III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
schwarzen Augen über das Orchester gleiten ließ, dann empfanden Alle, daß ein Zug napoleonischer Herrscherkraft in der brütenden Wildheit dieses leidenschaftlichen gelben Gesichtes lag, und mit tadelloser Sicherheit folgte die Kapelle jeder Regung seines Taktstocks. Er fühlte sich stolz als letzter classischer Vertreter jener alten Prachtoper der Romanen, deren große Zeit nun zu Ende ging. Brachte ihm ein junger Anfänger ein schwäch- liches Musikstück, dann führte er den Unglücklichen ans Fenster, zeigte hinüber nach der majestätischen Kuppel der französischen Kirche und sagte erhaben: mon ami, il vous faut des idees grandes comme cette coupole! Doch unmöglich konnte dieser stolze Fremdling einer Nation ge- nügen, die sich in der Musik längst ihre eigenen Ideale geschaffen hatte. Mit patriotischer Entrüstung stürzte sich die Presse auf ihn, obgleich er unbe- denklich Polizei und Censur, zuweilen sogar ein Machtwort des Königs selber zu Hilfe rief. Die Jugend verlangte nach nationaler Kunst, sie wollte ihren Liebling C. M. v. Weber auf dem Stuhle des Kapellmeisters sehen. Als der junge Felix Mendelssohn-Bartholdy in dem neuen schönen Saale, den der König der Singakademie geschenkt hatte, Bach's Matthäus- Passion aufführte, da hätte der Maestro wohl lernen können, daß diese weihevollen vaterländischen Klänge die deutschen Herzen doch ganz anders ergriffen als die Trommelwirbel seines Cortez; aber was kümmerten ihn diese nordischen Barbaren, deren Sprache er niemals recht lernte? --
Wie kleinlich erschien dies leichte Geplänkel neben den ernsten Kämpfen, welche das wissenschaftliche Leben Berlins bewegten. Die junge Univer- sität war jetzt wirklich, wie W. Humboldt einst gehofft, die erste Deutsch- lands; sie hatte Fichte, Niebuhr, K. F. Eichhorn verloren, aber Bopp, Ritter, Ranke und viele andere glänzende junge Talente gewonnen; die schöpfe- rischen Gedanken, welche in der Theologie, der Rechtswissenschaft und auf dem weiten Gebiete der historisch-philosophischen Forschung neue Bahnen brachen, gingen großentheils von Berlin aus. Und nun schlug auch die Hegel'sche Philosophie an der Spree ihr Lager auf, das letzte der großen philosophischen Systeme, welche wirklich gelebt und die Nation beherrscht haben. Im Bewußtsein eines welthistorischen Berufs hatte Hegel (1818) sein preußisches Amt angetreten: "Auf der Universität des Mittelpunkts muß auch der Mittelpunkt der Wissenschaft, die Philosophie ihre Stelle finden." Er widmete sich in Berlin ganz dem Katheder, und ungeheuer war die Wirkung seines lebendigen Wortes. Neben den Studenten saßen auch viele bedeutende Männer aus dem Beamtenthum und dem Heere zu des Meisters Füßen und bewunderten die großartige Architektonik eines fest in sich geschlossenen, die ganze Welt umspannenden Gedankenbaues, der so lange der Grundfehler seiner Anlage unentdeckt blieb, dem Selbstgefühle des denkenden Geistes die höchste mögliche Befriedigung gewährte. Die Philo- sophie war nicht mehr Liebe zum Wissen, sie wähnte die Weisheit selber zu sein und zog mit maßlosem Hochmuth wider das blos verständige Denken der
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſchwarzen Augen über das Orcheſter gleiten ließ, dann empfanden Alle, daß ein Zug napoleoniſcher Herrſcherkraft in der brütenden Wildheit dieſes leidenſchaftlichen gelben Geſichtes lag, und mit tadelloſer Sicherheit folgte die Kapelle jeder Regung ſeines Taktſtocks. Er fühlte ſich ſtolz als letzter claſſiſcher Vertreter jener alten Prachtoper der Romanen, deren große Zeit nun zu Ende ging. Brachte ihm ein junger Anfänger ein ſchwäch- liches Muſikſtück, dann führte er den Unglücklichen ans Fenſter, zeigte hinüber nach der majeſtätiſchen Kuppel der franzöſiſchen Kirche und ſagte erhaben: mon ami, il vous faut des idées grandes comme cette coupole! Doch unmöglich konnte dieſer ſtolze Fremdling einer Nation ge- nügen, die ſich in der Muſik längſt ihre eigenen Ideale geſchaffen hatte. Mit patriotiſcher Entrüſtung ſtürzte ſich die Preſſe auf ihn, obgleich er unbe- denklich Polizei und Cenſur, zuweilen ſogar ein Machtwort des Königs ſelber zu Hilfe rief. Die Jugend verlangte nach nationaler Kunſt, ſie wollte ihren Liebling C. M. v. Weber auf dem Stuhle des Kapellmeiſters ſehen. Als der junge Felix Mendelsſohn-Bartholdy in dem neuen ſchönen Saale, den der König der Singakademie geſchenkt hatte, Bach’s Matthäus- Paſſion aufführte, da hätte der Maeſtro wohl lernen können, daß dieſe weihevollen vaterländiſchen Klänge die deutſchen Herzen doch ganz anders ergriffen als die Trommelwirbel ſeines Cortez; aber was kümmerten ihn dieſe nordiſchen Barbaren, deren Sprache er niemals recht lernte? —
Wie kleinlich erſchien dies leichte Geplänkel neben den ernſten Kämpfen, welche das wiſſenſchaftliche Leben Berlins bewegten. Die junge Univer- ſität war jetzt wirklich, wie W. Humboldt einſt gehofft, die erſte Deutſch- lands; ſie hatte Fichte, Niebuhr, K. F. Eichhorn verloren, aber Bopp, Ritter, Ranke und viele andere glänzende junge Talente gewonnen; die ſchöpfe- riſchen Gedanken, welche in der Theologie, der Rechtswiſſenſchaft und auf dem weiten Gebiete der hiſtoriſch-philoſophiſchen Forſchung neue Bahnen brachen, gingen großentheils von Berlin aus. Und nun ſchlug auch die Hegel’ſche Philoſophie an der Spree ihr Lager auf, das letzte der großen philoſophiſchen Syſteme, welche wirklich gelebt und die Nation beherrſcht haben. Im Bewußtſein eines welthiſtoriſchen Berufs hatte Hegel (1818) ſein preußiſches Amt angetreten: „Auf der Univerſität des Mittelpunkts muß auch der Mittelpunkt der Wiſſenſchaft, die Philoſophie ihre Stelle finden.“ Er widmete ſich in Berlin ganz dem Katheder, und ungeheuer war die Wirkung ſeines lebendigen Wortes. Neben den Studenten ſaßen auch viele bedeutende Männer aus dem Beamtenthum und dem Heere zu des Meiſters Füßen und bewunderten die großartige Architektonik eines feſt in ſich geſchloſſenen, die ganze Welt umſpannenden Gedankenbaues, der ſo lange der Grundfehler ſeiner Anlage unentdeckt blieb, dem Selbſtgefühle des denkenden Geiſtes die höchſte mögliche Befriedigung gewährte. Die Philo- ſophie war nicht mehr Liebe zum Wiſſen, ſie wähnte die Weisheit ſelber zu ſein und zog mit maßloſem Hochmuth wider das blos verſtändige Denken der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0444"n="428"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.</fw><lb/>ſchwarzen Augen über das Orcheſter gleiten ließ, dann empfanden Alle,<lb/>
daß ein Zug napoleoniſcher Herrſcherkraft in der brütenden Wildheit dieſes<lb/>
leidenſchaftlichen gelben Geſichtes lag, und mit tadelloſer Sicherheit folgte<lb/>
die Kapelle jeder Regung ſeines Taktſtocks. Er fühlte ſich ſtolz als letzter<lb/>
claſſiſcher Vertreter jener alten Prachtoper der Romanen, deren große<lb/>
Zeit nun zu Ende ging. Brachte ihm ein junger Anfänger ein ſchwäch-<lb/>
liches Muſikſtück, dann führte er den Unglücklichen ans Fenſter, zeigte<lb/>
hinüber nach der majeſtätiſchen Kuppel der franzöſiſchen Kirche und ſagte<lb/>
erhaben: <hirendition="#aq">mon ami, il vous faut des idées grandes comme cette<lb/>
coupole!</hi> Doch unmöglich konnte dieſer ſtolze Fremdling einer Nation ge-<lb/>
nügen, die ſich in der Muſik längſt ihre eigenen Ideale geſchaffen hatte.<lb/>
Mit patriotiſcher Entrüſtung ſtürzte ſich die Preſſe auf ihn, obgleich er unbe-<lb/>
denklich Polizei und Cenſur, zuweilen ſogar ein Machtwort des Königs<lb/>ſelber zu Hilfe rief. Die Jugend verlangte nach nationaler Kunſt, ſie<lb/>
wollte ihren Liebling C. M. v. Weber auf dem Stuhle des Kapellmeiſters<lb/>ſehen. Als der junge Felix Mendelsſohn-Bartholdy in dem neuen ſchönen<lb/>
Saale, den der König der Singakademie geſchenkt hatte, Bach’s Matthäus-<lb/>
Paſſion aufführte, da hätte der Maeſtro wohl lernen können, daß dieſe<lb/>
weihevollen vaterländiſchen Klänge die deutſchen Herzen doch ganz anders<lb/>
ergriffen als die Trommelwirbel ſeines Cortez; aber was kümmerten ihn<lb/>
dieſe nordiſchen Barbaren, deren Sprache er niemals recht lernte? —</p><lb/><p>Wie kleinlich erſchien dies leichte Geplänkel neben den ernſten Kämpfen,<lb/>
welche das wiſſenſchaftliche Leben Berlins bewegten. Die junge Univer-<lb/>ſität war jetzt wirklich, wie W. Humboldt einſt gehofft, die erſte Deutſch-<lb/>
lands; ſie hatte Fichte, Niebuhr, K. F. Eichhorn verloren, aber Bopp, Ritter,<lb/>
Ranke und viele andere glänzende junge Talente gewonnen; die ſchöpfe-<lb/>
riſchen Gedanken, welche in der Theologie, der Rechtswiſſenſchaft und auf<lb/>
dem weiten Gebiete der hiſtoriſch-philoſophiſchen Forſchung neue Bahnen<lb/>
brachen, gingen großentheils von Berlin aus. Und nun ſchlug auch die<lb/>
Hegel’ſche Philoſophie an der Spree ihr Lager auf, das letzte der großen<lb/>
philoſophiſchen Syſteme, welche wirklich gelebt und die Nation beherrſcht<lb/>
haben. Im Bewußtſein eines welthiſtoriſchen Berufs hatte Hegel (1818) ſein<lb/>
preußiſches Amt angetreten: „Auf der Univerſität des Mittelpunkts muß<lb/>
auch der Mittelpunkt der Wiſſenſchaft, die Philoſophie ihre Stelle finden.“<lb/>
Er widmete ſich in Berlin ganz dem Katheder, und ungeheuer war die<lb/>
Wirkung ſeines lebendigen Wortes. Neben den Studenten ſaßen auch<lb/>
viele bedeutende Männer aus dem Beamtenthum und dem Heere zu des<lb/>
Meiſters Füßen und bewunderten die großartige Architektonik eines feſt in<lb/>ſich geſchloſſenen, die ganze Welt umſpannenden Gedankenbaues, der ſo lange<lb/>
der Grundfehler ſeiner Anlage unentdeckt blieb, dem Selbſtgefühle des<lb/>
denkenden Geiſtes die höchſte mögliche Befriedigung gewährte. Die Philo-<lb/>ſophie war nicht mehr Liebe zum Wiſſen, ſie wähnte die Weisheit ſelber zu<lb/>ſein und zog mit maßloſem Hochmuth wider das blos verſtändige Denken der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[428/0444]
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſchwarzen Augen über das Orcheſter gleiten ließ, dann empfanden Alle,
daß ein Zug napoleoniſcher Herrſcherkraft in der brütenden Wildheit dieſes
leidenſchaftlichen gelben Geſichtes lag, und mit tadelloſer Sicherheit folgte
die Kapelle jeder Regung ſeines Taktſtocks. Er fühlte ſich ſtolz als letzter
claſſiſcher Vertreter jener alten Prachtoper der Romanen, deren große
Zeit nun zu Ende ging. Brachte ihm ein junger Anfänger ein ſchwäch-
liches Muſikſtück, dann führte er den Unglücklichen ans Fenſter, zeigte
hinüber nach der majeſtätiſchen Kuppel der franzöſiſchen Kirche und ſagte
erhaben: mon ami, il vous faut des idées grandes comme cette
coupole! Doch unmöglich konnte dieſer ſtolze Fremdling einer Nation ge-
nügen, die ſich in der Muſik längſt ihre eigenen Ideale geſchaffen hatte.
Mit patriotiſcher Entrüſtung ſtürzte ſich die Preſſe auf ihn, obgleich er unbe-
denklich Polizei und Cenſur, zuweilen ſogar ein Machtwort des Königs
ſelber zu Hilfe rief. Die Jugend verlangte nach nationaler Kunſt, ſie
wollte ihren Liebling C. M. v. Weber auf dem Stuhle des Kapellmeiſters
ſehen. Als der junge Felix Mendelsſohn-Bartholdy in dem neuen ſchönen
Saale, den der König der Singakademie geſchenkt hatte, Bach’s Matthäus-
Paſſion aufführte, da hätte der Maeſtro wohl lernen können, daß dieſe
weihevollen vaterländiſchen Klänge die deutſchen Herzen doch ganz anders
ergriffen als die Trommelwirbel ſeines Cortez; aber was kümmerten ihn
dieſe nordiſchen Barbaren, deren Sprache er niemals recht lernte? —
Wie kleinlich erſchien dies leichte Geplänkel neben den ernſten Kämpfen,
welche das wiſſenſchaftliche Leben Berlins bewegten. Die junge Univer-
ſität war jetzt wirklich, wie W. Humboldt einſt gehofft, die erſte Deutſch-
lands; ſie hatte Fichte, Niebuhr, K. F. Eichhorn verloren, aber Bopp, Ritter,
Ranke und viele andere glänzende junge Talente gewonnen; die ſchöpfe-
riſchen Gedanken, welche in der Theologie, der Rechtswiſſenſchaft und auf
dem weiten Gebiete der hiſtoriſch-philoſophiſchen Forſchung neue Bahnen
brachen, gingen großentheils von Berlin aus. Und nun ſchlug auch die
Hegel’ſche Philoſophie an der Spree ihr Lager auf, das letzte der großen
philoſophiſchen Syſteme, welche wirklich gelebt und die Nation beherrſcht
haben. Im Bewußtſein eines welthiſtoriſchen Berufs hatte Hegel (1818) ſein
preußiſches Amt angetreten: „Auf der Univerſität des Mittelpunkts muß
auch der Mittelpunkt der Wiſſenſchaft, die Philoſophie ihre Stelle finden.“
Er widmete ſich in Berlin ganz dem Katheder, und ungeheuer war die
Wirkung ſeines lebendigen Wortes. Neben den Studenten ſaßen auch
viele bedeutende Männer aus dem Beamtenthum und dem Heere zu des
Meiſters Füßen und bewunderten die großartige Architektonik eines feſt in
ſich geſchloſſenen, die ganze Welt umſpannenden Gedankenbaues, der ſo lange
der Grundfehler ſeiner Anlage unentdeckt blieb, dem Selbſtgefühle des
denkenden Geiſtes die höchſte mögliche Befriedigung gewährte. Die Philo-
ſophie war nicht mehr Liebe zum Wiſſen, ſie wähnte die Weisheit ſelber zu
ſein und zog mit maßloſem Hochmuth wider das blos verſtändige Denken der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/444>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.