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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Erzbischof Graf Spiegel.
die erzbischöfliche Küche war immer dankbar wenn ihr Stein aus dem
Cappenberger Wildgarten Fasanen oder Rothwild sendete.

Zu den Staatsbehörden trat er sogleich auf guten Fuß; seine im
schwerfälligen altmünsterschen Curialstile gehaltenen Amtsschreiben lauteten
immer ganz unzweideutig, und bis auf einige Aufwallungen jener reiz-
baren Standesempfindlichkeit, welche der katholische Clerus mit dem Offi-
ziersstande theilt, kam niemals ein unfriedlicher Auftritt vor. Von freien
Stücken verständigte er sich mit dem Minister über die Zahl der anzu-
erkennenden katholischen Festtage und befahl seinem Clerus die Feier des
allgemeinen Buß- und Bettags, der als eine Stiftung protestantischer
Fürsten bei den clericalen Eiferern in üblem Geruche stand. Graf Spiegel
war mit den Jahren kirchlicher geworden und nahm die Pflichten seines
Amtes sehr ernst; seine wärmste Fürsorge aber galt der Erziehung der
jungen Priester. Die "Sinnesdumpfheit" mancher seiner älteren Cleriker
erregte sein Mitleid, und noch bevor er seine Stellung antrat, erlangte
er von Altenstein die Zusage, daß an der rheinischen Universität ein theo-
logisches Convict errichtet werden sollte, denn unmöglich könne man die
wissenschaftliche Ausbildung des theologischen Nachwuchses "dem Unwesen
und dem Schlendrian" des Kölner Priesterseminars allein überlassen.
Der schleppende Geschäftsgang in Altenstein's Ministerium brachte den
Eifrigen oft zur Verzweiflung; zuweilen argwöhnte er sogar, daß Geh.
Rath Schmedding, der sich mehr und mehr der clericalen Richtung zu-
wendete, ihm insgeheim entgegenarbeite. Nach zweijährigem Drängen und
Mahnen sah er endlich seinen Lieblingswunsch erfüllt, und das neue Convict
wirkte in diesen ersten Jahren durchaus wohlthätig, da seine Zöglinge
sich zwar einer strengen Hausordnung fügen mußten, aber mit den welt-
lichen Commilitonen frei verkehren und ihre philosophischen Collegien nach
eigenem Ermessen auswählen durften. Eine klösterliche Lebensweise wollte
der Erzbischof grundsätzlich vermieden sehen, weil sie den Gewohnheiten
des heutigen Lebens widerspreche; selbst gegen die Anstellung evangelischer
Convictsdiener hatte er nichts einzuwenden, falls sich keine geeigneten Katho-
liken fänden.*)

Leider übte er das Recht des Einspruchs, das ihm bei der Anstellung
theologischer Lehrer zustand, nicht unparteiisch. Sollte die paritätische Hoch-
schule das Mißtrauen der alten Krummstabslande überwinden, so mußten
alle Richtungen der theologischen Wissenschaft in ihrer katholischen Facultät
eine Vertretung finden; darum wünschte Altenstein den besten Kopf der
jungen Tübinger Schule, Möhler, nach Bonn zu berufen. Der Erz-
bischof aber widersprach entschieden**); er war noch von seinen Münster-

*) Spiegel an Rehfues, 5. Febr., 21. März; an A. W. v. Schlegel, 13. Juli
1825; an Professor Hüllmann, 4., 13. Dec. 1826, 26. Sept. 1827; an Bunsen 12. Dec.
1828, 6. Juli 1829.
**) Dieser Thatsache gedenkt Rehfues in einem Berichte an Altenstein v. 20. März 1837.

Erzbiſchof Graf Spiegel.
die erzbiſchöfliche Küche war immer dankbar wenn ihr Stein aus dem
Cappenberger Wildgarten Faſanen oder Rothwild ſendete.

Zu den Staatsbehörden trat er ſogleich auf guten Fuß; ſeine im
ſchwerfälligen altmünſterſchen Curialſtile gehaltenen Amtsſchreiben lauteten
immer ganz unzweideutig, und bis auf einige Aufwallungen jener reiz-
baren Standesempfindlichkeit, welche der katholiſche Clerus mit dem Offi-
ziersſtande theilt, kam niemals ein unfriedlicher Auftritt vor. Von freien
Stücken verſtändigte er ſich mit dem Miniſter über die Zahl der anzu-
erkennenden katholiſchen Feſttage und befahl ſeinem Clerus die Feier des
allgemeinen Buß- und Bettags, der als eine Stiftung proteſtantiſcher
Fürſten bei den clericalen Eiferern in üblem Geruche ſtand. Graf Spiegel
war mit den Jahren kirchlicher geworden und nahm die Pflichten ſeines
Amtes ſehr ernſt; ſeine wärmſte Fürſorge aber galt der Erziehung der
jungen Prieſter. Die „Sinnesdumpfheit“ mancher ſeiner älteren Cleriker
erregte ſein Mitleid, und noch bevor er ſeine Stellung antrat, erlangte
er von Altenſtein die Zuſage, daß an der rheiniſchen Univerſität ein theo-
logiſches Convict errichtet werden ſollte, denn unmöglich könne man die
wiſſenſchaftliche Ausbildung des theologiſchen Nachwuchſes „dem Unweſen
und dem Schlendrian“ des Kölner Prieſterſeminars allein überlaſſen.
Der ſchleppende Geſchäftsgang in Altenſtein’s Miniſterium brachte den
Eifrigen oft zur Verzweiflung; zuweilen argwöhnte er ſogar, daß Geh.
Rath Schmedding, der ſich mehr und mehr der clericalen Richtung zu-
wendete, ihm insgeheim entgegenarbeite. Nach zweijährigem Drängen und
Mahnen ſah er endlich ſeinen Lieblingswunſch erfüllt, und das neue Convict
wirkte in dieſen erſten Jahren durchaus wohlthätig, da ſeine Zöglinge
ſich zwar einer ſtrengen Hausordnung fügen mußten, aber mit den welt-
lichen Commilitonen frei verkehren und ihre philoſophiſchen Collegien nach
eigenem Ermeſſen auswählen durften. Eine klöſterliche Lebensweiſe wollte
der Erzbiſchof grundſätzlich vermieden ſehen, weil ſie den Gewohnheiten
des heutigen Lebens widerſpreche; ſelbſt gegen die Anſtellung evangeliſcher
Convictsdiener hatte er nichts einzuwenden, falls ſich keine geeigneten Katho-
liken fänden.*)

Leider übte er das Recht des Einſpruchs, das ihm bei der Anſtellung
theologiſcher Lehrer zuſtand, nicht unparteiiſch. Sollte die paritätiſche Hoch-
ſchule das Mißtrauen der alten Krummſtabslande überwinden, ſo mußten
alle Richtungen der theologiſchen Wiſſenſchaft in ihrer katholiſchen Facultät
eine Vertretung finden; darum wünſchte Altenſtein den beſten Kopf der
jungen Tübinger Schule, Möhler, nach Bonn zu berufen. Der Erz-
biſchof aber widerſprach entſchieden**); er war noch von ſeinen Münſter-

*) Spiegel an Rehfues, 5. Febr., 21. März; an A. W. v. Schlegel, 13. Juli
1825; an Profeſſor Hüllmann, 4., 13. Dec. 1826, 26. Sept. 1827; an Bunſen 12. Dec.
1828, 6. Juli 1829.
**) Dieſer Thatſache gedenkt Rehfues in einem Berichte an Altenſtein v. 20. März 1837.
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[407/0423] Erzbiſchof Graf Spiegel. die erzbiſchöfliche Küche war immer dankbar wenn ihr Stein aus dem Cappenberger Wildgarten Faſanen oder Rothwild ſendete. Zu den Staatsbehörden trat er ſogleich auf guten Fuß; ſeine im ſchwerfälligen altmünſterſchen Curialſtile gehaltenen Amtsſchreiben lauteten immer ganz unzweideutig, und bis auf einige Aufwallungen jener reiz- baren Standesempfindlichkeit, welche der katholiſche Clerus mit dem Offi- ziersſtande theilt, kam niemals ein unfriedlicher Auftritt vor. Von freien Stücken verſtändigte er ſich mit dem Miniſter über die Zahl der anzu- erkennenden katholiſchen Feſttage und befahl ſeinem Clerus die Feier des allgemeinen Buß- und Bettags, der als eine Stiftung proteſtantiſcher Fürſten bei den clericalen Eiferern in üblem Geruche ſtand. Graf Spiegel war mit den Jahren kirchlicher geworden und nahm die Pflichten ſeines Amtes ſehr ernſt; ſeine wärmſte Fürſorge aber galt der Erziehung der jungen Prieſter. Die „Sinnesdumpfheit“ mancher ſeiner älteren Cleriker erregte ſein Mitleid, und noch bevor er ſeine Stellung antrat, erlangte er von Altenſtein die Zuſage, daß an der rheiniſchen Univerſität ein theo- logiſches Convict errichtet werden ſollte, denn unmöglich könne man die wiſſenſchaftliche Ausbildung des theologiſchen Nachwuchſes „dem Unweſen und dem Schlendrian“ des Kölner Prieſterſeminars allein überlaſſen. Der ſchleppende Geſchäftsgang in Altenſtein’s Miniſterium brachte den Eifrigen oft zur Verzweiflung; zuweilen argwöhnte er ſogar, daß Geh. Rath Schmedding, der ſich mehr und mehr der clericalen Richtung zu- wendete, ihm insgeheim entgegenarbeite. Nach zweijährigem Drängen und Mahnen ſah er endlich ſeinen Lieblingswunſch erfüllt, und das neue Convict wirkte in dieſen erſten Jahren durchaus wohlthätig, da ſeine Zöglinge ſich zwar einer ſtrengen Hausordnung fügen mußten, aber mit den welt- lichen Commilitonen frei verkehren und ihre philoſophiſchen Collegien nach eigenem Ermeſſen auswählen durften. Eine klöſterliche Lebensweiſe wollte der Erzbiſchof grundſätzlich vermieden ſehen, weil ſie den Gewohnheiten des heutigen Lebens widerſpreche; ſelbſt gegen die Anſtellung evangeliſcher Convictsdiener hatte er nichts einzuwenden, falls ſich keine geeigneten Katho- liken fänden. *) Leider übte er das Recht des Einſpruchs, das ihm bei der Anſtellung theologiſcher Lehrer zuſtand, nicht unparteiiſch. Sollte die paritätiſche Hoch- ſchule das Mißtrauen der alten Krummſtabslande überwinden, ſo mußten alle Richtungen der theologiſchen Wiſſenſchaft in ihrer katholiſchen Facultät eine Vertretung finden; darum wünſchte Altenſtein den beſten Kopf der jungen Tübinger Schule, Möhler, nach Bonn zu berufen. Der Erz- biſchof aber widerſprach entſchieden **); er war noch von ſeinen Münſter- *) Spiegel an Rehfues, 5. Febr., 21. März; an A. W. v. Schlegel, 13. Juli 1825; an Profeſſor Hüllmann, 4., 13. Dec. 1826, 26. Sept. 1827; an Bunſen 12. Dec. 1828, 6. Juli 1829. **) Dieſer Thatſache gedenkt Rehfues in einem Berichte an Altenſtein v. 20. März 1837.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/423>, abgerufen am 24.11.2024.