der erste fast, der im behäbigen Altbaiern modernen Unternehmungsgeist erweckte. Auch Graf Bentzel-Sternau machte viel von sich reden, ein alter Bonapartist, der vor Zeiten im Großherzogthum Frankfurt Dalberg's ver- trauter Minister gewesen war, jetzt aber auf seinem Landhaus am Züricher See zweifelhafte Dichtungen im Stile Jean Paul's anfertigte und zu- gleich den deutschen Flüchtlingen gastlich Obdach gab. Er wirkte eifrig für protestantische Aufklärung und trat endlich förmlich zur evangelischen Kirche über. Seine Erfahrungen aus dem Landtage legte er nachher in den "Baierbriefen" nieder, einem mehrbändigen Briefwechsel zwischen Reikiavik und Hochwittelsbach, dessen wunderlicher, witzelnder Wortschwall im Grunde nur die eine Wahrheit erwies, daß die Geschicke des Erdballs sich um das Münchener Ständehaus bewegten.
Wie bescheiden auch die Mehrheit des Landtags auftrat, sie mußte doch bald fühlen, daß jetzt ein anderer Wind am Hofe wehte. Seit jener Unterredung von Tegernsee hatte sich Zentner seinen Gegnern Rechberg und Thürheim genähert, und Lerchenfeld stand bereits so vereinsamt, daß er im Ministerrathe der Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse nach einigem Bedenken schließlich selber zustimmen mußte.*) Im Saale an der Pran- nersgasse hatte man in der Zwischenzeit die Logen für den Hof und die Diplomatie beträchtlich erweitert, so daß der allgemeine Zuhörerraum sich verkleinerte; und derselbe Geist kleinlicher polizeilicher Angst bekundete sich auch in der Geschäftsordnung, welche die Minister, um ihre Frankfurter Zusagen zu erfüllen, dem Landtage alsbald vorlegten. Die Vorlage ging sogar weit über die Bundesbeschlüsse hinaus, sie enthielt nicht nur sehr scharfe Bestimmungen wider den Mißbrauch der Redefreiheit, sondern auch die Vorschrift, daß kein Abgeordneter fortan einen förmlich ausgearbeiteten Gesetzentwurf einbringen dürfe; damit war das beschränkte Recht der Initiative, das dem Landtage nach der Verfassung zustand, ganz unter der Hand durch einen Paragraphen der Geschäftsordnung fast gänzlich beseitigt. In einer Reihe geheimer Sitzungen wurden diese Vorschläge, unter begreiflicher Erregung, erörtert. Vergeblich warnte Rudhart: "ohne Oeffentlichkeit zerfällt die Verfassung in sich." Die Mehrheit unterwarf sich den Beschlüssen des Bundestags; sie wußte wohl, daß die reaktionäre Partei am Hofe entschlossen war, die Geschäftsordnung dem Landtage nöthigenfalls durch einen königlichen Befehl einfach aufzuerlegen.**)
An anderen gesetzgeberischen Ergebnissen war diese Tagung sehr arm; auch die drei Gesetze vom 11. Sept. 1825 über Niederlassung und Ge- werbebetrieb entsprangen nicht einem staatsmännischen Plane sondern der Verlegenheit. Die Regierung fühlte lebhaft die Unhaltbarkeit des alten Zunftwesens, aber sie wagte auch nicht mit den tief eingewurzelten Vor-
*) Küster's Bericht, 11. August 1824.
**) Küster's Bericht, 8. September 1824.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
der erſte faſt, der im behäbigen Altbaiern modernen Unternehmungsgeiſt erweckte. Auch Graf Bentzel-Sternau machte viel von ſich reden, ein alter Bonapartiſt, der vor Zeiten im Großherzogthum Frankfurt Dalberg’s ver- trauter Miniſter geweſen war, jetzt aber auf ſeinem Landhaus am Züricher See zweifelhafte Dichtungen im Stile Jean Paul’s anfertigte und zu- gleich den deutſchen Flüchtlingen gaſtlich Obdach gab. Er wirkte eifrig für proteſtantiſche Aufklärung und trat endlich förmlich zur evangeliſchen Kirche über. Seine Erfahrungen aus dem Landtage legte er nachher in den „Baierbriefen“ nieder, einem mehrbändigen Briefwechſel zwiſchen Reikiavik und Hochwittelsbach, deſſen wunderlicher, witzelnder Wortſchwall im Grunde nur die eine Wahrheit erwies, daß die Geſchicke des Erdballs ſich um das Münchener Ständehaus bewegten.
Wie beſcheiden auch die Mehrheit des Landtags auftrat, ſie mußte doch bald fühlen, daß jetzt ein anderer Wind am Hofe wehte. Seit jener Unterredung von Tegernſee hatte ſich Zentner ſeinen Gegnern Rechberg und Thürheim genähert, und Lerchenfeld ſtand bereits ſo vereinſamt, daß er im Miniſterrathe der Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe nach einigem Bedenken ſchließlich ſelber zuſtimmen mußte.*) Im Saale an der Pran- nersgaſſe hatte man in der Zwiſchenzeit die Logen für den Hof und die Diplomatie beträchtlich erweitert, ſo daß der allgemeine Zuhörerraum ſich verkleinerte; und derſelbe Geiſt kleinlicher polizeilicher Angſt bekundete ſich auch in der Geſchäftsordnung, welche die Miniſter, um ihre Frankfurter Zuſagen zu erfüllen, dem Landtage alsbald vorlegten. Die Vorlage ging ſogar weit über die Bundesbeſchlüſſe hinaus, ſie enthielt nicht nur ſehr ſcharfe Beſtimmungen wider den Mißbrauch der Redefreiheit, ſondern auch die Vorſchrift, daß kein Abgeordneter fortan einen förmlich ausgearbeiteten Geſetzentwurf einbringen dürfe; damit war das beſchränkte Recht der Initiative, das dem Landtage nach der Verfaſſung zuſtand, ganz unter der Hand durch einen Paragraphen der Geſchäftsordnung faſt gänzlich beſeitigt. In einer Reihe geheimer Sitzungen wurden dieſe Vorſchläge, unter begreiflicher Erregung, erörtert. Vergeblich warnte Rudhart: „ohne Oeffentlichkeit zerfällt die Verfaſſung in ſich.“ Die Mehrheit unterwarf ſich den Beſchlüſſen des Bundestags; ſie wußte wohl, daß die reaktionäre Partei am Hofe entſchloſſen war, die Geſchäftsordnung dem Landtage nöthigenfalls durch einen königlichen Befehl einfach aufzuerlegen.**)
An anderen geſetzgeberiſchen Ergebniſſen war dieſe Tagung ſehr arm; auch die drei Geſetze vom 11. Sept. 1825 über Niederlaſſung und Ge- werbebetrieb entſprangen nicht einem ſtaatsmänniſchen Plane ſondern der Verlegenheit. Die Regierung fühlte lebhaft die Unhaltbarkeit des alten Zunftweſens, aber ſie wagte auch nicht mit den tief eingewurzelten Vor-
*) Küſter’s Bericht, 11. Auguſt 1824.
**) Küſter’s Bericht, 8. September 1824.
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der erſte faſt, der im behäbigen Altbaiern modernen Unternehmungsgeiſt
erweckte. Auch Graf Bentzel-Sternau machte viel von ſich reden, ein alter
Bonapartiſt, der vor Zeiten im Großherzogthum Frankfurt Dalberg’s ver-
trauter Miniſter geweſen war, jetzt aber auf ſeinem Landhaus am Züricher
See zweifelhafte Dichtungen im Stile Jean Paul’s anfertigte und zu-
gleich den deutſchen Flüchtlingen gaſtlich Obdach gab. Er wirkte eifrig für
proteſtantiſche Aufklärung und trat endlich förmlich zur evangeliſchen
Kirche über. Seine Erfahrungen aus dem Landtage legte er nachher in
den „Baierbriefen“ nieder, einem mehrbändigen Briefwechſel zwiſchen
Reikiavik und Hochwittelsbach, deſſen wunderlicher, witzelnder Wortſchwall
im Grunde nur die eine Wahrheit erwies, daß die Geſchicke des Erdballs
ſich um das Münchener Ständehaus bewegten.
Wie beſcheiden auch die Mehrheit des Landtags auftrat, ſie mußte
doch bald fühlen, daß jetzt ein anderer Wind am Hofe wehte. Seit jener
Unterredung von Tegernſee hatte ſich Zentner ſeinen Gegnern Rechberg
und Thürheim genähert, und Lerchenfeld ſtand bereits ſo vereinſamt, daß er
im Miniſterrathe der Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe nach einigem
Bedenken ſchließlich ſelber zuſtimmen mußte. *) Im Saale an der Pran-
nersgaſſe hatte man in der Zwiſchenzeit die Logen für den Hof und die
Diplomatie beträchtlich erweitert, ſo daß der allgemeine Zuhörerraum ſich
verkleinerte; und derſelbe Geiſt kleinlicher polizeilicher Angſt bekundete ſich
auch in der Geſchäftsordnung, welche die Miniſter, um ihre Frankfurter
Zuſagen zu erfüllen, dem Landtage alsbald vorlegten. Die Vorlage ging
ſogar weit über die Bundesbeſchlüſſe hinaus, ſie enthielt nicht nur ſehr
ſcharfe Beſtimmungen wider den Mißbrauch der Redefreiheit, ſondern auch
die Vorſchrift, daß kein Abgeordneter fortan einen förmlich ausgearbeiteten
Geſetzentwurf einbringen dürfe; damit war das beſchränkte Recht der
Initiative, das dem Landtage nach der Verfaſſung zuſtand, ganz unter
der Hand durch einen Paragraphen der Geſchäftsordnung faſt gänzlich
beſeitigt. In einer Reihe geheimer Sitzungen wurden dieſe Vorſchläge,
unter begreiflicher Erregung, erörtert. Vergeblich warnte Rudhart: „ohne
Oeffentlichkeit zerfällt die Verfaſſung in ſich.“ Die Mehrheit unterwarf
ſich den Beſchlüſſen des Bundestags; ſie wußte wohl, daß die reaktionäre
Partei am Hofe entſchloſſen war, die Geſchäftsordnung dem Landtage
nöthigenfalls durch einen königlichen Befehl einfach aufzuerlegen. **)
An anderen geſetzgeberiſchen Ergebniſſen war dieſe Tagung ſehr arm;
auch die drei Geſetze vom 11. Sept. 1825 über Niederlaſſung und Ge-
werbebetrieb entſprangen nicht einem ſtaatsmänniſchen Plane ſondern der
Verlegenheit. Die Regierung fühlte lebhaft die Unhaltbarkeit des alten
Zunftweſens, aber ſie wagte auch nicht mit den tief eingewurzelten Vor-
*) Küſter’s Bericht, 11. Auguſt 1824.
**) Küſter’s Bericht, 8. September 1824.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/364>, abgerufen am 24.11.2024.
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