phirend schrieb Gentz, nunmehr seien alle reichsständischen Umtriebe end- giltig beseitigt; er betrachtete den König von Preußen als den Retter von Deutschland und Europa und meinte: "Es fehlt diesem Staate nichts als katholisch zu sein, und er ist neben uns die kräftigste Stütze der Welt." Gleich darauf reiste der König zum Veroneser Congreß und übertrug einst- weilen die Leitung der Staatsgeschäfte dem Kronprinzen, der allerdings in Berlin unentbehrlich war so lange die ständische Commission noch be- rieth. Der Kanzler sah, wie die Gegner ihm über den Kopf wuchsen; welche Wirksamkeit blieb ihm noch zwischen Voß und dem Kronprinzen? Seine Kraft war gebrochen, er wagte nicht mehr den Kampf persönlich aufzu- nehmen, räumte den Feinden das Feld und folgte dem Monarchen nach Verona -- zur Freude Wittgenstein's, der insgeheim befürchtete, daß Kron- prinz und Kanzler sich vielleicht noch verständigen könnten.
Jetzt erst erhielt der Staatskanzler die erste Mittheilung über die Arbeiten des Verfassungsausschusses. Der König sendete ihm (16. Sept.) die von der Commission vollendeten Entwürfe, das allgemeine und das brandenburgische Gesetz, und verlangte sein Urtheil. Im Drange der Ab- reise konnte Hardenberg die Antwort nicht mehr selbst beenden, und ver- anlaßte den getreuen Friese, das Gutachten auszuarbeiten. Dieser faßte nun in einer Denkschrift vom 2. November die leitenden Gedanken des alten Hardenbergischen Verfassungsplanes nochmals nachdrücklich zu- sammen.*) Er rieth auf das Bestimmteste zur Verwerfung der Commis- sionsbeschlüsse, zur Ausarbeitung eines neuen Planes, der von unten nach oben aufsteigend, von den Gemeinden bis zu den Reichsständen die Ge- sammtheit der ständischen Institutionen umfassen müsse. Hauptzweck der Arbeit sei, das Uebergewicht des Adels zu brechen, den Gegensatz der Stände zu mildern; darum ein ehrliches Drittel für jeden Stand, darum auch Vertretung aller Stadtbürger, nicht blos der Grundbesitzer. Vor Allem aber Einführung der Communal- und Kreisordnung durch könig- lichen Befehl, nicht durch die Provinzialstände, denn "man baut ja nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft. Das Aufblühen oder Hinwelken des preußischen Staates steht in unzertrennlicher Verbindung damit, auf welche Grundsätze die ständische Verfassung basirt und wie sie eingerichtet wird."
Also ließ der Reformer von 1810 noch einmal aussprechen, welche Kluft ihn sein Lebelang von der feudalen Staatsansicht getrennt hatte. Es war sein politisches Testament. Noch bevor die Denkschrift dem König zu Händen kam, hatte Hardenberg geendet. Auf dem Congresse von Verona trat der müde Greis kaum noch hervor; auch die kurzen, abge- rissenen Bemerkungen auf den Schlußblättern seines Tagebuchs lassen er-
*) Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept. Friese, Denkschrift über die Provin- zialstände im Allgem. und die brandenb. Stände insbes. 2. Nov. 1822.
Frieſe gegen die Provinzialſtände.
phirend ſchrieb Gentz, nunmehr ſeien alle reichsſtändiſchen Umtriebe end- giltig beſeitigt; er betrachtete den König von Preußen als den Retter von Deutſchland und Europa und meinte: „Es fehlt dieſem Staate nichts als katholiſch zu ſein, und er iſt neben uns die kräftigſte Stütze der Welt.“ Gleich darauf reiſte der König zum Veroneſer Congreß und übertrug einſt- weilen die Leitung der Staatsgeſchäfte dem Kronprinzen, der allerdings in Berlin unentbehrlich war ſo lange die ſtändiſche Commiſſion noch be- rieth. Der Kanzler ſah, wie die Gegner ihm über den Kopf wuchſen; welche Wirkſamkeit blieb ihm noch zwiſchen Voß und dem Kronprinzen? Seine Kraft war gebrochen, er wagte nicht mehr den Kampf perſönlich aufzu- nehmen, räumte den Feinden das Feld und folgte dem Monarchen nach Verona — zur Freude Wittgenſtein’s, der insgeheim befürchtete, daß Kron- prinz und Kanzler ſich vielleicht noch verſtändigen könnten.
Jetzt erſt erhielt der Staatskanzler die erſte Mittheilung über die Arbeiten des Verfaſſungsausſchuſſes. Der König ſendete ihm (16. Sept.) die von der Commiſſion vollendeten Entwürfe, das allgemeine und das brandenburgiſche Geſetz, und verlangte ſein Urtheil. Im Drange der Ab- reiſe konnte Hardenberg die Antwort nicht mehr ſelbſt beenden, und ver- anlaßte den getreuen Frieſe, das Gutachten auszuarbeiten. Dieſer faßte nun in einer Denkſchrift vom 2. November die leitenden Gedanken des alten Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes nochmals nachdrücklich zu- ſammen.*) Er rieth auf das Beſtimmteſte zur Verwerfung der Commiſ- ſionsbeſchlüſſe, zur Ausarbeitung eines neuen Planes, der von unten nach oben aufſteigend, von den Gemeinden bis zu den Reichsſtänden die Ge- ſammtheit der ſtändiſchen Inſtitutionen umfaſſen müſſe. Hauptzweck der Arbeit ſei, das Uebergewicht des Adels zu brechen, den Gegenſatz der Stände zu mildern; darum ein ehrliches Drittel für jeden Stand, darum auch Vertretung aller Stadtbürger, nicht blos der Grundbeſitzer. Vor Allem aber Einführung der Communal- und Kreisordnung durch könig- lichen Befehl, nicht durch die Provinzialſtände, denn „man baut ja nicht für die Vergangenheit, ſondern für die Zukunft. Das Aufblühen oder Hinwelken des preußiſchen Staates ſteht in unzertrennlicher Verbindung damit, auf welche Grundſätze die ſtändiſche Verfaſſung baſirt und wie ſie eingerichtet wird.“
Alſo ließ der Reformer von 1810 noch einmal ausſprechen, welche Kluft ihn ſein Lebelang von der feudalen Staatsanſicht getrennt hatte. Es war ſein politiſches Teſtament. Noch bevor die Denkſchrift dem König zu Händen kam, hatte Hardenberg geendet. Auf dem Congreſſe von Verona trat der müde Greis kaum noch hervor; auch die kurzen, abge- riſſenen Bemerkungen auf den Schlußblättern ſeines Tagebuchs laſſen er-
*) Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept. Frieſe, Denkſchrift über die Provin- zialſtände im Allgem. und die brandenb. Stände insbeſ. 2. Nov. 1822.
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Frieſe gegen die Provinzialſtände.
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giltig beſeitigt; er betrachtete den König von Preußen als den Retter von
Deutſchland und Europa und meinte: „Es fehlt dieſem Staate nichts
als katholiſch zu ſein, und er iſt neben uns die kräftigſte Stütze der Welt.“
Gleich darauf reiſte der König zum Veroneſer Congreß und übertrug einſt-
weilen die Leitung der Staatsgeſchäfte dem Kronprinzen, der allerdings
in Berlin unentbehrlich war ſo lange die ſtändiſche Commiſſion noch be-
rieth. Der Kanzler ſah, wie die Gegner ihm über den Kopf wuchſen; welche
Wirkſamkeit blieb ihm noch zwiſchen Voß und dem Kronprinzen? Seine
Kraft war gebrochen, er wagte nicht mehr den Kampf perſönlich aufzu-
nehmen, räumte den Feinden das Feld und folgte dem Monarchen nach
Verona — zur Freude Wittgenſtein’s, der insgeheim befürchtete, daß Kron-
prinz und Kanzler ſich vielleicht noch verſtändigen könnten.
Jetzt erſt erhielt der Staatskanzler die erſte Mittheilung über die
Arbeiten des Verfaſſungsausſchuſſes. Der König ſendete ihm (16. Sept.)
die von der Commiſſion vollendeten Entwürfe, das allgemeine und das
brandenburgiſche Geſetz, und verlangte ſein Urtheil. Im Drange der Ab-
reiſe konnte Hardenberg die Antwort nicht mehr ſelbſt beenden, und ver-
anlaßte den getreuen Frieſe, das Gutachten auszuarbeiten. Dieſer faßte
nun in einer Denkſchrift vom 2. November die leitenden Gedanken des
alten Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes nochmals nachdrücklich zu-
ſammen. *) Er rieth auf das Beſtimmteſte zur Verwerfung der Commiſ-
ſionsbeſchlüſſe, zur Ausarbeitung eines neuen Planes, der von unten nach
oben aufſteigend, von den Gemeinden bis zu den Reichsſtänden die Ge-
ſammtheit der ſtändiſchen Inſtitutionen umfaſſen müſſe. Hauptzweck der
Arbeit ſei, das Uebergewicht des Adels zu brechen, den Gegenſatz der
Stände zu mildern; darum ein ehrliches Drittel für jeden Stand, darum
auch Vertretung aller Stadtbürger, nicht blos der Grundbeſitzer. Vor
Allem aber Einführung der Communal- und Kreisordnung durch könig-
lichen Befehl, nicht durch die Provinzialſtände, denn „man baut ja nicht
für die Vergangenheit, ſondern für die Zukunft. Das Aufblühen oder
Hinwelken des preußiſchen Staates ſteht in unzertrennlicher Verbindung
damit, auf welche Grundſätze die ſtändiſche Verfaſſung baſirt und wie ſie
eingerichtet wird.“
Alſo ließ der Reformer von 1810 noch einmal ausſprechen, welche
Kluft ihn ſein Lebelang von der feudalen Staatsanſicht getrennt hatte.
Es war ſein politiſches Teſtament. Noch bevor die Denkſchrift dem König
zu Händen kam, hatte Hardenberg geendet. Auf dem Congreſſe von
Verona trat der müde Greis kaum noch hervor; auch die kurzen, abge-
riſſenen Bemerkungen auf den Schlußblättern ſeines Tagebuchs laſſen er-
*) Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept. Frieſe, Denkſchrift über die Provin-
zialſtände im Allgem. und die brandenb. Stände insbeſ. 2. Nov. 1822.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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