siegreich entrissen". Jedoch der Plan, den er am 27. Nov. vorlegte, ent- sprach allein dem badischen Interesse, war für alle anderen Staaten un- annehmbar. Er schlug ein System sehr niedriger Finanzzölle vor, für den Centner Colonialwaaren 30 Kreuzer bis 2 Fl., für Fabrikwaaren 5 bis 15 Fl. -- Sätze, welche Aretin viel zu gering fand. Der Streit blieb unlösbar, da beide Theile sich auf unwiderlegliche Gründe stützten. Ein kleines Zollgebiet bedarf des Freihandels, weil es die Kosten scharfer Grenzbewachung nicht tragen kann; doch ebenso gewiß genügten die badi- schen Zölle nicht, um die werdende bairische Industrie zu schützen.
Nebenius wollte ferner alle Zölle an den Grenzen erheben, keine Packhöfe dulden, nur die Rheinhäfen außerhalb der Mauthlinie liegen lassen. Dahinter verbarg sich die Hoffnung der Karlsruher Bureau- kratie, Kehl und Mannheim zu Hauptstapelplätzen des Vereins zu erheben. Mit Recht erhob Baiern lebhaften Widerspruch: nur bei ganz niedrigen Zöllen seien Lagerhäuser entbehrlich; auch solle man die Hoffnung auf Frankfurts Beitritt festhalten und nicht den natürlichen Mittelpunkt des oberrheinischen Speditionshandels zu Gunsten kleinerer Plätze benachthei- ligen. In demselben Geiste badischer Engherzigkeit war der weitere An- trag, daß den Grenzstaaten gestattet werde, von allen Waaren, welche der Verein zollfrei einlasse, Zölle für ihre eigne Rechnung zu erheben. Sofort widersprachen alle rückwärts liegenden Staaten. Auch bei der Vertheilung der gemeinsamen Zolleinnahmen vergaß Nebenius den Vortheil Badens nicht, das allerdings unter allen Bundesgenossen die reichsten Zolleinkünfte besaß. Er verlangte als Maßstab: die Kopfzahl und die Länge der Gren- zen, welche jeder Staat zu bewachen habe. Ebenso dreist bestand Baiern auf seinem Interesse: man müsse einen Durchschnitt suchen aus der Kopf- zahl und dem Umfange des Gebiets -- weil Baiern dünner bevölkert war als die Nachbarlande.
Die gesetzgebende Gewalt wollte Nebenius einer Conferenz von Be- vollmächtigten anvertrauen, die alljährlich zusammenzutreten und mit ein- facher Mehrheit zu beschließen hätte. Der Münchener Hof aber war nicht geneigt sich den kleinen Mitverbündeten also zu unterwerfen; Aretin trug das Selbstgefühl der Macht rücksichtslos zur Schau und forderte für jede halbe Million eine Stimme -- das wollte sagen: die Stimmenmehrheit für Baiern allein -- was wieder von du Thil und den anderen Kleinen als "ein allzu naiver Versuch" zurückgewiesen wurde. Die Zollverwaltung endlich sollte von einem gemeinsamen Beamtenthum geführt, durch eine per- manente Commission beaufsichtigt werden. Seltsamerweise erregte diese Centralverwaltung zunächst geringen Anstoß. Die schwäbische Bureaukratie sprach sogar lebhaft dafür. Dem allmächtigen Stande der württember- gischen Schreiber blieb der Verein unheimlich, der so viele Schreiberstellen aufzuheben drohte. Indeß wenn sich das Unheil nicht abwenden ließ, so erschien die Centralverwaltung als das geringere Uebel; sie mußte doch
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
ſiegreich entriſſen“. Jedoch der Plan, den er am 27. Nov. vorlegte, ent- ſprach allein dem badiſchen Intereſſe, war für alle anderen Staaten un- annehmbar. Er ſchlug ein Syſtem ſehr niedriger Finanzzölle vor, für den Centner Colonialwaaren 30 Kreuzer bis 2 Fl., für Fabrikwaaren 5 bis 15 Fl. — Sätze, welche Aretin viel zu gering fand. Der Streit blieb unlösbar, da beide Theile ſich auf unwiderlegliche Gründe ſtützten. Ein kleines Zollgebiet bedarf des Freihandels, weil es die Koſten ſcharfer Grenzbewachung nicht tragen kann; doch ebenſo gewiß genügten die badi- ſchen Zölle nicht, um die werdende bairiſche Induſtrie zu ſchützen.
Nebenius wollte ferner alle Zölle an den Grenzen erheben, keine Packhöfe dulden, nur die Rheinhäfen außerhalb der Mauthlinie liegen laſſen. Dahinter verbarg ſich die Hoffnung der Karlsruher Bureau- kratie, Kehl und Mannheim zu Hauptſtapelplätzen des Vereins zu erheben. Mit Recht erhob Baiern lebhaften Widerſpruch: nur bei ganz niedrigen Zöllen ſeien Lagerhäuſer entbehrlich; auch ſolle man die Hoffnung auf Frankfurts Beitritt feſthalten und nicht den natürlichen Mittelpunkt des oberrheiniſchen Speditionshandels zu Gunſten kleinerer Plätze benachthei- ligen. In demſelben Geiſte badiſcher Engherzigkeit war der weitere An- trag, daß den Grenzſtaaten geſtattet werde, von allen Waaren, welche der Verein zollfrei einlaſſe, Zölle für ihre eigne Rechnung zu erheben. Sofort widerſprachen alle rückwärts liegenden Staaten. Auch bei der Vertheilung der gemeinſamen Zolleinnahmen vergaß Nebenius den Vortheil Badens nicht, das allerdings unter allen Bundesgenoſſen die reichſten Zolleinkünfte beſaß. Er verlangte als Maßſtab: die Kopfzahl und die Länge der Gren- zen, welche jeder Staat zu bewachen habe. Ebenſo dreiſt beſtand Baiern auf ſeinem Intereſſe: man müſſe einen Durchſchnitt ſuchen aus der Kopf- zahl und dem Umfange des Gebiets — weil Baiern dünner bevölkert war als die Nachbarlande.
Die geſetzgebende Gewalt wollte Nebenius einer Conferenz von Be- vollmächtigten anvertrauen, die alljährlich zuſammenzutreten und mit ein- facher Mehrheit zu beſchließen hätte. Der Münchener Hof aber war nicht geneigt ſich den kleinen Mitverbündeten alſo zu unterwerfen; Aretin trug das Selbſtgefühl der Macht rückſichtslos zur Schau und forderte für jede halbe Million eine Stimme — das wollte ſagen: die Stimmenmehrheit für Baiern allein — was wieder von du Thil und den anderen Kleinen als „ein allzu naiver Verſuch“ zurückgewieſen wurde. Die Zollverwaltung endlich ſollte von einem gemeinſamen Beamtenthum geführt, durch eine per- manente Commiſſion beaufſichtigt werden. Seltſamerweiſe erregte dieſe Centralverwaltung zunächſt geringen Anſtoß. Die ſchwäbiſche Bureaukratie ſprach ſogar lebhaft dafür. Dem allmächtigen Stande der württember- giſchen Schreiber blieb der Verein unheimlich, der ſo viele Schreiberſtellen aufzuheben drohte. Indeß wenn ſich das Unheil nicht abwenden ließ, ſo erſchien die Centralverwaltung als das geringere Uebel; ſie mußte doch
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ſprach allein dem badiſchen Intereſſe, war für alle anderen Staaten un-
annehmbar. Er ſchlug ein Syſtem ſehr niedriger Finanzzölle vor, für
den Centner Colonialwaaren 30 Kreuzer bis 2 Fl., für Fabrikwaaren 5
bis 15 Fl. — Sätze, welche Aretin viel zu gering fand. Der Streit blieb
unlösbar, da beide Theile ſich auf unwiderlegliche Gründe ſtützten. Ein
kleines Zollgebiet bedarf des Freihandels, weil es die Koſten ſcharfer
Grenzbewachung nicht tragen kann; doch ebenſo gewiß genügten die badi-
ſchen Zölle nicht, um die werdende bairiſche Induſtrie zu ſchützen.
Nebenius wollte ferner alle Zölle an den Grenzen erheben, keine
Packhöfe dulden, nur die Rheinhäfen außerhalb der Mauthlinie liegen
laſſen. Dahinter verbarg ſich die Hoffnung der Karlsruher Bureau-
kratie, Kehl und Mannheim zu Hauptſtapelplätzen des Vereins zu erheben.
Mit Recht erhob Baiern lebhaften Widerſpruch: nur bei ganz niedrigen
Zöllen ſeien Lagerhäuſer entbehrlich; auch ſolle man die Hoffnung auf
Frankfurts Beitritt feſthalten und nicht den natürlichen Mittelpunkt des
oberrheiniſchen Speditionshandels zu Gunſten kleinerer Plätze benachthei-
ligen. In demſelben Geiſte badiſcher Engherzigkeit war der weitere An-
trag, daß den Grenzſtaaten geſtattet werde, von allen Waaren, welche der
Verein zollfrei einlaſſe, Zölle für ihre eigne Rechnung zu erheben. Sofort
widerſprachen alle rückwärts liegenden Staaten. Auch bei der Vertheilung
der gemeinſamen Zolleinnahmen vergaß Nebenius den Vortheil Badens
nicht, das allerdings unter allen Bundesgenoſſen die reichſten Zolleinkünfte
beſaß. Er verlangte als Maßſtab: die Kopfzahl und die Länge der Gren-
zen, welche jeder Staat zu bewachen habe. Ebenſo dreiſt beſtand Baiern
auf ſeinem Intereſſe: man müſſe einen Durchſchnitt ſuchen aus der Kopf-
zahl und dem Umfange des Gebiets — weil Baiern dünner bevölkert
war als die Nachbarlande.
Die geſetzgebende Gewalt wollte Nebenius einer Conferenz von Be-
vollmächtigten anvertrauen, die alljährlich zuſammenzutreten und mit ein-
facher Mehrheit zu beſchließen hätte. Der Münchener Hof aber war nicht
geneigt ſich den kleinen Mitverbündeten alſo zu unterwerfen; Aretin trug
das Selbſtgefühl der Macht rückſichtslos zur Schau und forderte für jede
halbe Million eine Stimme — das wollte ſagen: die Stimmenmehrheit
für Baiern allein — was wieder von du Thil und den anderen Kleinen
als „ein allzu naiver Verſuch“ zurückgewieſen wurde. Die Zollverwaltung
endlich ſollte von einem gemeinſamen Beamtenthum geführt, durch eine per-
manente Commiſſion beaufſichtigt werden. Seltſamerweiſe erregte dieſe
Centralverwaltung zunächſt geringen Anſtoß. Die ſchwäbiſche Bureaukratie
ſprach ſogar lebhaft dafür. Dem allmächtigen Stande der württember-
giſchen Schreiber blieb der Verein unheimlich, der ſo viele Schreiberſtellen
aufzuheben drohte. Indeß wenn ſich das Unheil nicht abwenden ließ, ſo
erſchien die Centralverwaltung als das geringere Uebel; ſie mußte doch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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