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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Dann brachte die Stuttgarter Hofzeitung einen demüthigen Artikel,
welcher die großen Mächte der vollkommenen Uebereinstimmung Württem-
bergs versicherte. Sofort ersah Metternich seinen Vortheil und ließ in
Stuttgart die Forderung stellen: sei der König wirklich mit den Mächten
einverstanden, so möge er dies beweisen durch die Abberufung Wangen-
heim's, der soeben noch dem Veroneser Manifest die Anerkennung versagt
habe. Preußen schloß sich alsbald an. Wintzingerode aber war uner-
schöpflich in Vorwänden und Bedenken: was solle man mit diesem ehr-
geizigen Talente im Lande Württemberg anfangen? ein Vergehen habe
sich Wangenheim nicht zu Schulden kommen lassen, für die Zukunft sei
er schon zur Behutsamkeit ermahnt -- und was sich sonst noch an Aus-
flüchten bot.*) Der Grund der Weigerung lag allein in dem Stolze des
Königs. Der prahlte schon laut, eine andere Genugthuung als jenen
Zeitungsartikel würden die Ostmächte nie erhalten. Er glaubte sich Alles
erlauben zu können, weil der Petersburger Hof, auf dessen Meinung er
allein Werth legte, sehr mild auftrat; Czar Alexander wollte, obgleich
selbst beleidigt, seinen Schwager schonen und empfahl seinem Gesandten
eine versöhnliche Sprache.**)

Doch weder Bernstorff noch Metternich gedachten sich mit einer so spöt-
tischen Genugthuung zu begnügen. Großmüthig war es nicht, aber nach
allem Geschehenen leicht erklärlich, daß sie endlich beschlossen, dem hoch-
fahrenden kleinen Herrn die Schranken seiner Macht zu zeigen. Auch der
Czar ließ sich überzeugen, und am 27. April richtete König Friedrich Wil-
helm an den König von Württemberg ein lakonisches Schreiben, des In-
halts: "Ich finde Mich bewogen, Meinen Gesandten abzuberufen." Küster
verließ Stuttgart, die Gesandten Oesterreichs und Rußlands thaten des-
gleichen. Dabei wurden die Formen des Bundesrechts streng gewahrt:
die russische Diplomatie sagte kein Wort über Wangenheim's Entlassung,
weil der Czar sich in die deutschen Händel nicht mischen wollte.***) Auch
der französische Gesandte hatte Urlaub auf unbestimmte Zeit genommen,
da der Tuilerienhof die Angriffe der Stuttgarter Presse schwer empfand,
und so war denn mit einem male das diplomatische Corps, dieser unent-
behrliche Zierrath jedes Kleinkönigshofes, fast gänzlich vom Nesenbache
verschwunden.

Das hatte König Wilhelm nicht erwartet. Als sei nichts geschehen,
befahl er seinen Diplomaten gleichmüthig in den Hauptstädten der Ost-

*) Wintzingerode an Gremp in Wien, 23. März; Küster's Berichte, 15., 29. März 1823.
**) Nesselrode, geh. Weisung an Benckendorff, [Formel 1] Febr.; Bernstorff an Hatzfeldt,
23. März 1823.
***) Metternich an Lebzeltern in Petersburg, 7. April. Bernstorff's Bericht an den
König, 17. April. König Friedrich Wilhelm an den König v. Württemberg, 27. April.
Nesselrode an Alopeus [Formel 2] 1823.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Dann brachte die Stuttgarter Hofzeitung einen demüthigen Artikel,
welcher die großen Mächte der vollkommenen Uebereinſtimmung Württem-
bergs verſicherte. Sofort erſah Metternich ſeinen Vortheil und ließ in
Stuttgart die Forderung ſtellen: ſei der König wirklich mit den Mächten
einverſtanden, ſo möge er dies beweiſen durch die Abberufung Wangen-
heim’s, der ſoeben noch dem Veroneſer Manifeſt die Anerkennung verſagt
habe. Preußen ſchloß ſich alsbald an. Wintzingerode aber war uner-
ſchöpflich in Vorwänden und Bedenken: was ſolle man mit dieſem ehr-
geizigen Talente im Lande Württemberg anfangen? ein Vergehen habe
ſich Wangenheim nicht zu Schulden kommen laſſen, für die Zukunft ſei
er ſchon zur Behutſamkeit ermahnt — und was ſich ſonſt noch an Aus-
flüchten bot.*) Der Grund der Weigerung lag allein in dem Stolze des
Königs. Der prahlte ſchon laut, eine andere Genugthuung als jenen
Zeitungsartikel würden die Oſtmächte nie erhalten. Er glaubte ſich Alles
erlauben zu können, weil der Petersburger Hof, auf deſſen Meinung er
allein Werth legte, ſehr mild auftrat; Czar Alexander wollte, obgleich
ſelbſt beleidigt, ſeinen Schwager ſchonen und empfahl ſeinem Geſandten
eine verſöhnliche Sprache.**)

Doch weder Bernſtorff noch Metternich gedachten ſich mit einer ſo ſpöt-
tiſchen Genugthuung zu begnügen. Großmüthig war es nicht, aber nach
allem Geſchehenen leicht erklärlich, daß ſie endlich beſchloſſen, dem hoch-
fahrenden kleinen Herrn die Schranken ſeiner Macht zu zeigen. Auch der
Czar ließ ſich überzeugen, und am 27. April richtete König Friedrich Wil-
helm an den König von Württemberg ein lakoniſches Schreiben, des In-
halts: „Ich finde Mich bewogen, Meinen Geſandten abzuberufen.“ Küſter
verließ Stuttgart, die Geſandten Oeſterreichs und Rußlands thaten des-
gleichen. Dabei wurden die Formen des Bundesrechts ſtreng gewahrt:
die ruſſiſche Diplomatie ſagte kein Wort über Wangenheim’s Entlaſſung,
weil der Czar ſich in die deutſchen Händel nicht miſchen wollte.***) Auch
der franzöſiſche Geſandte hatte Urlaub auf unbeſtimmte Zeit genommen,
da der Tuilerienhof die Angriffe der Stuttgarter Preſſe ſchwer empfand,
und ſo war denn mit einem male das diplomatiſche Corps, dieſer unent-
behrliche Zierrath jedes Kleinkönigshofes, faſt gänzlich vom Neſenbache
verſchwunden.

Das hatte König Wilhelm nicht erwartet. Als ſei nichts geſchehen,
befahl er ſeinen Diplomaten gleichmüthig in den Hauptſtädten der Oſt-

*) Wintzingerode an Gremp in Wien, 23. März; Küſter’s Berichte, 15., 29. März 1823.
**) Neſſelrode, geh. Weiſung an Benckendorff, [Formel 1] Febr.; Bernſtorff an Hatzfeldt,
23. März 1823.
***) Metternich an Lebzeltern in Petersburg, 7. April. Bernſtorff’s Bericht an den
König, 17. April. König Friedrich Wilhelm an den König v. Württemberg, 27. April.
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[320/0336] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Dann brachte die Stuttgarter Hofzeitung einen demüthigen Artikel, welcher die großen Mächte der vollkommenen Uebereinſtimmung Württem- bergs verſicherte. Sofort erſah Metternich ſeinen Vortheil und ließ in Stuttgart die Forderung ſtellen: ſei der König wirklich mit den Mächten einverſtanden, ſo möge er dies beweiſen durch die Abberufung Wangen- heim’s, der ſoeben noch dem Veroneſer Manifeſt die Anerkennung verſagt habe. Preußen ſchloß ſich alsbald an. Wintzingerode aber war uner- ſchöpflich in Vorwänden und Bedenken: was ſolle man mit dieſem ehr- geizigen Talente im Lande Württemberg anfangen? ein Vergehen habe ſich Wangenheim nicht zu Schulden kommen laſſen, für die Zukunft ſei er ſchon zur Behutſamkeit ermahnt — und was ſich ſonſt noch an Aus- flüchten bot. *) Der Grund der Weigerung lag allein in dem Stolze des Königs. Der prahlte ſchon laut, eine andere Genugthuung als jenen Zeitungsartikel würden die Oſtmächte nie erhalten. Er glaubte ſich Alles erlauben zu können, weil der Petersburger Hof, auf deſſen Meinung er allein Werth legte, ſehr mild auftrat; Czar Alexander wollte, obgleich ſelbſt beleidigt, ſeinen Schwager ſchonen und empfahl ſeinem Geſandten eine verſöhnliche Sprache. **) Doch weder Bernſtorff noch Metternich gedachten ſich mit einer ſo ſpöt- tiſchen Genugthuung zu begnügen. Großmüthig war es nicht, aber nach allem Geſchehenen leicht erklärlich, daß ſie endlich beſchloſſen, dem hoch- fahrenden kleinen Herrn die Schranken ſeiner Macht zu zeigen. Auch der Czar ließ ſich überzeugen, und am 27. April richtete König Friedrich Wil- helm an den König von Württemberg ein lakoniſches Schreiben, des In- halts: „Ich finde Mich bewogen, Meinen Geſandten abzuberufen.“ Küſter verließ Stuttgart, die Geſandten Oeſterreichs und Rußlands thaten des- gleichen. Dabei wurden die Formen des Bundesrechts ſtreng gewahrt: die ruſſiſche Diplomatie ſagte kein Wort über Wangenheim’s Entlaſſung, weil der Czar ſich in die deutſchen Händel nicht miſchen wollte. ***) Auch der franzöſiſche Geſandte hatte Urlaub auf unbeſtimmte Zeit genommen, da der Tuilerienhof die Angriffe der Stuttgarter Preſſe ſchwer empfand, und ſo war denn mit einem male das diplomatiſche Corps, dieſer unent- behrliche Zierrath jedes Kleinkönigshofes, faſt gänzlich vom Neſenbache verſchwunden. Das hatte König Wilhelm nicht erwartet. Als ſei nichts geſchehen, befahl er ſeinen Diplomaten gleichmüthig in den Hauptſtädten der Oſt- *) Wintzingerode an Gremp in Wien, 23. März; Küſter’s Berichte, 15., 29. März 1823. **) Neſſelrode, geh. Weiſung an Benckendorff, [FORMEL] Febr.; Bernſtorff an Hatzfeldt, 23. März 1823. ***) Metternich an Lebzeltern in Petersburg, 7. April. Bernſtorff’s Bericht an den König, 17. April. König Friedrich Wilhelm an den König v. Württemberg, 27. April. Neſſelrode an Alopeus [FORMEL] 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/336>, abgerufen am 22.11.2024.