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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Parteien auf der Darmstädter Conferenz.
engen Raume eines süddeutschen Verbandes. Allein ein großes freies
Marktgebiet konnte die Staaten genugsam entschädigen für die unvermeid-
lichen Opfer und Belästigungen, welche jeder Zollverein anfangs den Ge-
nossen auferlegt; und diesen einzig ausreichenden Ersatz gewann man nur
durch den Anschluß an Preußen, der von sämmtlichen Theilnehmern grund-
sätzlich verworfen wurde. "Wir Alle -- so gestand du Thil späterhin
selber -- strebten ja einzig darnach Front gegen Preußen zu machen."*)
Selbst die politische Eintracht der Verbündeten stand auf schwachen Füßen,
wie laut auch die Liberalen den natürlichen Bund der constitutionellen
Staaten priesen. Die Triaspläne des Stuttgarter Hofes fanden im Grunde
nur bei Wangenheim und dem kleinen Kreise seiner Frankfurter Getreuen
lebhafte Unterstützung; es war ein Unglück für die Conferenz, daß ihr
mehrere Bundesgesandte als Bevollmächtigte angehörten und also auch noch
die Ränke und Klatschereien der Eschenheimer Gasse in das wüste Durch-
einander der Berathungen hineinspielten. Du Thil hingegen betrieb die
Verhandlungen, wie sein greiser Großherzog, mit nüchternem Geschäfts-
verstande und wollte von politischen Hintergedanken nichts hören. Mar-
schall und nach einigem Schwanken auch Berstett blieben in dem politi-
schen Fahrwasser der Hofburg. Das Münchener Cabinet endlich zeigte keine
feste Haltung. Während Aretin, der erste Bevollmächtigte, in Darmstadt
wie in Frankfurt vorsichtig den Spuren Wangenheim's folgte und Lerchen-
feld, obgleich er die Triasträume seines schwäbischen Freundes nicht billigte,
doch den süddeutschen Handelsverein ehrlich wünschte, betrachtete Graf Rech-
berg die Darmstädter Conferenz mit Mißtrauen, und der zweite Bevoll-
mächtigte Jörres, der ganz von Rechberg abhing, that unter der Hand
das Seinige um die Verhandlungen zu erschweren. Mit zähem Eigensinn
hielt jeder Hof seine Forderungen fest, obschon im Grunde noch keiner
eine durchgebildete handelspolitische Ueberzeugung besaß;**) jede Nachgie-
bigkeit erschien wie ein Verrath an der eigenen Souveränität. So fehlten
alle Vorbedingungen einer Verständigung.

Ein prunkendes Aushängeschild für den Verein war rasch gefunden.
Die Handelspolitik der Verbündeten sollte auf dem "staatswirthschaftlich-
finanziellen Principe" ruhen -- ein schönes Wort, dem leider jedes Cabinet
einen anderen Sinn unterlegte. Der tüchtigste Staatswirth der Ver-
sammlung, Nebenius, ward auf du Thil's Vorschlag beauftragt, einen
Entwurf für die Berathungen auszuarbeiten. Voll Zuversicht ging er
ans Werk; er theilte die allgemeine Ansicht der süddeutschen Bureau-
kratie, daß die Beseitigung der Binnenmauthen den Partikularismus kräf-
tigen müsse, und schrieb seinem Hofe hoffnungsvoll: durch unseren Verein
"wird den Einheitspredigern das wichtigste und schlagendste Argument

*) Du Thil's Aufzeichnungen.
**) So du Thil in seinen Aufzeichnungen.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 20

Die Parteien auf der Darmſtädter Conferenz.
engen Raume eines ſüddeutſchen Verbandes. Allein ein großes freies
Marktgebiet konnte die Staaten genugſam entſchädigen für die unvermeid-
lichen Opfer und Beläſtigungen, welche jeder Zollverein anfangs den Ge-
noſſen auferlegt; und dieſen einzig ausreichenden Erſatz gewann man nur
durch den Anſchluß an Preußen, der von ſämmtlichen Theilnehmern grund-
ſätzlich verworfen wurde. „Wir Alle — ſo geſtand du Thil ſpäterhin
ſelber — ſtrebten ja einzig darnach Front gegen Preußen zu machen.“*)
Selbſt die politiſche Eintracht der Verbündeten ſtand auf ſchwachen Füßen,
wie laut auch die Liberalen den natürlichen Bund der conſtitutionellen
Staaten prieſen. Die Triaspläne des Stuttgarter Hofes fanden im Grunde
nur bei Wangenheim und dem kleinen Kreiſe ſeiner Frankfurter Getreuen
lebhafte Unterſtützung; es war ein Unglück für die Conferenz, daß ihr
mehrere Bundesgeſandte als Bevollmächtigte angehörten und alſo auch noch
die Ränke und Klatſchereien der Eſchenheimer Gaſſe in das wüſte Durch-
einander der Berathungen hineinſpielten. Du Thil hingegen betrieb die
Verhandlungen, wie ſein greiſer Großherzog, mit nüchternem Geſchäfts-
verſtande und wollte von politiſchen Hintergedanken nichts hören. Mar-
ſchall und nach einigem Schwanken auch Berſtett blieben in dem politi-
ſchen Fahrwaſſer der Hofburg. Das Münchener Cabinet endlich zeigte keine
feſte Haltung. Während Aretin, der erſte Bevollmächtigte, in Darmſtadt
wie in Frankfurt vorſichtig den Spuren Wangenheim’s folgte und Lerchen-
feld, obgleich er die Triasträume ſeines ſchwäbiſchen Freundes nicht billigte,
doch den ſüddeutſchen Handelsverein ehrlich wünſchte, betrachtete Graf Rech-
berg die Darmſtädter Conferenz mit Mißtrauen, und der zweite Bevoll-
mächtigte Jörres, der ganz von Rechberg abhing, that unter der Hand
das Seinige um die Verhandlungen zu erſchweren. Mit zähem Eigenſinn
hielt jeder Hof ſeine Forderungen feſt, obſchon im Grunde noch keiner
eine durchgebildete handelspolitiſche Ueberzeugung beſaß;**) jede Nachgie-
bigkeit erſchien wie ein Verrath an der eigenen Souveränität. So fehlten
alle Vorbedingungen einer Verſtändigung.

Ein prunkendes Aushängeſchild für den Verein war raſch gefunden.
Die Handelspolitik der Verbündeten ſollte auf dem „ſtaatswirthſchaftlich-
finanziellen Principe“ ruhen — ein ſchönes Wort, dem leider jedes Cabinet
einen anderen Sinn unterlegte. Der tüchtigſte Staatswirth der Ver-
ſammlung, Nebenius, ward auf du Thil’s Vorſchlag beauftragt, einen
Entwurf für die Berathungen auszuarbeiten. Voll Zuverſicht ging er
ans Werk; er theilte die allgemeine Anſicht der ſüddeutſchen Bureau-
kratie, daß die Beſeitigung der Binnenmauthen den Partikularismus kräf-
tigen müſſe, und ſchrieb ſeinem Hofe hoffnungsvoll: durch unſeren Verein
„wird den Einheitspredigern das wichtigſte und ſchlagendſte Argument

*) Du Thil’s Aufzeichnungen.
**) So du Thil in ſeinen Aufzeichnungen.
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[305/0321] Die Parteien auf der Darmſtädter Conferenz. engen Raume eines ſüddeutſchen Verbandes. Allein ein großes freies Marktgebiet konnte die Staaten genugſam entſchädigen für die unvermeid- lichen Opfer und Beläſtigungen, welche jeder Zollverein anfangs den Ge- noſſen auferlegt; und dieſen einzig ausreichenden Erſatz gewann man nur durch den Anſchluß an Preußen, der von ſämmtlichen Theilnehmern grund- ſätzlich verworfen wurde. „Wir Alle — ſo geſtand du Thil ſpäterhin ſelber — ſtrebten ja einzig darnach Front gegen Preußen zu machen.“ *) Selbſt die politiſche Eintracht der Verbündeten ſtand auf ſchwachen Füßen, wie laut auch die Liberalen den natürlichen Bund der conſtitutionellen Staaten prieſen. Die Triaspläne des Stuttgarter Hofes fanden im Grunde nur bei Wangenheim und dem kleinen Kreiſe ſeiner Frankfurter Getreuen lebhafte Unterſtützung; es war ein Unglück für die Conferenz, daß ihr mehrere Bundesgeſandte als Bevollmächtigte angehörten und alſo auch noch die Ränke und Klatſchereien der Eſchenheimer Gaſſe in das wüſte Durch- einander der Berathungen hineinſpielten. Du Thil hingegen betrieb die Verhandlungen, wie ſein greiſer Großherzog, mit nüchternem Geſchäfts- verſtande und wollte von politiſchen Hintergedanken nichts hören. Mar- ſchall und nach einigem Schwanken auch Berſtett blieben in dem politi- ſchen Fahrwaſſer der Hofburg. Das Münchener Cabinet endlich zeigte keine feſte Haltung. Während Aretin, der erſte Bevollmächtigte, in Darmſtadt wie in Frankfurt vorſichtig den Spuren Wangenheim’s folgte und Lerchen- feld, obgleich er die Triasträume ſeines ſchwäbiſchen Freundes nicht billigte, doch den ſüddeutſchen Handelsverein ehrlich wünſchte, betrachtete Graf Rech- berg die Darmſtädter Conferenz mit Mißtrauen, und der zweite Bevoll- mächtigte Jörres, der ganz von Rechberg abhing, that unter der Hand das Seinige um die Verhandlungen zu erſchweren. Mit zähem Eigenſinn hielt jeder Hof ſeine Forderungen feſt, obſchon im Grunde noch keiner eine durchgebildete handelspolitiſche Ueberzeugung beſaß; **) jede Nachgie- bigkeit erſchien wie ein Verrath an der eigenen Souveränität. So fehlten alle Vorbedingungen einer Verſtändigung. Ein prunkendes Aushängeſchild für den Verein war raſch gefunden. Die Handelspolitik der Verbündeten ſollte auf dem „ſtaatswirthſchaftlich- finanziellen Principe“ ruhen — ein ſchönes Wort, dem leider jedes Cabinet einen anderen Sinn unterlegte. Der tüchtigſte Staatswirth der Ver- ſammlung, Nebenius, ward auf du Thil’s Vorſchlag beauftragt, einen Entwurf für die Berathungen auszuarbeiten. Voll Zuverſicht ging er ans Werk; er theilte die allgemeine Anſicht der ſüddeutſchen Bureau- kratie, daß die Beſeitigung der Binnenmauthen den Partikularismus kräf- tigen müſſe, und ſchrieb ſeinem Hofe hoffnungsvoll: durch unſeren Verein „wird den Einheitspredigern das wichtigſte und ſchlagendſte Argument *) Du Thil’s Aufzeichnungen. **) So du Thil in ſeinen Aufzeichnungen. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 20

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/321>, abgerufen am 22.11.2024.