sichten, welche die Landtagsmarschälle zum Schluß veröffentlichten, gaben nur ein unvollständiges Bild; über den Gang der Verhandlungen sollte jeder Abgeordnete strenges Stillschweigen beobachten. Sogar das harm- lose, einem Gesammtlandtage unentbehrliche Recht, Petitionen entgegen- zunehmen und zu besprechen, war diesen Provinzialtagen versagt, offen- bar weil man fürchtete, ein Adressensturm in Posen oder am Rhein könne leicht staatsfeindlichen Zwecken dienen. Also blieb das Volk fast ohne Kunde von der Wirksamkeit seiner Vertreter. Die ständischen Verhand- lungen erzogen zwar einen kleinen Stamm politisch erfahrener Männer, aber auf weitere Kreise wirkten sie kaum ein, und noch lange bestand in Preußen nur eine einzige Partei mit bestimmten Zielen: die feudale. --
Am Erfreulichsten verliefen die Berathungen in Preußen und West- phalen. Dort im Osten erwachten wieder die stolzen Erinnerungen an den Königsberger Landtag und an das reichbewegte ständische Leben der Ordenszeit. Ein frischer Hauch jugendlicher Hoffnung und provinzialen Selbstgefühles durchwehte die Reden; man sprach gern, wie Schön, von "dem Königreich Preußen und Sr. Majestät übrigen Staaten." Die Stände freuten sich der wiedergewonnenen altpreußischen Freiheit und hätten am liebsten ihren Sitz im Remter der Marienburg, dem Heiligthum des Landes aufgeschlagen, statt abwechselnd in Danzig oder Königsberg zu tagen. Die patriotische Gesinnung des Adels und der Allen gemeinsame starke Provinzialstolz ließen den Sondergeist der Klassen nicht aufkommen. Als ein Vertreter der Städte einmal mit der itio in partes drohte, da stürzte Alles entrüstet über ihn her, und die Stände erklärten dem Könige: von dem Rechte in Theile zu gehen würde der Landtag des Königreichs Preußen wohl niemals Gebrauch machen, da die Preußen verständen sich über das Interesse einzelner Stände und Landestheile zu erheben. Gleich in seiner ersten Tagung beantragte der Landtag -- leider ohne Erfolg -- den Druck der gesammten Verhandlungen, damit die Nation ihre Stände kennen lerne. Auch Schön, der königliche Commissar, setzte seine Ehre darein, den Landtag seiner Provinz zum Muster für die gesammte Mon- archie zu erheben. Tagten die Stände in Danzig, so bezog der Ober- präsident ein Landhaus in den Pelonken und fuhr täglich in die Stadt hinüber, um durch persönliche Zwiesprache, bald mahnend, bald drohend, die Unzufriedenen bei der Stange zu halten. Die entlegene Provinz stand zusammen gleich einer großen Familie. Im Ständesaale wurde Graf Alexander Dohna, der erste Landwehrmann von 1813, wie ein Patriarch verehrt; das ganze Land trauerte mit ihm als während des Landtags von 1827 die Nachricht von dem Tode seiner Schwägerin Julie Dohna, der Tochter Scharnhorst's, einlief; mit Thränen in den Augen umdrängten ihn die tapferen Preußen, da er nach seiner Gewohnheit noch eine Ab- schiedsrede hielt und mit den Worten Paul Gerhard's schloß: Gott gebe uns Allen ein fröhliches Herz!
Charakter der Provinziallandtage.
ſichten, welche die Landtagsmarſchälle zum Schluß veröffentlichten, gaben nur ein unvollſtändiges Bild; über den Gang der Verhandlungen ſollte jeder Abgeordnete ſtrenges Stillſchweigen beobachten. Sogar das harm- loſe, einem Geſammtlandtage unentbehrliche Recht, Petitionen entgegen- zunehmen und zu beſprechen, war dieſen Provinzialtagen verſagt, offen- bar weil man fürchtete, ein Adreſſenſturm in Poſen oder am Rhein könne leicht ſtaatsfeindlichen Zwecken dienen. Alſo blieb das Volk faſt ohne Kunde von der Wirkſamkeit ſeiner Vertreter. Die ſtändiſchen Verhand- lungen erzogen zwar einen kleinen Stamm politiſch erfahrener Männer, aber auf weitere Kreiſe wirkten ſie kaum ein, und noch lange beſtand in Preußen nur eine einzige Partei mit beſtimmten Zielen: die feudale. —
Am Erfreulichſten verliefen die Berathungen in Preußen und Weſt- phalen. Dort im Oſten erwachten wieder die ſtolzen Erinnerungen an den Königsberger Landtag und an das reichbewegte ſtändiſche Leben der Ordenszeit. Ein friſcher Hauch jugendlicher Hoffnung und provinzialen Selbſtgefühles durchwehte die Reden; man ſprach gern, wie Schön, von „dem Königreich Preußen und Sr. Majeſtät übrigen Staaten.“ Die Stände freuten ſich der wiedergewonnenen altpreußiſchen Freiheit und hätten am liebſten ihren Sitz im Remter der Marienburg, dem Heiligthum des Landes aufgeſchlagen, ſtatt abwechſelnd in Danzig oder Königsberg zu tagen. Die patriotiſche Geſinnung des Adels und der Allen gemeinſame ſtarke Provinzialſtolz ließen den Sondergeiſt der Klaſſen nicht aufkommen. Als ein Vertreter der Städte einmal mit der itio in partes drohte, da ſtürzte Alles entrüſtet über ihn her, und die Stände erklärten dem Könige: von dem Rechte in Theile zu gehen würde der Landtag des Königreichs Preußen wohl niemals Gebrauch machen, da die Preußen verſtänden ſich über das Intereſſe einzelner Stände und Landestheile zu erheben. Gleich in ſeiner erſten Tagung beantragte der Landtag — leider ohne Erfolg — den Druck der geſammten Verhandlungen, damit die Nation ihre Stände kennen lerne. Auch Schön, der königliche Commiſſar, ſetzte ſeine Ehre darein, den Landtag ſeiner Provinz zum Muſter für die geſammte Mon- archie zu erheben. Tagten die Stände in Danzig, ſo bezog der Ober- präſident ein Landhaus in den Pelonken und fuhr täglich in die Stadt hinüber, um durch perſönliche Zwieſprache, bald mahnend, bald drohend, die Unzufriedenen bei der Stange zu halten. Die entlegene Provinz ſtand zuſammen gleich einer großen Familie. Im Ständeſaale wurde Graf Alexander Dohna, der erſte Landwehrmann von 1813, wie ein Patriarch verehrt; das ganze Land trauerte mit ihm als während des Landtags von 1827 die Nachricht von dem Tode ſeiner Schwägerin Julie Dohna, der Tochter Scharnhorſt’s, einlief; mit Thränen in den Augen umdrängten ihn die tapferen Preußen, da er nach ſeiner Gewohnheit noch eine Ab- ſchiedsrede hielt und mit den Worten Paul Gerhard’s ſchloß: Gott gebe uns Allen ein fröhliches Herz!
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nur ein unvollſtändiges Bild; über den Gang der Verhandlungen ſollte
jeder Abgeordnete ſtrenges Stillſchweigen beobachten. Sogar das harm-
loſe, einem Geſammtlandtage unentbehrliche Recht, Petitionen entgegen-
zunehmen und zu beſprechen, war dieſen Provinzialtagen verſagt, offen-
bar weil man fürchtete, ein Adreſſenſturm in Poſen oder am Rhein könne
leicht ſtaatsfeindlichen Zwecken dienen. Alſo blieb das Volk faſt ohne
Kunde von der Wirkſamkeit ſeiner Vertreter. Die ſtändiſchen Verhand-
lungen erzogen zwar einen kleinen Stamm politiſch erfahrener Männer,
aber auf weitere Kreiſe wirkten ſie kaum ein, und noch lange beſtand in
Preußen nur eine einzige Partei mit beſtimmten Zielen: die feudale. —
Am Erfreulichſten verliefen die Berathungen in Preußen und Weſt-
phalen. Dort im Oſten erwachten wieder die ſtolzen Erinnerungen an
den Königsberger Landtag und an das reichbewegte ſtändiſche Leben der
Ordenszeit. Ein friſcher Hauch jugendlicher Hoffnung und provinzialen
Selbſtgefühles durchwehte die Reden; man ſprach gern, wie Schön, von
„dem Königreich Preußen und Sr. Majeſtät übrigen Staaten.“ Die
Stände freuten ſich der wiedergewonnenen altpreußiſchen Freiheit und hätten
am liebſten ihren Sitz im Remter der Marienburg, dem Heiligthum des
Landes aufgeſchlagen, ſtatt abwechſelnd in Danzig oder Königsberg zu
tagen. Die patriotiſche Geſinnung des Adels und der Allen gemeinſame
ſtarke Provinzialſtolz ließen den Sondergeiſt der Klaſſen nicht aufkommen.
Als ein Vertreter der Städte einmal mit der itio in partes drohte, da
ſtürzte Alles entrüſtet über ihn her, und die Stände erklärten dem Könige:
von dem Rechte in Theile zu gehen würde der Landtag des Königreichs
Preußen wohl niemals Gebrauch machen, da die Preußen verſtänden ſich
über das Intereſſe einzelner Stände und Landestheile zu erheben. Gleich
in ſeiner erſten Tagung beantragte der Landtag — leider ohne Erfolg —
den Druck der geſammten Verhandlungen, damit die Nation ihre Stände
kennen lerne. Auch Schön, der königliche Commiſſar, ſetzte ſeine Ehre
darein, den Landtag ſeiner Provinz zum Muſter für die geſammte Mon-
archie zu erheben. Tagten die Stände in Danzig, ſo bezog der Ober-
präſident ein Landhaus in den Pelonken und fuhr täglich in die Stadt
hinüber, um durch perſönliche Zwieſprache, bald mahnend, bald drohend,
die Unzufriedenen bei der Stange zu halten. Die entlegene Provinz ſtand
zuſammen gleich einer großen Familie. Im Ständeſaale wurde Graf
Alexander Dohna, der erſte Landwehrmann von 1813, wie ein Patriarch
verehrt; das ganze Land trauerte mit ihm als während des Landtags
von 1827 die Nachricht von dem Tode ſeiner Schwägerin Julie Dohna,
der Tochter Scharnhorſt’s, einlief; mit Thränen in den Augen umdrängten
ihn die tapferen Preußen, da er nach ſeiner Gewohnheit noch eine Ab-
ſchiedsrede hielt und mit den Worten Paul Gerhard’s ſchloß: Gott gebe
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/383>, abgerufen am 24.11.2024.
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