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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
stile, der in diesen Jugendtagen unseres Parlamentarismus von den
Rednern verlangt wurde: "Mögen die inconstitutionellen Staatsbeamten
auf Dornen liegen; die constitutionellen ruhen sanft und nirgends sanfter
als im Schooße der Verfassung." Dann wendete er sich verachtungsvoll
wider die Menschen inn- und außerhalb Baierns, welche vor drei Jahren
den Janustempel dieses Ständesaales für immer hätten schließen wollen;
"aber der Janustempel ward wieder eröffnet und aufs Neue begann der
Krieg, der heilige Krieg gegen Willkür und Selbstsucht, gegen Vorurtheil
und Versunkenheit." Im Ganzen verlief der Landtag friedlich, wenn-
gleich er wenig Ersprießliches zu Stande brachte. Graf Rechberg aber
und seine Genossen fühlten sich selbst durch jene vereinzelten lebhaften
Reden schwer beängstigt, und auf eine geheime Mittheilung aus München
beschloß Metternich, der den Erzählungen Blittersdorff's nicht recht traute,
die befreundeten Minister der beiden klagenden Cabinette persönlich zu ver-
nehmen.*)

Zu Anfang Oktober brach die Wiener Versammlung auf um lang-
sam auf verschiedenen Wegen nach der Congreßstadt zu reisen. Unterwegs
verweilten Metternich und Bernstorff drei Tage in Salzburg und hörten
Rechberg's Klagen an. Der offenbarte hier, wie Bernstorff schrieb, die
ganze Schwäche seiner Stellung und seines Charakters; er jammerte,
ohne auswärtige Hilfe müsse das constitutionelle System in Baiern über
alle Autorität triumphiren. Der Preuße aber meinte: "Gott behüte uns
die Sache jemals so anzusehen, das hieße das Mißtrauen unserer deutschen
Bundesgenossen rechtfertigen."**) Gleich darauf, am 7. Okt., besuchten
die beiden Kaiser den König von Baiern in Tegernsee. Weit umher aus
dem Gebirge war das Landvolk herbeigeeilt um alle die erlauchten Gäste
zu begrüßen, zumal die Tochter des geliebten Max, die Kaiserin Karoline
Auguste. Droben auf dem Parapluie, wo die Kaiser mit ihrem könig-
lichen Wirth die Aussicht bewundert hatten, wurden die Namenszüge der
drei Monarchen in den Stein gehauen, und am Thore der alten Kloster-
kirche verkündete eine Marmortafel der Nachwelt das denkwürdige Ereigniß,
daß hier auf einmal 257 Hofpersonen versammelt gewesen. Eingehende
politische Gespräche ließen sich mit König Max Joseph, wenn er vergnügt
war, nicht leicht führen, indeß erkannten die Gäste aus dem überaus
freundlichen Empfange, wie treu dieser Fürst zu der großen Allianz hielt.
Metternich und Bernstorff reisten währenddem geradeswegs nach Süden
und trafen in Innsbruck mit Berstett zusammen. Der Badener hielt
sich weit muthiger als Rechberg. Er zürnte auf Blittersdorff, weil dieser
die heimischen Zustände gar so schwarz geschildert hatte, und warf dem
Uebereifrigen nachher vor: "schlechter als bei unseren Nachbarn steht es

*) Metternich an Berstett, 26. Sept. 1822.
**) Bernstorff an Ancillon 7., 16. Okt. 1822.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
ſtile, der in dieſen Jugendtagen unſeres Parlamentarismus von den
Rednern verlangt wurde: „Mögen die inconſtitutionellen Staatsbeamten
auf Dornen liegen; die conſtitutionellen ruhen ſanft und nirgends ſanfter
als im Schooße der Verfaſſung.“ Dann wendete er ſich verachtungsvoll
wider die Menſchen inn- und außerhalb Baierns, welche vor drei Jahren
den Janustempel dieſes Ständeſaales für immer hätten ſchließen wollen;
„aber der Janustempel ward wieder eröffnet und aufs Neue begann der
Krieg, der heilige Krieg gegen Willkür und Selbſtſucht, gegen Vorurtheil
und Verſunkenheit.“ Im Ganzen verlief der Landtag friedlich, wenn-
gleich er wenig Erſprießliches zu Stande brachte. Graf Rechberg aber
und ſeine Genoſſen fühlten ſich ſelbſt durch jene vereinzelten lebhaften
Reden ſchwer beängſtigt, und auf eine geheime Mittheilung aus München
beſchloß Metternich, der den Erzählungen Blittersdorff’s nicht recht traute,
die befreundeten Miniſter der beiden klagenden Cabinette perſönlich zu ver-
nehmen.*)

Zu Anfang Oktober brach die Wiener Verſammlung auf um lang-
ſam auf verſchiedenen Wegen nach der Congreßſtadt zu reiſen. Unterwegs
verweilten Metternich und Bernſtorff drei Tage in Salzburg und hörten
Rechberg’s Klagen an. Der offenbarte hier, wie Bernſtorff ſchrieb, die
ganze Schwäche ſeiner Stellung und ſeines Charakters; er jammerte,
ohne auswärtige Hilfe müſſe das conſtitutionelle Syſtem in Baiern über
alle Autorität triumphiren. Der Preuße aber meinte: „Gott behüte uns
die Sache jemals ſo anzuſehen, das hieße das Mißtrauen unſerer deutſchen
Bundesgenoſſen rechtfertigen.“**) Gleich darauf, am 7. Okt., beſuchten
die beiden Kaiſer den König von Baiern in Tegernſee. Weit umher aus
dem Gebirge war das Landvolk herbeigeeilt um alle die erlauchten Gäſte
zu begrüßen, zumal die Tochter des geliebten Max, die Kaiſerin Karoline
Auguſte. Droben auf dem Parapluie, wo die Kaiſer mit ihrem könig-
lichen Wirth die Ausſicht bewundert hatten, wurden die Namenszüge der
drei Monarchen in den Stein gehauen, und am Thore der alten Kloſter-
kirche verkündete eine Marmortafel der Nachwelt das denkwürdige Ereigniß,
daß hier auf einmal 257 Hofperſonen verſammelt geweſen. Eingehende
politiſche Geſpräche ließen ſich mit König Max Joſeph, wenn er vergnügt
war, nicht leicht führen, indeß erkannten die Gäſte aus dem überaus
freundlichen Empfange, wie treu dieſer Fürſt zu der großen Allianz hielt.
Metternich und Bernſtorff reiſten währenddem geradeswegs nach Süden
und trafen in Innsbruck mit Berſtett zuſammen. Der Badener hielt
ſich weit muthiger als Rechberg. Er zürnte auf Blittersdorff, weil dieſer
die heimiſchen Zuſtände gar ſo ſchwarz geſchildert hatte, und warf dem
Uebereifrigen nachher vor: „ſchlechter als bei unſeren Nachbarn ſteht es

*) Metternich an Berſtett, 26. Sept. 1822.
**) Bernſtorff an Ancillon 7., 16. Okt. 1822.
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[270/0286] III. 5. Die Großmächte und die Trias. ſtile, der in dieſen Jugendtagen unſeres Parlamentarismus von den Rednern verlangt wurde: „Mögen die inconſtitutionellen Staatsbeamten auf Dornen liegen; die conſtitutionellen ruhen ſanft und nirgends ſanfter als im Schooße der Verfaſſung.“ Dann wendete er ſich verachtungsvoll wider die Menſchen inn- und außerhalb Baierns, welche vor drei Jahren den Janustempel dieſes Ständeſaales für immer hätten ſchließen wollen; „aber der Janustempel ward wieder eröffnet und aufs Neue begann der Krieg, der heilige Krieg gegen Willkür und Selbſtſucht, gegen Vorurtheil und Verſunkenheit.“ Im Ganzen verlief der Landtag friedlich, wenn- gleich er wenig Erſprießliches zu Stande brachte. Graf Rechberg aber und ſeine Genoſſen fühlten ſich ſelbſt durch jene vereinzelten lebhaften Reden ſchwer beängſtigt, und auf eine geheime Mittheilung aus München beſchloß Metternich, der den Erzählungen Blittersdorff’s nicht recht traute, die befreundeten Miniſter der beiden klagenden Cabinette perſönlich zu ver- nehmen. *) Zu Anfang Oktober brach die Wiener Verſammlung auf um lang- ſam auf verſchiedenen Wegen nach der Congreßſtadt zu reiſen. Unterwegs verweilten Metternich und Bernſtorff drei Tage in Salzburg und hörten Rechberg’s Klagen an. Der offenbarte hier, wie Bernſtorff ſchrieb, die ganze Schwäche ſeiner Stellung und ſeines Charakters; er jammerte, ohne auswärtige Hilfe müſſe das conſtitutionelle Syſtem in Baiern über alle Autorität triumphiren. Der Preuße aber meinte: „Gott behüte uns die Sache jemals ſo anzuſehen, das hieße das Mißtrauen unſerer deutſchen Bundesgenoſſen rechtfertigen.“ **) Gleich darauf, am 7. Okt., beſuchten die beiden Kaiſer den König von Baiern in Tegernſee. Weit umher aus dem Gebirge war das Landvolk herbeigeeilt um alle die erlauchten Gäſte zu begrüßen, zumal die Tochter des geliebten Max, die Kaiſerin Karoline Auguſte. Droben auf dem Parapluie, wo die Kaiſer mit ihrem könig- lichen Wirth die Ausſicht bewundert hatten, wurden die Namenszüge der drei Monarchen in den Stein gehauen, und am Thore der alten Kloſter- kirche verkündete eine Marmortafel der Nachwelt das denkwürdige Ereigniß, daß hier auf einmal 257 Hofperſonen verſammelt geweſen. Eingehende politiſche Geſpräche ließen ſich mit König Max Joſeph, wenn er vergnügt war, nicht leicht führen, indeß erkannten die Gäſte aus dem überaus freundlichen Empfange, wie treu dieſer Fürſt zu der großen Allianz hielt. Metternich und Bernſtorff reiſten währenddem geradeswegs nach Süden und trafen in Innsbruck mit Berſtett zuſammen. Der Badener hielt ſich weit muthiger als Rechberg. Er zürnte auf Blittersdorff, weil dieſer die heimiſchen Zuſtände gar ſo ſchwarz geſchildert hatte, und warf dem Uebereifrigen nachher vor: „ſchlechter als bei unſeren Nachbarn ſteht es *) Metternich an Berſtett, 26. Sept. 1822. **) Bernſtorff an Ancillon 7., 16. Okt. 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/286>, abgerufen am 22.11.2024.