gemeinſam „den allge-
meinen“, dann geſondert den confeſſionellen Religionsunterricht empfingen;
zur Vollendung der Aufklärung wurde den Schulbuben, ganz wie im
wiedergeborenen Spanien, auch Landesverfaſſungslehre vorgetragen —
natürlich nur die naſſauiſche, denn was ging die Naſſauer Deutſchland
an? Die Ergebniſſe dieſer bureaukratiſchen Volksaufklärung waren nicht
ganz ſchlecht, da ſo viele Confeſſionen in dem Ländchen bunt durch einander
hauſten; der römiſche Stuhl aber konnte an der allgemeinen naſſauiſchen
Schulreligion unmöglich Gefallen finden. Und noch weniger behagten ihm
die Bevollmächtigten der Conferenz.

Für Württemberg erſchien außer Wangenheim, der ſich von vorn-
herein zu den Sätzen „des muſterhaften joſephiniſchen Kirchenrechts“ be-
kannte, der Generalvikariatsrath Jaumann, ein gelehrter geiſtlicher Herr,
nebenbei archäologiſcher Dilettant, ebenfalls erklärter Joſephiner. Der
naſſauiſche Bevollmächtigte Koch, einer der Begründer der aufgeklärten
Simultan-Volksſchule, hatte den geiſtlichen Stand bereits aufgegeben und
ließ ſich während der Conferenzen durch einen proteſtantiſchen Pfarrer
trauen, ſo daß er des Skandals halber abberufen werden mußte. Von
den Vertretern Badens war der eine, Dekan Burg einſt mit Weſſenberg
nach Rom gegangen; auch der andere, der vielſeitig gebildete, um die Frei-
burger Univerſität hoch verdiente Staatsrath v. Ittner, verdankte ſeine
Berufung der Empfehlung des Conſtanzer Coadjutors und ſtand zu Rom
als Freund und Mitarbeiter des rationaliſtiſchen Eiferers Zſchokke in üblem
Anſehen. Domherr v. Wreden, der darmſtädtiſche Bevollmächtigte, hatte
ſchon zur Zeit der Emſer Biſchofsverſammlung die Anſprüche des Papſt-
thums mit ſcharfer Feder bekämpft. Außer Wangenheim war der Kur-
heſſe Ries der einzige Proteſtant in der Verſammlung.

Begreiflich alſo, daß Conſalvi in der Frankfurter Conferenz nur einen
Parteitag der Weſſenbergiſchen Partei ſah, und dieſe Richtung war dem
Papſte augenblicklich noch verdächtiger als der Proteſtantismus ſelber. Wan-
genheim aber blickte mit unerſchütterlicher Zuverſicht auf die geſammelte
Macht ſeines reinen Deutſchlands und hielt für undenkbar, daß der Va-
tican ſich je erdreiſten könnte, dem geeinten Willen von fünf deutſchen
Souveränen zu widerſprechen; ſogar die Ernennung der Biſchöfe glaubte
er der Curie abtrotzen zu können, da der Papſt zur Zeit des Rheinbundes,
in einem Augenblicke höchſter Bedrängniß, einmal nahe daran geweſen war,
dies Recht, den alten Grundſätzen der vaticaniſchen Politik zuwider, dem
proteſtantiſchen Könige von Württemberg zuzugeſtehn. Auf Wangenheim’s
Vorſchlag ſtellte die Conferenz die Rechte, welche ſie für die Staatsgewalt in

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[222/0238] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. tiſche Großherzog die Ernennung der Pfarrer, die bisher dem Erzbiſchof zugeſtanden, kurzerhand an ſich geriſſen, als ob ſie zu den Hoheitsrechten des Staates gehörte. In Naſſau war ſeit 1817 die Simultan-Volks- ſchule eingeführt, ſo daß fortan nur ein einziges Schullehrerſeminar für alle Bekenntniſſe beſtand und die Kinder zuerſt gemeinſam „den allge- meinen“, dann geſondert den confeſſionellen Religionsunterricht empfingen; zur Vollendung der Aufklärung wurde den Schulbuben, ganz wie im wiedergeborenen Spanien, auch Landesverfaſſungslehre vorgetragen — natürlich nur die naſſauiſche, denn was ging die Naſſauer Deutſchland an? Die Ergebniſſe dieſer bureaukratiſchen Volksaufklärung waren nicht ganz ſchlecht, da ſo viele Confeſſionen in dem Ländchen bunt durch einander hauſten; der römiſche Stuhl aber konnte an der allgemeinen naſſauiſchen Schulreligion unmöglich Gefallen finden. Und noch weniger behagten ihm die Bevollmächtigten der Conferenz. Für Württemberg erſchien außer Wangenheim, der ſich von vorn- herein zu den Sätzen „des muſterhaften joſephiniſchen Kirchenrechts“ be- kannte, der Generalvikariatsrath Jaumann, ein gelehrter geiſtlicher Herr, nebenbei archäologiſcher Dilettant, ebenfalls erklärter Joſephiner. Der naſſauiſche Bevollmächtigte Koch, einer der Begründer der aufgeklärten Simultan-Volksſchule, hatte den geiſtlichen Stand bereits aufgegeben und ließ ſich während der Conferenzen durch einen proteſtantiſchen Pfarrer trauen, ſo daß er des Skandals halber abberufen werden mußte. Von den Vertretern Badens war der eine, Dekan Burg einſt mit Weſſenberg nach Rom gegangen; auch der andere, der vielſeitig gebildete, um die Frei- burger Univerſität hoch verdiente Staatsrath v. Ittner, verdankte ſeine Berufung der Empfehlung des Conſtanzer Coadjutors und ſtand zu Rom als Freund und Mitarbeiter des rationaliſtiſchen Eiferers Zſchokke in üblem Anſehen. Domherr v. Wreden, der darmſtädtiſche Bevollmächtigte, hatte ſchon zur Zeit der Emſer Biſchofsverſammlung die Anſprüche des Papſt- thums mit ſcharfer Feder bekämpft. Außer Wangenheim war der Kur- heſſe Ries der einzige Proteſtant in der Verſammlung. Begreiflich alſo, daß Conſalvi in der Frankfurter Conferenz nur einen Parteitag der Weſſenbergiſchen Partei ſah, und dieſe Richtung war dem Papſte augenblicklich noch verdächtiger als der Proteſtantismus ſelber. Wan- genheim aber blickte mit unerſchütterlicher Zuverſicht auf die geſammelte Macht ſeines reinen Deutſchlands und hielt für undenkbar, daß der Va- tican ſich je erdreiſten könnte, dem geeinten Willen von fünf deutſchen Souveränen zu widerſprechen; ſogar die Ernennung der Biſchöfe glaubte er der Curie abtrotzen zu können, da der Papſt zur Zeit des Rheinbundes, in einem Augenblicke höchſter Bedrängniß, einmal nahe daran geweſen war, dies Recht, den alten Grundſätzen der vaticaniſchen Politik zuwider, dem proteſtantiſchen Könige von Württemberg zuzugeſtehn. Auf Wangenheim’s Vorſchlag ſtellte die Conferenz die Rechte, welche ſie für die Staatsgewalt in

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/238>, abgerufen am 24.11.2024.