Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 5. Die Großmächte und die Trias. bekümmert um die neuen Ideen der historischen Rechtsschule hielt er diehergebrachten Doctrinen des Naturrechts fest, sogar Rousseau's Lehre vom ursprünglichen Vertrage, wie sie Kant der deutschen Rechtswissenschaft über- liefert hatte; auf diese veralteten allgemeinen Grundsätze ließ er jedoch eine streng sachliche, überaus stoffreiche Darstellung des positiven Rechtes folgen, welche nirgends über gemäßigte constitutionelle Ansichten hinausging und, in scharfem Gegensatze zu Rotteck's geschichtsfeindlichem Vernunftrecht, überall den Zusammenhang der Gegenwart mit dem alten Reichsrecht nach- zuweisen suchte. Marschall's Anklage wirkte weiter. Metternich ließ das verdächtige Werk durch seinen Gentz prüfen und erklärte darauf, seit Jahren sei kein so revolutionäres Buch in Deutschland erschienen.*) Schmalz aber, der allezeit strebsame, hielt sich verpflichtet der studirenden Jugend ein Gegengift zu reichen und schrieb selber ein Deutsches Staatsrecht, ein Buch, das, minder fanatisch als andere Schriften des Verfassers, doch wegen seiner Gedankenarmuth fast unbeachtet blieb. In Frankfurt wurde Klüber, obgleich er der preußischen Gesandtschaft als Rechtsrath beigegeben war, von allen Oesterreichern ängstlich gemieden. Daß Wangenheim sich am grünen Tische des Bundestags auf eine solche Autorität berief, erschien in der Hofburg als unglaubliche Frechheit, und Metternich schrieb wüthend: "diese erbärmliche Persönlichkeit hat durch diesen Bericht das Siegel unter ihre Verdammniß gesetzt."**) Zu allem Unheil ließ Wangenheim's Attache Robert Mohl eben jetzt seine Erstlingsschrift über die Rechtspflege des Bundes erscheinen, ein junger Gelehrter, der mit seinem grundehrlichen Freimuth, seiner wissenschaftlichen Unbefangenheit in dieser Frankfurter Gesellschaft wie ein Fremdling erschien; in seinem Buche unterstand er sich sogar die Abstimmungen einiger Bundesgesandten scharf zu tadeln. Für Metternich und Hatzfeldt stand jetzt außer Zweifel, daß sich eine ganze Bande literarischer Mordbrenner um den Württemberger schaarte. Unterdessen hatte Wangenheim gegen das Schooßkind Metternich's, *) Hatzfeldt's Bericht, 8., 16. Jan. 1823. **) Metternich an Berstett, 24. Juni 1823.
III. 5. Die Großmächte und die Trias. bekümmert um die neuen Ideen der hiſtoriſchen Rechtsſchule hielt er diehergebrachten Doctrinen des Naturrechts feſt, ſogar Rouſſeau’s Lehre vom urſprünglichen Vertrage, wie ſie Kant der deutſchen Rechtswiſſenſchaft über- liefert hatte; auf dieſe veralteten allgemeinen Grundſätze ließ er jedoch eine ſtreng ſachliche, überaus ſtoffreiche Darſtellung des poſitiven Rechtes folgen, welche nirgends über gemäßigte conſtitutionelle Anſichten hinausging und, in ſcharfem Gegenſatze zu Rotteck’s geſchichtsfeindlichem Vernunftrecht, überall den Zuſammenhang der Gegenwart mit dem alten Reichsrecht nach- zuweiſen ſuchte. Marſchall’s Anklage wirkte weiter. Metternich ließ das verdächtige Werk durch ſeinen Gentz prüfen und erklärte darauf, ſeit Jahren ſei kein ſo revolutionäres Buch in Deutſchland erſchienen.*) Schmalz aber, der allezeit ſtrebſame, hielt ſich verpflichtet der ſtudirenden Jugend ein Gegengift zu reichen und ſchrieb ſelber ein Deutſches Staatsrecht, ein Buch, das, minder fanatiſch als andere Schriften des Verfaſſers, doch wegen ſeiner Gedankenarmuth faſt unbeachtet blieb. In Frankfurt wurde Klüber, obgleich er der preußiſchen Geſandtſchaft als Rechtsrath beigegeben war, von allen Oeſterreichern ängſtlich gemieden. Daß Wangenheim ſich am grünen Tiſche des Bundestags auf eine ſolche Autorität berief, erſchien in der Hofburg als unglaubliche Frechheit, und Metternich ſchrieb wüthend: „dieſe erbärmliche Perſönlichkeit hat durch dieſen Bericht das Siegel unter ihre Verdammniß geſetzt.“**) Zu allem Unheil ließ Wangenheim’s Attaché Robert Mohl eben jetzt ſeine Erſtlingsſchrift über die Rechtspflege des Bundes erſcheinen, ein junger Gelehrter, der mit ſeinem grundehrlichen Freimuth, ſeiner wiſſenſchaftlichen Unbefangenheit in dieſer Frankfurter Geſellſchaft wie ein Fremdling erſchien; in ſeinem Buche unterſtand er ſich ſogar die Abſtimmungen einiger Bundesgeſandten ſcharf zu tadeln. Für Metternich und Hatzfeldt ſtand jetzt außer Zweifel, daß ſich eine ganze Bande literariſcher Mordbrenner um den Württemberger ſchaarte. Unterdeſſen hatte Wangenheim gegen das Schooßkind Metternich’s, *) Hatzfeldt’s Bericht, 8., 16. Jan. 1823. **) Metternich an Berſtett, 24. Juni 1823.
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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
bekümmert um die neuen Ideen der hiſtoriſchen Rechtsſchule hielt er die
hergebrachten Doctrinen des Naturrechts feſt, ſogar Rouſſeau’s Lehre vom
urſprünglichen Vertrage, wie ſie Kant der deutſchen Rechtswiſſenſchaft über-
liefert hatte; auf dieſe veralteten allgemeinen Grundſätze ließ er jedoch eine
ſtreng ſachliche, überaus ſtoffreiche Darſtellung des poſitiven Rechtes folgen,
welche nirgends über gemäßigte conſtitutionelle Anſichten hinausging und,
in ſcharfem Gegenſatze zu Rotteck’s geſchichtsfeindlichem Vernunftrecht,
überall den Zuſammenhang der Gegenwart mit dem alten Reichsrecht nach-
zuweiſen ſuchte. Marſchall’s Anklage wirkte weiter. Metternich ließ das
verdächtige Werk durch ſeinen Gentz prüfen und erklärte darauf, ſeit Jahren
ſei kein ſo revolutionäres Buch in Deutſchland erſchienen. *) Schmalz
aber, der allezeit ſtrebſame, hielt ſich verpflichtet der ſtudirenden Jugend
ein Gegengift zu reichen und ſchrieb ſelber ein Deutſches Staatsrecht, ein
Buch, das, minder fanatiſch als andere Schriften des Verfaſſers, doch
wegen ſeiner Gedankenarmuth faſt unbeachtet blieb. In Frankfurt wurde
Klüber, obgleich er der preußiſchen Geſandtſchaft als Rechtsrath beigegeben
war, von allen Oeſterreichern ängſtlich gemieden. Daß Wangenheim ſich
am grünen Tiſche des Bundestags auf eine ſolche Autorität berief, erſchien
in der Hofburg als unglaubliche Frechheit, und Metternich ſchrieb wüthend:
„dieſe erbärmliche Perſönlichkeit hat durch dieſen Bericht das Siegel unter
ihre Verdammniß geſetzt.“ **) Zu allem Unheil ließ Wangenheim’s Attaché
Robert Mohl eben jetzt ſeine Erſtlingsſchrift über die Rechtspflege des
Bundes erſcheinen, ein junger Gelehrter, der mit ſeinem grundehrlichen
Freimuth, ſeiner wiſſenſchaftlichen Unbefangenheit in dieſer Frankfurter
Geſellſchaft wie ein Fremdling erſchien; in ſeinem Buche unterſtand er ſich
ſogar die Abſtimmungen einiger Bundesgeſandten ſcharf zu tadeln. Für
Metternich und Hatzfeldt ſtand jetzt außer Zweifel, daß ſich eine ganze Bande
literariſcher Mordbrenner um den Württemberger ſchaarte.
Unterdeſſen hatte Wangenheim gegen das Schooßkind Metternich’s,
gegen die Mainzer Central-Unterſuchungscommiſſion einen kühnen, wohl-
berechtigten Angriff unternommen. Mit Ausnahme der ſieben Regierungen,
welche an der ſchwarzen Commiſſion ſelber theilnahmen, blieben die deutſchen
Höfe ohne Kenntniß von dem Treiben der Mainzer Demagogenverfolger,
obgleich die Commiſſion geſetzlich verpflichtet war dem Bundestage Bericht zu
erſtatten. Im Sept. 1820, nachdem dieſer ſonderbare Zuſtand faſt ein Jahr
gewährt hatte, verlangte Wangenheim ſchleunige Einforderung des Berichts;
mehrmals wiederholte er ſodann ſein Begehren, aber die Mainzer ver-
harrten in tiefem Schweigen. Da riß ihm die Geduld, und am 14. März
1822 beantragte er kurz und gut die Auflöſung dieſer Behörde, die bisher
noch keinen einzigen namhaften Mann verhaftet, alſo offenbar nichts Er-
*) Hatzfeldt’s Bericht, 8., 16. Jan. 1823.
**) Metternich an Berſtett, 24. Juni 1823.
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