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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Gunsten des Preußen, beigelegt wurden. Wo es aber galt, die kleinen
Gesandten in Zucht zu halten, da standen sie selbander fest zusammen. --

Dergestalt war die Bundesversammlung gereinigt, und Schlag auf
Schlag, fast ohne Debatte, faßte sie nunmehr unter Münch's Leitung eine
Reihe von Beschlüssen, welche den Wiener Hof mit gerechter Befriedigung
erfüllten. Die westphälischen Domänenkäufer wurden einfach abgewiesen,
wegen Incompetenz der Versammlung. Um seinen Abscheu gegen Klüber's
und Wangenheim's Lehre vom ewigen Staate noch unzweideutiger zu be-
kunden, fügte der Bundestag den in der Geschichte gesitteter Völker bei-
spiellosen Beschluß hinzu, daß bei seinen Verhandlungen keine Berufung
auf "neue Bundeslehren und Theorien" geduldet werden solle (11. Dec.
1823). Somit ward der Wissenschaft feierlich verboten, klärend und mäßi-
gend mitzuwirken bei der Fortbildung eines Bundesrechts, das in seinem
dürftigen und unfertigen Zustande des Beistandes geistiger Kräfte gar
nicht entrathen konnte. So frech hatte sich in diesem Gelehrtenvolke der
Haß gegen alle Bildung noch niemals herausgewagt.

Seltsam, wie bei diesen Verhandlungen wieder die zwei Seelen der
preußischen Politik hervortraten. Wo die Demagogenscheu nicht einwirkte,
da zeigte sich Preußen stets als der rechtlichste unter allen deutschen Staaten.
Der westphälischen Domänenkäufer nahm sich Goltz bis zuletzt wacker an;
er wollte den Kurfürsten von Bundeswegen nöthigen, auch über alle noch
schwebenden Streitfälle dem Bundestage Rechenschaft abzulegen, und sprach
seine Entrüstung sehr derb aus, als die große Mehrheit der Versamm-
lung, von Münch geführt, ihren eigenen früheren Beschlüssen zuwider, die
unschuldigen Opfer des hessischen Despoten kurzerhand abwies. Und dieselbe
Regierung, die hier so ehrenhaft verfuhr, stimmte nicht nur dem Be-
schlusse wider die Bundesrechts-Theorien willig zu, sie überbot ihn noch
durch eine thörichte Ungerechtigkeit, welche Preußens guten Ruf schwer und
nachhaltig schädigte. Beunruhigt durch Marschall's und Metternich's ge-
heime Anklagen hatte Bernstorff, ohne den Angeschuldigten auch nur an-
zuhören, die Schriften Klüber's, vermuthlich durch Kamptz, untersuchen
lassen und überraschte nun den Arglosen durch die Ankündigung: daß
eine Schriften auf den preußischen Universitäten nicht mehr benutzt wer-
den dürften, er selber aber im Auswärtigen Amte keine Beschäftigung mehr
finden könne.*) Als Gründe waren namentlich angegeben: die naturrecht-
lichen Erörterungen in Klüber's Bundesrecht und seine Vorliebe für die
neuen gemischten Verfassungen, deren demokratische Grundsätze die könig-
liche Regierung doch bekanntermaßen bekämpfe. Eine solche Behandlung
ließ sich der hochangesehene Gelehrte nicht bieten; er warf dem Minister
seine 5000 Thlr. Gehalt vor die Füße, nahm sofort seinen Abschied und
lebte noch lange als Privatmann in Frankfurt, das anerkannte Haupt

*) Blittersdorff's Bericht, 3. December 1823.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Gunſten des Preußen, beigelegt wurden. Wo es aber galt, die kleinen
Geſandten in Zucht zu halten, da ſtanden ſie ſelbander feſt zuſammen. —

Dergeſtalt war die Bundesverſammlung gereinigt, und Schlag auf
Schlag, faſt ohne Debatte, faßte ſie nunmehr unter Münch’s Leitung eine
Reihe von Beſchlüſſen, welche den Wiener Hof mit gerechter Befriedigung
erfüllten. Die weſtphäliſchen Domänenkäufer wurden einfach abgewieſen,
wegen Incompetenz der Verſammlung. Um ſeinen Abſcheu gegen Klüber’s
und Wangenheim’s Lehre vom ewigen Staate noch unzweideutiger zu be-
kunden, fügte der Bundestag den in der Geſchichte geſitteter Völker bei-
ſpielloſen Beſchluß hinzu, daß bei ſeinen Verhandlungen keine Berufung
auf „neue Bundeslehren und Theorien“ geduldet werden ſolle (11. Dec.
1823). Somit ward der Wiſſenſchaft feierlich verboten, klärend und mäßi-
gend mitzuwirken bei der Fortbildung eines Bundesrechts, das in ſeinem
dürftigen und unfertigen Zuſtande des Beiſtandes geiſtiger Kräfte gar
nicht entrathen konnte. So frech hatte ſich in dieſem Gelehrtenvolke der
Haß gegen alle Bildung noch niemals herausgewagt.

Seltſam, wie bei dieſen Verhandlungen wieder die zwei Seelen der
preußiſchen Politik hervortraten. Wo die Demagogenſcheu nicht einwirkte,
da zeigte ſich Preußen ſtets als der rechtlichſte unter allen deutſchen Staaten.
Der weſtphäliſchen Domänenkäufer nahm ſich Goltz bis zuletzt wacker an;
er wollte den Kurfürſten von Bundeswegen nöthigen, auch über alle noch
ſchwebenden Streitfälle dem Bundestage Rechenſchaft abzulegen, und ſprach
ſeine Entrüſtung ſehr derb aus, als die große Mehrheit der Verſamm-
lung, von Münch geführt, ihren eigenen früheren Beſchlüſſen zuwider, die
unſchuldigen Opfer des heſſiſchen Despoten kurzerhand abwies. Und dieſelbe
Regierung, die hier ſo ehrenhaft verfuhr, ſtimmte nicht nur dem Be-
ſchluſſe wider die Bundesrechts-Theorien willig zu, ſie überbot ihn noch
durch eine thörichte Ungerechtigkeit, welche Preußens guten Ruf ſchwer und
nachhaltig ſchädigte. Beunruhigt durch Marſchall’s und Metternich’s ge-
heime Anklagen hatte Bernſtorff, ohne den Angeſchuldigten auch nur an-
zuhören, die Schriften Klüber’s, vermuthlich durch Kamptz, unterſuchen
laſſen und überraſchte nun den Argloſen durch die Ankündigung: daß
eine Schriften auf den preußiſchen Univerſitäten nicht mehr benutzt wer-
den dürften, er ſelber aber im Auswärtigen Amte keine Beſchäftigung mehr
finden könne.*) Als Gründe waren namentlich angegeben: die naturrecht-
lichen Erörterungen in Klüber’s Bundesrecht und ſeine Vorliebe für die
neuen gemiſchten Verfaſſungen, deren demokratiſche Grundſätze die könig-
liche Regierung doch bekanntermaßen bekämpfe. Eine ſolche Behandlung
ließ ſich der hochangeſehene Gelehrte nicht bieten; er warf dem Miniſter
ſeine 5000 Thlr. Gehalt vor die Füße, nahm ſofort ſeinen Abſchied und
lebte noch lange als Privatmann in Frankfurt, das anerkannte Haupt

*) Blittersdorff’s Bericht, 3. December 1823.
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[328/0344] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Gunſten des Preußen, beigelegt wurden. Wo es aber galt, die kleinen Geſandten in Zucht zu halten, da ſtanden ſie ſelbander feſt zuſammen. — Dergeſtalt war die Bundesverſammlung gereinigt, und Schlag auf Schlag, faſt ohne Debatte, faßte ſie nunmehr unter Münch’s Leitung eine Reihe von Beſchlüſſen, welche den Wiener Hof mit gerechter Befriedigung erfüllten. Die weſtphäliſchen Domänenkäufer wurden einfach abgewieſen, wegen Incompetenz der Verſammlung. Um ſeinen Abſcheu gegen Klüber’s und Wangenheim’s Lehre vom ewigen Staate noch unzweideutiger zu be- kunden, fügte der Bundestag den in der Geſchichte geſitteter Völker bei- ſpielloſen Beſchluß hinzu, daß bei ſeinen Verhandlungen keine Berufung auf „neue Bundeslehren und Theorien“ geduldet werden ſolle (11. Dec. 1823). Somit ward der Wiſſenſchaft feierlich verboten, klärend und mäßi- gend mitzuwirken bei der Fortbildung eines Bundesrechts, das in ſeinem dürftigen und unfertigen Zuſtande des Beiſtandes geiſtiger Kräfte gar nicht entrathen konnte. So frech hatte ſich in dieſem Gelehrtenvolke der Haß gegen alle Bildung noch niemals herausgewagt. Seltſam, wie bei dieſen Verhandlungen wieder die zwei Seelen der preußiſchen Politik hervortraten. Wo die Demagogenſcheu nicht einwirkte, da zeigte ſich Preußen ſtets als der rechtlichſte unter allen deutſchen Staaten. Der weſtphäliſchen Domänenkäufer nahm ſich Goltz bis zuletzt wacker an; er wollte den Kurfürſten von Bundeswegen nöthigen, auch über alle noch ſchwebenden Streitfälle dem Bundestage Rechenſchaft abzulegen, und ſprach ſeine Entrüſtung ſehr derb aus, als die große Mehrheit der Verſamm- lung, von Münch geführt, ihren eigenen früheren Beſchlüſſen zuwider, die unſchuldigen Opfer des heſſiſchen Despoten kurzerhand abwies. Und dieſelbe Regierung, die hier ſo ehrenhaft verfuhr, ſtimmte nicht nur dem Be- ſchluſſe wider die Bundesrechts-Theorien willig zu, ſie überbot ihn noch durch eine thörichte Ungerechtigkeit, welche Preußens guten Ruf ſchwer und nachhaltig ſchädigte. Beunruhigt durch Marſchall’s und Metternich’s ge- heime Anklagen hatte Bernſtorff, ohne den Angeſchuldigten auch nur an- zuhören, die Schriften Klüber’s, vermuthlich durch Kamptz, unterſuchen laſſen und überraſchte nun den Argloſen durch die Ankündigung: daß eine Schriften auf den preußiſchen Univerſitäten nicht mehr benutzt wer- den dürften, er ſelber aber im Auswärtigen Amte keine Beſchäftigung mehr finden könne. *) Als Gründe waren namentlich angegeben: die naturrecht- lichen Erörterungen in Klüber’s Bundesrecht und ſeine Vorliebe für die neuen gemiſchten Verfaſſungen, deren demokratiſche Grundſätze die könig- liche Regierung doch bekanntermaßen bekämpfe. Eine ſolche Behandlung ließ ſich der hochangeſehene Gelehrte nicht bieten; er warf dem Miniſter ſeine 5000 Thlr. Gehalt vor die Füße, nahm ſofort ſeinen Abſchied und lebte noch lange als Privatmann in Frankfurt, das anerkannte Haupt *) Blittersdorff’s Bericht, 3. December 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/344>, abgerufen am 22.11.2024.