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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Sturz Wangenheim's und Wintzingerode's.
mächte zu bleiben, jedoch das eisige Stillschweigen der drei beleidigten Höfe
beunruhigte ihn dermaßen, daß er schon im Juli die Abberufung Wan-
genheim's beschloß. Offen zu handeln, eine Uebereilung freimüthig ein-
zugestehen war seinem Charakter unmöglich. Er nahm jene berüchtigte
Denkschrift Wangenheim's über die westphälischen Domänenkäufer zum
Vorwand und ließ überall erklären: nur deshalb, aber keineswegs um den
Großmächten eine Genugthuung zu geben sei der Bundesgesandte zurück-
gerufen worden. Die Folge war, daß der diplomatische Verkehr abgebrochen
blieb. Wangenheim aber, der selber seinen Sturz so lange vorausgesehen,
zeigte nunmehr, da das Unvermeidliche eintrat, seine ganze leidenschaft-
liche Heftigkeit; er beschuldigte Wintzingerode des Verraths, obgleich der
Minister ihn so lange als möglich und noch darüber hinaus beschützt hatte,
er brach gänzlich mit dem alten Freunde und ließ ihn auf eine briefliche
Anfrage wissen: "zu jeder Antwort mit der Hand" sei er bereit.*) Im
Spätsommer ging der König nach Italien und mußte unterwegs an tausend
kleinen Kränkungen erfahren, daß in diesen Tagen selbst ein gekröntes
Haupt, wenn es den Zorn der Hofburg auf sich geladen, wie geächtet in
der Welt stand. Alle Höfe waren durch die Ostmächte vor dem liberalen
Schwabenkönige gewarnt worden, und mit legitimistischem Tugendeifer
schrieb der junge Bunsen aus Rom, nachdem er den Cardinal Consalvi
aufgeklärt: "Es bedarf keiner Bemerkung, daß der Lügengeist des Jako-
binismus auch hier thätig gewesen ist, über die Motive der Allerhöchsten
Höfe bei diesem strafenden Schritte die absurdesten und falschesten Ge-
rüchte mit der ihm innewohnenden Frechheit zu verbreiten."**)

Als der König, in seinem Stolze tief verwundet, heimkehrte, fand er
bereits das Entlassungsgesuch Wintzingerode's vor. Nur allzu treu war
dieser Vielbewegliche allen Windungen und Wendungen einer Politik, die
er mißbilligte, gefolgt; jetzt hatte er es mit allen Parteien verdorben. Den
Großmächten blieb er trotz seiner conservativen Gesinnung verdächtig, da
sein Name unter dem verhängnißvollen Rundschreiben stand, die Liberalen
aber wollten ihm Wangenheim's Sturz nicht verzeihen. "Was, rief er ver-
zweifelt, was ist das für ein Gang eines Gouvernements, welches vorwärts
stürzt, ohne Noth verletzt und zurückweichen muß, wenn es einem Hinderniß
begegnet!" Persönliche Klatscherei, die in Stuttgart noch üppiger blühte
als an andern kleinen Höfen, stachelte auch den König wider ihn auf,***)
und am 2. Okt. wurde der Minister, der doch stets nur die Befehle seines
königlichen Herrn vollzogen hatte, in Ungnaden verabschiedet. Ergrimmt
über den schnöden Undank, ließ sich der Entlassene zu einem Rachestreiche
hinreißen. Er schrieb in den Pariser Constitutionnel einen von Bosheit

*) Wangenheim an Hartmann, 19. Dec. 1823.
**) Bunsen's Bericht, 12. Juli 1823.
***) Wintzingerode an Graf Mülinen, 28. Nov.; Mülinen's Antwort, 4. Dec. 1823.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 21

Sturz Wangenheim’s und Wintzingerode’s.
mächte zu bleiben, jedoch das eiſige Stillſchweigen der drei beleidigten Höfe
beunruhigte ihn dermaßen, daß er ſchon im Juli die Abberufung Wan-
genheim’s beſchloß. Offen zu handeln, eine Uebereilung freimüthig ein-
zugeſtehen war ſeinem Charakter unmöglich. Er nahm jene berüchtigte
Denkſchrift Wangenheim’s über die weſtphäliſchen Domänenkäufer zum
Vorwand und ließ überall erklären: nur deshalb, aber keineswegs um den
Großmächten eine Genugthuung zu geben ſei der Bundesgeſandte zurück-
gerufen worden. Die Folge war, daß der diplomatiſche Verkehr abgebrochen
blieb. Wangenheim aber, der ſelber ſeinen Sturz ſo lange vorausgeſehen,
zeigte nunmehr, da das Unvermeidliche eintrat, ſeine ganze leidenſchaft-
liche Heftigkeit; er beſchuldigte Wintzingerode des Verraths, obgleich der
Miniſter ihn ſo lange als möglich und noch darüber hinaus beſchützt hatte,
er brach gänzlich mit dem alten Freunde und ließ ihn auf eine briefliche
Anfrage wiſſen: „zu jeder Antwort mit der Hand“ ſei er bereit.*) Im
Spätſommer ging der König nach Italien und mußte unterwegs an tauſend
kleinen Kränkungen erfahren, daß in dieſen Tagen ſelbſt ein gekröntes
Haupt, wenn es den Zorn der Hofburg auf ſich geladen, wie geächtet in
der Welt ſtand. Alle Höfe waren durch die Oſtmächte vor dem liberalen
Schwabenkönige gewarnt worden, und mit legitimiſtiſchem Tugendeifer
ſchrieb der junge Bunſen aus Rom, nachdem er den Cardinal Conſalvi
aufgeklärt: „Es bedarf keiner Bemerkung, daß der Lügengeiſt des Jako-
binismus auch hier thätig geweſen iſt, über die Motive der Allerhöchſten
Höfe bei dieſem ſtrafenden Schritte die abſurdeſten und falſcheſten Ge-
rüchte mit der ihm innewohnenden Frechheit zu verbreiten.“**)

Als der König, in ſeinem Stolze tief verwundet, heimkehrte, fand er
bereits das Entlaſſungsgeſuch Wintzingerode’s vor. Nur allzu treu war
dieſer Vielbewegliche allen Windungen und Wendungen einer Politik, die
er mißbilligte, gefolgt; jetzt hatte er es mit allen Parteien verdorben. Den
Großmächten blieb er trotz ſeiner conſervativen Geſinnung verdächtig, da
ſein Name unter dem verhängnißvollen Rundſchreiben ſtand, die Liberalen
aber wollten ihm Wangenheim’s Sturz nicht verzeihen. „Was, rief er ver-
zweifelt, was iſt das für ein Gang eines Gouvernements, welches vorwärts
ſtürzt, ohne Noth verletzt und zurückweichen muß, wenn es einem Hinderniß
begegnet!“ Perſönliche Klatſcherei, die in Stuttgart noch üppiger blühte
als an andern kleinen Höfen, ſtachelte auch den König wider ihn auf,***)
und am 2. Okt. wurde der Miniſter, der doch ſtets nur die Befehle ſeines
königlichen Herrn vollzogen hatte, in Ungnaden verabſchiedet. Ergrimmt
über den ſchnöden Undank, ließ ſich der Entlaſſene zu einem Racheſtreiche
hinreißen. Er ſchrieb in den Pariſer Conſtitutionnel einen von Bosheit

*) Wangenheim an Hartmann, 19. Dec. 1823.
**) Bunſen’s Bericht, 12. Juli 1823.
***) Wintzingerode an Graf Mülinen, 28. Nov.; Mülinen’s Antwort, 4. Dec. 1823.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 21
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[321/0337] Sturz Wangenheim’s und Wintzingerode’s. mächte zu bleiben, jedoch das eiſige Stillſchweigen der drei beleidigten Höfe beunruhigte ihn dermaßen, daß er ſchon im Juli die Abberufung Wan- genheim’s beſchloß. Offen zu handeln, eine Uebereilung freimüthig ein- zugeſtehen war ſeinem Charakter unmöglich. Er nahm jene berüchtigte Denkſchrift Wangenheim’s über die weſtphäliſchen Domänenkäufer zum Vorwand und ließ überall erklären: nur deshalb, aber keineswegs um den Großmächten eine Genugthuung zu geben ſei der Bundesgeſandte zurück- gerufen worden. Die Folge war, daß der diplomatiſche Verkehr abgebrochen blieb. Wangenheim aber, der ſelber ſeinen Sturz ſo lange vorausgeſehen, zeigte nunmehr, da das Unvermeidliche eintrat, ſeine ganze leidenſchaft- liche Heftigkeit; er beſchuldigte Wintzingerode des Verraths, obgleich der Miniſter ihn ſo lange als möglich und noch darüber hinaus beſchützt hatte, er brach gänzlich mit dem alten Freunde und ließ ihn auf eine briefliche Anfrage wiſſen: „zu jeder Antwort mit der Hand“ ſei er bereit. *) Im Spätſommer ging der König nach Italien und mußte unterwegs an tauſend kleinen Kränkungen erfahren, daß in dieſen Tagen ſelbſt ein gekröntes Haupt, wenn es den Zorn der Hofburg auf ſich geladen, wie geächtet in der Welt ſtand. Alle Höfe waren durch die Oſtmächte vor dem liberalen Schwabenkönige gewarnt worden, und mit legitimiſtiſchem Tugendeifer ſchrieb der junge Bunſen aus Rom, nachdem er den Cardinal Conſalvi aufgeklärt: „Es bedarf keiner Bemerkung, daß der Lügengeiſt des Jako- binismus auch hier thätig geweſen iſt, über die Motive der Allerhöchſten Höfe bei dieſem ſtrafenden Schritte die abſurdeſten und falſcheſten Ge- rüchte mit der ihm innewohnenden Frechheit zu verbreiten.“ **) Als der König, in ſeinem Stolze tief verwundet, heimkehrte, fand er bereits das Entlaſſungsgeſuch Wintzingerode’s vor. Nur allzu treu war dieſer Vielbewegliche allen Windungen und Wendungen einer Politik, die er mißbilligte, gefolgt; jetzt hatte er es mit allen Parteien verdorben. Den Großmächten blieb er trotz ſeiner conſervativen Geſinnung verdächtig, da ſein Name unter dem verhängnißvollen Rundſchreiben ſtand, die Liberalen aber wollten ihm Wangenheim’s Sturz nicht verzeihen. „Was, rief er ver- zweifelt, was iſt das für ein Gang eines Gouvernements, welches vorwärts ſtürzt, ohne Noth verletzt und zurückweichen muß, wenn es einem Hinderniß begegnet!“ Perſönliche Klatſcherei, die in Stuttgart noch üppiger blühte als an andern kleinen Höfen, ſtachelte auch den König wider ihn auf, ***) und am 2. Okt. wurde der Miniſter, der doch ſtets nur die Befehle ſeines königlichen Herrn vollzogen hatte, in Ungnaden verabſchiedet. Ergrimmt über den ſchnöden Undank, ließ ſich der Entlaſſene zu einem Racheſtreiche hinreißen. Er ſchrieb in den Pariſer Conſtitutionnel einen von Bosheit *) Wangenheim an Hartmann, 19. Dec. 1823. **) Bunſen’s Bericht, 12. Juli 1823. ***) Wintzingerode an Graf Mülinen, 28. Nov.; Mülinen’s Antwort, 4. Dec. 1823. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 21

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/337>, abgerufen am 22.11.2024.