Dagegen erhielten die Provinziallandtage ein beschränktes, aber frucht- bares Gebiet der Selbstverwaltung, das sie bei einiger Rührigkeit leicht erweitern konnten, zugewiesen: "die Communalangelegenheiten" der Pro- vinzen, die Sorge für Armenwesen, Straßenbau, Irrenhäuser und andere gemeinnützige Anstalten, wurden ihren Beschlüssen überlassen, unter Vor- behalt königlicher Genehmigung. Noch weit folgenreicher aber ward die Zusage, daß die Reform der Kreis- und Gemeindeordnung nur unter Mitwirkung der Stände, für jede Provinz besonders, stattfinden solle. Das war der Triumph des ständischen Partikularismus. Die Anhänger der historischen Doktrin rühmten als einen Vorzug des preußischen Verfas- sungsplanes, daß er auf "organische Entwicklung" rechne, den Ständen selber den Ausbau ihrer eigenen Institutionen anheimgebe, im erfreulichen Gegensatze zu dem engherzigen bureaukratischen Geiste der süddeutschen Con- stitutionen. Der Versuch Hardenberg's und Friese's, das gesammte Ge- meindewesen der Monarchie gleichmäßig zu ordnen, hatte sich als so ganz verfehlt erwiesen, daß jetzt der entgegengesetzte Plan kaum noch einen Widerspruch in der Commission fand. Und doch berührte diese Frage die Grundlagen des gesammten Staatslebens. Indem die Krone das Kreis- und Gemeindeleben acht ständischen Körperschaften preisgab, verzichtete sie auf ein unveräußerliches Recht der Staatsgewalt; sie ließ die ständische Selbstsucht schalten auf einem Gebiete, das nur durch eine die Klassen- interessen kraftvoll bändigende Macht mit Gerechtigkeit geordnet werden kann. Eine Kreisordnung, welche den Interessen der Städte und der Bauerschaft einigermaßen gerecht wurde, ließ sich von dem Beirath solcher Landstände nimmermehr erwarten. Vollends die Aufhebung der gutsherr- lichen Polizei, diese erste Voraussetzung jeder ernstlichen Reform des Land- gemeindewesens, war fortan unmöglich.
Daß die Rechte der Standschaft an das christliche Bekenntniß ge- knüpft wurden, schien den Zeitgenossen selbstverständlich; nur wenige Stimmen unter den Notabeln (unter den schlesischen eine einzige) sprachen dawider. Ancillon gab sich sogar der harmlosen Hoffnung hin, die Juden würden, von der Standschaft ausgeschlossen, fortan seltener als bisher versuchen, christliche Grundherren auszuwuchern. Ueber die Zahlung von Diäten war alle Welt einig; die Selbstsucht der besitzenden Klassen stimmte hier überein mit der alten bureaukratischen Gewohnheit und mit den hei- ligen Glaubenssätzen des vulgären Liberalismus. Die Oeffentlichkeit der Verhandlungen, die allerdings für Provinziallandtage nicht unbedingt noth- wendig ist, schien selbst einem Niebuhr und Gneisenau schreckhaft und ge- fährlich; in der Commission galt sie von Haus aus für unannehmbar, auch die Notabeln bestanden nicht darauf. --
Als die Arbeit der Commission beendet war, gab ihr Haller öffent- lich seinen Segen und verkündete -- was glücklicherweise nicht zutraf -- nunmehr sei die alte Begrenzung der vom Hause Brandenburg allmäh-
Ergebniſſe der Berathung.
Dagegen erhielten die Provinziallandtage ein beſchränktes, aber frucht- bares Gebiet der Selbſtverwaltung, das ſie bei einiger Rührigkeit leicht erweitern konnten, zugewieſen: „die Communalangelegenheiten“ der Pro- vinzen, die Sorge für Armenweſen, Straßenbau, Irrenhäuſer und andere gemeinnützige Anſtalten, wurden ihren Beſchlüſſen überlaſſen, unter Vor- behalt königlicher Genehmigung. Noch weit folgenreicher aber ward die Zuſage, daß die Reform der Kreis- und Gemeindeordnung nur unter Mitwirkung der Stände, für jede Provinz beſonders, ſtattfinden ſolle. Das war der Triumph des ſtändiſchen Partikularismus. Die Anhänger der hiſtoriſchen Doktrin rühmten als einen Vorzug des preußiſchen Verfaſ- ſungsplanes, daß er auf „organiſche Entwicklung“ rechne, den Ständen ſelber den Ausbau ihrer eigenen Inſtitutionen anheimgebe, im erfreulichen Gegenſatze zu dem engherzigen bureaukratiſchen Geiſte der ſüddeutſchen Con- ſtitutionen. Der Verſuch Hardenberg’s und Frieſe’s, das geſammte Ge- meindeweſen der Monarchie gleichmäßig zu ordnen, hatte ſich als ſo ganz verfehlt erwieſen, daß jetzt der entgegengeſetzte Plan kaum noch einen Widerſpruch in der Commiſſion fand. Und doch berührte dieſe Frage die Grundlagen des geſammten Staatslebens. Indem die Krone das Kreis- und Gemeindeleben acht ſtändiſchen Körperſchaften preisgab, verzichtete ſie auf ein unveräußerliches Recht der Staatsgewalt; ſie ließ die ſtändiſche Selbſtſucht ſchalten auf einem Gebiete, das nur durch eine die Klaſſen- intereſſen kraftvoll bändigende Macht mit Gerechtigkeit geordnet werden kann. Eine Kreisordnung, welche den Intereſſen der Städte und der Bauerſchaft einigermaßen gerecht wurde, ließ ſich von dem Beirath ſolcher Landſtände nimmermehr erwarten. Vollends die Aufhebung der gutsherr- lichen Polizei, dieſe erſte Vorausſetzung jeder ernſtlichen Reform des Land- gemeindeweſens, war fortan unmöglich.
Daß die Rechte der Standſchaft an das chriſtliche Bekenntniß ge- knüpft wurden, ſchien den Zeitgenoſſen ſelbſtverſtändlich; nur wenige Stimmen unter den Notabeln (unter den ſchleſiſchen eine einzige) ſprachen dawider. Ancillon gab ſich ſogar der harmloſen Hoffnung hin, die Juden würden, von der Standſchaft ausgeſchloſſen, fortan ſeltener als bisher verſuchen, chriſtliche Grundherren auszuwuchern. Ueber die Zahlung von Diäten war alle Welt einig; die Selbſtſucht der beſitzenden Klaſſen ſtimmte hier überein mit der alten bureaukratiſchen Gewohnheit und mit den hei- ligen Glaubensſätzen des vulgären Liberalismus. Die Oeffentlichkeit der Verhandlungen, die allerdings für Provinziallandtage nicht unbedingt noth- wendig iſt, ſchien ſelbſt einem Niebuhr und Gneiſenau ſchreckhaft und ge- fährlich; in der Commiſſion galt ſie von Haus aus für unannehmbar, auch die Notabeln beſtanden nicht darauf. —
Als die Arbeit der Commiſſion beendet war, gab ihr Haller öffent- lich ſeinen Segen und verkündete — was glücklicherweiſe nicht zutraf — nunmehr ſei die alte Begrenzung der vom Hauſe Brandenburg allmäh-
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Ergebniſſe der Berathung.
Dagegen erhielten die Provinziallandtage ein beſchränktes, aber frucht-
bares Gebiet der Selbſtverwaltung, das ſie bei einiger Rührigkeit leicht
erweitern konnten, zugewieſen: „die Communalangelegenheiten“ der Pro-
vinzen, die Sorge für Armenweſen, Straßenbau, Irrenhäuſer und andere
gemeinnützige Anſtalten, wurden ihren Beſchlüſſen überlaſſen, unter Vor-
behalt königlicher Genehmigung. Noch weit folgenreicher aber ward die
Zuſage, daß die Reform der Kreis- und Gemeindeordnung nur unter
Mitwirkung der Stände, für jede Provinz beſonders, ſtattfinden ſolle. Das
war der Triumph des ſtändiſchen Partikularismus. Die Anhänger der
hiſtoriſchen Doktrin rühmten als einen Vorzug des preußiſchen Verfaſ-
ſungsplanes, daß er auf „organiſche Entwicklung“ rechne, den Ständen
ſelber den Ausbau ihrer eigenen Inſtitutionen anheimgebe, im erfreulichen
Gegenſatze zu dem engherzigen bureaukratiſchen Geiſte der ſüddeutſchen Con-
ſtitutionen. Der Verſuch Hardenberg’s und Frieſe’s, das geſammte Ge-
meindeweſen der Monarchie gleichmäßig zu ordnen, hatte ſich als ſo ganz
verfehlt erwieſen, daß jetzt der entgegengeſetzte Plan kaum noch einen
Widerſpruch in der Commiſſion fand. Und doch berührte dieſe Frage die
Grundlagen des geſammten Staatslebens. Indem die Krone das Kreis-
und Gemeindeleben acht ſtändiſchen Körperſchaften preisgab, verzichtete ſie
auf ein unveräußerliches Recht der Staatsgewalt; ſie ließ die ſtändiſche
Selbſtſucht ſchalten auf einem Gebiete, das nur durch eine die Klaſſen-
intereſſen kraftvoll bändigende Macht mit Gerechtigkeit geordnet werden
kann. Eine Kreisordnung, welche den Intereſſen der Städte und der
Bauerſchaft einigermaßen gerecht wurde, ließ ſich von dem Beirath ſolcher
Landſtände nimmermehr erwarten. Vollends die Aufhebung der gutsherr-
lichen Polizei, dieſe erſte Vorausſetzung jeder ernſtlichen Reform des Land-
gemeindeweſens, war fortan unmöglich.
Daß die Rechte der Standſchaft an das chriſtliche Bekenntniß ge-
knüpft wurden, ſchien den Zeitgenoſſen ſelbſtverſtändlich; nur wenige
Stimmen unter den Notabeln (unter den ſchleſiſchen eine einzige) ſprachen
dawider. Ancillon gab ſich ſogar der harmloſen Hoffnung hin, die Juden
würden, von der Standſchaft ausgeſchloſſen, fortan ſeltener als bisher
verſuchen, chriſtliche Grundherren auszuwuchern. Ueber die Zahlung von
Diäten war alle Welt einig; die Selbſtſucht der beſitzenden Klaſſen ſtimmte
hier überein mit der alten bureaukratiſchen Gewohnheit und mit den hei-
ligen Glaubensſätzen des vulgären Liberalismus. Die Oeffentlichkeit der
Verhandlungen, die allerdings für Provinziallandtage nicht unbedingt noth-
wendig iſt, ſchien ſelbſt einem Niebuhr und Gneiſenau ſchreckhaft und ge-
fährlich; in der Commiſſion galt ſie von Haus aus für unannehmbar,
auch die Notabeln beſtanden nicht darauf. —
Als die Arbeit der Commiſſion beendet war, gab ihr Haller öffent-
lich ſeinen Segen und verkündete — was glücklicherweiſe nicht zutraf —
nunmehr ſei die alte Begrenzung der vom Hauſe Brandenburg allmäh-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/263>, abgerufen am 22.11.2024.
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