bairisch-schwäbischen Landen. Nun gar Kurhessen und Thüringen wurden nur durch eine politische Schrulle, durch den Haß gegen Preußen, in diese süddeutsche Genossenschaft getrieben. Darum verhielt sich der Casseler Hof von vornherein unlustig und ablehnend. Die thüringischen Staaten be- gannen schon 1822 Sonderberathungen in Arnstadt, doch nahmen sie gleichzeitig an den Darmstädter Conferenzen Theil und belästigten das Berliner Cabinet mit nichtssagenden allgemeinen Anfragen -- die baare Rathlosigkeit des Nichtwollens und Nichtkönnens.
Und welch' ein Gegensatz der staatswirthschaftlichen Gesetze und An- sichten! In Baden verboten sich hohe Zölle von selbst, weil das gesammte Land nur aus Grenzbezirken bestand und die benachbarte Schweiz noch kein geordnetes Mauthwesen besaß. Die Regierung verstand die günstige Handelslage des Staates geschickt auszubeuten, sie begnügte sich mit sehr niedrigen Finanzzöllen, welche einen schwunghaften Durchfuhrhandel nach Baden lockten und den Staatskassen reichen Ertrag brachten. Die Groß- industrie konnte unter diesem Systeme freilich nicht Fuß fassen; sie galt im Finanzministerium für überflüssig. Auch das Volk vermißte sie nicht, da der Freihandel wohlfeile Fabrikwaaren vom Auslande brachte. Alle deutschen Nachbarn aber klagten laut; denn ein großartiger Schmuggel- handel trieb von Baden her, namentlich auf dem Schwarzwalde, sein Unwesen, fand bei der Regierung unziemliche Nachsicht; manche häßliche Skandalfälle, so der ungeheure Defraudationsprozeß der Firma Renner, erinnerten an Köthensche Zustände. In Darmstadt herrschte noch ein ver- altetes physiokratisches System, das keine Grenzzölle kannte und fast den gesammten Staatsaufwand aus direkten Steuern und dem Ertrage der Domänen bestritt; der Mainzer Handelsstand, der die Douanen Napoleon's noch nicht vergessen konnte, beschwor die Regierung, sich vor dieser Pest zu hüten. In Nassau ging das herzogliche Domanium mit seinen herrlichen Rebgärten und Mineralwassern jedem anderen wirthschaftlichen Interesse vor. Daher hielt Marschall die Fabriken für staatsgefährlich, Grenzzölle zum mindesten für bedenklich und führte ein Accisesystem ein, das er den Nachbarn oft als ein finanzpolitisches Meisterwerk empfahl. Der mächtige Beamtenstand befand sich wohl bei der unnatürlichen Wohlfeilheit des Consums auf dem engen Markte; nach den Producenten fragte Niemand. Baiern dagegen besaß bereits in Franken und Schwaben die ersten An- fänge einer aufstrebenden Großindustrie; die bairischen Zölle standen im Durchschnitt etwas niedriger als die preußischen, brachten aber geringen Ertrag wegen der unverhältnißmäßigen Kosten der Grenzbewachung. Der württembergische Gewerbfleiß blieb hinter dem bairischen noch etwas zurück; die Stuttgarter Handelspolitik stand daher in der Mitte zwischen dem Frei- handel der Rheinuferstaaten und den schutzzöllnerischen Wünschen der bairi- schen Fabrikanten.
So abweichende Richtungen zu versöhnen war unmöglich auf dem
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
bairiſch-ſchwäbiſchen Landen. Nun gar Kurheſſen und Thüringen wurden nur durch eine politiſche Schrulle, durch den Haß gegen Preußen, in dieſe ſüddeutſche Genoſſenſchaft getrieben. Darum verhielt ſich der Caſſeler Hof von vornherein unluſtig und ablehnend. Die thüringiſchen Staaten be- gannen ſchon 1822 Sonderberathungen in Arnſtadt, doch nahmen ſie gleichzeitig an den Darmſtädter Conferenzen Theil und beläſtigten das Berliner Cabinet mit nichtsſagenden allgemeinen Anfragen — die baare Rathloſigkeit des Nichtwollens und Nichtkönnens.
Und welch’ ein Gegenſatz der ſtaatswirthſchaftlichen Geſetze und An- ſichten! In Baden verboten ſich hohe Zölle von ſelbſt, weil das geſammte Land nur aus Grenzbezirken beſtand und die benachbarte Schweiz noch kein geordnetes Mauthweſen beſaß. Die Regierung verſtand die günſtige Handelslage des Staates geſchickt auszubeuten, ſie begnügte ſich mit ſehr niedrigen Finanzzöllen, welche einen ſchwunghaften Durchfuhrhandel nach Baden lockten und den Staatskaſſen reichen Ertrag brachten. Die Groß- induſtrie konnte unter dieſem Syſteme freilich nicht Fuß faſſen; ſie galt im Finanzminiſterium für überflüſſig. Auch das Volk vermißte ſie nicht, da der Freihandel wohlfeile Fabrikwaaren vom Auslande brachte. Alle deutſchen Nachbarn aber klagten laut; denn ein großartiger Schmuggel- handel trieb von Baden her, namentlich auf dem Schwarzwalde, ſein Unweſen, fand bei der Regierung unziemliche Nachſicht; manche häßliche Skandalfälle, ſo der ungeheure Defraudationsprozeß der Firma Renner, erinnerten an Köthenſche Zuſtände. In Darmſtadt herrſchte noch ein ver- altetes phyſiokratiſches Syſtem, das keine Grenzzölle kannte und faſt den geſammten Staatsaufwand aus direkten Steuern und dem Ertrage der Domänen beſtritt; der Mainzer Handelsſtand, der die Douanen Napoleon’s noch nicht vergeſſen konnte, beſchwor die Regierung, ſich vor dieſer Peſt zu hüten. In Naſſau ging das herzogliche Domanium mit ſeinen herrlichen Rebgärten und Mineralwaſſern jedem anderen wirthſchaftlichen Intereſſe vor. Daher hielt Marſchall die Fabriken für ſtaatsgefährlich, Grenzzölle zum mindeſten für bedenklich und führte ein Acciſeſyſtem ein, das er den Nachbarn oft als ein finanzpolitiſches Meiſterwerk empfahl. Der mächtige Beamtenſtand befand ſich wohl bei der unnatürlichen Wohlfeilheit des Conſums auf dem engen Markte; nach den Producenten fragte Niemand. Baiern dagegen beſaß bereits in Franken und Schwaben die erſten An- fänge einer aufſtrebenden Großinduſtrie; die bairiſchen Zölle ſtanden im Durchſchnitt etwas niedriger als die preußiſchen, brachten aber geringen Ertrag wegen der unverhältnißmäßigen Koſten der Grenzbewachung. Der württembergiſche Gewerbfleiß blieb hinter dem bairiſchen noch etwas zurück; die Stuttgarter Handelspolitik ſtand daher in der Mitte zwiſchen dem Frei- handel der Rheinuferſtaaten und den ſchutzzöllneriſchen Wünſchen der bairi- ſchen Fabrikanten.
So abweichende Richtungen zu verſöhnen war unmöglich auf dem
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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
bairiſch-ſchwäbiſchen Landen. Nun gar Kurheſſen und Thüringen wurden
nur durch eine politiſche Schrulle, durch den Haß gegen Preußen, in dieſe
ſüddeutſche Genoſſenſchaft getrieben. Darum verhielt ſich der Caſſeler Hof
von vornherein unluſtig und ablehnend. Die thüringiſchen Staaten be-
gannen ſchon 1822 Sonderberathungen in Arnſtadt, doch nahmen ſie
gleichzeitig an den Darmſtädter Conferenzen Theil und beläſtigten das
Berliner Cabinet mit nichtsſagenden allgemeinen Anfragen — die baare
Rathloſigkeit des Nichtwollens und Nichtkönnens.
Und welch’ ein Gegenſatz der ſtaatswirthſchaftlichen Geſetze und An-
ſichten! In Baden verboten ſich hohe Zölle von ſelbſt, weil das geſammte
Land nur aus Grenzbezirken beſtand und die benachbarte Schweiz noch
kein geordnetes Mauthweſen beſaß. Die Regierung verſtand die günſtige
Handelslage des Staates geſchickt auszubeuten, ſie begnügte ſich mit ſehr
niedrigen Finanzzöllen, welche einen ſchwunghaften Durchfuhrhandel nach
Baden lockten und den Staatskaſſen reichen Ertrag brachten. Die Groß-
induſtrie konnte unter dieſem Syſteme freilich nicht Fuß faſſen; ſie galt
im Finanzminiſterium für überflüſſig. Auch das Volk vermißte ſie nicht,
da der Freihandel wohlfeile Fabrikwaaren vom Auslande brachte. Alle
deutſchen Nachbarn aber klagten laut; denn ein großartiger Schmuggel-
handel trieb von Baden her, namentlich auf dem Schwarzwalde, ſein
Unweſen, fand bei der Regierung unziemliche Nachſicht; manche häßliche
Skandalfälle, ſo der ungeheure Defraudationsprozeß der Firma Renner,
erinnerten an Köthenſche Zuſtände. In Darmſtadt herrſchte noch ein ver-
altetes phyſiokratiſches Syſtem, das keine Grenzzölle kannte und faſt den
geſammten Staatsaufwand aus direkten Steuern und dem Ertrage der
Domänen beſtritt; der Mainzer Handelsſtand, der die Douanen Napoleon’s
noch nicht vergeſſen konnte, beſchwor die Regierung, ſich vor dieſer Peſt zu
hüten. In Naſſau ging das herzogliche Domanium mit ſeinen herrlichen
Rebgärten und Mineralwaſſern jedem anderen wirthſchaftlichen Intereſſe
vor. Daher hielt Marſchall die Fabriken für ſtaatsgefährlich, Grenzzölle
zum mindeſten für bedenklich und führte ein Acciſeſyſtem ein, das er den
Nachbarn oft als ein finanzpolitiſches Meiſterwerk empfahl. Der mächtige
Beamtenſtand befand ſich wohl bei der unnatürlichen Wohlfeilheit des
Conſums auf dem engen Markte; nach den Producenten fragte Niemand.
Baiern dagegen beſaß bereits in Franken und Schwaben die erſten An-
fänge einer aufſtrebenden Großinduſtrie; die bairiſchen Zölle ſtanden im
Durchſchnitt etwas niedriger als die preußiſchen, brachten aber geringen
Ertrag wegen der unverhältnißmäßigen Koſten der Grenzbewachung. Der
württembergiſche Gewerbfleiß blieb hinter dem bairiſchen noch etwas zurück;
die Stuttgarter Handelspolitik ſtand daher in der Mitte zwiſchen dem Frei-
handel der Rheinuferſtaaten und den ſchutzzöllneriſchen Wünſchen der bairi-
ſchen Fabrikanten.
So abweichende Richtungen zu verſöhnen war unmöglich auf dem
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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