Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Griechenland. Italien.
nachgab, wähnte Metternich sich den Frieden im Orient erkauft zu haben.
Eine dem Congresse übergebene russische Erklärung (vom 26. Sept.) lautete
in der That so überaus versöhnlich, daß alle Mächte wetteifernd verspra-
chen, sie würden diese billigen Forderungen des Czaren bei der Pforte lebhaft
unterstützen. Nur Wellington hatte sich, als gewissenhafter Vertreter der
Handelspolitik Canning's, vorher mißtrauisch erkundigt, welche Handelsvor-
theile Rußland im Schwarzen Meere beanspruche. Tatistscheff dankte den
Mächten verbindlich und erklärte, sein kaiserlicher Herr überlasse die weiteren
Verhandlungen mit dem Divan vertrauensvoll den Verbündeten.*) Alles
schien eitel Friede und Hoffnung; und doch hatte Lord Strangford, der soeben
aus Konstantinopel in Verona eingetroffen war, bedauernd eingestehen
müssen, daß er von der Pforte bisher noch nicht die kleinste Nachgiebig-
keit habe erlangen können. Die orientalischen Händel sollten abgethan
sein und bleiben. Darum ward auch ein Schreiben der Nationalver-
sammlung von Argos, das für den werdenden hellenischen Staat die An-
erkennung Europas erbat, kurzerhand abgewiesen; und als der griechische
Bevollmächtigte Metaxas dem Congresse von Ancona aus seine An-
kunft ankündigte, da ließ ihm Metternich durch Cardinal Spina ant-
worten, man werde ihn an der österreichischen Grenze sofort anhalten.
Mit ergreifenden Worten hatte Metaxas dem König von Preußen ge-
schrieben: "die griechische Nation verlangt mit lauter Stimme ein Vater-
land, einen Thron, ein Recht auf Dasein und Eigenthum."**) Alle seine
Briefe an die Monarchen blieben unbeachtet, und höhnisch meinte Gentz,
das sei die Art, mit "dem lächerlichen Geschwätz" der Rebellen fertig zu
werden. Niebuhr aber vernahm mit Entrüstung, wie herzlos dies Christen-
volk von christlichen Mächten mißhandelt wurde, und sagte: "es wird auf
dem Congresse zum Antrag kommen, Homer's Gedichte durch Büttelshand
zu verbrennen, alle Exemplare bei schwerer Strafe zusammenzutreiben
und nach Konstantinopel zu beliebiger Behandlung zu senden."

Ueber die italienischen Dinge einigte man sich leicht. Kein Laut des
Widerspruchs regte sich mehr in dem geknechteten Lande, und mit Genug-
thuung konnte König Karl Felix den Mächten anzeigen: "die Wiederge-
burt Piemonts ist vollendet." Der Congreß genehmigte daher die Räu-
mung Piemonts und beschloß, das österreichische Besatzungsheer in Neapel
etwas zu vermindern. Eine Zeit lang trug sich Metternich noch mit dem
Plane eine gemeinsame Polizeistelle für Italien zu errichten; doch ließ er
den Gedanken bald fallen, da Consalvi, durch Cardinal Spina geschickt
vertreten, die unbeschränkte Souveränität des Kirchenstaates entschlossen

*) Nesselrode, Note an Bernstorff, Wien 26. Sept., dem Congresse vorgelegt 9. Nov.;
Protokoll der Conferenz vom 26. Nov.; Tatistscheff's Antwort 27. Nov.; Bernstorff's
Bericht 17. Nov. 1822.
**) Metternich an Spina, 30. November; Metaxas an König Friedrich Wilhelm,
2. Nov. 1822.

Griechenland. Italien.
nachgab, wähnte Metternich ſich den Frieden im Orient erkauft zu haben.
Eine dem Congreſſe übergebene ruſſiſche Erklärung (vom 26. Sept.) lautete
in der That ſo überaus verſöhnlich, daß alle Mächte wetteifernd verſpra-
chen, ſie würden dieſe billigen Forderungen des Czaren bei der Pforte lebhaft
unterſtützen. Nur Wellington hatte ſich, als gewiſſenhafter Vertreter der
Handelspolitik Canning’s, vorher mißtrauiſch erkundigt, welche Handelsvor-
theile Rußland im Schwarzen Meere beanſpruche. Tatiſtſcheff dankte den
Mächten verbindlich und erklärte, ſein kaiſerlicher Herr überlaſſe die weiteren
Verhandlungen mit dem Divan vertrauensvoll den Verbündeten.*) Alles
ſchien eitel Friede und Hoffnung; und doch hatte Lord Strangford, der ſoeben
aus Konſtantinopel in Verona eingetroffen war, bedauernd eingeſtehen
müſſen, daß er von der Pforte bisher noch nicht die kleinſte Nachgiebig-
keit habe erlangen können. Die orientaliſchen Händel ſollten abgethan
ſein und bleiben. Darum ward auch ein Schreiben der Nationalver-
ſammlung von Argos, das für den werdenden helleniſchen Staat die An-
erkennung Europas erbat, kurzerhand abgewieſen; und als der griechiſche
Bevollmächtigte Metaxas dem Congreſſe von Ancona aus ſeine An-
kunft ankündigte, da ließ ihm Metternich durch Cardinal Spina ant-
worten, man werde ihn an der öſterreichiſchen Grenze ſofort anhalten.
Mit ergreifenden Worten hatte Metaxas dem König von Preußen ge-
ſchrieben: „die griechiſche Nation verlangt mit lauter Stimme ein Vater-
land, einen Thron, ein Recht auf Daſein und Eigenthum.“**) Alle ſeine
Briefe an die Monarchen blieben unbeachtet, und höhniſch meinte Gentz,
das ſei die Art, mit „dem lächerlichen Geſchwätz“ der Rebellen fertig zu
werden. Niebuhr aber vernahm mit Entrüſtung, wie herzlos dies Chriſten-
volk von chriſtlichen Mächten mißhandelt wurde, und ſagte: „es wird auf
dem Congreſſe zum Antrag kommen, Homer’s Gedichte durch Büttelshand
zu verbrennen, alle Exemplare bei ſchwerer Strafe zuſammenzutreiben
und nach Konſtantinopel zu beliebiger Behandlung zu ſenden.“

Ueber die italieniſchen Dinge einigte man ſich leicht. Kein Laut des
Widerſpruchs regte ſich mehr in dem geknechteten Lande, und mit Genug-
thuung konnte König Karl Felix den Mächten anzeigen: „die Wiederge-
burt Piemonts iſt vollendet.“ Der Congreß genehmigte daher die Räu-
mung Piemonts und beſchloß, das öſterreichiſche Beſatzungsheer in Neapel
etwas zu vermindern. Eine Zeit lang trug ſich Metternich noch mit dem
Plane eine gemeinſame Polizeiſtelle für Italien zu errichten; doch ließ er
den Gedanken bald fallen, da Conſalvi, durch Cardinal Spina geſchickt
vertreten, die unbeſchränkte Souveränität des Kirchenſtaates entſchloſſen

*) Neſſelrode, Note an Bernſtorff, Wien 26. Sept., dem Congreſſe vorgelegt 9. Nov.;
Protokoll der Conferenz vom 26. Nov.; Tatiſtſcheff’s Antwort 27. Nov.; Bernſtorff’s
Bericht 17. Nov. 1822.
**) Metternich an Spina, 30. November; Metaxas an König Friedrich Wilhelm,
2. Nov. 1822.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0295" n="279"/><fw place="top" type="header">Griechenland. Italien.</fw><lb/>
nachgab, wähnte Metternich &#x017F;ich den Frieden im Orient erkauft zu haben.<lb/>
Eine dem Congre&#x017F;&#x017F;e übergebene ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Erklärung (vom 26. Sept.) lautete<lb/>
in der That &#x017F;o überaus ver&#x017F;öhnlich, daß alle Mächte wetteifernd ver&#x017F;pra-<lb/>
chen, &#x017F;ie würden die&#x017F;e billigen Forderungen des Czaren bei der Pforte lebhaft<lb/>
unter&#x017F;tützen. Nur Wellington hatte &#x017F;ich, als gewi&#x017F;&#x017F;enhafter Vertreter der<lb/>
Handelspolitik Canning&#x2019;s, vorher mißtraui&#x017F;ch erkundigt, welche Handelsvor-<lb/>
theile Rußland im Schwarzen Meere bean&#x017F;pruche. Tati&#x017F;t&#x017F;cheff dankte den<lb/>
Mächten verbindlich und erklärte, &#x017F;ein kai&#x017F;erlicher Herr überla&#x017F;&#x017F;e die weiteren<lb/>
Verhandlungen mit dem Divan vertrauensvoll den Verbündeten.<note place="foot" n="*)">Ne&#x017F;&#x017F;elrode, Note an Bern&#x017F;torff, Wien 26. Sept., dem Congre&#x017F;&#x017F;e vorgelegt 9. Nov.;<lb/>
Protokoll der Conferenz vom 26. Nov.; Tati&#x017F;t&#x017F;cheff&#x2019;s Antwort 27. Nov.; Bern&#x017F;torff&#x2019;s<lb/>
Bericht 17. Nov. 1822.</note> Alles<lb/>
&#x017F;chien eitel Friede und Hoffnung; und doch hatte Lord Strangford, der &#x017F;oeben<lb/>
aus Kon&#x017F;tantinopel in Verona eingetroffen war, bedauernd einge&#x017F;tehen<lb/>&#x017F;&#x017F;en, daß er von der Pforte bisher noch nicht die klein&#x017F;te Nachgiebig-<lb/>
keit habe erlangen können. Die orientali&#x017F;chen Händel &#x017F;ollten abgethan<lb/>
&#x017F;ein und bleiben. Darum ward auch ein Schreiben der Nationalver-<lb/>
&#x017F;ammlung von Argos, das für den werdenden helleni&#x017F;chen Staat die An-<lb/>
erkennung Europas erbat, kurzerhand abgewie&#x017F;en; und als der griechi&#x017F;che<lb/>
Bevollmächtigte Metaxas dem Congre&#x017F;&#x017F;e von Ancona aus &#x017F;eine An-<lb/>
kunft ankündigte, da ließ ihm Metternich durch Cardinal Spina ant-<lb/>
worten, man werde ihn an der ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Grenze &#x017F;ofort anhalten.<lb/>
Mit ergreifenden Worten hatte Metaxas dem König von Preußen ge-<lb/>
&#x017F;chrieben: &#x201E;die griechi&#x017F;che Nation verlangt mit lauter Stimme ein Vater-<lb/>
land, einen Thron, ein Recht auf Da&#x017F;ein und Eigenthum.&#x201C;<note place="foot" n="**)">Metternich an Spina, 30. November; Metaxas an König Friedrich Wilhelm,<lb/>
2. Nov. 1822.</note> Alle &#x017F;eine<lb/>
Briefe an die Monarchen blieben unbeachtet, und höhni&#x017F;ch meinte Gentz,<lb/>
das &#x017F;ei die Art, mit &#x201E;dem lächerlichen Ge&#x017F;chwätz&#x201C; der Rebellen fertig zu<lb/>
werden. Niebuhr aber vernahm mit Entrü&#x017F;tung, wie herzlos dies Chri&#x017F;ten-<lb/>
volk von chri&#x017F;tlichen Mächten mißhandelt wurde, und &#x017F;agte: &#x201E;es wird auf<lb/>
dem Congre&#x017F;&#x017F;e zum Antrag kommen, Homer&#x2019;s Gedichte durch Büttelshand<lb/>
zu verbrennen, alle Exemplare bei &#x017F;chwerer Strafe zu&#x017F;ammenzutreiben<lb/>
und nach Kon&#x017F;tantinopel zu beliebiger Behandlung zu &#x017F;enden.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ueber die italieni&#x017F;chen Dinge einigte man &#x017F;ich leicht. Kein Laut des<lb/>
Wider&#x017F;pruchs regte &#x017F;ich mehr in dem geknechteten Lande, und mit Genug-<lb/>
thuung konnte König Karl Felix den Mächten anzeigen: &#x201E;die Wiederge-<lb/>
burt Piemonts i&#x017F;t vollendet.&#x201C; Der Congreß genehmigte daher die Räu-<lb/>
mung Piemonts und be&#x017F;chloß, das ö&#x017F;terreichi&#x017F;che Be&#x017F;atzungsheer in Neapel<lb/>
etwas zu vermindern. Eine Zeit lang trug &#x017F;ich Metternich noch mit dem<lb/>
Plane eine gemein&#x017F;ame Polizei&#x017F;telle für Italien zu errichten; doch ließ er<lb/>
den Gedanken bald fallen, da Con&#x017F;alvi, durch Cardinal Spina ge&#x017F;chickt<lb/>
vertreten, die unbe&#x017F;chränkte Souveränität des Kirchen&#x017F;taates ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0295] Griechenland. Italien. nachgab, wähnte Metternich ſich den Frieden im Orient erkauft zu haben. Eine dem Congreſſe übergebene ruſſiſche Erklärung (vom 26. Sept.) lautete in der That ſo überaus verſöhnlich, daß alle Mächte wetteifernd verſpra- chen, ſie würden dieſe billigen Forderungen des Czaren bei der Pforte lebhaft unterſtützen. Nur Wellington hatte ſich, als gewiſſenhafter Vertreter der Handelspolitik Canning’s, vorher mißtrauiſch erkundigt, welche Handelsvor- theile Rußland im Schwarzen Meere beanſpruche. Tatiſtſcheff dankte den Mächten verbindlich und erklärte, ſein kaiſerlicher Herr überlaſſe die weiteren Verhandlungen mit dem Divan vertrauensvoll den Verbündeten. *) Alles ſchien eitel Friede und Hoffnung; und doch hatte Lord Strangford, der ſoeben aus Konſtantinopel in Verona eingetroffen war, bedauernd eingeſtehen müſſen, daß er von der Pforte bisher noch nicht die kleinſte Nachgiebig- keit habe erlangen können. Die orientaliſchen Händel ſollten abgethan ſein und bleiben. Darum ward auch ein Schreiben der Nationalver- ſammlung von Argos, das für den werdenden helleniſchen Staat die An- erkennung Europas erbat, kurzerhand abgewieſen; und als der griechiſche Bevollmächtigte Metaxas dem Congreſſe von Ancona aus ſeine An- kunft ankündigte, da ließ ihm Metternich durch Cardinal Spina ant- worten, man werde ihn an der öſterreichiſchen Grenze ſofort anhalten. Mit ergreifenden Worten hatte Metaxas dem König von Preußen ge- ſchrieben: „die griechiſche Nation verlangt mit lauter Stimme ein Vater- land, einen Thron, ein Recht auf Daſein und Eigenthum.“ **) Alle ſeine Briefe an die Monarchen blieben unbeachtet, und höhniſch meinte Gentz, das ſei die Art, mit „dem lächerlichen Geſchwätz“ der Rebellen fertig zu werden. Niebuhr aber vernahm mit Entrüſtung, wie herzlos dies Chriſten- volk von chriſtlichen Mächten mißhandelt wurde, und ſagte: „es wird auf dem Congreſſe zum Antrag kommen, Homer’s Gedichte durch Büttelshand zu verbrennen, alle Exemplare bei ſchwerer Strafe zuſammenzutreiben und nach Konſtantinopel zu beliebiger Behandlung zu ſenden.“ Ueber die italieniſchen Dinge einigte man ſich leicht. Kein Laut des Widerſpruchs regte ſich mehr in dem geknechteten Lande, und mit Genug- thuung konnte König Karl Felix den Mächten anzeigen: „die Wiederge- burt Piemonts iſt vollendet.“ Der Congreß genehmigte daher die Räu- mung Piemonts und beſchloß, das öſterreichiſche Beſatzungsheer in Neapel etwas zu vermindern. Eine Zeit lang trug ſich Metternich noch mit dem Plane eine gemeinſame Polizeiſtelle für Italien zu errichten; doch ließ er den Gedanken bald fallen, da Conſalvi, durch Cardinal Spina geſchickt vertreten, die unbeſchränkte Souveränität des Kirchenſtaates entſchloſſen *) Neſſelrode, Note an Bernſtorff, Wien 26. Sept., dem Congreſſe vorgelegt 9. Nov.; Protokoll der Conferenz vom 26. Nov.; Tatiſtſcheff’s Antwort 27. Nov.; Bernſtorff’s Bericht 17. Nov. 1822. **) Metternich an Spina, 30. November; Metaxas an König Friedrich Wilhelm, 2. Nov. 1822.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/295
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/295>, abgerufen am 22.11.2024.