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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Wangenheim und die hessischen Domänenkäufer.
sich nicht noch einmal mit diesem Kasseler Despoten einlassen, der auf alle
Mahnungen des Bundes mit Beschimpfungen antwortete und dabei noch
der Gunst Metternich's sicher war.*) In Berlin war man längst zu der
Einsicht gekommen, daß der Bund dem kurhessischen Willkürregimente nicht
steuern könne; Preußen hatte daher mit schwerer Mühe bei den Höfen
von Hannover, Braunschweig, Kassel endlich (1821) durchgesetzt, daß die
vier Erben des Königreichs Westphalen zu Berathungen zusammentraten
um sich über gemeinsame Rechtsgrundsätze zu verständigen. Graf Goltz
wünschte also, der Bundestag möge, statt nochmals einen unausführbaren
Beschluß zu fassen, zunächst das Ergebniß dieser Verhandlungen abwarten.
Hannover dagegen, Oldenburg, Kurhessen sowie mehrere andere kleine Kronen
fanden das legitime Recht und das monarchische Princip in ihren Grund-
vesten bedroht wenn man irgend eine Regierungshandlung des Usurpators
Jerome als rechtsverbindlich anerkenne. Daß der kurhessische und die
beiden welfischen Staaten in den Jahren 1807--13 unzweifelhaft nicht
mehr bestanden hatten und mithin eine völkerrechtlich giltige debellatio
vorlag, übergingen sie mit Stillschweigen; auch daran erinnerten sie sich
nicht, daß in ihren eigenen Landen mediatisirte Fürsten saßen, welche die
neue thatsächliche Staatsgewalt noch keineswegs sämmtlich als legitim
anerkannt hatten. Unverkennbar sprach aus diesem legitimistischen Eifer
die geheime Angst; die Souveräne fühlten sich ihrer Kronen nicht ganz
sicher, sie dachten an den langmüthigen preußischen Nachbar und an
die Möglichkeit einer neuen Entthronung. Welch ein Aufsehen also, als
Wangenheim in einem gründlichen Berichte zeigte, der hessische Kurfürst
sei offenbar der Rechtsverweigerung schuldig und müsse von Bundeswegen
angehalten werden der Justiz freien Lauf zu lassen. Dann erwies er,
in der Form allerdings nicht glücklich, den unanfechtbaren Satz, daß in
jedem Staate irgend eine Regierung bestehen müsse: "der ewige Staat
spricht durch jeden Regenten; die Staatsgewalt berechtigt das regierende
Subject nur dazu wozu sie dasselbe verpflichtet." Wiederholt berief er
sich dabei auf den verdienten kurhessischen Richter Pfeiffer und auf Ludwig
Klüber's Oeffentliches Recht.

Eben diese Berufung verschlimmerte nur den Eindruck der ehrlichen
Worte Wangenheim's. Vor Kurzem noch hatte der Herausgeber der Akten
des Wiener Congresses bei den Cabinetten selbst unbestritten für den ersten
deutschen Staatsgelehrten gegolten; jetzt heftete sich der Argwohn, der
überall umherschlich, auch an Klüber's reinen Namen. Als die zweite
Auflage seines Oeffentlichen Rechts erschien und gleich darauf sein alter
treuer Gönner Hardenberg starb, verklagte ihn der Nassauer Marschall
in Berlin wegen demagogischer Gesinnung. Trotz seiner ungeheueren
Gelehrsamkeit war Klüber kein schöpferischer wissenschaftlicher Kopf; un-

*) S. oben II. 150 ff.

Wangenheim und die heſſiſchen Domänenkäufer.
ſich nicht noch einmal mit dieſem Kaſſeler Despoten einlaſſen, der auf alle
Mahnungen des Bundes mit Beſchimpfungen antwortete und dabei noch
der Gunſt Metternich’s ſicher war.*) In Berlin war man längſt zu der
Einſicht gekommen, daß der Bund dem kurheſſiſchen Willkürregimente nicht
ſteuern könne; Preußen hatte daher mit ſchwerer Mühe bei den Höfen
von Hannover, Braunſchweig, Kaſſel endlich (1821) durchgeſetzt, daß die
vier Erben des Königreichs Weſtphalen zu Berathungen zuſammentraten
um ſich über gemeinſame Rechtsgrundſätze zu verſtändigen. Graf Goltz
wünſchte alſo, der Bundestag möge, ſtatt nochmals einen unausführbaren
Beſchluß zu faſſen, zunächſt das Ergebniß dieſer Verhandlungen abwarten.
Hannover dagegen, Oldenburg, Kurheſſen ſowie mehrere andere kleine Kronen
fanden das legitime Recht und das monarchiſche Princip in ihren Grund-
veſten bedroht wenn man irgend eine Regierungshandlung des Uſurpators
Jerome als rechtsverbindlich anerkenne. Daß der kurheſſiſche und die
beiden welfiſchen Staaten in den Jahren 1807—13 unzweifelhaft nicht
mehr beſtanden hatten und mithin eine völkerrechtlich giltige debellatio
vorlag, übergingen ſie mit Stillſchweigen; auch daran erinnerten ſie ſich
nicht, daß in ihren eigenen Landen mediatiſirte Fürſten ſaßen, welche die
neue thatſächliche Staatsgewalt noch keineswegs ſämmtlich als legitim
anerkannt hatten. Unverkennbar ſprach aus dieſem legitimiſtiſchen Eifer
die geheime Angſt; die Souveräne fühlten ſich ihrer Kronen nicht ganz
ſicher, ſie dachten an den langmüthigen preußiſchen Nachbar und an
die Möglichkeit einer neuen Entthronung. Welch ein Aufſehen alſo, als
Wangenheim in einem gründlichen Berichte zeigte, der heſſiſche Kurfürſt
ſei offenbar der Rechtsverweigerung ſchuldig und müſſe von Bundeswegen
angehalten werden der Juſtiz freien Lauf zu laſſen. Dann erwies er,
in der Form allerdings nicht glücklich, den unanfechtbaren Satz, daß in
jedem Staate irgend eine Regierung beſtehen müſſe: „der ewige Staat
ſpricht durch jeden Regenten; die Staatsgewalt berechtigt das regierende
Subject nur dazu wozu ſie daſſelbe verpflichtet.“ Wiederholt berief er
ſich dabei auf den verdienten kurheſſiſchen Richter Pfeiffer und auf Ludwig
Klüber’s Oeffentliches Recht.

Eben dieſe Berufung verſchlimmerte nur den Eindruck der ehrlichen
Worte Wangenheim’s. Vor Kurzem noch hatte der Herausgeber der Akten
des Wiener Congreſſes bei den Cabinetten ſelbſt unbeſtritten für den erſten
deutſchen Staatsgelehrten gegolten; jetzt heftete ſich der Argwohn, der
überall umherſchlich, auch an Klüber’s reinen Namen. Als die zweite
Auflage ſeines Oeffentlichen Rechts erſchien und gleich darauf ſein alter
treuer Gönner Hardenberg ſtarb, verklagte ihn der Naſſauer Marſchall
in Berlin wegen demagogiſcher Geſinnung. Trotz ſeiner ungeheueren
Gelehrſamkeit war Klüber kein ſchöpferiſcher wiſſenſchaftlicher Kopf; un-

*) S. oben II. 150 ff.
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[297/0313] Wangenheim und die heſſiſchen Domänenkäufer. ſich nicht noch einmal mit dieſem Kaſſeler Despoten einlaſſen, der auf alle Mahnungen des Bundes mit Beſchimpfungen antwortete und dabei noch der Gunſt Metternich’s ſicher war. *) In Berlin war man längſt zu der Einſicht gekommen, daß der Bund dem kurheſſiſchen Willkürregimente nicht ſteuern könne; Preußen hatte daher mit ſchwerer Mühe bei den Höfen von Hannover, Braunſchweig, Kaſſel endlich (1821) durchgeſetzt, daß die vier Erben des Königreichs Weſtphalen zu Berathungen zuſammentraten um ſich über gemeinſame Rechtsgrundſätze zu verſtändigen. Graf Goltz wünſchte alſo, der Bundestag möge, ſtatt nochmals einen unausführbaren Beſchluß zu faſſen, zunächſt das Ergebniß dieſer Verhandlungen abwarten. Hannover dagegen, Oldenburg, Kurheſſen ſowie mehrere andere kleine Kronen fanden das legitime Recht und das monarchiſche Princip in ihren Grund- veſten bedroht wenn man irgend eine Regierungshandlung des Uſurpators Jerome als rechtsverbindlich anerkenne. Daß der kurheſſiſche und die beiden welfiſchen Staaten in den Jahren 1807—13 unzweifelhaft nicht mehr beſtanden hatten und mithin eine völkerrechtlich giltige debellatio vorlag, übergingen ſie mit Stillſchweigen; auch daran erinnerten ſie ſich nicht, daß in ihren eigenen Landen mediatiſirte Fürſten ſaßen, welche die neue thatſächliche Staatsgewalt noch keineswegs ſämmtlich als legitim anerkannt hatten. Unverkennbar ſprach aus dieſem legitimiſtiſchen Eifer die geheime Angſt; die Souveräne fühlten ſich ihrer Kronen nicht ganz ſicher, ſie dachten an den langmüthigen preußiſchen Nachbar und an die Möglichkeit einer neuen Entthronung. Welch ein Aufſehen alſo, als Wangenheim in einem gründlichen Berichte zeigte, der heſſiſche Kurfürſt ſei offenbar der Rechtsverweigerung ſchuldig und müſſe von Bundeswegen angehalten werden der Juſtiz freien Lauf zu laſſen. Dann erwies er, in der Form allerdings nicht glücklich, den unanfechtbaren Satz, daß in jedem Staate irgend eine Regierung beſtehen müſſe: „der ewige Staat ſpricht durch jeden Regenten; die Staatsgewalt berechtigt das regierende Subject nur dazu wozu ſie daſſelbe verpflichtet.“ Wiederholt berief er ſich dabei auf den verdienten kurheſſiſchen Richter Pfeiffer und auf Ludwig Klüber’s Oeffentliches Recht. Eben dieſe Berufung verſchlimmerte nur den Eindruck der ehrlichen Worte Wangenheim’s. Vor Kurzem noch hatte der Herausgeber der Akten des Wiener Congreſſes bei den Cabinetten ſelbſt unbeſtritten für den erſten deutſchen Staatsgelehrten gegolten; jetzt heftete ſich der Argwohn, der überall umherſchlich, auch an Klüber’s reinen Namen. Als die zweite Auflage ſeines Oeffentlichen Rechts erſchien und gleich darauf ſein alter treuer Gönner Hardenberg ſtarb, verklagte ihn der Naſſauer Marſchall in Berlin wegen demagogiſcher Geſinnung. Trotz ſeiner ungeheueren Gelehrſamkeit war Klüber kein ſchöpferiſcher wiſſenſchaftlicher Kopf; un- *) S. oben II. 150 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/313>, abgerufen am 22.11.2024.