kennbare Mißerfolg der Conferenzen beruhigte die Leiter der deutschen hohen Polizei nicht: dieser Verschwörer Wangenheim war überall, selbst das badische Land sollte er zu Pferde durchstreift haben um sich mit den liberalen Abgeordneten zu besprechen. --
Ueberdies war Stuttgart seit einigen Jahren der Mittelpunkt der liberalen Presse Deutschlands, obgleich die Censur keineswegs sehr nach- sichtig verfuhr. Dort ließ der Kurhesse Friedrich Murhard, vor Zeiten Herausgeber des königlich westphälischen Moniteurs, eine Fortsetzung von Posselt's Annalen erscheinen, eine Zeitschrift, die neben den phrasenhaften Ergüssen des Herausgebers selber manchen gediegeneren Aufsatz von Wan- genheim, Rotteck und anderen liberalen Parteiführern brachte. Friedrich Murhard lebte sammt seinem Bruder, dem Nationalökonomen Karl in Frankfurt, verkehrte viel mit Klüber und den Genossen der Bundestags- opposition. So kam es, daß jeder Artikel der Annalen verdächtigt wurde und ein unbedeutender Aufsatz des Stuttgarter Hofpublicisten Lindner über "die Diplomaten", der im Grunde nur einige nichtssagende Stiche- leien gegen den Adelshochmuth und das leere Salongeschwätz der Durch- schnittsdiplomatie enthielt, peinliches Aufsehen erregte. Graf Buol und die österreichische Partei sahen darin eine boshafte Verhöhnung des Bun- destags. Um dem gefährlichen Blatte die Wage zu halten gründete Pfeil- schifter in Frankfurt, wahrscheinlich mit österreichischem Gelde, eine streit- bare hochconservative Zeitschrift "der Staatsmann". Der Restaurator Haller selbst beehrte sie mit Beiträgen, aber sie fand wenig Anklang, weil ihr Legitimismus am letzten Ende auf die Verherrlichung der römi- schen Kirche und der Gesellschaft Jesu hinauslief. Von den anderen Stutt- garter Blättern erfreute sich die Neckarzeitung schon längst der besonderen Ungnade der Hofburg, und ihr Ruf verschlimmerte sich noch, seit Wan- genheim sie mit sehr indiskreten Berichten aus der Eschenheimer Gasse ver- sorgte.*) Noch weit verdächtiger erschien Liesching's Deutscher Beobachter, ein entschieden radikales Blatt, das übrigens kaum dreihundert Abonnenten zählte und seine revolutionären Drohungen so geschickt hinter unbestimmten Redewendungen zu verstecken wußte, daß die Censur ihm nichts anhaben konnte. Was ließ sich auch dawider thun, wenn der Beobachter den Preßzwang, ganz im Allgemeinen, ohne Nennung der Karlsbader Be- schlüsse, als "das geistige Faustrecht" des neuen Jahrhunderts brandmarkte oder wenn er über den Aufstand der Griechen sagte: "der Todtenacker reift schon zu einem Auferstehungsfeste; Ihr habt den Frieden der Völker zer- stört, wie wollt Ihr den Frieden der Throne befestigen" --?
Kampf gegen die Politik der Congresse -- oder gegen die Heilige Allianz, wie der Modeausdruck lautete -- war der leitende Gedanke der Stuttgarter Presse. Metternich in seiner Seelenangst ließ sich's nicht aus-
*) Goltz's Bericht, 27. April 1822.
Die Stuttgarter Preſſe.
kennbare Mißerfolg der Conferenzen beruhigte die Leiter der deutſchen hohen Polizei nicht: dieſer Verſchwörer Wangenheim war überall, ſelbſt das badiſche Land ſollte er zu Pferde durchſtreift haben um ſich mit den liberalen Abgeordneten zu beſprechen. —
Ueberdies war Stuttgart ſeit einigen Jahren der Mittelpunkt der liberalen Preſſe Deutſchlands, obgleich die Cenſur keineswegs ſehr nach- ſichtig verfuhr. Dort ließ der Kurheſſe Friedrich Murhard, vor Zeiten Herausgeber des königlich weſtphäliſchen Moniteurs, eine Fortſetzung von Poſſelt’s Annalen erſcheinen, eine Zeitſchrift, die neben den phraſenhaften Ergüſſen des Herausgebers ſelber manchen gediegeneren Aufſatz von Wan- genheim, Rotteck und anderen liberalen Parteiführern brachte. Friedrich Murhard lebte ſammt ſeinem Bruder, dem Nationalökonomen Karl in Frankfurt, verkehrte viel mit Klüber und den Genoſſen der Bundestags- oppoſition. So kam es, daß jeder Artikel der Annalen verdächtigt wurde und ein unbedeutender Aufſatz des Stuttgarter Hofpubliciſten Lindner über „die Diplomaten“, der im Grunde nur einige nichtsſagende Stiche- leien gegen den Adelshochmuth und das leere Salongeſchwätz der Durch- ſchnittsdiplomatie enthielt, peinliches Aufſehen erregte. Graf Buol und die öſterreichiſche Partei ſahen darin eine boshafte Verhöhnung des Bun- destags. Um dem gefährlichen Blatte die Wage zu halten gründete Pfeil- ſchifter in Frankfurt, wahrſcheinlich mit öſterreichiſchem Gelde, eine ſtreit- bare hochconſervative Zeitſchrift „der Staatsmann“. Der Reſtaurator Haller ſelbſt beehrte ſie mit Beiträgen, aber ſie fand wenig Anklang, weil ihr Legitimismus am letzten Ende auf die Verherrlichung der römi- ſchen Kirche und der Geſellſchaft Jeſu hinauslief. Von den anderen Stutt- garter Blättern erfreute ſich die Neckarzeitung ſchon längſt der beſonderen Ungnade der Hofburg, und ihr Ruf verſchlimmerte ſich noch, ſeit Wan- genheim ſie mit ſehr indiskreten Berichten aus der Eſchenheimer Gaſſe ver- ſorgte.*) Noch weit verdächtiger erſchien Lieſching’s Deutſcher Beobachter, ein entſchieden radikales Blatt, das übrigens kaum dreihundert Abonnenten zählte und ſeine revolutionären Drohungen ſo geſchickt hinter unbeſtimmten Redewendungen zu verſtecken wußte, daß die Cenſur ihm nichts anhaben konnte. Was ließ ſich auch dawider thun, wenn der Beobachter den Preßzwang, ganz im Allgemeinen, ohne Nennung der Karlsbader Be- ſchlüſſe, als „das geiſtige Fauſtrecht“ des neuen Jahrhunderts brandmarkte oder wenn er über den Aufſtand der Griechen ſagte: „der Todtenacker reift ſchon zu einem Auferſtehungsfeſte; Ihr habt den Frieden der Völker zer- ſtört, wie wollt Ihr den Frieden der Throne befeſtigen“ —?
Kampf gegen die Politik der Congreſſe — oder gegen die Heilige Allianz, wie der Modeausdruck lautete — war der leitende Gedanke der Stuttgarter Preſſe. Metternich in ſeiner Seelenangſt ließ ſich’s nicht aus-
*) Goltz’s Bericht, 27. April 1822.
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Die Stuttgarter Preſſe.
kennbare Mißerfolg der Conferenzen beruhigte die Leiter der deutſchen
hohen Polizei nicht: dieſer Verſchwörer Wangenheim war überall, ſelbſt
das badiſche Land ſollte er zu Pferde durchſtreift haben um ſich mit den
liberalen Abgeordneten zu beſprechen. —
Ueberdies war Stuttgart ſeit einigen Jahren der Mittelpunkt der
liberalen Preſſe Deutſchlands, obgleich die Cenſur keineswegs ſehr nach-
ſichtig verfuhr. Dort ließ der Kurheſſe Friedrich Murhard, vor Zeiten
Herausgeber des königlich weſtphäliſchen Moniteurs, eine Fortſetzung von
Poſſelt’s Annalen erſcheinen, eine Zeitſchrift, die neben den phraſenhaften
Ergüſſen des Herausgebers ſelber manchen gediegeneren Aufſatz von Wan-
genheim, Rotteck und anderen liberalen Parteiführern brachte. Friedrich
Murhard lebte ſammt ſeinem Bruder, dem Nationalökonomen Karl in
Frankfurt, verkehrte viel mit Klüber und den Genoſſen der Bundestags-
oppoſition. So kam es, daß jeder Artikel der Annalen verdächtigt wurde
und ein unbedeutender Aufſatz des Stuttgarter Hofpubliciſten Lindner
über „die Diplomaten“, der im Grunde nur einige nichtsſagende Stiche-
leien gegen den Adelshochmuth und das leere Salongeſchwätz der Durch-
ſchnittsdiplomatie enthielt, peinliches Aufſehen erregte. Graf Buol und
die öſterreichiſche Partei ſahen darin eine boshafte Verhöhnung des Bun-
destags. Um dem gefährlichen Blatte die Wage zu halten gründete Pfeil-
ſchifter in Frankfurt, wahrſcheinlich mit öſterreichiſchem Gelde, eine ſtreit-
bare hochconſervative Zeitſchrift „der Staatsmann“. Der Reſtaurator
Haller ſelbſt beehrte ſie mit Beiträgen, aber ſie fand wenig Anklang,
weil ihr Legitimismus am letzten Ende auf die Verherrlichung der römi-
ſchen Kirche und der Geſellſchaft Jeſu hinauslief. Von den anderen Stutt-
garter Blättern erfreute ſich die Neckarzeitung ſchon längſt der beſonderen
Ungnade der Hofburg, und ihr Ruf verſchlimmerte ſich noch, ſeit Wan-
genheim ſie mit ſehr indiskreten Berichten aus der Eſchenheimer Gaſſe ver-
ſorgte. *) Noch weit verdächtiger erſchien Lieſching’s Deutſcher Beobachter,
ein entſchieden radikales Blatt, das übrigens kaum dreihundert Abonnenten
zählte und ſeine revolutionären Drohungen ſo geſchickt hinter unbeſtimmten
Redewendungen zu verſtecken wußte, daß die Cenſur ihm nichts anhaben
konnte. Was ließ ſich auch dawider thun, wenn der Beobachter den
Preßzwang, ganz im Allgemeinen, ohne Nennung der Karlsbader Be-
ſchlüſſe, als „das geiſtige Fauſtrecht“ des neuen Jahrhunderts brandmarkte
oder wenn er über den Aufſtand der Griechen ſagte: „der Todtenacker reift
ſchon zu einem Auferſtehungsfeſte; Ihr habt den Frieden der Völker zer-
ſtört, wie wollt Ihr den Frieden der Throne befeſtigen“ —?
Kampf gegen die Politik der Congreſſe — oder gegen die Heilige
Allianz, wie der Modeausdruck lautete — war der leitende Gedanke der
Stuttgarter Preſſe. Metternich in ſeiner Seelenangſt ließ ſich’s nicht aus-
*) Goltz’s Bericht, 27. April 1822.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/325>, abgerufen am 22.11.2024.
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