III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
In den Künsten der Verschwörung hatten sich die offenherzigen Germanen niemals mit den Wälschen messen können. Nun gar dies unbedacht- same junge Volk gab sich überall Blößen; die tiefgeheimen allgemeinen deutschen Burschentage, welche in diesen Jahren in Dresden, auf dem Kyff- häuser und an anderen Orten gehalten wurden, kamen sämmtlich früher oder später zur Kenntniß der Polizei.
Nur wenig schlauer war ein Geheimbund, der von dem alten Un- heilstifter Karl Follen ausging. Follen hatte mittlerweile in Paris mit Lafayette und den Verschworenen der Union Verbindungen angeknüpft und alsdann in der Schweiz ein Unterkommen gefunden. Dort in Chur trat er mit einigen der eifrigsten Schwarzen, W. Snell, Völker, Ditt- mar und einem italienischen Carbonaro de Prati zusammen, um einen deutschen Männerbund zu stiften. Zweck der Verschwörung war Umsturz des Bestehenden und Begründung der Einheit Deutschlands unter einer gewählten Volksvertretung. Der Verfassung des Bundes dienten die Grundsätze der italienischen Geheimbünde zum Muster: kleine Venten, die von einander nichts wissen durften; unverbrüchliches Geheimniß ohne jeden schriftlichen Verkehr; unbedingter Gehorsam den Oberen, wenn sie den Tag der That bestimmten; Tod dem Verräther. Zum Unglück kam zur selben Zeit ein Mecklenburger, von Sprewitz, nach Chur, ein wackerer, etwas überspannter junger Mann, der fast noch als Knabe gegen die Franzosen gefochten hatte und späterhin in der Erziehungsanstalt des Doctors Gustav Bunsen zu Frankfurt, einem beliebten Asyle der Unzu- friedenen, als Lehrer wirkte. Der ließ sich bereden, im Sommer 1821 die deutschen Hochschulen zu bereisen und in den zehn Kreisen des alten Reichs einen Jünglingsbund nach den Weisungen der Schweizer Ver- schworenen zu errichten; nur im österreichischen Kreise, der ja auch an den Institutionen des heiligen Reichs keinen Antheil genommen hatte, sollte die revolutionäre Kreisverfassung vorläufig nicht zur Ausführung kommen.
Auf zehn Universitäten wurde nun geworben, und etwa hundertund- fünfzig junge Männer schlossen sich dem nebelhaften Unternehmen an. Viele gute Köpfe waren darunter: aus Schwaben Kolb und Mebold, in späteren Tagen allbekannt als Herausgeber der Allgemeinen Zeitung; aus Baden Baader, der sich nachher um die Geschichte seiner Heimath Verdienste erwarb; aus Thüringen und Mecklenburg zwei tüchtige Juristen Asverus und Kippe; aus Baiern einer der talentvollen Söhne Anselm Feuerbach's und der Mediciner Eisenmann, ein grundehrlicher wunderlicher Heiliger, zugleich politischer Enthusiast und mirakelgläubiger Katholik; aus Sachsen der Begabteste von Allen, der Theolog Karl Hase. Wohl Keiner mochte mit den unklaren Drohungen der neun Bundesartikel einen bestimmten Vorsatz verbinden; Hase und Kippe traten sogar nur unter Vorbehalt bei, weil ihre ehrliche Natur sich gegen die undeutsche Zumuthung blinden
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
In den Künſten der Verſchwörung hatten ſich die offenherzigen Germanen niemals mit den Wälſchen meſſen können. Nun gar dies unbedacht- ſame junge Volk gab ſich überall Blößen; die tiefgeheimen allgemeinen deutſchen Burſchentage, welche in dieſen Jahren in Dresden, auf dem Kyff- häuſer und an anderen Orten gehalten wurden, kamen ſämmtlich früher oder ſpäter zur Kenntniß der Polizei.
Nur wenig ſchlauer war ein Geheimbund, der von dem alten Un- heilſtifter Karl Follen ausging. Follen hatte mittlerweile in Paris mit Lafayette und den Verſchworenen der Union Verbindungen angeknüpft und alsdann in der Schweiz ein Unterkommen gefunden. Dort in Chur trat er mit einigen der eifrigſten Schwarzen, W. Snell, Völker, Ditt- mar und einem italieniſchen Carbonaro de Prati zuſammen, um einen deutſchen Männerbund zu ſtiften. Zweck der Verſchwörung war Umſturz des Beſtehenden und Begründung der Einheit Deutſchlands unter einer gewählten Volksvertretung. Der Verfaſſung des Bundes dienten die Grundſätze der italieniſchen Geheimbünde zum Muſter: kleine Venten, die von einander nichts wiſſen durften; unverbrüchliches Geheimniß ohne jeden ſchriftlichen Verkehr; unbedingter Gehorſam den Oberen, wenn ſie den Tag der That beſtimmten; Tod dem Verräther. Zum Unglück kam zur ſelben Zeit ein Mecklenburger, von Sprewitz, nach Chur, ein wackerer, etwas überſpannter junger Mann, der faſt noch als Knabe gegen die Franzoſen gefochten hatte und ſpäterhin in der Erziehungsanſtalt des Doctors Guſtav Bunſen zu Frankfurt, einem beliebten Aſyle der Unzu- friedenen, als Lehrer wirkte. Der ließ ſich bereden, im Sommer 1821 die deutſchen Hochſchulen zu bereiſen und in den zehn Kreiſen des alten Reichs einen Jünglingsbund nach den Weiſungen der Schweizer Ver- ſchworenen zu errichten; nur im öſterreichiſchen Kreiſe, der ja auch an den Inſtitutionen des heiligen Reichs keinen Antheil genommen hatte, ſollte die revolutionäre Kreisverfaſſung vorläufig nicht zur Ausführung kommen.
Auf zehn Univerſitäten wurde nun geworben, und etwa hundertund- fünfzig junge Männer ſchloſſen ſich dem nebelhaften Unternehmen an. Viele gute Köpfe waren darunter: aus Schwaben Kolb und Mebold, in ſpäteren Tagen allbekannt als Herausgeber der Allgemeinen Zeitung; aus Baden Baader, der ſich nachher um die Geſchichte ſeiner Heimath Verdienſte erwarb; aus Thüringen und Mecklenburg zwei tüchtige Juriſten Asverus und Kippe; aus Baiern einer der talentvollen Söhne Anſelm Feuerbach’s und der Mediciner Eiſenmann, ein grundehrlicher wunderlicher Heiliger, zugleich politiſcher Enthuſiaſt und mirakelgläubiger Katholik; aus Sachſen der Begabteſte von Allen, der Theolog Karl Haſe. Wohl Keiner mochte mit den unklaren Drohungen der neun Bundesartikel einen beſtimmten Vorſatz verbinden; Haſe und Kippe traten ſogar nur unter Vorbehalt bei, weil ihre ehrliche Natur ſich gegen die undeutſche Zumuthung blinden
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
In den Künſten der Verſchwörung hatten ſich die offenherzigen Germanen
niemals mit den Wälſchen meſſen können. Nun gar dies unbedacht-
ſame junge Volk gab ſich überall Blößen; die tiefgeheimen allgemeinen
deutſchen Burſchentage, welche in dieſen Jahren in Dresden, auf dem Kyff-
häuſer und an anderen Orten gehalten wurden, kamen ſämmtlich früher
oder ſpäter zur Kenntniß der Polizei.
Nur wenig ſchlauer war ein Geheimbund, der von dem alten Un-
heilſtifter Karl Follen ausging. Follen hatte mittlerweile in Paris mit
Lafayette und den Verſchworenen der Union Verbindungen angeknüpft
und alsdann in der Schweiz ein Unterkommen gefunden. Dort in Chur
trat er mit einigen der eifrigſten Schwarzen, W. Snell, Völker, Ditt-
mar und einem italieniſchen Carbonaro de Prati zuſammen, um einen
deutſchen Männerbund zu ſtiften. Zweck der Verſchwörung war Umſturz
des Beſtehenden und Begründung der Einheit Deutſchlands unter einer
gewählten Volksvertretung. Der Verfaſſung des Bundes dienten die
Grundſätze der italieniſchen Geheimbünde zum Muſter: kleine Venten,
die von einander nichts wiſſen durften; unverbrüchliches Geheimniß ohne
jeden ſchriftlichen Verkehr; unbedingter Gehorſam den Oberen, wenn ſie
den Tag der That beſtimmten; Tod dem Verräther. Zum Unglück kam
zur ſelben Zeit ein Mecklenburger, von Sprewitz, nach Chur, ein wackerer,
etwas überſpannter junger Mann, der faſt noch als Knabe gegen die
Franzoſen gefochten hatte und ſpäterhin in der Erziehungsanſtalt des
Doctors Guſtav Bunſen zu Frankfurt, einem beliebten Aſyle der Unzu-
friedenen, als Lehrer wirkte. Der ließ ſich bereden, im Sommer 1821
die deutſchen Hochſchulen zu bereiſen und in den zehn Kreiſen des alten
Reichs einen Jünglingsbund nach den Weiſungen der Schweizer Ver-
ſchworenen zu errichten; nur im öſterreichiſchen Kreiſe, der ja auch an
den Inſtitutionen des heiligen Reichs keinen Antheil genommen hatte,
ſollte die revolutionäre Kreisverfaſſung vorläufig nicht zur Ausführung
kommen.
Auf zehn Univerſitäten wurde nun geworben, und etwa hundertund-
fünfzig junge Männer ſchloſſen ſich dem nebelhaften Unternehmen an. Viele
gute Köpfe waren darunter: aus Schwaben Kolb und Mebold, in ſpäteren
Tagen allbekannt als Herausgeber der Allgemeinen Zeitung; aus Baden
Baader, der ſich nachher um die Geſchichte ſeiner Heimath Verdienſte
erwarb; aus Thüringen und Mecklenburg zwei tüchtige Juriſten Asverus
und Kippe; aus Baiern einer der talentvollen Söhne Anſelm Feuerbach’s
und der Mediciner Eiſenmann, ein grundehrlicher wunderlicher Heiliger,
zugleich politiſcher Enthuſiaſt und mirakelgläubiger Katholik; aus Sachſen
der Begabteſte von Allen, der Theolog Karl Haſe. Wohl Keiner mochte
mit den unklaren Drohungen der neun Bundesartikel einen beſtimmten
Vorſatz verbinden; Haſe und Kippe traten ſogar nur unter Vorbehalt
bei, weil ihre ehrliche Natur ſich gegen die undeutſche Zumuthung blinden
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/458>, abgerufen am 22.11.2024.
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