handeln.*) Das Alles blieb freilich geheim, und noch jahrelang glaubte in Süddeutschland Jedermann, der König von Preußen habe dem wohl- gemeinten Versuche süddeutscher Zolleinheit die Grube gegraben. Genug, von allen Gebilden der Triaspolitik blieb nichts mehr übrig als die Ober- rheinische Kirchenprovinz. --
Als die Bundesversammlung im November, nach den Ferien wieder zu- sammentrat, war der phantastische Spuk der Bundes-Opposition bis auf die letzte Spur verflogen. Um die Säuberung des Hauses zu vollenden, wurde im Juli 1824 auch Goltz abberufen. Die Oesterreicher sahen ihn mit Freuden scheiden und versprachen sich viel von seinem Nachfolger, dem Generalpostmeister v. Nagler, der in Art und Unart als Gegenfüßler des gutmüthigen Grafen erschien. Gleich seinem Schwager Altenstein war Nagler in Hardenberg's fränkischer Beamtenschule emporgekommen; er hatte sich aber bald mit den streng-conservativen Anschauungen der alt- ländischen Bureaukratie so gänzlich erfüllt, daß er zum Feinde seines alten Gönners wurde und von dem Staatskanzler aus dem Dienste entfernt, elf Jahre zumeist auf Reisen verbringen mußte. Erst 1821, als Harden- berg's Gestirn im Sinken war, wurde er in den Dienst zurückgerufen, bald nachher zum Generalpostmeister ernannt. In dieser Stellung be- währte er ein außerordentliches Verwaltungstalent, aber auch ein Uebermaß jenes herrischen Wesens, das im Postdienst allerdings ebenso unentbehrlich ist wie im Heere. Rastlos thätig, hart und rauh, der Schrecken seiner Untergebenen, erhob er die preußische Post binnen wenigen Jahren zu einer Musteranstalt für Deutschland. Nach der alten Ueberlieferung betrachtete er das Postwesen zwar nur als eine Einnahmequelle für den Staat und willigte selten in eine Herabsetzung der hohen Gebühren; aber sollte die Anstalt Ertrag bringen, so mußte sie über ein wohlgeschultes, auskömm- lich besoldetes Beamtenheer gebieten und das Publikum rasch, bequem, pünktlich, sicher bedienen. Diese Sicherheit hatte freilich in Preußen, wie überall, bestimmte Grenzen; das Erbrechen der Briefe war in Nagler's Augen ein unveräußerliches Kronrecht, das nur Böswillige der könig- lichen Post bestreiten konnten. Er rühmte wohl die Milde seiner preu- ßischen Post, die sich mit dem "Perlustriren" begnügte, während die öster- reichische auch vor dem "Intercipiren" nicht zurückschrak. Sorgfältig wie er Alles trieb, richtete er auch diesen Zweig seines Dienstes ein und scheute kein Mittel um einen neuen Siegelabdruck "für eine Wappensammlung" zu erwerben; nach Saarbrücken sendete er einen seiner geschicktesten Agenten, Opfermann, zur Ueberwachung des Briefverkehrs mit Frankreich. Ein treuer Genosse Wittgenstein's trieb er sein dunkles Handwerk bald mit herzlichem Behagen, und als er den Frankfurter Posten antrat, hielt er
*) Bericht des Min. des Ausw. an den König, 13. Juli 1824. Weisungen an Otterstedt, 20. Febr., 5. Mai 1825.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
handeln.*) Das Alles blieb freilich geheim, und noch jahrelang glaubte in Süddeutſchland Jedermann, der König von Preußen habe dem wohl- gemeinten Verſuche ſüddeutſcher Zolleinheit die Grube gegraben. Genug, von allen Gebilden der Triaspolitik blieb nichts mehr übrig als die Ober- rheiniſche Kirchenprovinz. —
Als die Bundesverſammlung im November, nach den Ferien wieder zu- ſammentrat, war der phantaſtiſche Spuk der Bundes-Oppoſition bis auf die letzte Spur verflogen. Um die Säuberung des Hauſes zu vollenden, wurde im Juli 1824 auch Goltz abberufen. Die Oeſterreicher ſahen ihn mit Freuden ſcheiden und verſprachen ſich viel von ſeinem Nachfolger, dem Generalpoſtmeiſter v. Nagler, der in Art und Unart als Gegenfüßler des gutmüthigen Grafen erſchien. Gleich ſeinem Schwager Altenſtein war Nagler in Hardenberg’s fränkiſcher Beamtenſchule emporgekommen; er hatte ſich aber bald mit den ſtreng-conſervativen Anſchauungen der alt- ländiſchen Bureaukratie ſo gänzlich erfüllt, daß er zum Feinde ſeines alten Gönners wurde und von dem Staatskanzler aus dem Dienſte entfernt, elf Jahre zumeiſt auf Reiſen verbringen mußte. Erſt 1821, als Harden- berg’s Geſtirn im Sinken war, wurde er in den Dienſt zurückgerufen, bald nachher zum Generalpoſtmeiſter ernannt. In dieſer Stellung be- währte er ein außerordentliches Verwaltungstalent, aber auch ein Uebermaß jenes herriſchen Weſens, das im Poſtdienſt allerdings ebenſo unentbehrlich iſt wie im Heere. Raſtlos thätig, hart und rauh, der Schrecken ſeiner Untergebenen, erhob er die preußiſche Poſt binnen wenigen Jahren zu einer Muſteranſtalt für Deutſchland. Nach der alten Ueberlieferung betrachtete er das Poſtweſen zwar nur als eine Einnahmequelle für den Staat und willigte ſelten in eine Herabſetzung der hohen Gebühren; aber ſollte die Anſtalt Ertrag bringen, ſo mußte ſie über ein wohlgeſchultes, auskömm- lich beſoldetes Beamtenheer gebieten und das Publikum raſch, bequem, pünktlich, ſicher bedienen. Dieſe Sicherheit hatte freilich in Preußen, wie überall, beſtimmte Grenzen; das Erbrechen der Briefe war in Nagler’s Augen ein unveräußerliches Kronrecht, das nur Böswillige der könig- lichen Poſt beſtreiten konnten. Er rühmte wohl die Milde ſeiner preu- ßiſchen Poſt, die ſich mit dem „Perluſtriren“ begnügte, während die öſter- reichiſche auch vor dem „Intercipiren“ nicht zurückſchrak. Sorgfältig wie er Alles trieb, richtete er auch dieſen Zweig ſeines Dienſtes ein und ſcheute kein Mittel um einen neuen Siegelabdruck „für eine Wappenſammlung“ zu erwerben; nach Saarbrücken ſendete er einen ſeiner geſchickteſten Agenten, Opfermann, zur Ueberwachung des Briefverkehrs mit Frankreich. Ein treuer Genoſſe Wittgenſtein’s trieb er ſein dunkles Handwerk bald mit herzlichem Behagen, und als er den Frankfurter Poſten antrat, hielt er
*) Bericht des Min. des Ausw. an den König, 13. Juli 1824. Weiſungen an Otterſtedt, 20. Febr., 5. Mai 1825.
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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
handeln. *) Das Alles blieb freilich geheim, und noch jahrelang glaubte
in Süddeutſchland Jedermann, der König von Preußen habe dem wohl-
gemeinten Verſuche ſüddeutſcher Zolleinheit die Grube gegraben. Genug,
von allen Gebilden der Triaspolitik blieb nichts mehr übrig als die Ober-
rheiniſche Kirchenprovinz. —
Als die Bundesverſammlung im November, nach den Ferien wieder zu-
ſammentrat, war der phantaſtiſche Spuk der Bundes-Oppoſition bis auf die
letzte Spur verflogen. Um die Säuberung des Hauſes zu vollenden, wurde
im Juli 1824 auch Goltz abberufen. Die Oeſterreicher ſahen ihn mit
Freuden ſcheiden und verſprachen ſich viel von ſeinem Nachfolger, dem
Generalpoſtmeiſter v. Nagler, der in Art und Unart als Gegenfüßler des
gutmüthigen Grafen erſchien. Gleich ſeinem Schwager Altenſtein war
Nagler in Hardenberg’s fränkiſcher Beamtenſchule emporgekommen; er
hatte ſich aber bald mit den ſtreng-conſervativen Anſchauungen der alt-
ländiſchen Bureaukratie ſo gänzlich erfüllt, daß er zum Feinde ſeines alten
Gönners wurde und von dem Staatskanzler aus dem Dienſte entfernt,
elf Jahre zumeiſt auf Reiſen verbringen mußte. Erſt 1821, als Harden-
berg’s Geſtirn im Sinken war, wurde er in den Dienſt zurückgerufen,
bald nachher zum Generalpoſtmeiſter ernannt. In dieſer Stellung be-
währte er ein außerordentliches Verwaltungstalent, aber auch ein Uebermaß
jenes herriſchen Weſens, das im Poſtdienſt allerdings ebenſo unentbehrlich
iſt wie im Heere. Raſtlos thätig, hart und rauh, der Schrecken ſeiner
Untergebenen, erhob er die preußiſche Poſt binnen wenigen Jahren zu einer
Muſteranſtalt für Deutſchland. Nach der alten Ueberlieferung betrachtete
er das Poſtweſen zwar nur als eine Einnahmequelle für den Staat und
willigte ſelten in eine Herabſetzung der hohen Gebühren; aber ſollte die
Anſtalt Ertrag bringen, ſo mußte ſie über ein wohlgeſchultes, auskömm-
lich beſoldetes Beamtenheer gebieten und das Publikum raſch, bequem,
pünktlich, ſicher bedienen. Dieſe Sicherheit hatte freilich in Preußen,
wie überall, beſtimmte Grenzen; das Erbrechen der Briefe war in Nagler’s
Augen ein unveräußerliches Kronrecht, das nur Böswillige der könig-
lichen Poſt beſtreiten konnten. Er rühmte wohl die Milde ſeiner preu-
ßiſchen Poſt, die ſich mit dem „Perluſtriren“ begnügte, während die öſter-
reichiſche auch vor dem „Intercipiren“ nicht zurückſchrak. Sorgfältig wie
er Alles trieb, richtete er auch dieſen Zweig ſeines Dienſtes ein und ſcheute
kein Mittel um einen neuen Siegelabdruck „für eine Wappenſammlung“
zu erwerben; nach Saarbrücken ſendete er einen ſeiner geſchickteſten Agenten,
Opfermann, zur Ueberwachung des Briefverkehrs mit Frankreich. Ein
treuer Genoſſe Wittgenſtein’s trieb er ſein dunkles Handwerk bald mit
herzlichem Behagen, und als er den Frankfurter Poſten antrat, hielt er
*) Bericht des Min. des Ausw. an den König, 13. Juli 1824. Weiſungen an
Otterſtedt, 20. Febr., 5. Mai 1825.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/342>, abgerufen am 22.11.2024.
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