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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
die den Reichsständen zugesagten Rechte vorderhand, so lange kein Reichs-
tag bestehe, von den Provinzialständen ausgeübt werden sollten. Natür-
lich nicht alle jene verheißenen Rechte; die Zustimmung der acht Provin-
ziallandtage zu der Aufnahme von Staatsanleihen konnte nur ein Thor
fordern. Nur das Recht der Berathung über alle Gesetze, "welche Ver-
änderungen in Personen- und Eigenthumsrechten und in den Steuern zum
Gegenstande haben," sollte jedem Provinziallandtage zustehen, "soweit sie
die Provinz betreffen." Ancillon sah diesmal schärfer. Er warnte: "Durch
eine solche Dotation der Provinzialstände wird man in der öffentlichen
Meinung die künftigen allgemeinen Stände dermaßen schon berauben und
enterben, daß sich daraus ergiebt, die letzteren sollten nie stattfinden." Die
Commission nahm trotzdem den Antrag an, in der arglosen Meinung, die
bescheidene Befugniß zur Berathung könne wenig schaden. So erhielten
die Provinzialstände ein hochgefährliches Recht, das ihre Macht nicht ver-
mehrte, doch die Thätigkeit der Gesetzgebung ins Stocken brachte. Die
achtfache Berathung mit ständischen Körpern, welche jedes allgemeine Gesetz
nur vom Standpunkte des Provinzialinteresses beurtheilten, wurde in der
That "eine Schraube ohne Ende", wie Savigny im Jahre 1846 klagte.

Während also die rechte Hand allzu reichlich spendete, kargte die linke.
Stein's Gutachten verlangte für die Stände durchaus das Recht entscheidender
Mitwirkung bei allen Provinzialsteuern und Provinzialgesetzen; der tapfere
Freiherr blieb bei seiner alten Meinung, daß berathende Stände in ruhiger
Zeit nichts leisten, in bewegter den Versuchungen des Aufruhrs schwerlich
widerstehen würden. Die Commission ging zuerst auf den Vorschlag ein.*)
Nachher erwachten doch berechtigte Zweifel. So lange das Gegengewicht
des Reichstags fehlte, waren mächtige Provinzialstände eine Gefahr für
die Staatseinheit; unmöglich konnte man ihnen überlassen, ob sie eine
Last selber tragen oder sie auf den Staat abwälzen wollten. Daher wurde
ihnen schließlich auch für Provinzialsachen nur das Recht der Berathung
zugestanden. Selbst die Befugniß, in Sachen der Provinz Bitten und
Beschwerden vor den Thron zu bringen, mußte zu unfruchtbaren Compe-
tenzstreitigkeiten führen, so lange der allgemeine Landtag nicht bestand.
Denn in diesem festgeschlossenen Einheitsstaate griff fast jede Sorge, welche
einen Landestheil bedrückte, über die Grenzen der Provinz hinaus. Alles
in Allem erhielten die Provinzialstände, die man für althistorisch ausgab,
eine Competenz, welche nur wenig hinausging über die Befugnisse der napo-
leonischen Generalräthe, dieser Musterschöpfungen nivellirender Bureau-
kratie. Wie diese standen sie dem Staats-Beamtenthum nur mit unmaß-
geblichen Rathschlägen zur Seite. Politische Körper aber, die keine wirk-
liche Verantwortlichkeit für ihr Thun tragen, verwildern entweder oder sie
verfallen in Schlummer.

*) Vincke, Denkschrift vom 7. Januar 1823.

III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes.
die den Reichsſtänden zugeſagten Rechte vorderhand, ſo lange kein Reichs-
tag beſtehe, von den Provinzialſtänden ausgeübt werden ſollten. Natür-
lich nicht alle jene verheißenen Rechte; die Zuſtimmung der acht Provin-
ziallandtage zu der Aufnahme von Staatsanleihen konnte nur ein Thor
fordern. Nur das Recht der Berathung über alle Geſetze, „welche Ver-
änderungen in Perſonen- und Eigenthumsrechten und in den Steuern zum
Gegenſtande haben,“ ſollte jedem Provinziallandtage zuſtehen, „ſoweit ſie
die Provinz betreffen.“ Ancillon ſah diesmal ſchärfer. Er warnte: „Durch
eine ſolche Dotation der Provinzialſtände wird man in der öffentlichen
Meinung die künftigen allgemeinen Stände dermaßen ſchon berauben und
enterben, daß ſich daraus ergiebt, die letzteren ſollten nie ſtattfinden.“ Die
Commiſſion nahm trotzdem den Antrag an, in der argloſen Meinung, die
beſcheidene Befugniß zur Berathung könne wenig ſchaden. So erhielten
die Provinzialſtände ein hochgefährliches Recht, das ihre Macht nicht ver-
mehrte, doch die Thätigkeit der Geſetzgebung ins Stocken brachte. Die
achtfache Berathung mit ſtändiſchen Körpern, welche jedes allgemeine Geſetz
nur vom Standpunkte des Provinzialintereſſes beurtheilten, wurde in der
That „eine Schraube ohne Ende“, wie Savigny im Jahre 1846 klagte.

Während alſo die rechte Hand allzu reichlich ſpendete, kargte die linke.
Stein’s Gutachten verlangte für die Stände durchaus das Recht entſcheidender
Mitwirkung bei allen Provinzialſteuern und Provinzialgeſetzen; der tapfere
Freiherr blieb bei ſeiner alten Meinung, daß berathende Stände in ruhiger
Zeit nichts leiſten, in bewegter den Verſuchungen des Aufruhrs ſchwerlich
widerſtehen würden. Die Commiſſion ging zuerſt auf den Vorſchlag ein.*)
Nachher erwachten doch berechtigte Zweifel. So lange das Gegengewicht
des Reichstags fehlte, waren mächtige Provinzialſtände eine Gefahr für
die Staatseinheit; unmöglich konnte man ihnen überlaſſen, ob ſie eine
Laſt ſelber tragen oder ſie auf den Staat abwälzen wollten. Daher wurde
ihnen ſchließlich auch für Provinzialſachen nur das Recht der Berathung
zugeſtanden. Selbſt die Befugniß, in Sachen der Provinz Bitten und
Beſchwerden vor den Thron zu bringen, mußte zu unfruchtbaren Compe-
tenzſtreitigkeiten führen, ſo lange der allgemeine Landtag nicht beſtand.
Denn in dieſem feſtgeſchloſſenen Einheitsſtaate griff faſt jede Sorge, welche
einen Landestheil bedrückte, über die Grenzen der Provinz hinaus. Alles
in Allem erhielten die Provinzialſtände, die man für althiſtoriſch ausgab,
eine Competenz, welche nur wenig hinausging über die Befugniſſe der napo-
leoniſchen Generalräthe, dieſer Muſterſchöpfungen nivellirender Bureau-
kratie. Wie dieſe ſtanden ſie dem Staats-Beamtenthum nur mit unmaß-
geblichen Rathſchlägen zur Seite. Politiſche Körper aber, die keine wirk-
liche Verantwortlichkeit für ihr Thun tragen, verwildern entweder oder ſie
verfallen in Schlummer.

*) Vincke, Denkſchrift vom 7. Januar 1823.
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[246/0262] III. 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes. die den Reichsſtänden zugeſagten Rechte vorderhand, ſo lange kein Reichs- tag beſtehe, von den Provinzialſtänden ausgeübt werden ſollten. Natür- lich nicht alle jene verheißenen Rechte; die Zuſtimmung der acht Provin- ziallandtage zu der Aufnahme von Staatsanleihen konnte nur ein Thor fordern. Nur das Recht der Berathung über alle Geſetze, „welche Ver- änderungen in Perſonen- und Eigenthumsrechten und in den Steuern zum Gegenſtande haben,“ ſollte jedem Provinziallandtage zuſtehen, „ſoweit ſie die Provinz betreffen.“ Ancillon ſah diesmal ſchärfer. Er warnte: „Durch eine ſolche Dotation der Provinzialſtände wird man in der öffentlichen Meinung die künftigen allgemeinen Stände dermaßen ſchon berauben und enterben, daß ſich daraus ergiebt, die letzteren ſollten nie ſtattfinden.“ Die Commiſſion nahm trotzdem den Antrag an, in der argloſen Meinung, die beſcheidene Befugniß zur Berathung könne wenig ſchaden. So erhielten die Provinzialſtände ein hochgefährliches Recht, das ihre Macht nicht ver- mehrte, doch die Thätigkeit der Geſetzgebung ins Stocken brachte. Die achtfache Berathung mit ſtändiſchen Körpern, welche jedes allgemeine Geſetz nur vom Standpunkte des Provinzialintereſſes beurtheilten, wurde in der That „eine Schraube ohne Ende“, wie Savigny im Jahre 1846 klagte. Während alſo die rechte Hand allzu reichlich ſpendete, kargte die linke. Stein’s Gutachten verlangte für die Stände durchaus das Recht entſcheidender Mitwirkung bei allen Provinzialſteuern und Provinzialgeſetzen; der tapfere Freiherr blieb bei ſeiner alten Meinung, daß berathende Stände in ruhiger Zeit nichts leiſten, in bewegter den Verſuchungen des Aufruhrs ſchwerlich widerſtehen würden. Die Commiſſion ging zuerſt auf den Vorſchlag ein. *) Nachher erwachten doch berechtigte Zweifel. So lange das Gegengewicht des Reichstags fehlte, waren mächtige Provinzialſtände eine Gefahr für die Staatseinheit; unmöglich konnte man ihnen überlaſſen, ob ſie eine Laſt ſelber tragen oder ſie auf den Staat abwälzen wollten. Daher wurde ihnen ſchließlich auch für Provinzialſachen nur das Recht der Berathung zugeſtanden. Selbſt die Befugniß, in Sachen der Provinz Bitten und Beſchwerden vor den Thron zu bringen, mußte zu unfruchtbaren Compe- tenzſtreitigkeiten führen, ſo lange der allgemeine Landtag nicht beſtand. Denn in dieſem feſtgeſchloſſenen Einheitsſtaate griff faſt jede Sorge, welche einen Landestheil bedrückte, über die Grenzen der Provinz hinaus. Alles in Allem erhielten die Provinzialſtände, die man für althiſtoriſch ausgab, eine Competenz, welche nur wenig hinausging über die Befugniſſe der napo- leoniſchen Generalräthe, dieſer Muſterſchöpfungen nivellirender Bureau- kratie. Wie dieſe ſtanden ſie dem Staats-Beamtenthum nur mit unmaß- geblichen Rathſchlägen zur Seite. Politiſche Körper aber, die keine wirk- liche Verantwortlichkeit für ihr Thun tragen, verwildern entweder oder ſie verfallen in Schlummer. *) Vincke, Denkſchrift vom 7. Januar 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/262>, abgerufen am 22.11.2024.