Potsdam, von tausenden ehrfürchtiger Zuschauer bewundert, in goldenem Aarhelm und schimmernder Rüstung Carroussel ritten um ihrer Schwester Charlotte, der weißen Rose, ritterlich zu huldigen, zog schon der Sturm- vogel der Revolution, die Stumme von Portici über die Theater Europas und verkündete das Nahen eines demokratischen Zeitalters, das mit seinen Volksfesten und politischen Kämpfen den Glanz der Höfe ganz verdun- keln sollte.
Doch solche Tage, da der Hof aus seinem Stillleben heraustrat, er- schienen nur selten. Auch anderer Stätten großstädtischer Geselligkeit be- saß Berlin nur wenige. Fast allein in den reichen Häusern Mendelssohn und Meyerbeer, in den bescheidenen Salons Stägemann's und seiner lie- benswürdigen Damen oder in der Gesetzlosen Gesellschaft, wo Schleier- macher und der biderbe Zwingherr Buttmann um die Wette die Funken ihres Witzes sprühen ließen, fanden geistreiche Menschen verschiedener Ge- sinnung noch einen neutralen Boden für ungezwungenen Verkehr. Sonst bestanden überall nur geschlossene kleine Parteien und Kränzchen; selbst der schöngeistige Kreis der Rahel Varnhagen trug schon die Färbung einer literarisch-politischen Parteigesinnung. In den langen Jahrhunderten deut- scher Ohnmacht war aus dem alten Germanentrotz ein kleinlicher, neidischer Sondergeist aufgewuchert und den Deutschen zur anderen Natur geworden; er trieb die Studenten in die Hahnenkämpfe ihres Verbindungslebens, er verdarb die städtische Geselligkeit durch ein unleidliches Cliquenwesen, und auch Deutschlands größte Stadt war ihm noch nicht entwachsen. Gelehrte und Schauspieler, Schriftsteller und Künstler saßen in ihren Fractionen und Schulen eng zusammen, anmaßend, unduldsam gegen den Nichtgenossen, grenzenlos ungerecht gegen den Feind. In dieser zerklüfteten und zerrissenen Welt war weder das urbane Wohlwollen der großstädtischen Gesellschaft Italiens zu finden, noch jener durchgebildete Nationalstolz der Franzosen, der jedes große Talent als ein Stück vaterländischen Ruhmes hoch hält. Vor Fremden prahlten die Berliner gern mit dem geistigen Glanze ihrer Stadt; daheim bestrebte sich Jeder, schon damit man ihn nicht selber für einen Dummkopf hielte, alles Hervorragende herabzusetzen, Alles ruppig zu machen, wie Rahel sich auf gut berlinisch ausdrückte. Darum blieb auch die Kluft zwischen Gebildeten und Ungebildeten unnatürlich weit. Der ehrsame Bürger, der Abends unter den Zelten seine Weiße trank, wußte gar nichts von den Größen der Akademie und der Universität; war doch die herrschende Philosophenschule geflissentlich bemüht, durch eine unver- ständliche Kunstsprache ihre Weisheit allen Unzünftigen zu verschließen. --
Da kehrte im Jahre 1827 Alexander Humboldt nach Berlin zurück, um fortan nach dem Wunsche des Königs in freier Muße am heimischen Hofe zu leben. Es war ein Wendepunkt in der Geschichte unserer Bildung. Denn heilsamer konnte Niemand auf das zerfahrene deutsche Leben ein- wirken als dieser universale Geist, der für Jeden eine höfische Schmeichelei
A. v. Humboldt in Berlin.
Potsdam, von tauſenden ehrfürchtiger Zuſchauer bewundert, in goldenem Aarhelm und ſchimmernder Rüſtung Carrouſſel ritten um ihrer Schweſter Charlotte, der weißen Roſe, ritterlich zu huldigen, zog ſchon der Sturm- vogel der Revolution, die Stumme von Portici über die Theater Europas und verkündete das Nahen eines demokratiſchen Zeitalters, das mit ſeinen Volksfeſten und politiſchen Kämpfen den Glanz der Höfe ganz verdun- keln ſollte.
Doch ſolche Tage, da der Hof aus ſeinem Stillleben heraustrat, er- ſchienen nur ſelten. Auch anderer Stätten großſtädtiſcher Geſelligkeit be- ſaß Berlin nur wenige. Faſt allein in den reichen Häuſern Mendelsſohn und Meyerbeer, in den beſcheidenen Salons Stägemann’s und ſeiner lie- benswürdigen Damen oder in der Geſetzloſen Geſellſchaft, wo Schleier- macher und der biderbe Zwingherr Buttmann um die Wette die Funken ihres Witzes ſprühen ließen, fanden geiſtreiche Menſchen verſchiedener Ge- ſinnung noch einen neutralen Boden für ungezwungenen Verkehr. Sonſt beſtanden überall nur geſchloſſene kleine Parteien und Kränzchen; ſelbſt der ſchöngeiſtige Kreis der Rahel Varnhagen trug ſchon die Färbung einer literariſch-politiſchen Parteigeſinnung. In den langen Jahrhunderten deut- ſcher Ohnmacht war aus dem alten Germanentrotz ein kleinlicher, neidiſcher Sondergeiſt aufgewuchert und den Deutſchen zur anderen Natur geworden; er trieb die Studenten in die Hahnenkämpfe ihres Verbindungslebens, er verdarb die ſtädtiſche Geſelligkeit durch ein unleidliches Cliquenweſen, und auch Deutſchlands größte Stadt war ihm noch nicht entwachſen. Gelehrte und Schauſpieler, Schriftſteller und Künſtler ſaßen in ihren Fractionen und Schulen eng zuſammen, anmaßend, unduldſam gegen den Nichtgenoſſen, grenzenlos ungerecht gegen den Feind. In dieſer zerklüfteten und zerriſſenen Welt war weder das urbane Wohlwollen der großſtädtiſchen Geſellſchaft Italiens zu finden, noch jener durchgebildete Nationalſtolz der Franzoſen, der jedes große Talent als ein Stück vaterländiſchen Ruhmes hoch hält. Vor Fremden prahlten die Berliner gern mit dem geiſtigen Glanze ihrer Stadt; daheim beſtrebte ſich Jeder, ſchon damit man ihn nicht ſelber für einen Dummkopf hielte, alles Hervorragende herabzuſetzen, Alles ruppig zu machen, wie Rahel ſich auf gut berliniſch ausdrückte. Darum blieb auch die Kluft zwiſchen Gebildeten und Ungebildeten unnatürlich weit. Der ehrſame Bürger, der Abends unter den Zelten ſeine Weiße trank, wußte gar nichts von den Größen der Akademie und der Univerſität; war doch die herrſchende Philoſophenſchule gefliſſentlich bemüht, durch eine unver- ſtändliche Kunſtſprache ihre Weisheit allen Unzünftigen zu verſchließen. —
Da kehrte im Jahre 1827 Alexander Humboldt nach Berlin zurück, um fortan nach dem Wunſche des Königs in freier Muße am heimiſchen Hofe zu leben. Es war ein Wendepunkt in der Geſchichte unſerer Bildung. Denn heilſamer konnte Niemand auf das zerfahrene deutſche Leben ein- wirken als dieſer univerſale Geiſt, der für Jeden eine höfiſche Schmeichelei
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A. v. Humboldt in Berlin.
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Aarhelm und ſchimmernder Rüſtung Carrouſſel ritten um ihrer Schweſter
Charlotte, der weißen Roſe, ritterlich zu huldigen, zog ſchon der Sturm-
vogel der Revolution, die Stumme von Portici über die Theater Europas
und verkündete das Nahen eines demokratiſchen Zeitalters, das mit ſeinen
Volksfeſten und politiſchen Kämpfen den Glanz der Höfe ganz verdun-
keln ſollte.
Doch ſolche Tage, da der Hof aus ſeinem Stillleben heraustrat, er-
ſchienen nur ſelten. Auch anderer Stätten großſtädtiſcher Geſelligkeit be-
ſaß Berlin nur wenige. Faſt allein in den reichen Häuſern Mendelsſohn
und Meyerbeer, in den beſcheidenen Salons Stägemann’s und ſeiner lie-
benswürdigen Damen oder in der Geſetzloſen Geſellſchaft, wo Schleier-
macher und der biderbe Zwingherr Buttmann um die Wette die Funken
ihres Witzes ſprühen ließen, fanden geiſtreiche Menſchen verſchiedener Ge-
ſinnung noch einen neutralen Boden für ungezwungenen Verkehr. Sonſt
beſtanden überall nur geſchloſſene kleine Parteien und Kränzchen; ſelbſt
der ſchöngeiſtige Kreis der Rahel Varnhagen trug ſchon die Färbung einer
literariſch-politiſchen Parteigeſinnung. In den langen Jahrhunderten deut-
ſcher Ohnmacht war aus dem alten Germanentrotz ein kleinlicher, neidiſcher
Sondergeiſt aufgewuchert und den Deutſchen zur anderen Natur geworden;
er trieb die Studenten in die Hahnenkämpfe ihres Verbindungslebens, er
verdarb die ſtädtiſche Geſelligkeit durch ein unleidliches Cliquenweſen, und
auch Deutſchlands größte Stadt war ihm noch nicht entwachſen. Gelehrte
und Schauſpieler, Schriftſteller und Künſtler ſaßen in ihren Fractionen und
Schulen eng zuſammen, anmaßend, unduldſam gegen den Nichtgenoſſen,
grenzenlos ungerecht gegen den Feind. In dieſer zerklüfteten und zerriſſenen
Welt war weder das urbane Wohlwollen der großſtädtiſchen Geſellſchaft
Italiens zu finden, noch jener durchgebildete Nationalſtolz der Franzoſen,
der jedes große Talent als ein Stück vaterländiſchen Ruhmes hoch hält.
Vor Fremden prahlten die Berliner gern mit dem geiſtigen Glanze ihrer
Stadt; daheim beſtrebte ſich Jeder, ſchon damit man ihn nicht ſelber für
einen Dummkopf hielte, alles Hervorragende herabzuſetzen, Alles ruppig
zu machen, wie Rahel ſich auf gut berliniſch ausdrückte. Darum blieb auch
die Kluft zwiſchen Gebildeten und Ungebildeten unnatürlich weit. Der
ehrſame Bürger, der Abends unter den Zelten ſeine Weiße trank, wußte
gar nichts von den Größen der Akademie und der Univerſität; war doch
die herrſchende Philoſophenſchule gefliſſentlich bemüht, durch eine unver-
ſtändliche Kunſtſprache ihre Weisheit allen Unzünftigen zu verſchließen. —
Da kehrte im Jahre 1827 Alexander Humboldt nach Berlin zurück,
um fortan nach dem Wunſche des Königs in freier Muße am heimiſchen
Hofe zu leben. Es war ein Wendepunkt in der Geſchichte unſerer Bildung.
Denn heilſamer konnte Niemand auf das zerfahrene deutſche Leben ein-
wirken als dieſer univerſale Geiſt, der für Jeden eine höfiſche Schmeichelei
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/447>, abgerufen am 23.11.2024.
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