Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Männerbund und Jünglingsbund. Gehorsams empörte. Selbst Ruge, der lauteste und unermüdlichste unterden Freiwerbern des Bundes, war zum Verschwörer verdorben. Kindische Märchen wurden in Umlauf gesetzt, um den Muth der Verschworenen zu stacheln: Gneisenau sollte bereit sein, die Rolle des deutschen Riego zu spielen, auch auf den Fürsten von Wied, auf die Generale Thielmann und Jagow könne man sich verlassen. Mit den Jenenser Bundesbrüdern unterhielten durch die Vermittelung Robert Wesselhöft's zwei ältere Männer geheimen Verkehr: der Oelmüller Salomon in Erfurt, ein religiöser Schwärmer, vormals Turnlehrer, weitberühmt durch die Athletenkraft seines schönen Körpers, und Hauptmann Fehrentheil, der einzige nam- hafte preußische Offizier, der sich in die demagogischen Umtriebe dieser Jahre verstricken ließ. Fehrentheil hatte einst dem Hauptquartier des schlesischen Heeres angehört -- ein willkommener Vorwand für Gneisenau's geheime Feinde -- indeß war er den alten Kameraden längst fremd ge- worden und in den Träumereien eines wüsten politischen Ehrgeizes ver- wildert; er plante im Ernst, mit Hilfe der Landwehr die Festung Erfurt durch einen Handstreich zu überrumpeln. Die ersten Urheber des Unfugs aber ließen bald nichts mehr von sich hören. Karl Follen mochte ein- sehen, daß nach der Niederlage der Revolutionen des Südens ein Auf- stand in Deutschland unmöglich war; er zog seinen Kopf aus der Schlinge und überließ den Jünglingsbund seinem Schicksale. Die unglücklichen verführten jungen Leute erwogen nunmehr in tragikomischen Berathungen: ob der geplante Männerbund wirklich ins Leben getreten sei? -- was sich bis zum heutigen Tage noch nicht mit Sicherheit beantworten läßt -- ob er noch fortbestehe? ob man ohne ihn vorgehen solle? Da erhielt die Mainzer Commission Kunde von den Anschlägen (1823), Männerbund und Jünglingsbund. Gehorſams empörte. Selbſt Ruge, der lauteſte und unermüdlichſte unterden Freiwerbern des Bundes, war zum Verſchwörer verdorben. Kindiſche Märchen wurden in Umlauf geſetzt, um den Muth der Verſchworenen zu ſtacheln: Gneiſenau ſollte bereit ſein, die Rolle des deutſchen Riego zu ſpielen, auch auf den Fürſten von Wied, auf die Generale Thielmann und Jagow könne man ſich verlaſſen. Mit den Jenenſer Bundesbrüdern unterhielten durch die Vermittelung Robert Weſſelhöft’s zwei ältere Männer geheimen Verkehr: der Oelmüller Salomon in Erfurt, ein religiöſer Schwärmer, vormals Turnlehrer, weitberühmt durch die Athletenkraft ſeines ſchönen Körpers, und Hauptmann Fehrentheil, der einzige nam- hafte preußiſche Offizier, der ſich in die demagogiſchen Umtriebe dieſer Jahre verſtricken ließ. Fehrentheil hatte einſt dem Hauptquartier des ſchleſiſchen Heeres angehört — ein willkommener Vorwand für Gneiſenau’s geheime Feinde — indeß war er den alten Kameraden längſt fremd ge- worden und in den Träumereien eines wüſten politiſchen Ehrgeizes ver- wildert; er plante im Ernſt, mit Hilfe der Landwehr die Feſtung Erfurt durch einen Handſtreich zu überrumpeln. Die erſten Urheber des Unfugs aber ließen bald nichts mehr von ſich hören. Karl Follen mochte ein- ſehen, daß nach der Niederlage der Revolutionen des Südens ein Auf- ſtand in Deutſchland unmöglich war; er zog ſeinen Kopf aus der Schlinge und überließ den Jünglingsbund ſeinem Schickſale. Die unglücklichen verführten jungen Leute erwogen nunmehr in tragikomiſchen Berathungen: ob der geplante Männerbund wirklich ins Leben getreten ſei? — was ſich bis zum heutigen Tage noch nicht mit Sicherheit beantworten läßt — ob er noch fortbeſtehe? ob man ohne ihn vorgehen ſolle? 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Männerbund und Jünglingsbund.
Gehorſams empörte. Selbſt Ruge, der lauteſte und unermüdlichſte unter
den Freiwerbern des Bundes, war zum Verſchwörer verdorben. Kindiſche
Märchen wurden in Umlauf geſetzt, um den Muth der Verſchworenen zu
ſtacheln: Gneiſenau ſollte bereit ſein, die Rolle des deutſchen Riego zu
ſpielen, auch auf den Fürſten von Wied, auf die Generale Thielmann
und Jagow könne man ſich verlaſſen. Mit den Jenenſer Bundesbrüdern
unterhielten durch die Vermittelung Robert Weſſelhöft’s zwei ältere Männer
geheimen Verkehr: der Oelmüller Salomon in Erfurt, ein religiöſer
Schwärmer, vormals Turnlehrer, weitberühmt durch die Athletenkraft
ſeines ſchönen Körpers, und Hauptmann Fehrentheil, der einzige nam-
hafte preußiſche Offizier, der ſich in die demagogiſchen Umtriebe dieſer
Jahre verſtricken ließ. Fehrentheil hatte einſt dem Hauptquartier des
ſchleſiſchen Heeres angehört — ein willkommener Vorwand für Gneiſenau’s
geheime Feinde — indeß war er den alten Kameraden längſt fremd ge-
worden und in den Träumereien eines wüſten politiſchen Ehrgeizes ver-
wildert; er plante im Ernſt, mit Hilfe der Landwehr die Feſtung Erfurt
durch einen Handſtreich zu überrumpeln. Die erſten Urheber des Unfugs
aber ließen bald nichts mehr von ſich hören. Karl Follen mochte ein-
ſehen, daß nach der Niederlage der Revolutionen des Südens ein Auf-
ſtand in Deutſchland unmöglich war; er zog ſeinen Kopf aus der Schlinge
und überließ den Jünglingsbund ſeinem Schickſale. Die unglücklichen
verführten jungen Leute erwogen nunmehr in tragikomiſchen Berathungen:
ob der geplante Männerbund wirklich ins Leben getreten ſei? — was ſich
bis zum heutigen Tage noch nicht mit Sicherheit beantworten läßt — ob
er noch fortbeſtehe? ob man ohne ihn vorgehen ſolle?
Da erhielt die Mainzer Commiſſion Kunde von den Anſchlägen (1823),
und nun erfuhr dies zerſplitterte Volk zum erſten Male, was praktiſche
deutſche Einheit ſei. Kamptz in Berlin und die ſchwarze Commiſſion in
Mainz leiteten gemeinſam die Verfolgung; auf ihre Weiſung erfolgten in
allen größeren Bundesſtaaten zahlreiche Verhaftungen. Die kleinen Höfe
vergaßen in ihrer Angſt ſogar ihre heiligſte Empfindung, den Souveräni-
tätsdünkel und trugen kein Bedenken, ihre angeſtammten Demagogen auf
einige Zeit nach Köpenick auszuleihen, damit Kamptz die Unterſuchung
wirkſamer führen könne. Der aber benutzte die gute Gelegenheit, um
auch einige ältere Burſchenſchafter, die ſchon vor Jahren in Unterſuchung
geweſen, aufs neue einſperren zu laſſen. Dieſem Schickſal verfiel Franz
Lieber, der mittlerweile durch eine grauſame Lebensſchule gegangen war.
Er hatte als Jahn’s Schüler lange in Haft geſeſſen, dann, noch immer
unbelehrt, bei der Stiftung des Jünglingsbundes mitgeholfen und ſchließ-
lich Deutſchland verlaſſen um für das freie Griechenland zu ſtreiten.
Wie ward ihm aber, als er die fürchterliche Verwilderung dieſer Frei-
heitskämpfer kennen lernte. Gebrochen in allen ſeinen Lebenshoffnungen,
abgeriſſen und ausgeplündert wollte er über Italien heimkehren; da nahm
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