Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Berliner Theater.
Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der goldgelockten
Perücke hing in allen Schaufenstern; eine reiche Literatur von Flug-
schriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er sich endlich durch das Ueber-
maß seiner Händelsucht doch unmöglich machte. Die Lust an lärmendem
Streite, die jeder großstädtischen Bevölkerung im Blute liegt, konnte sich
nur in solchem Gezänk entladen.

Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es geschehen,
daß mißliebige Schauspieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem
souveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen
kein Bedenken, persönlich solche Volksgerichte zu leiten. Leidenschaftlich, als
gälte es einen Kampf um die politische Macht, ergriffen die Berliner Partei
für und wider, als das Königstädtische Theater eröffnet wurde. Begeisterte
Romantiker hofften schon, Berlin werde nun endlich eine Volksbühne er-
halten und die deutsche Kunst aus dem Vagabundenthum der alten Ko-
mödiantenbuden frische Kraft schöpfen. An Karl v. Holtei, dem Impro-
visator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, besaß die neue Bühne
einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit seiner munteren schle-
sischen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig einwirken
konnte. Aber die bureaukratische Leitung der königlichen Schauspiele wollte
sich nicht entschließen, die leichte Waare der Possen und Singspiele dem
Volkstheater zu überlassen. So begann ein gehässiger Wettbewerb, der
beide Bühnen herunterbrachte. Der Skandal ward vollständig, als die
schönste aller deutschen Sängerinnen, Henriette Sontag in der Königstadt
die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; die Neider
und die Verehrer der schönen Henriette befehdeten einander in Zeitungs-
artikeln und Libellen, sogar in Processen vor dem Kammergerichte; Hegel
selbst stieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um seinen philo-
sophischen Unwillen über die Schwänke der Königstadt kräftig zu bekunden,
und die Buben auf den Gassen pfiffen ein neues Volkslied "Lott' ist todt",
das mit einem geistvollen Scherze über die Spitzenkleider der Demoiselle
Sontag und ihren hoffnungslosen Anbeter, den englischen Gesandten Lord
Clanwilliam endigte.

Zugleich wogte auf der königlichen Bühne selbst ein unablässiger
Kampf zwischen der Generalintendanz und dem Musikdirektor Spontini;
Graf Brühl erlag schließlich dem ewigen Aerger, aber auch sein Nach-
folger, der kunstsinnige junge Graf Redern konnte trotz seiner höfischen
Feinheit dem Streite mit dem herrschsüchtigen Italiener nicht ausweichen.
Mehr als zwanzig Jahre lang behauptete sich der Musiker des napole-
onischen Cäsarenruhms in der Hauptstadt des Volkes, das den entschei-
denden Schlag gegen den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt
von Feinden, allein gehalten durch die Gunst des Königs und die Meister-
schaft eines unbestreitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit
Edelsteinen und Spitzenmanschetten pomphaft angethan, die Blitze seiner

Die Berliner Theater.
Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der goldgelockten
Perücke hing in allen Schaufenſtern; eine reiche Literatur von Flug-
ſchriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er ſich endlich durch das Ueber-
maß ſeiner Händelſucht doch unmöglich machte. Die Luſt an lärmendem
Streite, die jeder großſtädtiſchen Bevölkerung im Blute liegt, konnte ſich
nur in ſolchem Gezänk entladen.

Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es geſchehen,
daß mißliebige Schauſpieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem
ſouveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen
kein Bedenken, perſönlich ſolche Volksgerichte zu leiten. Leidenſchaftlich, als
gälte es einen Kampf um die politiſche Macht, ergriffen die Berliner Partei
für und wider, als das Königſtädtiſche Theater eröffnet wurde. Begeiſterte
Romantiker hofften ſchon, Berlin werde nun endlich eine Volksbühne er-
halten und die deutſche Kunſt aus dem Vagabundenthum der alten Ko-
mödiantenbuden friſche Kraft ſchöpfen. An Karl v. Holtei, dem Impro-
viſator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, beſaß die neue Bühne
einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit ſeiner munteren ſchle-
ſiſchen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig einwirken
konnte. Aber die bureaukratiſche Leitung der königlichen Schauſpiele wollte
ſich nicht entſchließen, die leichte Waare der Poſſen und Singſpiele dem
Volkstheater zu überlaſſen. So begann ein gehäſſiger Wettbewerb, der
beide Bühnen herunterbrachte. Der Skandal ward vollſtändig, als die
ſchönſte aller deutſchen Sängerinnen, Henriette Sontag in der Königſtadt
die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; die Neider
und die Verehrer der ſchönen Henriette befehdeten einander in Zeitungs-
artikeln und Libellen, ſogar in Proceſſen vor dem Kammergerichte; Hegel
ſelbſt ſtieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um ſeinen philo-
ſophiſchen Unwillen über die Schwänke der Königſtadt kräftig zu bekunden,
und die Buben auf den Gaſſen pfiffen ein neues Volkslied „Lott’ iſt todt“,
das mit einem geiſtvollen Scherze über die Spitzenkleider der Demoiſelle
Sontag und ihren hoffnungsloſen Anbeter, den engliſchen Geſandten Lord
Clanwilliam endigte.

Zugleich wogte auf der königlichen Bühne ſelbſt ein unabläſſiger
Kampf zwiſchen der Generalintendanz und dem Muſikdirektor Spontini;
Graf Brühl erlag ſchließlich dem ewigen Aerger, aber auch ſein Nach-
folger, der kunſtſinnige junge Graf Redern konnte trotz ſeiner höfiſchen
Feinheit dem Streite mit dem herrſchſüchtigen Italiener nicht ausweichen.
Mehr als zwanzig Jahre lang behauptete ſich der Muſiker des napole-
oniſchen Cäſarenruhms in der Hauptſtadt des Volkes, das den entſchei-
denden Schlag gegen den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt
von Feinden, allein gehalten durch die Gunſt des Königs und die Meiſter-
ſchaft eines unbeſtreitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit
Edelſteinen und Spitzenmanſchetten pomphaft angethan, die Blitze ſeiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0443" n="427"/><fw place="top" type="header">Die Berliner Theater.</fw><lb/>
Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der goldgelockten<lb/>
Perücke hing in allen Schaufen&#x017F;tern; eine reiche Literatur von Flug-<lb/>
&#x017F;chriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er &#x017F;ich endlich durch das Ueber-<lb/>
maß &#x017F;einer Händel&#x017F;ucht doch unmöglich machte. Die Lu&#x017F;t an lärmendem<lb/>
Streite, die jeder groß&#x017F;tädti&#x017F;chen Bevölkerung im Blute liegt, konnte &#x017F;ich<lb/>
nur in &#x017F;olchem Gezänk entladen.</p><lb/>
          <p>Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es ge&#x017F;chehen,<lb/>
daß mißliebige Schau&#x017F;pieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem<lb/>
&#x017F;ouveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen<lb/>
kein Bedenken, per&#x017F;önlich &#x017F;olche Volksgerichte zu leiten. Leiden&#x017F;chaftlich, als<lb/>
gälte es einen Kampf um die politi&#x017F;che Macht, ergriffen die Berliner Partei<lb/>
für und wider, als das König&#x017F;tädti&#x017F;che Theater eröffnet wurde. Begei&#x017F;terte<lb/>
Romantiker hofften &#x017F;chon, Berlin werde nun endlich eine Volksbühne er-<lb/>
halten und die deut&#x017F;che Kun&#x017F;t aus dem Vagabundenthum der alten Ko-<lb/>
mödiantenbuden fri&#x017F;che Kraft &#x017F;chöpfen. An Karl v. Holtei, dem Impro-<lb/>
vi&#x017F;ator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, be&#x017F;aß die neue Bühne<lb/>
einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit &#x017F;einer munteren &#x017F;chle-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig einwirken<lb/>
konnte. Aber die bureaukrati&#x017F;che Leitung der königlichen Schau&#x017F;piele wollte<lb/>
&#x017F;ich nicht ent&#x017F;chließen, die leichte Waare der Po&#x017F;&#x017F;en und Sing&#x017F;piele dem<lb/>
Volkstheater zu überla&#x017F;&#x017F;en. So begann ein gehä&#x017F;&#x017F;iger Wettbewerb, der<lb/>
beide Bühnen herunterbrachte. Der Skandal ward voll&#x017F;tändig, als die<lb/>
&#x017F;chön&#x017F;te aller deut&#x017F;chen Sängerinnen, Henriette Sontag in der König&#x017F;tadt<lb/>
die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; die Neider<lb/>
und die Verehrer der &#x017F;chönen Henriette befehdeten einander in Zeitungs-<lb/>
artikeln und Libellen, &#x017F;ogar in Proce&#x017F;&#x017F;en vor dem Kammergerichte; Hegel<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;tieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um &#x017F;einen philo-<lb/>
&#x017F;ophi&#x017F;chen Unwillen über die Schwänke der König&#x017F;tadt kräftig zu bekunden,<lb/>
und die Buben auf den Ga&#x017F;&#x017F;en pfiffen ein neues Volkslied &#x201E;Lott&#x2019; i&#x017F;t todt&#x201C;,<lb/>
das mit einem gei&#x017F;tvollen Scherze über die Spitzenkleider der Demoi&#x017F;elle<lb/>
Sontag und ihren hoffnungslo&#x017F;en Anbeter, den engli&#x017F;chen Ge&#x017F;andten Lord<lb/>
Clanwilliam endigte.</p><lb/>
          <p>Zugleich wogte auf der königlichen Bühne &#x017F;elb&#x017F;t ein unablä&#x017F;&#x017F;iger<lb/>
Kampf zwi&#x017F;chen der Generalintendanz und dem Mu&#x017F;ikdirektor Spontini;<lb/>
Graf Brühl erlag &#x017F;chließlich dem ewigen Aerger, aber auch &#x017F;ein Nach-<lb/>
folger, der kun&#x017F;t&#x017F;innige junge Graf Redern konnte trotz &#x017F;einer höfi&#x017F;chen<lb/>
Feinheit dem Streite mit dem herr&#x017F;ch&#x017F;üchtigen Italiener nicht ausweichen.<lb/>
Mehr als zwanzig Jahre lang behauptete &#x017F;ich der Mu&#x017F;iker des napole-<lb/>
oni&#x017F;chen Cä&#x017F;arenruhms in der Haupt&#x017F;tadt des Volkes, das den ent&#x017F;chei-<lb/>
denden Schlag gegen den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt<lb/>
von Feinden, allein gehalten durch die Gun&#x017F;t des Königs und die Mei&#x017F;ter-<lb/>
&#x017F;chaft eines unbe&#x017F;treitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit<lb/>
Edel&#x017F;teinen und Spitzenman&#x017F;chetten pomphaft angethan, die Blitze &#x017F;einer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0443] Die Berliner Theater. Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der goldgelockten Perücke hing in allen Schaufenſtern; eine reiche Literatur von Flug- ſchriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er ſich endlich durch das Ueber- maß ſeiner Händelſucht doch unmöglich machte. Die Luſt an lärmendem Streite, die jeder großſtädtiſchen Bevölkerung im Blute liegt, konnte ſich nur in ſolchem Gezänk entladen. Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es geſchehen, daß mißliebige Schauſpieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem ſouveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen kein Bedenken, perſönlich ſolche Volksgerichte zu leiten. Leidenſchaftlich, als gälte es einen Kampf um die politiſche Macht, ergriffen die Berliner Partei für und wider, als das Königſtädtiſche Theater eröffnet wurde. Begeiſterte Romantiker hofften ſchon, Berlin werde nun endlich eine Volksbühne er- halten und die deutſche Kunſt aus dem Vagabundenthum der alten Ko- mödiantenbuden friſche Kraft ſchöpfen. An Karl v. Holtei, dem Impro- viſator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, beſaß die neue Bühne einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit ſeiner munteren ſchle- ſiſchen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig einwirken konnte. Aber die bureaukratiſche Leitung der königlichen Schauſpiele wollte ſich nicht entſchließen, die leichte Waare der Poſſen und Singſpiele dem Volkstheater zu überlaſſen. So begann ein gehäſſiger Wettbewerb, der beide Bühnen herunterbrachte. Der Skandal ward vollſtändig, als die ſchönſte aller deutſchen Sängerinnen, Henriette Sontag in der Königſtadt die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; die Neider und die Verehrer der ſchönen Henriette befehdeten einander in Zeitungs- artikeln und Libellen, ſogar in Proceſſen vor dem Kammergerichte; Hegel ſelbſt ſtieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um ſeinen philo- ſophiſchen Unwillen über die Schwänke der Königſtadt kräftig zu bekunden, und die Buben auf den Gaſſen pfiffen ein neues Volkslied „Lott’ iſt todt“, das mit einem geiſtvollen Scherze über die Spitzenkleider der Demoiſelle Sontag und ihren hoffnungsloſen Anbeter, den engliſchen Geſandten Lord Clanwilliam endigte. Zugleich wogte auf der königlichen Bühne ſelbſt ein unabläſſiger Kampf zwiſchen der Generalintendanz und dem Muſikdirektor Spontini; Graf Brühl erlag ſchließlich dem ewigen Aerger, aber auch ſein Nach- folger, der kunſtſinnige junge Graf Redern konnte trotz ſeiner höfiſchen Feinheit dem Streite mit dem herrſchſüchtigen Italiener nicht ausweichen. Mehr als zwanzig Jahre lang behauptete ſich der Muſiker des napole- oniſchen Cäſarenruhms in der Hauptſtadt des Volkes, das den entſchei- denden Schlag gegen den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt von Feinden, allein gehalten durch die Gunſt des Königs und die Meiſter- ſchaft eines unbeſtreitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit Edelſteinen und Spitzenmanſchetten pomphaft angethan, die Blitze ſeiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/443
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/443>, abgerufen am 24.11.2024.