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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Einführung der Provinzialstände.
angehörten, begrüßte man hoffnungsvoll diesen ersten Anfang "einer orga-
nischen Gestaltung der Nation."*) Freilich fehlte es selbst unter den
Hochconservativen nicht an weitblickenden Männern, welche besorgt die
Frage erwogen: was denn nun werden solle im Falle eines Krieges, da
doch nur der Reichstag die Staatsschuld erhöhen dürfe? General Müff-
ling fühlte sich in seinem Gewissen gedrungen zu dem Rathe, der König
möge etwa im Jahre 1828, sobald die Provinzialstände zweimal getagt
hätten, einen Reichstag von ungefähr 120 Köpfen, in zwei Kammern, um sich
versammeln, damit nicht späterhin einmal in Zeiten der Noth eine plötz-
liche Berufung der Reichsstände erzwungen würde.**) Der König aber
ging nicht auf den Vorschlag ein; er rechnete auf einen langen Frieden
und wollte die Provinzialstände sich erst gründlich erproben lassen.

Die Wahlen zu den ersten Landtagen verliefen ohne Lärm, aber überall
unter sehr lebhafter Betheiligung. Auch die Ritterschaft der alten Terri-
torien nahm die neue Ordnung ohne Vorbehalt an, die altständische par-
ticularistische Opposition verschwand mit einem Schlage, die preußische Ver-
fassung stand endlich wieder auf einem allgemein anerkannten Rechtsboden.
Mochten Einzelne aus dem ständischen Adel insgeheim über den halben
Sieg klagen und den Untergang der alten Libertät beweinen, einstimmig
sprachen alle Landtage dem Monarchen ihren Dank aus, und nirgends
ward auch nur versucht, die Rechte der aufgehobenen Landstände zu ver-
wahren. Nur in Sachsen, Preußen und Pommern stellten die Provin-
zialstände den Antrag, die Krone möge den einzelnen Landestheilen noch
besondere Communallandtage gewähren, doch beruhigten sie sich sogleich,
als der König die Bitte abschlug. Wenn die neue Einrichtung das Staats-
gefühl nicht zu heben vermochte, so führte sie doch mindestens die Be-
wohner der einzelnen Provinzen näher zusammen. Der alte Marwitz
mußte zwar zu seinem Herzeleid erleben, daß ein im Magdeburgischen
angesiedelter Altmärker und gar ein "Fremder", ein Niederlausitzer im
ersten brandenburgischen Provinziallandtage den Vorsitz führten; er murrte
über das "Unzeug", das die Demagogen des Beamtenthums in die stän-
dische Gesetzgebung hineingebracht hätten. Immerhin fügte er sich, da er
seinen "märkischen Staat" doch zum Theil wiederhergestellt sah, und trium-
phirend überreichte der unbeugsame Feudale dem neuen Landtage den
Tresorschlüssel der alten Stände, den er vor vierzehn Jahren einst vor
den Beamten Hardenberg's gerettet hatte.

Die Theilnahme, welche die ersten Landtage begrüßte, erkaltete indeß
sehr schnell, da die neuen schon in der Anlage verfehlten Institutionen
sich nur kümmerlich entwickelten. Wohl kam die Krone ihren getreuen
Ständen mit Vertrauen entgegen. Sie gab der Kurmark ihr altes

*) Pfuel an Körner, 20. Febr. 1823.
**) Müffling, Denkschrift über die Reichsstände, 1. Dec. 1825.

Einführung der Provinzialſtände.
angehörten, begrüßte man hoffnungsvoll dieſen erſten Anfang „einer orga-
niſchen Geſtaltung der Nation.“*) Freilich fehlte es ſelbſt unter den
Hochconſervativen nicht an weitblickenden Männern, welche beſorgt die
Frage erwogen: was denn nun werden ſolle im Falle eines Krieges, da
doch nur der Reichstag die Staatsſchuld erhöhen dürfe? General Müff-
ling fühlte ſich in ſeinem Gewiſſen gedrungen zu dem Rathe, der König
möge etwa im Jahre 1828, ſobald die Provinzialſtände zweimal getagt
hätten, einen Reichstag von ungefähr 120 Köpfen, in zwei Kammern, um ſich
verſammeln, damit nicht ſpäterhin einmal in Zeiten der Noth eine plötz-
liche Berufung der Reichsſtände erzwungen würde.**) Der König aber
ging nicht auf den Vorſchlag ein; er rechnete auf einen langen Frieden
und wollte die Provinzialſtände ſich erſt gründlich erproben laſſen.

Die Wahlen zu den erſten Landtagen verliefen ohne Lärm, aber überall
unter ſehr lebhafter Betheiligung. Auch die Ritterſchaft der alten Terri-
torien nahm die neue Ordnung ohne Vorbehalt an, die altſtändiſche par-
ticulariſtiſche Oppoſition verſchwand mit einem Schlage, die preußiſche Ver-
faſſung ſtand endlich wieder auf einem allgemein anerkannten Rechtsboden.
Mochten Einzelne aus dem ſtändiſchen Adel insgeheim über den halben
Sieg klagen und den Untergang der alten Libertät beweinen, einſtimmig
ſprachen alle Landtage dem Monarchen ihren Dank aus, und nirgends
ward auch nur verſucht, die Rechte der aufgehobenen Landſtände zu ver-
wahren. Nur in Sachſen, Preußen und Pommern ſtellten die Provin-
zialſtände den Antrag, die Krone möge den einzelnen Landestheilen noch
beſondere Communallandtage gewähren, doch beruhigten ſie ſich ſogleich,
als der König die Bitte abſchlug. Wenn die neue Einrichtung das Staats-
gefühl nicht zu heben vermochte, ſo führte ſie doch mindeſtens die Be-
wohner der einzelnen Provinzen näher zuſammen. Der alte Marwitz
mußte zwar zu ſeinem Herzeleid erleben, daß ein im Magdeburgiſchen
angeſiedelter Altmärker und gar ein „Fremder“, ein Niederlauſitzer im
erſten brandenburgiſchen Provinziallandtage den Vorſitz führten; er murrte
über das „Unzeug“, das die Demagogen des Beamtenthums in die ſtän-
diſche Geſetzgebung hineingebracht hätten. Immerhin fügte er ſich, da er
ſeinen „märkiſchen Staat“ doch zum Theil wiederhergeſtellt ſah, und trium-
phirend überreichte der unbeugſame Feudale dem neuen Landtage den
Treſorſchlüſſel der alten Stände, den er vor vierzehn Jahren einſt vor
den Beamten Hardenberg’s gerettet hatte.

Die Theilnahme, welche die erſten Landtage begrüßte, erkaltete indeß
ſehr ſchnell, da die neuen ſchon in der Anlage verfehlten Inſtitutionen
ſich nur kümmerlich entwickelten. Wohl kam die Krone ihren getreuen
Ständen mit Vertrauen entgegen. Sie gab der Kurmark ihr altes

*) Pfuel an Körner, 20. Febr. 1823.
**) Müffling, Denkſchrift über die Reichsſtände, 1. Dec. 1825.
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[365/0381] Einführung der Provinzialſtände. angehörten, begrüßte man hoffnungsvoll dieſen erſten Anfang „einer orga- niſchen Geſtaltung der Nation.“ *) Freilich fehlte es ſelbſt unter den Hochconſervativen nicht an weitblickenden Männern, welche beſorgt die Frage erwogen: was denn nun werden ſolle im Falle eines Krieges, da doch nur der Reichstag die Staatsſchuld erhöhen dürfe? General Müff- ling fühlte ſich in ſeinem Gewiſſen gedrungen zu dem Rathe, der König möge etwa im Jahre 1828, ſobald die Provinzialſtände zweimal getagt hätten, einen Reichstag von ungefähr 120 Köpfen, in zwei Kammern, um ſich verſammeln, damit nicht ſpäterhin einmal in Zeiten der Noth eine plötz- liche Berufung der Reichsſtände erzwungen würde. **) Der König aber ging nicht auf den Vorſchlag ein; er rechnete auf einen langen Frieden und wollte die Provinzialſtände ſich erſt gründlich erproben laſſen. Die Wahlen zu den erſten Landtagen verliefen ohne Lärm, aber überall unter ſehr lebhafter Betheiligung. Auch die Ritterſchaft der alten Terri- torien nahm die neue Ordnung ohne Vorbehalt an, die altſtändiſche par- ticulariſtiſche Oppoſition verſchwand mit einem Schlage, die preußiſche Ver- faſſung ſtand endlich wieder auf einem allgemein anerkannten Rechtsboden. Mochten Einzelne aus dem ſtändiſchen Adel insgeheim über den halben Sieg klagen und den Untergang der alten Libertät beweinen, einſtimmig ſprachen alle Landtage dem Monarchen ihren Dank aus, und nirgends ward auch nur verſucht, die Rechte der aufgehobenen Landſtände zu ver- wahren. Nur in Sachſen, Preußen und Pommern ſtellten die Provin- zialſtände den Antrag, die Krone möge den einzelnen Landestheilen noch beſondere Communallandtage gewähren, doch beruhigten ſie ſich ſogleich, als der König die Bitte abſchlug. Wenn die neue Einrichtung das Staats- gefühl nicht zu heben vermochte, ſo führte ſie doch mindeſtens die Be- wohner der einzelnen Provinzen näher zuſammen. Der alte Marwitz mußte zwar zu ſeinem Herzeleid erleben, daß ein im Magdeburgiſchen angeſiedelter Altmärker und gar ein „Fremder“, ein Niederlauſitzer im erſten brandenburgiſchen Provinziallandtage den Vorſitz führten; er murrte über das „Unzeug“, das die Demagogen des Beamtenthums in die ſtän- diſche Geſetzgebung hineingebracht hätten. Immerhin fügte er ſich, da er ſeinen „märkiſchen Staat“ doch zum Theil wiederhergeſtellt ſah, und trium- phirend überreichte der unbeugſame Feudale dem neuen Landtage den Treſorſchlüſſel der alten Stände, den er vor vierzehn Jahren einſt vor den Beamten Hardenberg’s gerettet hatte. Die Theilnahme, welche die erſten Landtage begrüßte, erkaltete indeß ſehr ſchnell, da die neuen ſchon in der Anlage verfehlten Inſtitutionen ſich nur kümmerlich entwickelten. Wohl kam die Krone ihren getreuen Ständen mit Vertrauen entgegen. Sie gab der Kurmark ihr altes *) Pfuel an Körner, 20. Febr. 1823. **) Müffling, Denkſchrift über die Reichsſtände, 1. Dec. 1825.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/381>, abgerufen am 24.11.2024.