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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die letzte Verfassungs-Commission.
in Preußen doch nur eine Vertretung des eigentlichen Volkes, der Grund-
besitzer beabsichtige. Schönberg schrieb dagegen, mit deutlichem Hinweis
auf Haller: "Alles in der Welt kann mißdeutet werden. Mögen die
Philosophen über die Grundsätze, worauf Staaten basirt sein sollen, träu-
men, erfinden und restauriren, Preußens König und sein erlauchtes Haus
braucht von diesen Theorien sein Heil nicht zu erwarten. Dieses liegt
fest begründet in der Treue, dem Gehorsam und der Liebe seiner Unter-
thanen. Ich habe den Ausdruck nicht für bedenklich ansehen können. Der
König und sein Volk ist ein schönes Wort, dessen Sinn in der Zeit der
großen Ereignisse sich auf das Herrlichste bewährt hat. Eine ständische
Repräsentation bleibt immer eine Repräsentation des Volks. Wäre dieses
nicht der Fall, so würden alle Unterthanen, welche nicht so glücklich sind
ein Grundbesitzthum zu haben, gewissermaßen außer dem Gesetz sein,
welches man doch nicht annehmen kann." Voß aber erwiderte schroff:
"S. Maj. haben seitdem irgend auf eine Weise nicht zu erkennen ge-
geben, daß sie jene als Gesetzgeber gegebene Verordnung, in welcher ich
ein Versprechen zu finden nicht vermag, sowie sie dasteht, ausgeführt wissen
wollten; vielmehr möchte ich auf das Gegentheil schließen."

Damit war ein unheilvolles Wort gesprochen, das bald zum Schlag-
worte der reactionären Partei wurde und nach einem Vierteljahrhundert
sich schwer bestrafen sollte. Als absoluter Monarch war der König un-
zweifelhaft berechtigt, die Verordnung vom 22. Mai durch eine neue Ver-
ordnung förmlich aufzuheben; aber so lange er sich dazu nicht entschloß
blieb er an sein Versprechen gebunden. Und eine feierliche Zusage enthielt
jene Verordnung allerdings; das zeigte der Wortlaut sowie die bestimmte
Versicherung Hardenberg's, der die Verordnung selbst verfaßt und die Wil-
lensmeinung des Königs darüber eingeholt hatte. Welch eine Verwirrung
aller Rechtsbegriffe mußte entstehen, wenn man jetzt begann diese klaren
Thatsachen zu verdunkeln und die ungeheuerliche Behauptung aufstellte,
es stehe der Krone frei, die Verordnung vom 22. Mai nicht aufzuheben
und doch sie nicht zu befolgen!

Aber sollte nicht mindestens die frühere Zusage wiederholt und den
Provinzialständen das Wahlrecht für die künftigen Reichsstände nochmals
feierlich versprochen werden? Vincke sprach eifrig dafür. Selbst Ancillon
stimmte ihm hier bei, weil dadurch der allein wahre Grundsatz der ab-
gestuften Wahlen im Voraus anerkannt und "der Glaube an die künf-
tige Herstellung der allgemeinen Reichsstände belebt würde. Wir müssen
nie vergessen", fuhr er fort, "daß die allgemeinen Stände von Sr. Maj.
förmlich versprochen sind, daß auch die Besseren sie wünschen, daß wir
gleich den Grundbau mit Beziehung auf sie aufführen müssen, und daß
bei der großen Wirksamkeit, die wir den Provinzialständen einräumen,
die allgemeinen um so nothwendiger mit der Zeit werden müssen, da sie
allein ein gesetzmäßiges Ausgleichungsmittel der oft entgegengesetzten Pro-

Die letzte Verfaſſungs-Commiſſion.
in Preußen doch nur eine Vertretung des eigentlichen Volkes, der Grund-
beſitzer beabſichtige. Schönberg ſchrieb dagegen, mit deutlichem Hinweis
auf Haller: „Alles in der Welt kann mißdeutet werden. Mögen die
Philoſophen über die Grundſätze, worauf Staaten baſirt ſein ſollen, träu-
men, erfinden und reſtauriren, Preußens König und ſein erlauchtes Haus
braucht von dieſen Theorien ſein Heil nicht zu erwarten. Dieſes liegt
feſt begründet in der Treue, dem Gehorſam und der Liebe ſeiner Unter-
thanen. Ich habe den Ausdruck nicht für bedenklich anſehen können. Der
König und ſein Volk iſt ein ſchönes Wort, deſſen Sinn in der Zeit der
großen Ereigniſſe ſich auf das Herrlichſte bewährt hat. Eine ſtändiſche
Repräſentation bleibt immer eine Repräſentation des Volks. Wäre dieſes
nicht der Fall, ſo würden alle Unterthanen, welche nicht ſo glücklich ſind
ein Grundbeſitzthum zu haben, gewiſſermaßen außer dem Geſetz ſein,
welches man doch nicht annehmen kann.“ Voß aber erwiderte ſchroff:
„S. Maj. haben ſeitdem irgend auf eine Weiſe nicht zu erkennen ge-
geben, daß ſie jene als Geſetzgeber gegebene Verordnung, in welcher ich
ein Verſprechen zu finden nicht vermag, ſowie ſie daſteht, ausgeführt wiſſen
wollten; vielmehr möchte ich auf das Gegentheil ſchließen.“

Damit war ein unheilvolles Wort geſprochen, das bald zum Schlag-
worte der reactionären Partei wurde und nach einem Vierteljahrhundert
ſich ſchwer beſtrafen ſollte. Als abſoluter Monarch war der König un-
zweifelhaft berechtigt, die Verordnung vom 22. Mai durch eine neue Ver-
ordnung förmlich aufzuheben; aber ſo lange er ſich dazu nicht entſchloß
blieb er an ſein Verſprechen gebunden. Und eine feierliche Zuſage enthielt
jene Verordnung allerdings; das zeigte der Wortlaut ſowie die beſtimmte
Verſicherung Hardenberg’s, der die Verordnung ſelbſt verfaßt und die Wil-
lensmeinung des Königs darüber eingeholt hatte. Welch eine Verwirrung
aller Rechtsbegriffe mußte entſtehen, wenn man jetzt begann dieſe klaren
Thatſachen zu verdunkeln und die ungeheuerliche Behauptung aufſtellte,
es ſtehe der Krone frei, die Verordnung vom 22. Mai nicht aufzuheben
und doch ſie nicht zu befolgen!

Aber ſollte nicht mindeſtens die frühere Zuſage wiederholt und den
Provinzialſtänden das Wahlrecht für die künftigen Reichsſtände nochmals
feierlich verſprochen werden? Vincke ſprach eifrig dafür. Selbſt Ancillon
ſtimmte ihm hier bei, weil dadurch der allein wahre Grundſatz der ab-
geſtuften Wahlen im Voraus anerkannt und „der Glaube an die künf-
tige Herſtellung der allgemeinen Reichsſtände belebt würde. Wir müſſen
nie vergeſſen“, fuhr er fort, „daß die allgemeinen Stände von Sr. Maj.
förmlich verſprochen ſind, daß auch die Beſſeren ſie wünſchen, daß wir
gleich den Grundbau mit Beziehung auf ſie aufführen müſſen, und daß
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die allgemeinen um ſo nothwendiger mit der Zeit werden müſſen, da ſie
allein ein geſetzmäßiges Ausgleichungsmittel der oft entgegengeſetzten Pro-

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[239/0255] Die letzte Verfaſſungs-Commiſſion. in Preußen doch nur eine Vertretung des eigentlichen Volkes, der Grund- beſitzer beabſichtige. Schönberg ſchrieb dagegen, mit deutlichem Hinweis auf Haller: „Alles in der Welt kann mißdeutet werden. Mögen die Philoſophen über die Grundſätze, worauf Staaten baſirt ſein ſollen, träu- men, erfinden und reſtauriren, Preußens König und ſein erlauchtes Haus braucht von dieſen Theorien ſein Heil nicht zu erwarten. Dieſes liegt feſt begründet in der Treue, dem Gehorſam und der Liebe ſeiner Unter- thanen. Ich habe den Ausdruck nicht für bedenklich anſehen können. Der König und ſein Volk iſt ein ſchönes Wort, deſſen Sinn in der Zeit der großen Ereigniſſe ſich auf das Herrlichſte bewährt hat. Eine ſtändiſche Repräſentation bleibt immer eine Repräſentation des Volks. Wäre dieſes nicht der Fall, ſo würden alle Unterthanen, welche nicht ſo glücklich ſind ein Grundbeſitzthum zu haben, gewiſſermaßen außer dem Geſetz ſein, welches man doch nicht annehmen kann.“ Voß aber erwiderte ſchroff: „S. Maj. haben ſeitdem irgend auf eine Weiſe nicht zu erkennen ge- geben, daß ſie jene als Geſetzgeber gegebene Verordnung, in welcher ich ein Verſprechen zu finden nicht vermag, ſowie ſie daſteht, ausgeführt wiſſen wollten; vielmehr möchte ich auf das Gegentheil ſchließen.“ Damit war ein unheilvolles Wort geſprochen, das bald zum Schlag- worte der reactionären Partei wurde und nach einem Vierteljahrhundert ſich ſchwer beſtrafen ſollte. Als abſoluter Monarch war der König un- zweifelhaft berechtigt, die Verordnung vom 22. Mai durch eine neue Ver- ordnung förmlich aufzuheben; aber ſo lange er ſich dazu nicht entſchloß blieb er an ſein Verſprechen gebunden. Und eine feierliche Zuſage enthielt jene Verordnung allerdings; das zeigte der Wortlaut ſowie die beſtimmte Verſicherung Hardenberg’s, der die Verordnung ſelbſt verfaßt und die Wil- lensmeinung des Königs darüber eingeholt hatte. Welch eine Verwirrung aller Rechtsbegriffe mußte entſtehen, wenn man jetzt begann dieſe klaren Thatſachen zu verdunkeln und die ungeheuerliche Behauptung aufſtellte, es ſtehe der Krone frei, die Verordnung vom 22. Mai nicht aufzuheben und doch ſie nicht zu befolgen! Aber ſollte nicht mindeſtens die frühere Zuſage wiederholt und den Provinzialſtänden das Wahlrecht für die künftigen Reichsſtände nochmals feierlich verſprochen werden? Vincke ſprach eifrig dafür. Selbſt Ancillon ſtimmte ihm hier bei, weil dadurch der allein wahre Grundſatz der ab- geſtuften Wahlen im Voraus anerkannt und „der Glaube an die künf- tige Herſtellung der allgemeinen Reichsſtände belebt würde. Wir müſſen nie vergeſſen“, fuhr er fort, „daß die allgemeinen Stände von Sr. Maj. förmlich verſprochen ſind, daß auch die Beſſeren ſie wünſchen, daß wir gleich den Grundbau mit Beziehung auf ſie aufführen müſſen, und daß bei der großen Wirkſamkeit, die wir den Provinzialſtänden einräumen, die allgemeinen um ſo nothwendiger mit der Zeit werden müſſen, da ſie allein ein geſetzmäßiges Ausgleichungsmittel der oft entgegengeſetzten Pro-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/255>, abgerufen am 22.11.2024.