auf dem Congresse zu "töden", und da die Truppen des Sultans neuer- dings, seit der Ermordung des gefährlichen Rebellen Ali Pascha, fast überall glücklich fochten, so gab sich der Areopag des christlichen Europas wieder einmal, wie so oft schon, der menschenfreundlichen Erwartung hin, die Glaubensgenossen im Osten würden demnächst durch den legitimen Großtürken gänzlich unterworfen werden.*)
Weit schwieriger erschien die Verständigung über Spaniens Zukunft. Wie oft hatte der Czar seiner russischen Kriegspartei die Behauptung entgegengehalten, daß er aller seiner Streitkräfte bedürfe zur Bekämpfung der Revolution im Westen; mit Leidenschaft verlangte er also den ge- meinsamen Kreuzzug der großen Allianz gegen Spanien, "das Haupt- quartier des Jacobinismus." Das düstere Mißtrauen, das ihn jetzt ganz beherrschte, stimmte ihn empfänglich für die verzweifelten Hilferufe des Madrider Hofes; er glaubte im Ernst, das Leben König Ferdinand's schwebe in Gefahr, obgleich die ungeheuere Mehrheit der Spanier, allen Aufwiege- lungen der Radikalen zum Trotz, noch mit der alten abgöttischen Verehrung zu der katholischen Majestät aufblickte. Die deutschen Mächte widersprachen lebhaft; denn sie wußten, daß die französische Regierung den Durchmarsch eines Coalitionsheeres unmöglich erlauben konnte, sie wurden in dieser Einsicht bestärkt durch die Mittheilungen Wellington's, der als englischer Bevollmächtigter noch zuletzt in Wien eintraf und unterwegs sich mit Villele besprochen hatte.**) Ebenso wenig wollte Metternich die Einmischung Frankreichs allein dulden, weil er den Einspruch Englands fürchtete und weil er das französische Heer, cette armee gangrenee, mit Mißtrauen betrachtete. So vereinigten sich denn drei der großen Mächte in dem aufrichtigen Wunsche, das spanische "Fieber" sich selber zu überlassen. Der Vertreter Frankreichs, Montmorency, rückte in Wien noch nicht mit der Sprache heraus; man fühlte ihm an, wie erbittert die Parteien in Paris mit einander rangen, die Ultras drängten zum Kriege, König Ludwig und sein Villele widerstanden noch immer. Da Alexander den Gedanken einer europäischen Intervention hartnäckig festhielt, so begannen diese spa- nischen Dinge, ganz wider Erwarten, sehr bedrohlich zu werden. Wellington selbst konnte sich der Besorgniß nicht ganz erwehren. Sein Feldherrnblick reichte nicht über die englischen Interessen hinaus, traf aber innerhalb dieses Kreises meist das Rechte. Er erkannte sogleich die Gefahr, daß der Czar, wenn man seine spanischen Entwürfe gänzlich zurückwiese, vielleicht die orientalischen Pläne der altrussischen Politik wieder aufnehmen würde; denn ohne einen Erfolg durfte Alexander, nachdem er die Hoffnungen seiner Russen so schwer getäuscht, nicht von Verona heimkehren. --
*) Berichte von Bernstorff 9., 14. Sept., von Hatzfeldt 5. Sept.; Bernstorff an Ancillon 8. Sept. 1822.
auf dem Congreſſe zu „töden“, und da die Truppen des Sultans neuer- dings, ſeit der Ermordung des gefährlichen Rebellen Ali Paſcha, faſt überall glücklich fochten, ſo gab ſich der Areopag des chriſtlichen Europas wieder einmal, wie ſo oft ſchon, der menſchenfreundlichen Erwartung hin, die Glaubensgenoſſen im Oſten würden demnächſt durch den legitimen Großtürken gänzlich unterworfen werden.*)
Weit ſchwieriger erſchien die Verſtändigung über Spaniens Zukunft. Wie oft hatte der Czar ſeiner ruſſiſchen Kriegspartei die Behauptung entgegengehalten, daß er aller ſeiner Streitkräfte bedürfe zur Bekämpfung der Revolution im Weſten; mit Leidenſchaft verlangte er alſo den ge- meinſamen Kreuzzug der großen Allianz gegen Spanien, „das Haupt- quartier des Jacobinismus.“ Das düſtere Mißtrauen, das ihn jetzt ganz beherrſchte, ſtimmte ihn empfänglich für die verzweifelten Hilferufe des Madrider Hofes; er glaubte im Ernſt, das Leben König Ferdinand’s ſchwebe in Gefahr, obgleich die ungeheuere Mehrheit der Spanier, allen Aufwiege- lungen der Radikalen zum Trotz, noch mit der alten abgöttiſchen Verehrung zu der katholiſchen Majeſtät aufblickte. Die deutſchen Mächte widerſprachen lebhaft; denn ſie wußten, daß die franzöſiſche Regierung den Durchmarſch eines Coalitionsheeres unmöglich erlauben konnte, ſie wurden in dieſer Einſicht beſtärkt durch die Mittheilungen Wellington’s, der als engliſcher Bevollmächtigter noch zuletzt in Wien eintraf und unterwegs ſich mit Villele beſprochen hatte.**) Ebenſo wenig wollte Metternich die Einmiſchung Frankreichs allein dulden, weil er den Einſpruch Englands fürchtete und weil er das franzöſiſche Heer, cette armée gangrénée, mit Mißtrauen betrachtete. So vereinigten ſich denn drei der großen Mächte in dem aufrichtigen Wunſche, das ſpaniſche „Fieber“ ſich ſelber zu überlaſſen. Der Vertreter Frankreichs, Montmorency, rückte in Wien noch nicht mit der Sprache heraus; man fühlte ihm an, wie erbittert die Parteien in Paris mit einander rangen, die Ultras drängten zum Kriege, König Ludwig und ſein Villele widerſtanden noch immer. Da Alexander den Gedanken einer europäiſchen Intervention hartnäckig feſthielt, ſo begannen dieſe ſpa- niſchen Dinge, ganz wider Erwarten, ſehr bedrohlich zu werden. Wellington ſelbſt konnte ſich der Beſorgniß nicht ganz erwehren. Sein Feldherrnblick reichte nicht über die engliſchen Intereſſen hinaus, traf aber innerhalb dieſes Kreiſes meiſt das Rechte. Er erkannte ſogleich die Gefahr, daß der Czar, wenn man ſeine ſpaniſchen Entwürfe gänzlich zurückwieſe, vielleicht die orientaliſchen Pläne der altruſſiſchen Politik wieder aufnehmen würde; denn ohne einen Erfolg durfte Alexander, nachdem er die Hoffnungen ſeiner Ruſſen ſo ſchwer getäuſcht, nicht von Verona heimkehren. —
*) Berichte von Bernſtorff 9., 14. Sept., von Hatzfeldt 5. Sept.; Bernſtorff an Ancillon 8. Sept. 1822.
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Vorbeſprechung in Wien.
auf dem Congreſſe zu „töden“, und da die Truppen des Sultans neuer-
dings, ſeit der Ermordung des gefährlichen Rebellen Ali Paſcha, faſt
überall glücklich fochten, ſo gab ſich der Areopag des chriſtlichen Europas
wieder einmal, wie ſo oft ſchon, der menſchenfreundlichen Erwartung hin,
die Glaubensgenoſſen im Oſten würden demnächſt durch den legitimen
Großtürken gänzlich unterworfen werden. *)
Weit ſchwieriger erſchien die Verſtändigung über Spaniens Zukunft.
Wie oft hatte der Czar ſeiner ruſſiſchen Kriegspartei die Behauptung
entgegengehalten, daß er aller ſeiner Streitkräfte bedürfe zur Bekämpfung
der Revolution im Weſten; mit Leidenſchaft verlangte er alſo den ge-
meinſamen Kreuzzug der großen Allianz gegen Spanien, „das Haupt-
quartier des Jacobinismus.“ Das düſtere Mißtrauen, das ihn jetzt ganz
beherrſchte, ſtimmte ihn empfänglich für die verzweifelten Hilferufe des
Madrider Hofes; er glaubte im Ernſt, das Leben König Ferdinand’s ſchwebe
in Gefahr, obgleich die ungeheuere Mehrheit der Spanier, allen Aufwiege-
lungen der Radikalen zum Trotz, noch mit der alten abgöttiſchen Verehrung
zu der katholiſchen Majeſtät aufblickte. Die deutſchen Mächte widerſprachen
lebhaft; denn ſie wußten, daß die franzöſiſche Regierung den Durchmarſch
eines Coalitionsheeres unmöglich erlauben konnte, ſie wurden in dieſer
Einſicht beſtärkt durch die Mittheilungen Wellington’s, der als engliſcher
Bevollmächtigter noch zuletzt in Wien eintraf und unterwegs ſich mit
Villele beſprochen hatte. **) Ebenſo wenig wollte Metternich die Einmiſchung
Frankreichs allein dulden, weil er den Einſpruch Englands fürchtete und
weil er das franzöſiſche Heer, cette armée gangrénée, mit Mißtrauen
betrachtete. So vereinigten ſich denn drei der großen Mächte in dem
aufrichtigen Wunſche, das ſpaniſche „Fieber“ ſich ſelber zu überlaſſen.
Der Vertreter Frankreichs, Montmorency, rückte in Wien noch nicht mit
der Sprache heraus; man fühlte ihm an, wie erbittert die Parteien in
Paris mit einander rangen, die Ultras drängten zum Kriege, König Ludwig
und ſein Villele widerſtanden noch immer. Da Alexander den Gedanken
einer europäiſchen Intervention hartnäckig feſthielt, ſo begannen dieſe ſpa-
niſchen Dinge, ganz wider Erwarten, ſehr bedrohlich zu werden. Wellington
ſelbſt konnte ſich der Beſorgniß nicht ganz erwehren. Sein Feldherrnblick
reichte nicht über die engliſchen Intereſſen hinaus, traf aber innerhalb
dieſes Kreiſes meiſt das Rechte. Er erkannte ſogleich die Gefahr, daß der
Czar, wenn man ſeine ſpaniſchen Entwürfe gänzlich zurückwieſe, vielleicht
die orientaliſchen Pläne der altruſſiſchen Politik wieder aufnehmen würde;
denn ohne einen Erfolg durfte Alexander, nachdem er die Hoffnungen
ſeiner Ruſſen ſo ſchwer getäuſcht, nicht von Verona heimkehren. —
*) Berichte von Bernſtorff 9., 14. Sept., von Hatzfeldt 5. Sept.; Bernſtorff an
Ancillon 8. Sept. 1822.
**) Bernſtorff’s Bericht, 9. Sept., Bernſtorff an Ancillon, 16. Okt. 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/283>, abgerufen am 22.11.2024.
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