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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Spanisch-französische Verwicklung.
Revolution einst die Spanier nicht hatte bezwingen können, dem Erben
des heiligen Ludwig war ein leichter Sieg gewiß! Umsonst bemühte sich
der kluge, behutsame Villele diesen blinden Eifer zu bändigen; ein Theil
seiner eigenen Amtsgenossen stand den Plänen der Kriegspartei nahe, der
Minister des Auswärtigen Montmorency unterhielt diplomatischen Ver-
kehr zugleich mit der Madrider Cortes-Regierung und mit der Regentschaft
von Urgel. Schon seit dem Herbst 1821 stand ein kleines Heer an der
Pyrenäengrenze um die Einschleppung des gelben Fiebers zu verhindern.
Die Truppen blieben versammelt auch als die Krankheit längst erloschen
war; sie wurden nach und nach verstärkt, sie nahmen die Guerillas des
Glaubensheeres, die vor den Regimentern des Generals Mina nordwärts
flohen, gastlich auf und erlaubten ihnen sich zu neuem Kampfe zu rüsten.
So verletzte der Staat, der sich als Wahrer der Legitimität geberdete,
Tag für Tag die Gesetze des Völkerrechts, und da Mina mit den Truppen
der Cortes zuletzt überall siegreich blieb, so ward ein Krieg zwischen den
beiden Nachbarmächten immer wahrscheinlicher.

In diesem erwartungsvollen Augenblicke vollzog sich am englischen
Hofe eine folgenreiche Wendung. Kurz vor dem Zusammentritt des Vero-
neser Congresses, am 13. August, entleibte sich Graf Londonderry in einem
Anfall von Schwermuth, und mit aufrichtigem Kummer betrauerte Met-
ternich den Unersetzlichen, "mein anderes Ich". Lord Liverpool aber fühlte
längst, daß die traurige Mittelmäßigkeit seines Cabinets einer Auffrischung,
die Hartköpfigkeit der Hochtorys einer Milderung bedurfte; er entschloß
sich daher an die Stelle des Verstorbenen Georg Canning zu berufen,
den freiesten und geistreichsten Kopf der Torypartei, der dem König Georg
und dem Wiener Hofe gleich verdächtig war. So zog denn endlich wie-
der ein entschlossener Vertreter englischer Interessen- und Handelspolitik
in die Säle von Downing-Street ein, während alle anderen Großmächte
den Doktrinen der Revolution nur einen ebenso unfruchtbaren conservativen
Doktrinarismus entgegenzusetzen wußten. Von Jugend an lebte Canning
dem einen Gedanken der Macht Alt-Englands. Schon in dem Kriege
gegen das revolutionäre Frankreich sah er nicht wie Burke einen Prin-
cipienkrieg, sondern einen Kampf um die britische Seeherrschaft; ihm war
es nur ein Mittel zum Zweck, wenn er in den Spalten seiner antijako-
binischen Zeitschrift die Ideen der Revolution mit blendendem Witz ver-
spottete. Ganz unbedenklich befahl er nachher, als Mitglied des Mini-
steriums Portland, mitten im Frieden den Raubzug gegen Kopenhagen,
weil die Interessen des englischen Handels diesen Gewaltstreich geboten,
und ebenso unbedenklich versprach er den spanischen Junten seinen Bei-
stand wider Napoleon. Durch leidige Mißverständnisse und persönliche
Händel ward er dann, eben in der Zeit da sein Ehrgeiz leidenschaftlich
nach dem Besitze der Macht verlangte, aus dem Cabinet verdrängt und
mußte grollend mit ansehen, wie kleinere Leute die Früchte seiner that-

Spaniſch-franzöſiſche Verwicklung.
Revolution einſt die Spanier nicht hatte bezwingen können, dem Erben
des heiligen Ludwig war ein leichter Sieg gewiß! Umſonſt bemühte ſich
der kluge, behutſame Villele dieſen blinden Eifer zu bändigen; ein Theil
ſeiner eigenen Amtsgenoſſen ſtand den Plänen der Kriegspartei nahe, der
Miniſter des Auswärtigen Montmorency unterhielt diplomatiſchen Ver-
kehr zugleich mit der Madrider Cortes-Regierung und mit der Regentſchaft
von Urgel. Schon ſeit dem Herbſt 1821 ſtand ein kleines Heer an der
Pyrenäengrenze um die Einſchleppung des gelben Fiebers zu verhindern.
Die Truppen blieben verſammelt auch als die Krankheit längſt erloſchen
war; ſie wurden nach und nach verſtärkt, ſie nahmen die Guerillas des
Glaubensheeres, die vor den Regimentern des Generals Mina nordwärts
flohen, gaſtlich auf und erlaubten ihnen ſich zu neuem Kampfe zu rüſten.
So verletzte der Staat, der ſich als Wahrer der Legitimität geberdete,
Tag für Tag die Geſetze des Völkerrechts, und da Mina mit den Truppen
der Cortes zuletzt überall ſiegreich blieb, ſo ward ein Krieg zwiſchen den
beiden Nachbarmächten immer wahrſcheinlicher.

In dieſem erwartungsvollen Augenblicke vollzog ſich am engliſchen
Hofe eine folgenreiche Wendung. Kurz vor dem Zuſammentritt des Vero-
neſer Congreſſes, am 13. Auguſt, entleibte ſich Graf Londonderry in einem
Anfall von Schwermuth, und mit aufrichtigem Kummer betrauerte Met-
ternich den Unerſetzlichen, „mein anderes Ich“. Lord Liverpool aber fühlte
längſt, daß die traurige Mittelmäßigkeit ſeines Cabinets einer Auffriſchung,
die Hartköpfigkeit der Hochtorys einer Milderung bedurfte; er entſchloß
ſich daher an die Stelle des Verſtorbenen Georg Canning zu berufen,
den freieſten und geiſtreichſten Kopf der Torypartei, der dem König Georg
und dem Wiener Hofe gleich verdächtig war. So zog denn endlich wie-
der ein entſchloſſener Vertreter engliſcher Intereſſen- und Handelspolitik
in die Säle von Downing-Street ein, während alle anderen Großmächte
den Doktrinen der Revolution nur einen ebenſo unfruchtbaren conſervativen
Doktrinarismus entgegenzuſetzen wußten. Von Jugend an lebte Canning
dem einen Gedanken der Macht Alt-Englands. Schon in dem Kriege
gegen das revolutionäre Frankreich ſah er nicht wie Burke einen Prin-
cipienkrieg, ſondern einen Kampf um die britiſche Seeherrſchaft; ihm war
es nur ein Mittel zum Zweck, wenn er in den Spalten ſeiner antijako-
biniſchen Zeitſchrift die Ideen der Revolution mit blendendem Witz ver-
ſpottete. Ganz unbedenklich befahl er nachher, als Mitglied des Mini-
ſteriums Portland, mitten im Frieden den Raubzug gegen Kopenhagen,
weil die Intereſſen des engliſchen Handels dieſen Gewaltſtreich geboten,
und ebenſo unbedenklich verſprach er den ſpaniſchen Junten ſeinen Bei-
ſtand wider Napoleon. Durch leidige Mißverſtändniſſe und perſönliche
Händel ward er dann, eben in der Zeit da ſein Ehrgeiz leidenſchaftlich
nach dem Beſitze der Macht verlangte, aus dem Cabinet verdrängt und
mußte grollend mit anſehen, wie kleinere Leute die Früchte ſeiner that-

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[263/0279] Spaniſch-franzöſiſche Verwicklung. Revolution einſt die Spanier nicht hatte bezwingen können, dem Erben des heiligen Ludwig war ein leichter Sieg gewiß! Umſonſt bemühte ſich der kluge, behutſame Villele dieſen blinden Eifer zu bändigen; ein Theil ſeiner eigenen Amtsgenoſſen ſtand den Plänen der Kriegspartei nahe, der Miniſter des Auswärtigen Montmorency unterhielt diplomatiſchen Ver- kehr zugleich mit der Madrider Cortes-Regierung und mit der Regentſchaft von Urgel. Schon ſeit dem Herbſt 1821 ſtand ein kleines Heer an der Pyrenäengrenze um die Einſchleppung des gelben Fiebers zu verhindern. Die Truppen blieben verſammelt auch als die Krankheit längſt erloſchen war; ſie wurden nach und nach verſtärkt, ſie nahmen die Guerillas des Glaubensheeres, die vor den Regimentern des Generals Mina nordwärts flohen, gaſtlich auf und erlaubten ihnen ſich zu neuem Kampfe zu rüſten. So verletzte der Staat, der ſich als Wahrer der Legitimität geberdete, Tag für Tag die Geſetze des Völkerrechts, und da Mina mit den Truppen der Cortes zuletzt überall ſiegreich blieb, ſo ward ein Krieg zwiſchen den beiden Nachbarmächten immer wahrſcheinlicher. In dieſem erwartungsvollen Augenblicke vollzog ſich am engliſchen Hofe eine folgenreiche Wendung. Kurz vor dem Zuſammentritt des Vero- neſer Congreſſes, am 13. Auguſt, entleibte ſich Graf Londonderry in einem Anfall von Schwermuth, und mit aufrichtigem Kummer betrauerte Met- ternich den Unerſetzlichen, „mein anderes Ich“. Lord Liverpool aber fühlte längſt, daß die traurige Mittelmäßigkeit ſeines Cabinets einer Auffriſchung, die Hartköpfigkeit der Hochtorys einer Milderung bedurfte; er entſchloß ſich daher an die Stelle des Verſtorbenen Georg Canning zu berufen, den freieſten und geiſtreichſten Kopf der Torypartei, der dem König Georg und dem Wiener Hofe gleich verdächtig war. So zog denn endlich wie- der ein entſchloſſener Vertreter engliſcher Intereſſen- und Handelspolitik in die Säle von Downing-Street ein, während alle anderen Großmächte den Doktrinen der Revolution nur einen ebenſo unfruchtbaren conſervativen Doktrinarismus entgegenzuſetzen wußten. Von Jugend an lebte Canning dem einen Gedanken der Macht Alt-Englands. Schon in dem Kriege gegen das revolutionäre Frankreich ſah er nicht wie Burke einen Prin- cipienkrieg, ſondern einen Kampf um die britiſche Seeherrſchaft; ihm war es nur ein Mittel zum Zweck, wenn er in den Spalten ſeiner antijako- biniſchen Zeitſchrift die Ideen der Revolution mit blendendem Witz ver- ſpottete. Ganz unbedenklich befahl er nachher, als Mitglied des Mini- ſteriums Portland, mitten im Frieden den Raubzug gegen Kopenhagen, weil die Intereſſen des engliſchen Handels dieſen Gewaltſtreich geboten, und ebenſo unbedenklich verſprach er den ſpaniſchen Junten ſeinen Bei- ſtand wider Napoleon. Durch leidige Mißverſtändniſſe und perſönliche Händel ward er dann, eben in der Zeit da ſein Ehrgeiz leidenſchaftlich nach dem Beſitze der Macht verlangte, aus dem Cabinet verdrängt und mußte grollend mit anſehen, wie kleinere Leute die Früchte ſeiner that-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/279>, abgerufen am 22.11.2024.