aus jedem Staate eine zahlreiche Beamtenschaar anstellen. Behielten da- gegen die Staaten ihre selbständige Zollverwaltung, so hatte Württem- berg nur zwei Grenzmeilen am Bodensee zu überwachen, und die ganze Herrlichkeit der königlichen Mauthverwaltung brach zusammen!
Die Verhandlung über jene Streitfragen ward bald gereizt und ge- hässig. Nebenius sprach in seinen Berichten mit sehr ungerechter Bitter- keit über die Gegner, die doch vielfach wohlbegründeten Einspruch erhoben. Zudem vertrat noch jeder Staat seine eigenthümlichen Wünsche. Reuß und Weimar wollten das Geleitsgeld für ihre imaginären Harnischreiter nicht ohne Entschädigung aufgeben. Der Kurfürst von Hessen weigerte sich, seine Transitzölle dem Vereine zu überlassen, forderte zum mindesten ein Präcipuum für den starken Consum französischer Weine, worauf man mit der kecken Lüge antwortete, im Oberlande werde davon mehr ge- trunken als in Kurhessen. Baden wollte nicht beitreten, wenn nicht so- gleich ein Handelsvertrag mit der Schweiz geschlossen würde. Derweil also die Meinungen ziellos durch einander wogten, hofften mehrere der Cabinette, einmal selbst der bairische Hof, auf Preußens Zutritt! Wie- derholt besprach man in Darmstadt die Aufnahme der preußischen Rhein- lande; dem kreißenden Berge dieses Sonderbunds zu Lieb' sollte Preußen die schwer erkämpfte handelspolitische Einheit seines Gebiets wieder zer- reißen! Es war derselbe unverbesserliche Dynastendünkel, der die Staaten der oberrheinischen Kirchenprovinz verführt hatte, Preußen zur nachträg- lichen Annahme ihres Concordat-Entwurfs aufzufordern.
Nachdem man sechs Monate lang auf die bairischen Instructionen gewartet, erklärte endlich (Juli 1821) der bairische Bevollmächtigte, sein Hof verlange, daß das bestehende bairische Zollgesetz dem Vereine zur Grundlage diene. So begann der trostlose Streit von Neuem. Darauf, nach anderthalb Jahren, bot sich eine Gelegenheit, die Lebenskraft des Vereines zu erproben. Frankreich erließ am 23. April 1822 ein neues Douanengesetz, das die Interessen der oberdeutschen Staaten offenbar feind- selig verletzte, die wichtigsten Gegenstände der Einfuhr aus Süddeutsch- land, Schlachtvieh und Wolle mit unerschwinglichen Zöllen belegte. Der Schlag traf fast alle süddeutschen Lande gleichmäßig; sollte nicht mindestens gegen diesen Angriff gemeinsame Abwehr möglich sein? Man verhandelte und verhandelte. Baden verbot (17. Mai) die Weineinfuhr auf seiner Westgrenze; Württemberg schloß sich diesen Retorsionen an; mit Baiern war keine Verständigung zu erzielen. In seiner Noth wendete sich Berstett an Metternich, bat die Hofburg um ihre guten Dienste in den Tuilerien. Nach fast zwei Monaten (12. August) erwiderte der Oesterreicher: "es ist kaum zu erwähnen nöthig, wie sehr bereit wir sind", den deutschen Bundes- staaten jede Gefälligkeit zu erweisen; aber das französische Gesetz ist das Ergebniß der nationalen Meinung und eines "national-ökonomischen Sy- stems, das faktisch das Lieblingssystem unserer Zeit geworden ist." Das
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Zollkrieg mit Frankreich.
aus jedem Staate eine zahlreiche Beamtenſchaar anſtellen. Behielten da- gegen die Staaten ihre ſelbſtändige Zollverwaltung, ſo hatte Württem- berg nur zwei Grenzmeilen am Bodenſee zu überwachen, und die ganze Herrlichkeit der königlichen Mauthverwaltung brach zuſammen!
Die Verhandlung über jene Streitfragen ward bald gereizt und ge- häſſig. Nebenius ſprach in ſeinen Berichten mit ſehr ungerechter Bitter- keit über die Gegner, die doch vielfach wohlbegründeten Einſpruch erhoben. Zudem vertrat noch jeder Staat ſeine eigenthümlichen Wünſche. Reuß und Weimar wollten das Geleitsgeld für ihre imaginären Harniſchreiter nicht ohne Entſchädigung aufgeben. Der Kurfürſt von Heſſen weigerte ſich, ſeine Tranſitzölle dem Vereine zu überlaſſen, forderte zum mindeſten ein Präcipuum für den ſtarken Conſum franzöſiſcher Weine, worauf man mit der kecken Lüge antwortete, im Oberlande werde davon mehr ge- trunken als in Kurheſſen. Baden wollte nicht beitreten, wenn nicht ſo- gleich ein Handelsvertrag mit der Schweiz geſchloſſen würde. Derweil alſo die Meinungen ziellos durch einander wogten, hofften mehrere der Cabinette, einmal ſelbſt der bairiſche Hof, auf Preußens Zutritt! Wie- derholt beſprach man in Darmſtadt die Aufnahme der preußiſchen Rhein- lande; dem kreißenden Berge dieſes Sonderbunds zu Lieb’ ſollte Preußen die ſchwer erkämpfte handelspolitiſche Einheit ſeines Gebiets wieder zer- reißen! Es war derſelbe unverbeſſerliche Dynaſtendünkel, der die Staaten der oberrheiniſchen Kirchenprovinz verführt hatte, Preußen zur nachträg- lichen Annahme ihres Concordat-Entwurfs aufzufordern.
Nachdem man ſechs Monate lang auf die bairiſchen Inſtructionen gewartet, erklärte endlich (Juli 1821) der bairiſche Bevollmächtigte, ſein Hof verlange, daß das beſtehende bairiſche Zollgeſetz dem Vereine zur Grundlage diene. So begann der troſtloſe Streit von Neuem. Darauf, nach anderthalb Jahren, bot ſich eine Gelegenheit, die Lebenskraft des Vereines zu erproben. Frankreich erließ am 23. April 1822 ein neues Douanengeſetz, das die Intereſſen der oberdeutſchen Staaten offenbar feind- ſelig verletzte, die wichtigſten Gegenſtände der Einfuhr aus Süddeutſch- land, Schlachtvieh und Wolle mit unerſchwinglichen Zöllen belegte. Der Schlag traf faſt alle ſüddeutſchen Lande gleichmäßig; ſollte nicht mindeſtens gegen dieſen Angriff gemeinſame Abwehr möglich ſein? Man verhandelte und verhandelte. Baden verbot (17. Mai) die Weineinfuhr auf ſeiner Weſtgrenze; Württemberg ſchloß ſich dieſen Retorſionen an; mit Baiern war keine Verſtändigung zu erzielen. In ſeiner Noth wendete ſich Berſtett an Metternich, bat die Hofburg um ihre guten Dienſte in den Tuilerien. Nach faſt zwei Monaten (12. Auguſt) erwiderte der Oeſterreicher: „es iſt kaum zu erwähnen nöthig, wie ſehr bereit wir ſind“, den deutſchen Bundes- ſtaaten jede Gefälligkeit zu erweiſen; aber das franzöſiſche Geſetz iſt das Ergebniß der nationalen Meinung und eines „national-ökonomiſchen Sy- ſtems, das faktiſch das Lieblingsſyſtem unſerer Zeit geworden iſt.“ Das
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Zollkrieg mit Frankreich.
aus jedem Staate eine zahlreiche Beamtenſchaar anſtellen. Behielten da-
gegen die Staaten ihre ſelbſtändige Zollverwaltung, ſo hatte Württem-
berg nur zwei Grenzmeilen am Bodenſee zu überwachen, und die ganze
Herrlichkeit der königlichen Mauthverwaltung brach zuſammen!
Die Verhandlung über jene Streitfragen ward bald gereizt und ge-
häſſig. Nebenius ſprach in ſeinen Berichten mit ſehr ungerechter Bitter-
keit über die Gegner, die doch vielfach wohlbegründeten Einſpruch erhoben.
Zudem vertrat noch jeder Staat ſeine eigenthümlichen Wünſche. Reuß
und Weimar wollten das Geleitsgeld für ihre imaginären Harniſchreiter
nicht ohne Entſchädigung aufgeben. Der Kurfürſt von Heſſen weigerte
ſich, ſeine Tranſitzölle dem Vereine zu überlaſſen, forderte zum mindeſten
ein Präcipuum für den ſtarken Conſum franzöſiſcher Weine, worauf man
mit der kecken Lüge antwortete, im Oberlande werde davon mehr ge-
trunken als in Kurheſſen. Baden wollte nicht beitreten, wenn nicht ſo-
gleich ein Handelsvertrag mit der Schweiz geſchloſſen würde. Derweil
alſo die Meinungen ziellos durch einander wogten, hofften mehrere der
Cabinette, einmal ſelbſt der bairiſche Hof, auf Preußens Zutritt! Wie-
derholt beſprach man in Darmſtadt die Aufnahme der preußiſchen Rhein-
lande; dem kreißenden Berge dieſes Sonderbunds zu Lieb’ ſollte Preußen
die ſchwer erkämpfte handelspolitiſche Einheit ſeines Gebiets wieder zer-
reißen! Es war derſelbe unverbeſſerliche Dynaſtendünkel, der die Staaten
der oberrheiniſchen Kirchenprovinz verführt hatte, Preußen zur nachträg-
lichen Annahme ihres Concordat-Entwurfs aufzufordern.
Nachdem man ſechs Monate lang auf die bairiſchen Inſtructionen
gewartet, erklärte endlich (Juli 1821) der bairiſche Bevollmächtigte, ſein
Hof verlange, daß das beſtehende bairiſche Zollgeſetz dem Vereine zur
Grundlage diene. So begann der troſtloſe Streit von Neuem. Darauf,
nach anderthalb Jahren, bot ſich eine Gelegenheit, die Lebenskraft des
Vereines zu erproben. Frankreich erließ am 23. April 1822 ein neues
Douanengeſetz, das die Intereſſen der oberdeutſchen Staaten offenbar feind-
ſelig verletzte, die wichtigſten Gegenſtände der Einfuhr aus Süddeutſch-
land, Schlachtvieh und Wolle mit unerſchwinglichen Zöllen belegte. Der
Schlag traf faſt alle ſüddeutſchen Lande gleichmäßig; ſollte nicht mindeſtens
gegen dieſen Angriff gemeinſame Abwehr möglich ſein? Man verhandelte
und verhandelte. Baden verbot (17. Mai) die Weineinfuhr auf ſeiner
Weſtgrenze; Württemberg ſchloß ſich dieſen Retorſionen an; mit Baiern
war keine Verſtändigung zu erzielen. In ſeiner Noth wendete ſich Berſtett
an Metternich, bat die Hofburg um ihre guten Dienſte in den Tuilerien.
Nach faſt zwei Monaten (12. Auguſt) erwiderte der Oeſterreicher: „es iſt
kaum zu erwähnen nöthig, wie ſehr bereit wir ſind“, den deutſchen Bundes-
ſtaaten jede Gefälligkeit zu erweiſen; aber das franzöſiſche Geſetz iſt das
Ergebniß der nationalen Meinung und eines „national-ökonomiſchen Sy-
ſtems, das faktiſch das Lieblingsſyſtem unſerer Zeit geworden iſt.“ Das
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/323>, abgerufen am 22.11.2024.
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