Spannung zwischen Württemberg und den Großmächten.
sein Herr habe sich nur mit Widerstreben zu einer solchen Maßregel ent- schlossen, die in den Staaten des Absolutismus wenig schade, in einem Lande constitutioneller Freiheit aber bedenklichen Unfrieden erregen könne.*)
Am 6. Februar wurde die Veroneser Erklärung der Ostmächte der Bundesversammlung vorgelesen, zugleich ein Begleitschreiben des russischen Gesandten Anstett, das in dem Satze gipfelte: "die Völker sind nur so lange ruhig als sie glücklich sind, und noch niemals hat sich das Glück in der Aufregung befunden." Baiern beantragte -- diesmal in anstän- digeren Formen als nach dem Laibacher Manifest -- den drei Mächten den Dank des Bundestags und die Anerkennung ihrer weisen und erhal- tenden Grundsätze auszusprechen. Wangenheim aber wollte boshaft nur die reine Absicht der Ostmächte billigen und behielt sich eine gründliche Erwägung vor. Seine treuen Freunde, die beiden Hessen Lepel und Harnier traten ihm bei. Als aber nach vierzehn Tagen abgestimmt wurde, hatten sie von daheim schon Gegenbefehl erhalten, und Wangen- heim schloß sich allein von dem allgemeinen Danke aus, unter dem selt- samen Vorwande: der Bund habe Rücksicht zu nehmen auf alle euro- päischen Mächte, das wollte sagen: auf England. So wenig Ernst und Würde war in dieser deutschen Opposition: statt ehrlich Farbe zu bekennen oder klug der Uebermacht nachzugeben, versteckte sie sich hinter Canning.
Inzwischen begann der Stuttgarter Hof besorgt zu werden. Er er- fuhr von Ancillon's donnernder Standrede und von der allgemeinen Ent- rüstung der preußischen Staatsmänner; selbst der milde Bernstorff zeigte sich sehr aufgebracht und theilte allen Gesandtschaften mit: "wie der König von Württemberg sich hat einfallen lassen, in einem Gegen-Circular seinen längst bekannten feindseligen Gesinnungen gegen die verbündeten Mächte ohne Scheu und Rücksicht Luft zu geben."**) Bald traf auch ein ernstes Schreiben Metternich's ein; dem hatte der Württembergische Gesandte das Rundschreiben gar nicht vorzulesen gewagt, gleichwohl verwahrte er seinen Kaiser schon im Voraus gegen den Vorwurf napoleonischer Gewaltherr- schaft. Die Luft ward brenzlich, und König Wilhelm reiste wieder nach Weimar zu dem Schutzengel Württembergs, der Großfürstin Maria Pau- lowna. Wintzingerode gab den Vertretern der Ostmächte die besten Worte und betheuerte heilig, das Rundschreiben sei nur durch einen strafbaren Bruch des Amtsgeheimnisses bekannt geworden. Die Frankfurter Post sollte die Schuld tragen. Warum aber der Geschäftsträger in Berlin das tiefgeheime Aktenstück selber im preußischen Auswärtigen Amte vorgelesen hatte? -- diese einfache Frage blieb unerledigt. Ueber ihr lag das der Stuttgarter Politik eigenthümliche Halbdunkel.***)
*) Wintzingerode, Rundschreiben an die Gesandtschaften, 29. Jan. 1823.
**) Bernstorff an Schöler, 27. Jan., an die Gesandtschaften, 28. Jan. 1823.
***) Bericht des russischen Gesandten v. Beckendorff, 11. Februar. Wintzingerode an Beroldingen in Petersburg, 18. März. Küster's Bericht, 4. März 1823.
Spannung zwiſchen Württemberg und den Großmächten.
ſein Herr habe ſich nur mit Widerſtreben zu einer ſolchen Maßregel ent- ſchloſſen, die in den Staaten des Abſolutismus wenig ſchade, in einem Lande conſtitutioneller Freiheit aber bedenklichen Unfrieden erregen könne.*)
Am 6. Februar wurde die Veroneſer Erklärung der Oſtmächte der Bundesverſammlung vorgeleſen, zugleich ein Begleitſchreiben des ruſſiſchen Geſandten Anſtett, das in dem Satze gipfelte: „die Völker ſind nur ſo lange ruhig als ſie glücklich ſind, und noch niemals hat ſich das Glück in der Aufregung befunden.“ Baiern beantragte — diesmal in anſtän- digeren Formen als nach dem Laibacher Manifeſt — den drei Mächten den Dank des Bundestags und die Anerkennung ihrer weiſen und erhal- tenden Grundſätze auszuſprechen. Wangenheim aber wollte boshaft nur die reine Abſicht der Oſtmächte billigen und behielt ſich eine gründliche Erwägung vor. Seine treuen Freunde, die beiden Heſſen Lepel und Harnier traten ihm bei. Als aber nach vierzehn Tagen abgeſtimmt wurde, hatten ſie von daheim ſchon Gegenbefehl erhalten, und Wangen- heim ſchloß ſich allein von dem allgemeinen Danke aus, unter dem ſelt- ſamen Vorwande: der Bund habe Rückſicht zu nehmen auf alle euro- päiſchen Mächte, das wollte ſagen: auf England. So wenig Ernſt und Würde war in dieſer deutſchen Oppoſition: ſtatt ehrlich Farbe zu bekennen oder klug der Uebermacht nachzugeben, verſteckte ſie ſich hinter Canning.
Inzwiſchen begann der Stuttgarter Hof beſorgt zu werden. Er er- fuhr von Ancillon’s donnernder Standrede und von der allgemeinen Ent- rüſtung der preußiſchen Staatsmänner; ſelbſt der milde Bernſtorff zeigte ſich ſehr aufgebracht und theilte allen Geſandtſchaften mit: „wie der König von Württemberg ſich hat einfallen laſſen, in einem Gegen-Circular ſeinen längſt bekannten feindſeligen Geſinnungen gegen die verbündeten Mächte ohne Scheu und Rückſicht Luft zu geben.“**) Bald traf auch ein ernſtes Schreiben Metternich’s ein; dem hatte der Württembergiſche Geſandte das Rundſchreiben gar nicht vorzuleſen gewagt, gleichwohl verwahrte er ſeinen Kaiſer ſchon im Voraus gegen den Vorwurf napoleoniſcher Gewaltherr- ſchaft. Die Luft ward brenzlich, und König Wilhelm reiſte wieder nach Weimar zu dem Schutzengel Württembergs, der Großfürſtin Maria Pau- lowna. Wintzingerode gab den Vertretern der Oſtmächte die beſten Worte und betheuerte heilig, das Rundſchreiben ſei nur durch einen ſtrafbaren Bruch des Amtsgeheimniſſes bekannt geworden. Die Frankfurter Poſt ſollte die Schuld tragen. Warum aber der Geſchäftsträger in Berlin das tiefgeheime Aktenſtück ſelber im preußiſchen Auswärtigen Amte vorgeleſen hatte? — dieſe einfache Frage blieb unerledigt. Ueber ihr lag das der Stuttgarter Politik eigenthümliche Halbdunkel.***)
*) Wintzingerode, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften, 29. Jan. 1823.
**) Bernſtorff an Schöler, 27. Jan., an die Geſandtſchaften, 28. Jan. 1823.
***) Bericht des ruſſiſchen Geſandten v. Beckendorff, 11. Februar. Wintzingerode an Beroldingen in Petersburg, 18. März. Küſter’s Bericht, 4. März 1823.
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ſein Herr habe ſich nur mit Widerſtreben zu einer ſolchen Maßregel ent-
ſchloſſen, die in den Staaten des Abſolutismus wenig ſchade, in einem
Lande conſtitutioneller Freiheit aber bedenklichen Unfrieden erregen könne. *)
Am 6. Februar wurde die Veroneſer Erklärung der Oſtmächte der
Bundesverſammlung vorgeleſen, zugleich ein Begleitſchreiben des ruſſiſchen
Geſandten Anſtett, das in dem Satze gipfelte: „die Völker ſind nur ſo
lange ruhig als ſie glücklich ſind, und noch niemals hat ſich das Glück
in der Aufregung befunden.“ Baiern beantragte — diesmal in anſtän-
digeren Formen als nach dem Laibacher Manifeſt — den drei Mächten
den Dank des Bundestags und die Anerkennung ihrer weiſen und erhal-
tenden Grundſätze auszuſprechen. Wangenheim aber wollte boshaft nur
die reine Abſicht der Oſtmächte billigen und behielt ſich eine gründliche
Erwägung vor. Seine treuen Freunde, die beiden Heſſen Lepel und
Harnier traten ihm bei. Als aber nach vierzehn Tagen abgeſtimmt
wurde, hatten ſie von daheim ſchon Gegenbefehl erhalten, und Wangen-
heim ſchloß ſich allein von dem allgemeinen Danke aus, unter dem ſelt-
ſamen Vorwande: der Bund habe Rückſicht zu nehmen auf alle euro-
päiſchen Mächte, das wollte ſagen: auf England. So wenig Ernſt und
Würde war in dieſer deutſchen Oppoſition: ſtatt ehrlich Farbe zu bekennen
oder klug der Uebermacht nachzugeben, verſteckte ſie ſich hinter Canning.
Inzwiſchen begann der Stuttgarter Hof beſorgt zu werden. Er er-
fuhr von Ancillon’s donnernder Standrede und von der allgemeinen Ent-
rüſtung der preußiſchen Staatsmänner; ſelbſt der milde Bernſtorff zeigte
ſich ſehr aufgebracht und theilte allen Geſandtſchaften mit: „wie der König
von Württemberg ſich hat einfallen laſſen, in einem Gegen-Circular ſeinen
längſt bekannten feindſeligen Geſinnungen gegen die verbündeten Mächte
ohne Scheu und Rückſicht Luft zu geben.“ **) Bald traf auch ein ernſtes
Schreiben Metternich’s ein; dem hatte der Württembergiſche Geſandte das
Rundſchreiben gar nicht vorzuleſen gewagt, gleichwohl verwahrte er ſeinen
Kaiſer ſchon im Voraus gegen den Vorwurf napoleoniſcher Gewaltherr-
ſchaft. Die Luft ward brenzlich, und König Wilhelm reiſte wieder nach
Weimar zu dem Schutzengel Württembergs, der Großfürſtin Maria Pau-
lowna. Wintzingerode gab den Vertretern der Oſtmächte die beſten Worte
und betheuerte heilig, das Rundſchreiben ſei nur durch einen ſtrafbaren
Bruch des Amtsgeheimniſſes bekannt geworden. Die Frankfurter Poſt
ſollte die Schuld tragen. Warum aber der Geſchäftsträger in Berlin das
tiefgeheime Aktenſtück ſelber im preußiſchen Auswärtigen Amte vorgeleſen
hatte? — dieſe einfache Frage blieb unerledigt. Ueber ihr lag das der
Stuttgarter Politik eigenthümliche Halbdunkel. ***)
*) Wintzingerode, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften, 29. Jan. 1823.
**) Bernſtorff an Schöler, 27. Jan., an die Geſandtſchaften, 28. Jan. 1823.
***) Bericht des ruſſiſchen Geſandten v. Beckendorff, 11. Februar. Wintzingerode
an Beroldingen in Petersburg, 18. März. Küſter’s Bericht, 4. März 1823.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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