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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
neuen acht Provinzen mußten die ständischen Körper sich decken, wenn
nicht eine Kluft entstehen sollte zwischen der Verfassung und der Ver-
waltung. Dicht vor Augen stand ja das abschreckende Beispiel Hannovers,
wo Verwaltungsbezirke und ständische Provinzen in wirrem Gemenge lagen.

In solchem Sinne sprachen Vincke, Schönberg und, als erfahrener
Verwaltungsbeamter, sogar Schuckmann. Ancillon dagegen hielt für wün-
schenswerth, daß die moderne Verwaltung vielmehr ihre Provinzen wieder
nach den altständischen einrichte. Zum Glück ward die Hohlheit dieses
doktrinären Einfalls sofort handgreiflich nachgewiesen, da die engere Vater-
landsliebe nochmals ihre Bitten und Beschwerden vor den Thron brachte.
Die schlesischen Einberufenen verlangten den Schwiebusser Kreis für ihre
Provinz zurück; unter den westphälischen Notabeln sprachen Merveldt und
Hövel für die Herstellung der alten Territorien. Der zur Neumark ge-
schlagene Lebusische Kreis, die Heimath des alten Marwitz, bat um Wie-
dervereinigung mit der Kurmark. Der Kreis Schievelbein, tief in Hinter-
pommern gelegen, doch vormals zur Neumark gehörig, forderte die Rück-
kehr zum alten Vaterlande; die benachbarten Dramburger Stände aber,
die sich genau in derselben Lage befanden, betheuerten dem Kronprinzen,
sie wollten bei Pommern bleiben. Am lautesten klagten die treuen Alt-
märker; sie schrieben dem König: "Die Trennung der Altmark, des ältesten
Bestandtheils der glorreichen preußischen Monarchie, von den übrigen
Marken hat zugleich mit der Losreißung von der Monarchie selbst statt-
gefunden, darum bitten wir, auch das Andenken daran auszulöschen."
Die kurmärkischen Notabeln dagegen wünschten die Altmark nicht wieder
aufzunehmen, die sächsischen wollten sie nicht aus ihrem Provinzial-Land-
tage ausscheiden sehen.*)

Die offenbare Unmöglichkeit, allen diesen widersprechenden partikula-
ristischen Wünschen zugleich zu genügen, und das gebieterische Bedürfniß
geordneter Verwaltung zwangen die Commission endlich doch, die ständi-
schen Landschaften im Wesentlichen den Grenzen der neugebildeten Pro-
vinzen einzufügen. Nur das Stammland der Monarchie sollte in seiner
althistorischen Herrlichkeit wiederhergestellt werden: die Altmark und die
pommerschen Theile der Neumark traten wieder in den Verband der
brandenburgischen Provinzialstände; mit ihnen freilich auch Jüterbog und
die Niederlausitz, die niemals zu den Marken gehört hatten. Also haben
die Verehrer des historischen Princips in Wahrheit nicht eine Restauration
der alten Stände vollzogen, sondern acht völlig neue ständische Körper ge-
schaffen. Um den Partikularismus zu entschädigen, wollte die Commission
den althistorischen Territorien das Recht der itio in partes geben: jeder
Provinziallandtag sollte in Theile gehen, sobald ein Landestheil sich in

*) Eingaben der Lebusischen Kreisstände an den König, 23. Jan.; des Kreises Schievel-
bein an den Kronprinzen, 15. Nov.; der Dramburger Kreisstände an den Kronprinzen,
12. Dec.; der altmärkischen Stände an den König, 6. Jan. 1822.

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
neuen acht Provinzen mußten die ſtändiſchen Körper ſich decken, wenn
nicht eine Kluft entſtehen ſollte zwiſchen der Verfaſſung und der Ver-
waltung. Dicht vor Augen ſtand ja das abſchreckende Beiſpiel Hannovers,
wo Verwaltungsbezirke und ſtändiſche Provinzen in wirrem Gemenge lagen.

In ſolchem Sinne ſprachen Vincke, Schönberg und, als erfahrener
Verwaltungsbeamter, ſogar Schuckmann. Ancillon dagegen hielt für wün-
ſchenswerth, daß die moderne Verwaltung vielmehr ihre Provinzen wieder
nach den altſtändiſchen einrichte. Zum Glück ward die Hohlheit dieſes
doktrinären Einfalls ſofort handgreiflich nachgewieſen, da die engere Vater-
landsliebe nochmals ihre Bitten und Beſchwerden vor den Thron brachte.
Die ſchleſiſchen Einberufenen verlangten den Schwiebuſſer Kreis für ihre
Provinz zurück; unter den weſtphäliſchen Notabeln ſprachen Merveldt und
Hövel für die Herſtellung der alten Territorien. Der zur Neumark ge-
ſchlagene Lebuſiſche Kreis, die Heimath des alten Marwitz, bat um Wie-
dervereinigung mit der Kurmark. Der Kreis Schievelbein, tief in Hinter-
pommern gelegen, doch vormals zur Neumark gehörig, forderte die Rück-
kehr zum alten Vaterlande; die benachbarten Dramburger Stände aber,
die ſich genau in derſelben Lage befanden, betheuerten dem Kronprinzen,
ſie wollten bei Pommern bleiben. Am lauteſten klagten die treuen Alt-
märker; ſie ſchrieben dem König: „Die Trennung der Altmark, des älteſten
Beſtandtheils der glorreichen preußiſchen Monarchie, von den übrigen
Marken hat zugleich mit der Losreißung von der Monarchie ſelbſt ſtatt-
gefunden, darum bitten wir, auch das Andenken daran auszulöſchen.“
Die kurmärkiſchen Notabeln dagegen wünſchten die Altmark nicht wieder
aufzunehmen, die ſächſiſchen wollten ſie nicht aus ihrem Provinzial-Land-
tage ausſcheiden ſehen.*)

Die offenbare Unmöglichkeit, allen dieſen widerſprechenden partikula-
riſtiſchen Wünſchen zugleich zu genügen, und das gebieteriſche Bedürfniß
geordneter Verwaltung zwangen die Commiſſion endlich doch, die ſtändi-
ſchen Landſchaften im Weſentlichen den Grenzen der neugebildeten Pro-
vinzen einzufügen. Nur das Stammland der Monarchie ſollte in ſeiner
althiſtoriſchen Herrlichkeit wiederhergeſtellt werden: die Altmark und die
pommerſchen Theile der Neumark traten wieder in den Verband der
brandenburgiſchen Provinzialſtände; mit ihnen freilich auch Jüterbog und
die Niederlauſitz, die niemals zu den Marken gehört hatten. Alſo haben
die Verehrer des hiſtoriſchen Princips in Wahrheit nicht eine Reſtauration
der alten Stände vollzogen, ſondern acht völlig neue ſtändiſche Körper ge-
ſchaffen. Um den Partikularismus zu entſchädigen, wollte die Commiſſion
den althiſtoriſchen Territorien das Recht der itio in partes geben: jeder
Provinziallandtag ſollte in Theile gehen, ſobald ein Landestheil ſich in

*) Eingaben der Lebuſiſchen Kreisſtände an den König, 23. Jan.; des Kreiſes Schievel-
bein an den Kronprinzen, 15. Nov.; der Dramburger Kreisſtände an den Kronprinzen,
12. Dec.; der altmärkiſchen Stände an den König, 6. Jan. 1822.
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[242/0258] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. neuen acht Provinzen mußten die ſtändiſchen Körper ſich decken, wenn nicht eine Kluft entſtehen ſollte zwiſchen der Verfaſſung und der Ver- waltung. Dicht vor Augen ſtand ja das abſchreckende Beiſpiel Hannovers, wo Verwaltungsbezirke und ſtändiſche Provinzen in wirrem Gemenge lagen. In ſolchem Sinne ſprachen Vincke, Schönberg und, als erfahrener Verwaltungsbeamter, ſogar Schuckmann. Ancillon dagegen hielt für wün- ſchenswerth, daß die moderne Verwaltung vielmehr ihre Provinzen wieder nach den altſtändiſchen einrichte. Zum Glück ward die Hohlheit dieſes doktrinären Einfalls ſofort handgreiflich nachgewieſen, da die engere Vater- landsliebe nochmals ihre Bitten und Beſchwerden vor den Thron brachte. Die ſchleſiſchen Einberufenen verlangten den Schwiebuſſer Kreis für ihre Provinz zurück; unter den weſtphäliſchen Notabeln ſprachen Merveldt und Hövel für die Herſtellung der alten Territorien. Der zur Neumark ge- ſchlagene Lebuſiſche Kreis, die Heimath des alten Marwitz, bat um Wie- dervereinigung mit der Kurmark. Der Kreis Schievelbein, tief in Hinter- pommern gelegen, doch vormals zur Neumark gehörig, forderte die Rück- kehr zum alten Vaterlande; die benachbarten Dramburger Stände aber, die ſich genau in derſelben Lage befanden, betheuerten dem Kronprinzen, ſie wollten bei Pommern bleiben. Am lauteſten klagten die treuen Alt- märker; ſie ſchrieben dem König: „Die Trennung der Altmark, des älteſten Beſtandtheils der glorreichen preußiſchen Monarchie, von den übrigen Marken hat zugleich mit der Losreißung von der Monarchie ſelbſt ſtatt- gefunden, darum bitten wir, auch das Andenken daran auszulöſchen.“ Die kurmärkiſchen Notabeln dagegen wünſchten die Altmark nicht wieder aufzunehmen, die ſächſiſchen wollten ſie nicht aus ihrem Provinzial-Land- tage ausſcheiden ſehen. *) Die offenbare Unmöglichkeit, allen dieſen widerſprechenden partikula- riſtiſchen Wünſchen zugleich zu genügen, und das gebieteriſche Bedürfniß geordneter Verwaltung zwangen die Commiſſion endlich doch, die ſtändi- ſchen Landſchaften im Weſentlichen den Grenzen der neugebildeten Pro- vinzen einzufügen. Nur das Stammland der Monarchie ſollte in ſeiner althiſtoriſchen Herrlichkeit wiederhergeſtellt werden: die Altmark und die pommerſchen Theile der Neumark traten wieder in den Verband der brandenburgiſchen Provinzialſtände; mit ihnen freilich auch Jüterbog und die Niederlauſitz, die niemals zu den Marken gehört hatten. Alſo haben die Verehrer des hiſtoriſchen Princips in Wahrheit nicht eine Reſtauration der alten Stände vollzogen, ſondern acht völlig neue ſtändiſche Körper ge- ſchaffen. Um den Partikularismus zu entſchädigen, wollte die Commiſſion den althiſtoriſchen Territorien das Recht der itio in partes geben: jeder Provinziallandtag ſollte in Theile gehen, ſobald ein Landestheil ſich in *) Eingaben der Lebuſiſchen Kreisſtände an den König, 23. Jan.; des Kreiſes Schievel- bein an den Kronprinzen, 15. Nov.; der Dramburger Kreisſtände an den Kronprinzen, 12. Dec.; der altmärkiſchen Stände an den König, 6. Jan. 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/258>, abgerufen am 22.11.2024.