III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
zu, denn durch die Redner der süddeutschen Kammern war das Schwur- gericht längst in den Streit der Parteien hinabgerissen worden. Metternich frohlockte und pries die Fügung des Himmels, daß der verhängnißvolle Name Sand nun abermals den Anstoß geben müsse zu einem heilsamen Rückschlage. Aber auch ein anerkannter Führer der süddeutschen Liberalen, Paulus in Heidelberg nahm sich des Verurtheilten an; er füllte ganze Hefte seines Sophronizon mit einer Darstellung des Processes, die dem streit- baren Theologen den juristischen Doctorhut einbrachte, und sendete seine Arbeit dem Könige selber ein. Noch schwerer fiel die Meinung des ersten deutschen Criminalisten ins Gewicht. Anselm Feuerbach hatte soeben erst in einer bahnbrechenden Schrift die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafprocesses glänzend vertheidigt, er war auch kein unbedingter Gegner der Geschworenengerichte, die er mindestens im constitutionellen Staate für unvermeidlich hielt; doch über die Vorgänge in Trier sprach er seinen tiefen Abscheu aus: ein solcher Justizmord überbiete noch die Hinrichtung des Jean Calas; noch sei ja nicht einmal erwiesen, ob der Todte über- haupt durch fremde Hand umgekommen sei.
Das Alles stürmte auf den König ein, zugleich bedrängte ihn Fonk's unbescholtene Frau mit herzbrechenden Bitten. Friedrich Wilhelm fühlte sich tief im Gewissen erschüttert, forderte zunächst vom Justizministerium genauen Bericht, und als auch dies Gutachten den Wahrspruch der rhei- nischen Geschworenen durchaus verdammte, da beschloß er um der Gerech- tigkeit willen selber das Gesetz zu verletzen -- ganz wie sein Großoheim einst nach dem Processe des Müllers Arnold. Er wagte eine That der Cabinetsjustiz und erklärte das Urtheil für nichtig, denn Begnadigung schien ihm ungenügend nach solchem Unrecht. In den alten Provinzen wurde die Entscheidung des Monarchen fast überall gebilligt. Die Rheinländer grollten. Von Napoleon hatten sie ärgere Eingriffe hingenommen, weil er das Geschworenengericht -- wie er es sich zugerichtet hatte -- geflis- sentlich pflegte; von der deutschen Herrschaft befürchteten sie, dem ersten Schlage würden schwerere folgen.
Ihre Besorgniß war nicht grundlos. Der König konnte die Eindrücke jenes schrecklichen Processes lange nicht verwinden. Nach Allem was ihm sein Minister Kircheisen vorgetragen, hielt er sich verpflichtet, der Wieder- kehr solcher Fälle vorzubeugen, und befahl auf Antrag des gesammten Staatsministeriums (9. Dec. 1824), daß die Aufhebung des rheinischen Gesetzbuchs nicht, wie im Jahre 1819 beschlossen war, bis zur vollendeten Revision des Allgemeinen Landrechts zu verschieben, sondern sogleich ins Werk zu setzen sei. Als aber das Justizministerium über die Vollziehung dieser Cabinetsordre berieth, da zeigten sich die Schwierigkeiten fast unüber- windlich, und Kircheisen selbst, der alte Gegner des französischen Rechts, erklärte wenige Tage vor seinem Tode (März 1825), im Widerspruche mit seiner früheren Meinung: man müsse die Einführung des Landrechts
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
zu, denn durch die Redner der ſüddeutſchen Kammern war das Schwur- gericht längſt in den Streit der Parteien hinabgeriſſen worden. Metternich frohlockte und pries die Fügung des Himmels, daß der verhängnißvolle Name Sand nun abermals den Anſtoß geben müſſe zu einem heilſamen Rückſchlage. Aber auch ein anerkannter Führer der ſüddeutſchen Liberalen, Paulus in Heidelberg nahm ſich des Verurtheilten an; er füllte ganze Hefte ſeines Sophronizon mit einer Darſtellung des Proceſſes, die dem ſtreit- baren Theologen den juriſtiſchen Doctorhut einbrachte, und ſendete ſeine Arbeit dem Könige ſelber ein. Noch ſchwerer fiel die Meinung des erſten deutſchen Criminaliſten ins Gewicht. Anſelm Feuerbach hatte ſoeben erſt in einer bahnbrechenden Schrift die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafproceſſes glänzend vertheidigt, er war auch kein unbedingter Gegner der Geſchworenengerichte, die er mindeſtens im conſtitutionellen Staate für unvermeidlich hielt; doch über die Vorgänge in Trier ſprach er ſeinen tiefen Abſcheu aus: ein ſolcher Juſtizmord überbiete noch die Hinrichtung des Jean Calas; noch ſei ja nicht einmal erwieſen, ob der Todte über- haupt durch fremde Hand umgekommen ſei.
Das Alles ſtürmte auf den König ein, zugleich bedrängte ihn Fonk’s unbeſcholtene Frau mit herzbrechenden Bitten. Friedrich Wilhelm fühlte ſich tief im Gewiſſen erſchüttert, forderte zunächſt vom Juſtizminiſterium genauen Bericht, und als auch dies Gutachten den Wahrſpruch der rhei- niſchen Geſchworenen durchaus verdammte, da beſchloß er um der Gerech- tigkeit willen ſelber das Geſetz zu verletzen — ganz wie ſein Großoheim einſt nach dem Proceſſe des Müllers Arnold. Er wagte eine That der Cabinetsjuſtiz und erklärte das Urtheil für nichtig, denn Begnadigung ſchien ihm ungenügend nach ſolchem Unrecht. In den alten Provinzen wurde die Entſcheidung des Monarchen faſt überall gebilligt. Die Rheinländer grollten. Von Napoleon hatten ſie ärgere Eingriffe hingenommen, weil er das Geſchworenengericht — wie er es ſich zugerichtet hatte — gefliſ- ſentlich pflegte; von der deutſchen Herrſchaft befürchteten ſie, dem erſten Schlage würden ſchwerere folgen.
Ihre Beſorgniß war nicht grundlos. Der König konnte die Eindrücke jenes ſchrecklichen Proceſſes lange nicht verwinden. Nach Allem was ihm ſein Miniſter Kircheiſen vorgetragen, hielt er ſich verpflichtet, der Wieder- kehr ſolcher Fälle vorzubeugen, und befahl auf Antrag des geſammten Staatsminiſteriums (9. Dec. 1824), daß die Aufhebung des rheiniſchen Geſetzbuchs nicht, wie im Jahre 1819 beſchloſſen war, bis zur vollendeten Reviſion des Allgemeinen Landrechts zu verſchieben, ſondern ſogleich ins Werk zu ſetzen ſei. Als aber das Juſtizminiſterium über die Vollziehung dieſer Cabinetsordre berieth, da zeigten ſich die Schwierigkeiten faſt unüber- windlich, und Kircheiſen ſelbſt, der alte Gegner des franzöſiſchen Rechts, erklärte wenige Tage vor ſeinem Tode (März 1825), im Widerſpruche mit ſeiner früheren Meinung: man müſſe die Einführung des Landrechts
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
zu, denn durch die Redner der ſüddeutſchen Kammern war das Schwur-
gericht längſt in den Streit der Parteien hinabgeriſſen worden. Metternich
frohlockte und pries die Fügung des Himmels, daß der verhängnißvolle
Name Sand nun abermals den Anſtoß geben müſſe zu einem heilſamen
Rückſchlage. Aber auch ein anerkannter Führer der ſüddeutſchen Liberalen,
Paulus in Heidelberg nahm ſich des Verurtheilten an; er füllte ganze Hefte
ſeines Sophronizon mit einer Darſtellung des Proceſſes, die dem ſtreit-
baren Theologen den juriſtiſchen Doctorhut einbrachte, und ſendete ſeine
Arbeit dem Könige ſelber ein. Noch ſchwerer fiel die Meinung des erſten
deutſchen Criminaliſten ins Gewicht. Anſelm Feuerbach hatte ſoeben erſt
in einer bahnbrechenden Schrift die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des
Strafproceſſes glänzend vertheidigt, er war auch kein unbedingter Gegner
der Geſchworenengerichte, die er mindeſtens im conſtitutionellen Staate
für unvermeidlich hielt; doch über die Vorgänge in Trier ſprach er ſeinen
tiefen Abſcheu aus: ein ſolcher Juſtizmord überbiete noch die Hinrichtung
des Jean Calas; noch ſei ja nicht einmal erwieſen, ob der Todte über-
haupt durch fremde Hand umgekommen ſei.
Das Alles ſtürmte auf den König ein, zugleich bedrängte ihn Fonk’s
unbeſcholtene Frau mit herzbrechenden Bitten. Friedrich Wilhelm fühlte
ſich tief im Gewiſſen erſchüttert, forderte zunächſt vom Juſtizminiſterium
genauen Bericht, und als auch dies Gutachten den Wahrſpruch der rhei-
niſchen Geſchworenen durchaus verdammte, da beſchloß er um der Gerech-
tigkeit willen ſelber das Geſetz zu verletzen — ganz wie ſein Großoheim
einſt nach dem Proceſſe des Müllers Arnold. Er wagte eine That der
Cabinetsjuſtiz und erklärte das Urtheil für nichtig, denn Begnadigung ſchien
ihm ungenügend nach ſolchem Unrecht. In den alten Provinzen wurde
die Entſcheidung des Monarchen faſt überall gebilligt. Die Rheinländer
grollten. Von Napoleon hatten ſie ärgere Eingriffe hingenommen, weil
er das Geſchworenengericht — wie er es ſich zugerichtet hatte — gefliſ-
ſentlich pflegte; von der deutſchen Herrſchaft befürchteten ſie, dem erſten
Schlage würden ſchwerere folgen.
Ihre Beſorgniß war nicht grundlos. Der König konnte die Eindrücke
jenes ſchrecklichen Proceſſes lange nicht verwinden. Nach Allem was ihm
ſein Miniſter Kircheiſen vorgetragen, hielt er ſich verpflichtet, der Wieder-
kehr ſolcher Fälle vorzubeugen, und befahl auf Antrag des geſammten
Staatsminiſteriums (9. Dec. 1824), daß die Aufhebung des rheiniſchen
Geſetzbuchs nicht, wie im Jahre 1819 beſchloſſen war, bis zur vollendeten
Reviſion des Allgemeinen Landrechts zu verſchieben, ſondern ſogleich ins
Werk zu ſetzen ſei. Als aber das Juſtizminiſterium über die Vollziehung
dieſer Cabinetsordre berieth, da zeigten ſich die Schwierigkeiten faſt unüber-
windlich, und Kircheiſen ſelbſt, der alte Gegner des franzöſiſchen Rechts,
erklärte wenige Tage vor ſeinem Tode (März 1825), im Widerſpruche
mit ſeiner früheren Meinung: man müſſe die Einführung des Landrechts
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/400>, abgerufen am 18.06.2024.
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