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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
kräftigen Staatskunst ernteten und Castlereagh das siegreiche England auf
den Friedenscongressen vertrat. Jetzt endlich, nach langen Jahren miß-
muthigen Harrens, gewährte ihm das Schicksal die Genugthuung, daß er
die halbverlorene Selbständigkeit der englischen Politik wiederherstellen, den
starren Bund der Großmächte zersprengen und mit fünf Jahren glänzen-
der Erfolge seine staatsmännische Laufbahn ruhmvoll abschließen sollte.

In der inneren Politik blieb er immer conservativ; denn obwohl er die
Vorurtheile der steifen Hochtorys weit übersah, obwohl er als Halb-Irlän-
der die Emancipation der Katholiken lebhaft betrieb und auch der Mil-
derung der harten Zollgesetze günstig war, so verwarf er doch unbedingt
den neuen Gedanken, um den sich die Whigpartei wieder zu sammeln be-
gann, den Gedanken der Parlamentsreform. Nichts schien ihm gefähr-
licher für die Schlagkraft der britischen Politik als eine wirkliche Volks-
vertretung im Unterhause. Aber wie für sein England so verlangte er
auch für jede andere Nation das Recht nach ihrer Eigenart zu leben, falls
sie nur den englischen Handel nicht störte. Und dieser Handel gedieh dann
am sichersten, wenn das Festland nie zur Ruhe kam, wenn die wirthschaft-
liche Spannkraft seiner Völker durch bürgerliche Kämpfe gelähmt wurde;
um so ungestörter konnte dann die glückliche Insel die Meeresherrschaft,
die ihr als ein natürliches Recht galt, erweitern. Der weltbürgerlichen
Doktrin des legitimen Fürstenrechts stellte Canning fest und sicher den
nüchternen Satz entgegen: "die Harmonie der politischen Welt wird durch
die Mannichfaltigkeit der Staatsformen so wenig gestört wie die Harmonie
der physischen Welt durch die verschiedene Größe der Planeten." Den
Spaniern gegenüber befolgte er den nämlichen Grundsatz, welchen Lon-
donderry noch in einer hinterlassenen Instruktion ausgesprochen hatte:
niemals dürfe England dem Pariser Hofe den Einmarsch in Spanien,
den beherrschenden Einfluß auf der iberischen Halbinsel gestatten. Aber
wie viel günstiger als vor'm Jahre war jetzt Englands Stellung.

In Troppau und Laibach hatte Castlereagh allein mit dem linken Arme
gefochten, da er die Einmischung Oesterreichs in die italienischen Händel
selber lebhaft wünschte und nur die doktrinären Manifeste der Ostmächte miß-
billigte. In der spanischen Frage dagegen konnte Canning ohne Vorbehalt
ein kaltes Nein sprechen, und er war dazu um so fester entschlossen, da er
das große europäische Bündniß mit vollkommener Gemüthsfreiheit be-
urtheilte. Londonderry hätte niemals den Muth gefunden sich von der
großen Allianz förmlich loszusagen; sein Nachfolger betrachtete sie als eine
Fessel für England, zumal seit sie, ihrem ursprünglichen Zwecke zuwider,
sich nur noch mit der polizeilichen Ueberwachung Europas beschäftigte.
Während sein Vorgänger in freundschaftlicher Ehrfurcht zu Metternich
emporgeblickt hatte, war Canning der erste Staatsmann dieses Zeitalters,
der die Nichtigkeit des großen Wiener Zauberers durchschaute. Sobald
er die Schlangenwindungen der Metternich'schen Politik eine Weile ver-

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
kräftigen Staatskunſt ernteten und Caſtlereagh das ſiegreiche England auf
den Friedenscongreſſen vertrat. Jetzt endlich, nach langen Jahren miß-
muthigen Harrens, gewährte ihm das Schickſal die Genugthuung, daß er
die halbverlorene Selbſtändigkeit der engliſchen Politik wiederherſtellen, den
ſtarren Bund der Großmächte zerſprengen und mit fünf Jahren glänzen-
der Erfolge ſeine ſtaatsmänniſche Laufbahn ruhmvoll abſchließen ſollte.

In der inneren Politik blieb er immer conſervativ; denn obwohl er die
Vorurtheile der ſteifen Hochtorys weit überſah, obwohl er als Halb-Irlän-
der die Emancipation der Katholiken lebhaft betrieb und auch der Mil-
derung der harten Zollgeſetze günſtig war, ſo verwarf er doch unbedingt
den neuen Gedanken, um den ſich die Whigpartei wieder zu ſammeln be-
gann, den Gedanken der Parlamentsreform. Nichts ſchien ihm gefähr-
licher für die Schlagkraft der britiſchen Politik als eine wirkliche Volks-
vertretung im Unterhauſe. Aber wie für ſein England ſo verlangte er
auch für jede andere Nation das Recht nach ihrer Eigenart zu leben, falls
ſie nur den engliſchen Handel nicht ſtörte. Und dieſer Handel gedieh dann
am ſicherſten, wenn das Feſtland nie zur Ruhe kam, wenn die wirthſchaft-
liche Spannkraft ſeiner Völker durch bürgerliche Kämpfe gelähmt wurde;
um ſo ungeſtörter konnte dann die glückliche Inſel die Meeresherrſchaft,
die ihr als ein natürliches Recht galt, erweitern. Der weltbürgerlichen
Doktrin des legitimen Fürſtenrechts ſtellte Canning feſt und ſicher den
nüchternen Satz entgegen: „die Harmonie der politiſchen Welt wird durch
die Mannichfaltigkeit der Staatsformen ſo wenig geſtört wie die Harmonie
der phyſiſchen Welt durch die verſchiedene Größe der Planeten.“ Den
Spaniern gegenüber befolgte er den nämlichen Grundſatz, welchen Lon-
donderry noch in einer hinterlaſſenen Inſtruktion ausgeſprochen hatte:
niemals dürfe England dem Pariſer Hofe den Einmarſch in Spanien,
den beherrſchenden Einfluß auf der iberiſchen Halbinſel geſtatten. Aber
wie viel günſtiger als vor’m Jahre war jetzt Englands Stellung.

In Troppau und Laibach hatte Caſtlereagh allein mit dem linken Arme
gefochten, da er die Einmiſchung Oeſterreichs in die italieniſchen Händel
ſelber lebhaft wünſchte und nur die doktrinären Manifeſte der Oſtmächte miß-
billigte. In der ſpaniſchen Frage dagegen konnte Canning ohne Vorbehalt
ein kaltes Nein ſprechen, und er war dazu um ſo feſter entſchloſſen, da er
das große europäiſche Bündniß mit vollkommener Gemüthsfreiheit be-
urtheilte. Londonderry hätte niemals den Muth gefunden ſich von der
großen Allianz förmlich loszuſagen; ſein Nachfolger betrachtete ſie als eine
Feſſel für England, zumal ſeit ſie, ihrem urſprünglichen Zwecke zuwider,
ſich nur noch mit der polizeilichen Ueberwachung Europas beſchäftigte.
Während ſein Vorgänger in freundſchaftlicher Ehrfurcht zu Metternich
emporgeblickt hatte, war Canning der erſte Staatsmann dieſes Zeitalters,
der die Nichtigkeit des großen Wiener Zauberers durchſchaute. Sobald
er die Schlangenwindungen der Metternich’ſchen Politik eine Weile ver-

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[264/0280] III. 5. Die Großmächte und die Trias. kräftigen Staatskunſt ernteten und Caſtlereagh das ſiegreiche England auf den Friedenscongreſſen vertrat. Jetzt endlich, nach langen Jahren miß- muthigen Harrens, gewährte ihm das Schickſal die Genugthuung, daß er die halbverlorene Selbſtändigkeit der engliſchen Politik wiederherſtellen, den ſtarren Bund der Großmächte zerſprengen und mit fünf Jahren glänzen- der Erfolge ſeine ſtaatsmänniſche Laufbahn ruhmvoll abſchließen ſollte. In der inneren Politik blieb er immer conſervativ; denn obwohl er die Vorurtheile der ſteifen Hochtorys weit überſah, obwohl er als Halb-Irlän- der die Emancipation der Katholiken lebhaft betrieb und auch der Mil- derung der harten Zollgeſetze günſtig war, ſo verwarf er doch unbedingt den neuen Gedanken, um den ſich die Whigpartei wieder zu ſammeln be- gann, den Gedanken der Parlamentsreform. Nichts ſchien ihm gefähr- licher für die Schlagkraft der britiſchen Politik als eine wirkliche Volks- vertretung im Unterhauſe. Aber wie für ſein England ſo verlangte er auch für jede andere Nation das Recht nach ihrer Eigenart zu leben, falls ſie nur den engliſchen Handel nicht ſtörte. Und dieſer Handel gedieh dann am ſicherſten, wenn das Feſtland nie zur Ruhe kam, wenn die wirthſchaft- liche Spannkraft ſeiner Völker durch bürgerliche Kämpfe gelähmt wurde; um ſo ungeſtörter konnte dann die glückliche Inſel die Meeresherrſchaft, die ihr als ein natürliches Recht galt, erweitern. Der weltbürgerlichen Doktrin des legitimen Fürſtenrechts ſtellte Canning feſt und ſicher den nüchternen Satz entgegen: „die Harmonie der politiſchen Welt wird durch die Mannichfaltigkeit der Staatsformen ſo wenig geſtört wie die Harmonie der phyſiſchen Welt durch die verſchiedene Größe der Planeten.“ Den Spaniern gegenüber befolgte er den nämlichen Grundſatz, welchen Lon- donderry noch in einer hinterlaſſenen Inſtruktion ausgeſprochen hatte: niemals dürfe England dem Pariſer Hofe den Einmarſch in Spanien, den beherrſchenden Einfluß auf der iberiſchen Halbinſel geſtatten. Aber wie viel günſtiger als vor’m Jahre war jetzt Englands Stellung. In Troppau und Laibach hatte Caſtlereagh allein mit dem linken Arme gefochten, da er die Einmiſchung Oeſterreichs in die italieniſchen Händel ſelber lebhaft wünſchte und nur die doktrinären Manifeſte der Oſtmächte miß- billigte. In der ſpaniſchen Frage dagegen konnte Canning ohne Vorbehalt ein kaltes Nein ſprechen, und er war dazu um ſo feſter entſchloſſen, da er das große europäiſche Bündniß mit vollkommener Gemüthsfreiheit be- urtheilte. Londonderry hätte niemals den Muth gefunden ſich von der großen Allianz förmlich loszuſagen; ſein Nachfolger betrachtete ſie als eine Feſſel für England, zumal ſeit ſie, ihrem urſprünglichen Zwecke zuwider, ſich nur noch mit der polizeilichen Ueberwachung Europas beſchäftigte. Während ſein Vorgänger in freundſchaftlicher Ehrfurcht zu Metternich emporgeblickt hatte, war Canning der erſte Staatsmann dieſes Zeitalters, der die Nichtigkeit des großen Wiener Zauberers durchſchaute. Sobald er die Schlangenwindungen der Metternich’ſchen Politik eine Weile ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/280>, abgerufen am 22.11.2024.