getrübt. Der blühende Zustand der theologischen Facultäten in Tübingen und Freiburg bewies, wie aufrichtig diese kleinen Kronen, trotz ihrer bureau- kratischen Aengstlichkeit, das Wohl der Kirche förderten; ihre Beamten verstanden gleich den bairischen, besser als die Preußen, mit den Geist- lichen zu leben, und im Clerus war das duldsame alte Geschlecht noch in der Mehrzahl. --
Ungleich wichtiger als diese kirchenpolitischen Sonderbundsversuche wurde die große Handelsconferenz der süddeutschen und einiger mittel- deutschen Kleinstaaten, welche, den Wiener Verabredungen gemäß, am 13. Sept. 1820 in Darmstadt zusammentrat. Auch hier war Wangen- heim die Unruhe in der Uhr. Unermüdlich kam er von Frankfurt her- übergeritten, immer zur Vermittlung bereit, gleich befreundet mit dem Schutzzöllner List und dem Freihändler Nebenius; denn aus diesem Han- delstage mußte unfehlbar der politische Bund des reinen Deutschlands hervorgehen. In der That blieben die Darmstädter Verhandlungen nicht ganz unfruchtbar, obgleich sich Pläne und Gegenpläne noch rastlos wie die Blasen im brodelnden Wasserkessel über einander drängten. Sie dienten als ein Läuterungsprozeß, der die unbrauchbaren, traumhaften Gedanken aus der deutschen Handelspolitik ausschied. Sie boten den Theilnehmern wie dem aufmerksam zuschauenden Berliner Hofe die Gelegenheit, die wirthschaftlichen Interessen der Bundesstaaten kennen zu lernen, die Be- dingungen eines Handelsvereins ernstlich zu erwägen. Aber sie lehrten auch durch ihr wiederholtes Scheitern, daß ein Zollverein ohne Preußen unmöglich war. Wie Wangenheim's nationalkirchliche Träume mit der Errichtung eines kleinen Erzbisthums endigten, so konnte auch von einem binnenländischen Wirthschaftsgebiete, dem die Küste fehlte, niemals eine lebensfähige nationale Handelspolitik ausgehen.
Kein Wunder freilich, daß die mißhandelte Nation den ersten Versuch zur Beseitigung der Binnenmauthen mit Jubel aufnahm. Zahlreiche Dank- adressen belohnten den hochherzigen Entschluß der Höfe. Badische Land- wirthe bezeugten schon im Voraus dem Minister Berstett: durch die Darm- städter Conferenzen sei "der Grund gelegt zu einem glorreichen, einem wahr- haften Nationalinstitute". Sogar jener kluge E. W. Arnoldi in Gotha, der zuerst unter den deutschen Geschäftsmännern die nationale Bedeutung des preußischen Zollgesetzes erkannt hatte, ließ sich jetzt durch die Zeitströmung fortreißen und bat seinen Herzog um Anschließung an die süddeutschen Staa- ten, weil Gotha den Wettbewerb der überlegenen preußischen Fabriken nicht ertragen könne. Die Wünsche und Erwartungen des Publikums gingen freilich hergebrachtermaßen nach allen Himmelsrichtungen auseinander. Der badische Handelsstand verlangte den unbedingten Freihandel: mehr als 15 Kreuzer Zoll könne der Centner Colonialwaaren schlechterdings nicht ertragen. Andere ergingen sich in den üblichen Ausfällen gegen "jene stolzen Ausländer". In der bairischen Kammer beantragte der Abgeordnete
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
getrübt. Der blühende Zuſtand der theologiſchen Facultäten in Tübingen und Freiburg bewies, wie aufrichtig dieſe kleinen Kronen, trotz ihrer bureau- kratiſchen Aengſtlichkeit, das Wohl der Kirche förderten; ihre Beamten verſtanden gleich den bairiſchen, beſſer als die Preußen, mit den Geiſt- lichen zu leben, und im Clerus war das duldſame alte Geſchlecht noch in der Mehrzahl. —
Ungleich wichtiger als dieſe kirchenpolitiſchen Sonderbundsverſuche wurde die große Handelsconferenz der ſüddeutſchen und einiger mittel- deutſchen Kleinſtaaten, welche, den Wiener Verabredungen gemäß, am 13. Sept. 1820 in Darmſtadt zuſammentrat. Auch hier war Wangen- heim die Unruhe in der Uhr. Unermüdlich kam er von Frankfurt her- übergeritten, immer zur Vermittlung bereit, gleich befreundet mit dem Schutzzöllner Liſt und dem Freihändler Nebenius; denn aus dieſem Han- delstage mußte unfehlbar der politiſche Bund des reinen Deutſchlands hervorgehen. In der That blieben die Darmſtädter Verhandlungen nicht ganz unfruchtbar, obgleich ſich Pläne und Gegenpläne noch raſtlos wie die Blaſen im brodelnden Waſſerkeſſel über einander drängten. Sie dienten als ein Läuterungsprozeß, der die unbrauchbaren, traumhaften Gedanken aus der deutſchen Handelspolitik ausſchied. Sie boten den Theilnehmern wie dem aufmerkſam zuſchauenden Berliner Hofe die Gelegenheit, die wirthſchaftlichen Intereſſen der Bundesſtaaten kennen zu lernen, die Be- dingungen eines Handelsvereins ernſtlich zu erwägen. Aber ſie lehrten auch durch ihr wiederholtes Scheitern, daß ein Zollverein ohne Preußen unmöglich war. Wie Wangenheim’s nationalkirchliche Träume mit der Errichtung eines kleinen Erzbisthums endigten, ſo konnte auch von einem binnenländiſchen Wirthſchaftsgebiete, dem die Küſte fehlte, niemals eine lebensfähige nationale Handelspolitik ausgehen.
Kein Wunder freilich, daß die mißhandelte Nation den erſten Verſuch zur Beſeitigung der Binnenmauthen mit Jubel aufnahm. Zahlreiche Dank- adreſſen belohnten den hochherzigen Entſchluß der Höfe. Badiſche Land- wirthe bezeugten ſchon im Voraus dem Miniſter Berſtett: durch die Darm- ſtädter Conferenzen ſei „der Grund gelegt zu einem glorreichen, einem wahr- haften Nationalinſtitute“. Sogar jener kluge E. W. Arnoldi in Gotha, der zuerſt unter den deutſchen Geſchäftsmännern die nationale Bedeutung des preußiſchen Zollgeſetzes erkannt hatte, ließ ſich jetzt durch die Zeitſtrömung fortreißen und bat ſeinen Herzog um Anſchließung an die ſüddeutſchen Staa- ten, weil Gotha den Wettbewerb der überlegenen preußiſchen Fabriken nicht ertragen könne. Die Wünſche und Erwartungen des Publikums gingen freilich hergebrachtermaßen nach allen Himmelsrichtungen auseinander. Der badiſche Handelsſtand verlangte den unbedingten Freihandel: mehr als 15 Kreuzer Zoll könne der Centner Colonialwaaren ſchlechterdings nicht ertragen. Andere ergingen ſich in den üblichen Ausfällen gegen „jene ſtolzen Ausländer“. In der bairiſchen Kammer beantragte der Abgeordnete
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getrübt. Der blühende Zuſtand der theologiſchen Facultäten in Tübingen
und Freiburg bewies, wie aufrichtig dieſe kleinen Kronen, trotz ihrer bureau-
kratiſchen Aengſtlichkeit, das Wohl der Kirche förderten; ihre Beamten
verſtanden gleich den bairiſchen, beſſer als die Preußen, mit den Geiſt-
lichen zu leben, und im Clerus war das duldſame alte Geſchlecht noch
in der Mehrzahl. —
Ungleich wichtiger als dieſe kirchenpolitiſchen Sonderbundsverſuche
wurde die große Handelsconferenz der ſüddeutſchen und einiger mittel-
deutſchen Kleinſtaaten, welche, den Wiener Verabredungen gemäß, am
13. Sept. 1820 in Darmſtadt zuſammentrat. Auch hier war Wangen-
heim die Unruhe in der Uhr. Unermüdlich kam er von Frankfurt her-
übergeritten, immer zur Vermittlung bereit, gleich befreundet mit dem
Schutzzöllner Liſt und dem Freihändler Nebenius; denn aus dieſem Han-
delstage mußte unfehlbar der politiſche Bund des reinen Deutſchlands
hervorgehen. In der That blieben die Darmſtädter Verhandlungen nicht
ganz unfruchtbar, obgleich ſich Pläne und Gegenpläne noch raſtlos wie
die Blaſen im brodelnden Waſſerkeſſel über einander drängten. Sie dienten
als ein Läuterungsprozeß, der die unbrauchbaren, traumhaften Gedanken
aus der deutſchen Handelspolitik ausſchied. Sie boten den Theilnehmern
wie dem aufmerkſam zuſchauenden Berliner Hofe die Gelegenheit, die
wirthſchaftlichen Intereſſen der Bundesſtaaten kennen zu lernen, die Be-
dingungen eines Handelsvereins ernſtlich zu erwägen. Aber ſie lehrten
auch durch ihr wiederholtes Scheitern, daß ein Zollverein ohne Preußen
unmöglich war. Wie Wangenheim’s nationalkirchliche Träume mit der
Errichtung eines kleinen Erzbisthums endigten, ſo konnte auch von einem
binnenländiſchen Wirthſchaftsgebiete, dem die Küſte fehlte, niemals eine
lebensfähige nationale Handelspolitik ausgehen.
Kein Wunder freilich, daß die mißhandelte Nation den erſten Verſuch
zur Beſeitigung der Binnenmauthen mit Jubel aufnahm. Zahlreiche Dank-
adreſſen belohnten den hochherzigen Entſchluß der Höfe. Badiſche Land-
wirthe bezeugten ſchon im Voraus dem Miniſter Berſtett: durch die Darm-
ſtädter Conferenzen ſei „der Grund gelegt zu einem glorreichen, einem wahr-
haften Nationalinſtitute“. Sogar jener kluge E. W. Arnoldi in Gotha, der
zuerſt unter den deutſchen Geſchäftsmännern die nationale Bedeutung des
preußiſchen Zollgeſetzes erkannt hatte, ließ ſich jetzt durch die Zeitſtrömung
fortreißen und bat ſeinen Herzog um Anſchließung an die ſüddeutſchen Staa-
ten, weil Gotha den Wettbewerb der überlegenen preußiſchen Fabriken nicht
ertragen könne. Die Wünſche und Erwartungen des Publikums gingen
freilich hergebrachtermaßen nach allen Himmelsrichtungen auseinander.
Der badiſche Handelsſtand verlangte den unbedingten Freihandel: mehr
als 15 Kreuzer Zoll könne der Centner Colonialwaaren ſchlechterdings
nicht ertragen. Andere ergingen ſich in den üblichen Ausfällen gegen „jene
ſtolzen Ausländer“. In der bairiſchen Kammer beantragte der Abgeordnete
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/318>, abgerufen am 04.11.2024.
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