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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Wangenheim's Triasträume.
Johann Philipp, weil er den Titel des ersten deutschen Fürsten führte,
auch im Stande sei zwischen Frankreich und Oesterreich den Weltfrieden
zu vermitteln, und kein schlechterer Mann als Leibniz die Narrenstreiche
dieser irenischen Politik verherrlichte, den Mainzer Kurfürsten als den
Atlas besang, der Europas Schicksal auf seinen starken Schultern trage:
so wurden jetzt manche wohlmeinende und gescheidte Männer durch Man-
genheim's kleinstaatliche Großmachtsträume bethört.

Die Mittel- und Kleinstaaten besaßen eine erdrückende Mehrheit am
Bundestage, fünfzehn unter den siebzehn Stimmen des engeren Rathes;
und wenn man sich an die imaginäre Bundesgrenze hielt, welche der
Wiener Congreß mitten durch das österreichische und preußische Gebiet ge-
zogen hatte, so waren sie auch an Bevölkerung den Bundesländern jeder
der beiden Großmächte überlegen. Wie nahe lag also die Versuchung, dies
Chaos der troisieme Allemagne zu einer Gesammtmacht zu vereinigen;
wie viel näher noch der Gedanke, den Buchstaben des Bundesrechts zu
mißbrauchen zur Bekämpfung der Großmächte, die sich doch nur darum
mit einer so bescheidenen Stimmenzahl begnügt hatten, weil sie voraus-
setzten, daß der Bund sich ihrer Leitung fügen würde. Die augenblickliche
Stimmung in der Eschenheimer Gasse bot solchen Bestrebungen einen
dankbaren Boden, denn die Gesandten fühlten sich allesammt durch die
schnöde Behandlung, welche der Bundestag in den Karlsbader Zeiten er-
fahren hatte, tief gekränkt und doch zugleich zu keckem Wagen ermuthigt,
da die Großmächte auf den Wiener Ministerconferenzen so behutsam und
nachgiebig aufgetreten waren.

Mit dem ganzen Ungestüm seines Feuergeistes stürzte sich Wangen-
heim in die Irrgänge einer Politik, die ihm recht eigentlich heilig war.
Denn nach seiner naturphilosophischen Ueberzeugung war die Einheit in
der Dreiheit das Gesetz alles Lebens, und wer die Anwendung dieses
Weltgesetzes auf die deutsche Politik bestritt, konnte nur durch Herrsch-
sucht und Habgier getrieben sein -- welche Leidenschaften er denn auch
bei den beiden Großmächten, insbesondere bei Preußen, kurzerhand vor-
aussetzte. Er "glühte vor Scham", wenn er an die Karlsbader Beschlüsse
dachte, und war als ehrlicher Liberaler entschlossen jeden neuen Angriff
auf das constitutionelle Leben kräftig zu bekämpfen. Die Grundlagen der
Bundesverfassung fand er vortrefflich, da sie ja den Kleinstaaten das
Uebergewicht gab, und noch im Jahre 1849, als der Bundestag unter
den Verwünschungen der Nation zusammengebrochen war, vertheidigte er
die ehrwürdige Versammlung leidenschaftlich gegen den Vorwurf der Un-
fruchtbarkeit. Nur freilich sollte das wahre föderative Leben in diesem
glücklichen Bunde erst erweckt werden durch eine festere wirthschaftliche,
kirchliche, politische Einigung der Kleinen, und für diese Sonderbunds-
politik entwarf der Unermüdliche immer neue Pläne. Tag für Tag ließ
er seine Seifenblasen in die Luft steigen, freute sich kindlich, wenn sie

Wangenheim’s Triasträume.
Johann Philipp, weil er den Titel des erſten deutſchen Fürſten führte,
auch im Stande ſei zwiſchen Frankreich und Oeſterreich den Weltfrieden
zu vermitteln, und kein ſchlechterer Mann als Leibniz die Narrenſtreiche
dieſer ireniſchen Politik verherrlichte, den Mainzer Kurfürſten als den
Atlas beſang, der Europas Schickſal auf ſeinen ſtarken Schultern trage:
ſo wurden jetzt manche wohlmeinende und geſcheidte Männer durch Man-
genheim’s kleinſtaatliche Großmachtsträume bethört.

Die Mittel- und Kleinſtaaten beſaßen eine erdrückende Mehrheit am
Bundestage, fünfzehn unter den ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes;
und wenn man ſich an die imaginäre Bundesgrenze hielt, welche der
Wiener Congreß mitten durch das öſterreichiſche und preußiſche Gebiet ge-
zogen hatte, ſo waren ſie auch an Bevölkerung den Bundesländern jeder
der beiden Großmächte überlegen. Wie nahe lag alſo die Verſuchung, dies
Chaos der troisième Allemagne zu einer Geſammtmacht zu vereinigen;
wie viel näher noch der Gedanke, den Buchſtaben des Bundesrechts zu
mißbrauchen zur Bekämpfung der Großmächte, die ſich doch nur darum
mit einer ſo beſcheidenen Stimmenzahl begnügt hatten, weil ſie voraus-
ſetzten, daß der Bund ſich ihrer Leitung fügen würde. Die augenblickliche
Stimmung in der Eſchenheimer Gaſſe bot ſolchen Beſtrebungen einen
dankbaren Boden, denn die Geſandten fühlten ſich alleſammt durch die
ſchnöde Behandlung, welche der Bundestag in den Karlsbader Zeiten er-
fahren hatte, tief gekränkt und doch zugleich zu keckem Wagen ermuthigt,
da die Großmächte auf den Wiener Miniſterconferenzen ſo behutſam und
nachgiebig aufgetreten waren.

Mit dem ganzen Ungeſtüm ſeines Feuergeiſtes ſtürzte ſich Wangen-
heim in die Irrgänge einer Politik, die ihm recht eigentlich heilig war.
Denn nach ſeiner naturphiloſophiſchen Ueberzeugung war die Einheit in
der Dreiheit das Geſetz alles Lebens, und wer die Anwendung dieſes
Weltgeſetzes auf die deutſche Politik beſtritt, konnte nur durch Herrſch-
ſucht und Habgier getrieben ſein — welche Leidenſchaften er denn auch
bei den beiden Großmächten, insbeſondere bei Preußen, kurzerhand vor-
ausſetzte. Er „glühte vor Scham“, wenn er an die Karlsbader Beſchlüſſe
dachte, und war als ehrlicher Liberaler entſchloſſen jeden neuen Angriff
auf das conſtitutionelle Leben kräftig zu bekämpfen. Die Grundlagen der
Bundesverfaſſung fand er vortrefflich, da ſie ja den Kleinſtaaten das
Uebergewicht gab, und noch im Jahre 1849, als der Bundestag unter
den Verwünſchungen der Nation zuſammengebrochen war, vertheidigte er
die ehrwürdige Verſammlung leidenſchaftlich gegen den Vorwurf der Un-
fruchtbarkeit. Nur freilich ſollte das wahre föderative Leben in dieſem
glücklichen Bunde erſt erweckt werden durch eine feſtere wirthſchaftliche,
kirchliche, politiſche Einigung der Kleinen, und für dieſe Sonderbunds-
politik entwarf der Unermüdliche immer neue Pläne. Tag für Tag ließ
er ſeine Seifenblaſen in die Luft ſteigen, freute ſich kindlich, wenn ſie

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[285/0301] Wangenheim’s Triasträume. Johann Philipp, weil er den Titel des erſten deutſchen Fürſten führte, auch im Stande ſei zwiſchen Frankreich und Oeſterreich den Weltfrieden zu vermitteln, und kein ſchlechterer Mann als Leibniz die Narrenſtreiche dieſer ireniſchen Politik verherrlichte, den Mainzer Kurfürſten als den Atlas beſang, der Europas Schickſal auf ſeinen ſtarken Schultern trage: ſo wurden jetzt manche wohlmeinende und geſcheidte Männer durch Man- genheim’s kleinſtaatliche Großmachtsträume bethört. Die Mittel- und Kleinſtaaten beſaßen eine erdrückende Mehrheit am Bundestage, fünfzehn unter den ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes; und wenn man ſich an die imaginäre Bundesgrenze hielt, welche der Wiener Congreß mitten durch das öſterreichiſche und preußiſche Gebiet ge- zogen hatte, ſo waren ſie auch an Bevölkerung den Bundesländern jeder der beiden Großmächte überlegen. Wie nahe lag alſo die Verſuchung, dies Chaos der troisième Allemagne zu einer Geſammtmacht zu vereinigen; wie viel näher noch der Gedanke, den Buchſtaben des Bundesrechts zu mißbrauchen zur Bekämpfung der Großmächte, die ſich doch nur darum mit einer ſo beſcheidenen Stimmenzahl begnügt hatten, weil ſie voraus- ſetzten, daß der Bund ſich ihrer Leitung fügen würde. Die augenblickliche Stimmung in der Eſchenheimer Gaſſe bot ſolchen Beſtrebungen einen dankbaren Boden, denn die Geſandten fühlten ſich alleſammt durch die ſchnöde Behandlung, welche der Bundestag in den Karlsbader Zeiten er- fahren hatte, tief gekränkt und doch zugleich zu keckem Wagen ermuthigt, da die Großmächte auf den Wiener Miniſterconferenzen ſo behutſam und nachgiebig aufgetreten waren. Mit dem ganzen Ungeſtüm ſeines Feuergeiſtes ſtürzte ſich Wangen- heim in die Irrgänge einer Politik, die ihm recht eigentlich heilig war. Denn nach ſeiner naturphiloſophiſchen Ueberzeugung war die Einheit in der Dreiheit das Geſetz alles Lebens, und wer die Anwendung dieſes Weltgeſetzes auf die deutſche Politik beſtritt, konnte nur durch Herrſch- ſucht und Habgier getrieben ſein — welche Leidenſchaften er denn auch bei den beiden Großmächten, insbeſondere bei Preußen, kurzerhand vor- ausſetzte. Er „glühte vor Scham“, wenn er an die Karlsbader Beſchlüſſe dachte, und war als ehrlicher Liberaler entſchloſſen jeden neuen Angriff auf das conſtitutionelle Leben kräftig zu bekämpfen. Die Grundlagen der Bundesverfaſſung fand er vortrefflich, da ſie ja den Kleinſtaaten das Uebergewicht gab, und noch im Jahre 1849, als der Bundestag unter den Verwünſchungen der Nation zuſammengebrochen war, vertheidigte er die ehrwürdige Verſammlung leidenſchaftlich gegen den Vorwurf der Un- fruchtbarkeit. Nur freilich ſollte das wahre föderative Leben in dieſem glücklichen Bunde erſt erweckt werden durch eine feſtere wirthſchaftliche, kirchliche, politiſche Einigung der Kleinen, und für dieſe Sonderbunds- politik entwarf der Unermüdliche immer neue Pläne. Tag für Tag ließ er ſeine Seifenblaſen in die Luft ſteigen, freute ſich kindlich, wenn ſie

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/301>, abgerufen am 22.11.2024.