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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Letzte Zeiten König Max Joseph's.
urtheilen des Volkes zu brechen, das noch fest am alten Herkommen hing
und die ungewohnten Erscheinungen des modernen Großverkehrs, zumal
die verhaßten Musterreiter aus Frankfurt und anderen "ausländischen"
Nachbarstädten, mit tiefem Mißtrauen betrachtete. In guter Absicht wählte
man also einen Mittelweg und entschied sich für das Concessionssystem:
die Erlaubniß zum Heirathen, zur Niederlassung, zum Gewerbebetrieb
sollte der Regel nach von den Behörden abhängen, die dabei den "Nah-
rungsstand" des Orts zu berücksichtigen hatten. Der Vorschlag mißfiel
in Wahrheit allen Parteien; den Conservativen ging er zu weit, die Libe-
ralen verlangten mehr, und Rudhart sagte kühn voraus, die Zeit der voll-
ständigen Gewerbefreiheit werde noch kommen. Der Landtag stimmte schließ-
lich nur zu, weil sich kein anderer Ausweg zu bieten schien. Doch sofort
begann im Volke eine hartconservative Bewegung wider die Störung der
alten Gewohnheiten -- eine naturwüchsige Reaktion, welcher die neuen Ge-
setze nach wenigen Jahren erliegen sollten. Bei den Budgetverhandlungen
kam in den geheimen Sitzungen viel verhaltener Groll zu Tage; der
Rechnungsabschluß war sehr ungünstig, da das Sinken der Getreidepreise
den Ertrag der Domänen verringert, große Brände und andere Unglücks-
fälle ganze Landestheile heimgesucht hatten. Zudem spielte wieder eines
jener unliebsamen kleinen Geheimnisse mit, die sich unter König Max
Joseph kaum vermeiden ließen; bei der Hochzeit der Prinzessin Sophie
hatte der vergnügte Vater das Gold so mit vollen Händen ausgestreut,
daß es nachher schwer hielt diese Ausgaben in verschiedenen Titeln des
Etats zu verstecken.*)

Endlich ward das Budget bewilligt und der Landtag in Gnaden ent-
lassen. Aber die vielen scharfen Worte, die in den letzten Verhandlungen
gefallen waren, hatten den Hof tief verletzt. Die reaktionäre Partei er-
hob wieder keck das Haupt; bereits war es ihr gelungen, den ehrwürdigen
Cajetan Weiller, einen der freiesten Köpfe des Clerus, aus seiner einfluß-
reichen Stellung am Münchener Lyceum in das Stillleben der Akademie
zu versetzen. Auch Aretin's Bajuvaren begannen wieder das literarische
Kothspritzen gegen die eingedrungenen Nordländer. Und dazu die ge-
heimen Zuschriften aus der Hofburg. Selbst die neue Geschäftsordnung
des Landtags, die wirklich nichts zu wünschen übrig ließ, genügte dort
noch nicht. Hatzfeldt, wie immer Metternich's getreues Echo, tobte und
wetterte wider die Feigheit dieses Münchener Hofes, der sich so gar nicht
entschließen konnte, einfach die alten bairischen Landstände wiederherzu-
stellen. Bei der Adreßberathung der Reichsräthe hatte Kronprinz Ludwig
den verständigen Rath gegeben, man möge eine Stelle über "das mon-
archische Princip" streichen, weil sie in der anderen Kammer ärgerliche Be-
merkungen veranlassen werde. Welch ein Zorn in Wien, als man von

*) Küster's Bericht, 17. Dec. 1824.

Letzte Zeiten König Max Joſeph’s.
urtheilen des Volkes zu brechen, das noch feſt am alten Herkommen hing
und die ungewohnten Erſcheinungen des modernen Großverkehrs, zumal
die verhaßten Muſterreiter aus Frankfurt und anderen „ausländiſchen“
Nachbarſtädten, mit tiefem Mißtrauen betrachtete. In guter Abſicht wählte
man alſo einen Mittelweg und entſchied ſich für das Conceſſionsſyſtem:
die Erlaubniß zum Heirathen, zur Niederlaſſung, zum Gewerbebetrieb
ſollte der Regel nach von den Behörden abhängen, die dabei den „Nah-
rungsſtand“ des Orts zu berückſichtigen hatten. Der Vorſchlag mißfiel
in Wahrheit allen Parteien; den Conſervativen ging er zu weit, die Libe-
ralen verlangten mehr, und Rudhart ſagte kühn voraus, die Zeit der voll-
ſtändigen Gewerbefreiheit werde noch kommen. Der Landtag ſtimmte ſchließ-
lich nur zu, weil ſich kein anderer Ausweg zu bieten ſchien. Doch ſofort
begann im Volke eine hartconſervative Bewegung wider die Störung der
alten Gewohnheiten — eine naturwüchſige Reaktion, welcher die neuen Ge-
ſetze nach wenigen Jahren erliegen ſollten. Bei den Budgetverhandlungen
kam in den geheimen Sitzungen viel verhaltener Groll zu Tage; der
Rechnungsabſchluß war ſehr ungünſtig, da das Sinken der Getreidepreiſe
den Ertrag der Domänen verringert, große Brände und andere Unglücks-
fälle ganze Landestheile heimgeſucht hatten. Zudem ſpielte wieder eines
jener unliebſamen kleinen Geheimniſſe mit, die ſich unter König Max
Joſeph kaum vermeiden ließen; bei der Hochzeit der Prinzeſſin Sophie
hatte der vergnügte Vater das Gold ſo mit vollen Händen ausgeſtreut,
daß es nachher ſchwer hielt dieſe Ausgaben in verſchiedenen Titeln des
Etats zu verſtecken.*)

Endlich ward das Budget bewilligt und der Landtag in Gnaden ent-
laſſen. Aber die vielen ſcharfen Worte, die in den letzten Verhandlungen
gefallen waren, hatten den Hof tief verletzt. Die reaktionäre Partei er-
hob wieder keck das Haupt; bereits war es ihr gelungen, den ehrwürdigen
Cajetan Weiller, einen der freieſten Köpfe des Clerus, aus ſeiner einfluß-
reichen Stellung am Münchener Lyceum in das Stillleben der Akademie
zu verſetzen. Auch Aretin’s Bajuvaren begannen wieder das literariſche
Kothſpritzen gegen die eingedrungenen Nordländer. Und dazu die ge-
heimen Zuſchriften aus der Hofburg. Selbſt die neue Geſchäftsordnung
des Landtags, die wirklich nichts zu wünſchen übrig ließ, genügte dort
noch nicht. Hatzfeldt, wie immer Metternich’s getreues Echo, tobte und
wetterte wider die Feigheit dieſes Münchener Hofes, der ſich ſo gar nicht
entſchließen konnte, einfach die alten bairiſchen Landſtände wiederherzu-
ſtellen. Bei der Adreßberathung der Reichsräthe hatte Kronprinz Ludwig
den verſtändigen Rath gegeben, man möge eine Stelle über „das mon-
archiſche Princip“ ſtreichen, weil ſie in der anderen Kammer ärgerliche Be-
merkungen veranlaſſen werde. Welch ein Zorn in Wien, als man von

*) Küſter’s Bericht, 17. Dec. 1824.
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[349/0365] Letzte Zeiten König Max Joſeph’s. urtheilen des Volkes zu brechen, das noch feſt am alten Herkommen hing und die ungewohnten Erſcheinungen des modernen Großverkehrs, zumal die verhaßten Muſterreiter aus Frankfurt und anderen „ausländiſchen“ Nachbarſtädten, mit tiefem Mißtrauen betrachtete. In guter Abſicht wählte man alſo einen Mittelweg und entſchied ſich für das Conceſſionsſyſtem: die Erlaubniß zum Heirathen, zur Niederlaſſung, zum Gewerbebetrieb ſollte der Regel nach von den Behörden abhängen, die dabei den „Nah- rungsſtand“ des Orts zu berückſichtigen hatten. Der Vorſchlag mißfiel in Wahrheit allen Parteien; den Conſervativen ging er zu weit, die Libe- ralen verlangten mehr, und Rudhart ſagte kühn voraus, die Zeit der voll- ſtändigen Gewerbefreiheit werde noch kommen. Der Landtag ſtimmte ſchließ- lich nur zu, weil ſich kein anderer Ausweg zu bieten ſchien. Doch ſofort begann im Volke eine hartconſervative Bewegung wider die Störung der alten Gewohnheiten — eine naturwüchſige Reaktion, welcher die neuen Ge- ſetze nach wenigen Jahren erliegen ſollten. Bei den Budgetverhandlungen kam in den geheimen Sitzungen viel verhaltener Groll zu Tage; der Rechnungsabſchluß war ſehr ungünſtig, da das Sinken der Getreidepreiſe den Ertrag der Domänen verringert, große Brände und andere Unglücks- fälle ganze Landestheile heimgeſucht hatten. Zudem ſpielte wieder eines jener unliebſamen kleinen Geheimniſſe mit, die ſich unter König Max Joſeph kaum vermeiden ließen; bei der Hochzeit der Prinzeſſin Sophie hatte der vergnügte Vater das Gold ſo mit vollen Händen ausgeſtreut, daß es nachher ſchwer hielt dieſe Ausgaben in verſchiedenen Titeln des Etats zu verſtecken. *) Endlich ward das Budget bewilligt und der Landtag in Gnaden ent- laſſen. Aber die vielen ſcharfen Worte, die in den letzten Verhandlungen gefallen waren, hatten den Hof tief verletzt. Die reaktionäre Partei er- hob wieder keck das Haupt; bereits war es ihr gelungen, den ehrwürdigen Cajetan Weiller, einen der freieſten Köpfe des Clerus, aus ſeiner einfluß- reichen Stellung am Münchener Lyceum in das Stillleben der Akademie zu verſetzen. Auch Aretin’s Bajuvaren begannen wieder das literariſche Kothſpritzen gegen die eingedrungenen Nordländer. Und dazu die ge- heimen Zuſchriften aus der Hofburg. Selbſt die neue Geſchäftsordnung des Landtags, die wirklich nichts zu wünſchen übrig ließ, genügte dort noch nicht. Hatzfeldt, wie immer Metternich’s getreues Echo, tobte und wetterte wider die Feigheit dieſes Münchener Hofes, der ſich ſo gar nicht entſchließen konnte, einfach die alten bairiſchen Landſtände wiederherzu- ſtellen. Bei der Adreßberathung der Reichsräthe hatte Kronprinz Ludwig den verſtändigen Rath gegeben, man möge eine Stelle über „das mon- archiſche Princip“ ſtreichen, weil ſie in der anderen Kammer ärgerliche Be- merkungen veranlaſſen werde. Welch ein Zorn in Wien, als man von *) Küſter’s Bericht, 17. Dec. 1824.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/365>, abgerufen am 24.11.2024.