erbitterte Volk aber ließ nicht von ihm ab. Jener unruhige Drang nach nervöser Aufregung, der dem modernen Geschlechte so tief im Blute liegt und in dem stillen politischen Leben der Zeit keine Nahrung fand, bemächtigte sich des Processes Fonk und spielte mit abenteuerlichen Erfindungen, ganz wie späterhin als die räthselhafte Erscheinung Caspar Hauser's auftauchte. Das unheimliche, wie mit einem Kainszeichen gebrandmarkte Gesicht des Beschuldigten schien die vorhandenen Verdachtsgründe zu bestätigen; der Argwohn der kleinen Leute wider die Reichen wirkte mit, in den pro- testantischen Städten am Niederrhein wohl auch der confessionelle Haß gegen den Neffen des clericalen Aachener Generalvicars Fonk. Genug, fast alle Rheinländer glaubten an Fonk's Schuld, die Schulkinder sangen Gassenhauer auf den unbestraften Mörder, die öffentliche Stimme äußerte sich mit solcher Macht, daß die Behörden die Untersuchung wieder auf- nahmen. Zum dritten male verhaftet wurde Fonk, sechs Jahre nach der Auffindung des Leichnams, endlich vor die Assisen in Trier gestellt.
Ob die Volksmeinung das Rechte traf, ist bis zur heutigen Stunde noch völlig zweifelhaft; um so gewisser dagegen, daß alle Gebrechen des Schwurgerichts, alle die bureaukratischen Mißbräuche des französischen Ver- fahrens bei dieser Verhandlung häßlich zu Tage traten. Nach jeder Sitzung wurden die Geschworenen in den Weinhäusern von den aufgeregten Massen bearbeitet; unter den Zeugen spielten die Moutons, die berüchtigten Gefäng- nißspione der französischen Polizei, eine sehr widerwärtige Rolle; der Ge- neraladvocat v. Sandt, derselbe, der sich in den rheinischen Wahlkämpfen hervorthat, betrieb die Anklage mit unziemlicher Gehässigkeit und veröffent- lichte noch vor der Entscheidung eine Druckschrift darüber; auch der Prä- sident mißbrauchte die schrankenlose Gewalt, die ihm das französische Gesetzbuch einräumte, zu mannichfacher Einschüchterung. Als die Ge- schworenen, trotz der höchst mangelhaften Beweise, ihr Schuldig sprachen, ging ein Ruf des Jubels durch das rheinische Land; in einzelnen Städten veranstaltete man geradezu Freudenfeste; das Gewissen des Volkes war befriedigt. Benzenberg aber, der sich von den Stimmungen seiner Lands- leute so leicht nicht fortreißen ließ, schrieb dem Staatskanzler: an diesem Wahrspruch werde das rheinische Schwurgericht zu Grunde gehen.
In der That erweckte das Todesurtheil außerhalb der Provinz fast überall Entrüstung. Der Göttinger Jurist Kobbe sendete alsbald eine scharfe Kritik an Hardenberg, Berufene und Unberufene stürzten sich in den Federkrieg.*) Auch Helmine v. Chezy drängte sich vor, die Enkelin der Karschin, eines jener fürchterlichen literarischen Frauenzimmer, die ihre Mitmenschen bald durch Verse, bald durch Nächstenliebe zu mißhandeln pflegen. Mit Schadenfreude sah das reactionäre Lager diesen Kämpfen
*) Benzenberg an Hardenberg, 12. Juli, 25. Novemb.; Hardenberg an Kircheisen, 3. Aug.; Kobbe an Hardenberg, 18. Juli 1822.
Proceß Fonk.
erbitterte Volk aber ließ nicht von ihm ab. Jener unruhige Drang nach nervöſer Aufregung, der dem modernen Geſchlechte ſo tief im Blute liegt und in dem ſtillen politiſchen Leben der Zeit keine Nahrung fand, bemächtigte ſich des Proceſſes Fonk und ſpielte mit abenteuerlichen Erfindungen, ganz wie ſpäterhin als die räthſelhafte Erſcheinung Caspar Hauſer’s auftauchte. Das unheimliche, wie mit einem Kainszeichen gebrandmarkte Geſicht des Beſchuldigten ſchien die vorhandenen Verdachtsgründe zu beſtätigen; der Argwohn der kleinen Leute wider die Reichen wirkte mit, in den pro- teſtantiſchen Städten am Niederrhein wohl auch der confeſſionelle Haß gegen den Neffen des clericalen Aachener Generalvicars Fonk. Genug, faſt alle Rheinländer glaubten an Fonk’s Schuld, die Schulkinder ſangen Gaſſenhauer auf den unbeſtraften Mörder, die öffentliche Stimme äußerte ſich mit ſolcher Macht, daß die Behörden die Unterſuchung wieder auf- nahmen. Zum dritten male verhaftet wurde Fonk, ſechs Jahre nach der Auffindung des Leichnams, endlich vor die Aſſiſen in Trier geſtellt.
Ob die Volksmeinung das Rechte traf, iſt bis zur heutigen Stunde noch völlig zweifelhaft; um ſo gewiſſer dagegen, daß alle Gebrechen des Schwurgerichts, alle die bureaukratiſchen Mißbräuche des franzöſiſchen Ver- fahrens bei dieſer Verhandlung häßlich zu Tage traten. Nach jeder Sitzung wurden die Geſchworenen in den Weinhäuſern von den aufgeregten Maſſen bearbeitet; unter den Zeugen ſpielten die Moutons, die berüchtigten Gefäng- nißſpione der franzöſiſchen Polizei, eine ſehr widerwärtige Rolle; der Ge- neraladvocat v. Sandt, derſelbe, der ſich in den rheiniſchen Wahlkämpfen hervorthat, betrieb die Anklage mit unziemlicher Gehäſſigkeit und veröffent- lichte noch vor der Entſcheidung eine Druckſchrift darüber; auch der Prä- ſident mißbrauchte die ſchrankenloſe Gewalt, die ihm das franzöſiſche Geſetzbuch einräumte, zu mannichfacher Einſchüchterung. Als die Ge- ſchworenen, trotz der höchſt mangelhaften Beweiſe, ihr Schuldig ſprachen, ging ein Ruf des Jubels durch das rheiniſche Land; in einzelnen Städten veranſtaltete man geradezu Freudenfeſte; das Gewiſſen des Volkes war befriedigt. Benzenberg aber, der ſich von den Stimmungen ſeiner Lands- leute ſo leicht nicht fortreißen ließ, ſchrieb dem Staatskanzler: an dieſem Wahrſpruch werde das rheiniſche Schwurgericht zu Grunde gehen.
In der That erweckte das Todesurtheil außerhalb der Provinz faſt überall Entrüſtung. Der Göttinger Juriſt Kobbe ſendete alsbald eine ſcharfe Kritik an Hardenberg, Berufene und Unberufene ſtürzten ſich in den Federkrieg.*) Auch Helmine v. Chezy drängte ſich vor, die Enkelin der Karſchin, eines jener fürchterlichen literariſchen Frauenzimmer, die ihre Mitmenſchen bald durch Verſe, bald durch Nächſtenliebe zu mißhandeln pflegen. Mit Schadenfreude ſah das reactionäre Lager dieſen Kämpfen
*) Benzenberg an Hardenberg, 12. Juli, 25. Novemb.; Hardenberg an Kircheiſen, 3. Aug.; Kobbe an Hardenberg, 18. Juli 1822.
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in dem ſtillen politiſchen Leben der Zeit keine Nahrung fand, bemächtigte ſich
des Proceſſes Fonk und ſpielte mit abenteuerlichen Erfindungen, ganz wie
ſpäterhin als die räthſelhafte Erſcheinung Caspar Hauſer’s auftauchte.
Das unheimliche, wie mit einem Kainszeichen gebrandmarkte Geſicht des
Beſchuldigten ſchien die vorhandenen Verdachtsgründe zu beſtätigen; der
Argwohn der kleinen Leute wider die Reichen wirkte mit, in den pro-
teſtantiſchen Städten am Niederrhein wohl auch der confeſſionelle Haß
gegen den Neffen des clericalen Aachener Generalvicars Fonk. Genug,
faſt alle Rheinländer glaubten an Fonk’s Schuld, die Schulkinder ſangen
Gaſſenhauer auf den unbeſtraften Mörder, die öffentliche Stimme äußerte
ſich mit ſolcher Macht, daß die Behörden die Unterſuchung wieder auf-
nahmen. Zum dritten male verhaftet wurde Fonk, ſechs Jahre nach der
Auffindung des Leichnams, endlich vor die Aſſiſen in Trier geſtellt.
Ob die Volksmeinung das Rechte traf, iſt bis zur heutigen Stunde
noch völlig zweifelhaft; um ſo gewiſſer dagegen, daß alle Gebrechen des
Schwurgerichts, alle die bureaukratiſchen Mißbräuche des franzöſiſchen Ver-
fahrens bei dieſer Verhandlung häßlich zu Tage traten. Nach jeder Sitzung
wurden die Geſchworenen in den Weinhäuſern von den aufgeregten Maſſen
bearbeitet; unter den Zeugen ſpielten die Moutons, die berüchtigten Gefäng-
nißſpione der franzöſiſchen Polizei, eine ſehr widerwärtige Rolle; der Ge-
neraladvocat v. Sandt, derſelbe, der ſich in den rheiniſchen Wahlkämpfen
hervorthat, betrieb die Anklage mit unziemlicher Gehäſſigkeit und veröffent-
lichte noch vor der Entſcheidung eine Druckſchrift darüber; auch der Prä-
ſident mißbrauchte die ſchrankenloſe Gewalt, die ihm das franzöſiſche
Geſetzbuch einräumte, zu mannichfacher Einſchüchterung. Als die Ge-
ſchworenen, trotz der höchſt mangelhaften Beweiſe, ihr Schuldig ſprachen,
ging ein Ruf des Jubels durch das rheiniſche Land; in einzelnen Städten
veranſtaltete man geradezu Freudenfeſte; das Gewiſſen des Volkes war
befriedigt. Benzenberg aber, der ſich von den Stimmungen ſeiner Lands-
leute ſo leicht nicht fortreißen ließ, ſchrieb dem Staatskanzler: an dieſem
Wahrſpruch werde das rheiniſche Schwurgericht zu Grunde gehen.
In der That erweckte das Todesurtheil außerhalb der Provinz faſt
überall Entrüſtung. Der Göttinger Juriſt Kobbe ſendete alsbald eine
ſcharfe Kritik an Hardenberg, Berufene und Unberufene ſtürzten ſich in
den Federkrieg. *) Auch Helmine v. Chezy drängte ſich vor, die Enkelin der
Karſchin, eines jener fürchterlichen literariſchen Frauenzimmer, die ihre
Mitmenſchen bald durch Verſe, bald durch Nächſtenliebe zu mißhandeln
pflegen. Mit Schadenfreude ſah das reactionäre Lager dieſen Kämpfen
*) Benzenberg an Hardenberg, 12. Juli, 25. Novemb.; Hardenberg an Kircheiſen,
3. Aug.; Kobbe an Hardenberg, 18. Juli 1822.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/399>, abgerufen am 18.06.2024.
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