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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Krisis im Handel und Landbau.
Verwaltung.*) Diese rasch hingeworfenen Arbeiten zeigen schon sein ganzes
Wesen: weiten, scharfen Blick, vorurtheilsfreien, hochherzigen Patriotismus,
aber auch einen Zug von genialem Leichtsinn, der nothwendig zu seinem
Bilde gehört. Ohne solche Lust am kecken Wagen und Pläneschmieden
hätte er schwerlich die Kraft gefunden in einer Epoche der Ermattung
und Entsagung den Neubau des deutschen Staates vorzubereiten. Die
ihm näher standen, empfingen den Eindruck, daß hier eine groß angelegte
Natur, ein gedankenreicher, unruhiger, überaus productiver Kopf in allzu
engem Wirkungskreise sich aufzureiben drohte. Der Mann bedurfte einer
großen Thätigkeit, wenn die Ideen, die in seinem Geiste gährten, sich ab-
klären, wenn sein starker Ehrgeiz und seine frohe Willenskraft sich frei
entfalten sollten.

Um das Deficit zu beseitigen, hatte der König den neuen Minister
berufen. Die glückliche Lösung dieser nächsten Aufgabe bildete zugleich die
Vorbedingung für das Gelingen der handelspolitischen Pläne, welche Motz
seit jenem Sondershausener Vertrage nicht mehr aus den Augen verloren
hatte; nur wenn das Gleichgewicht des Staatshaushalts gesichert war,
konnte die Krone Zollverträge von zweifelhaftem finanziellem Erfolge wagen.
In den Kreisen des hohen Beamtenthums wurde die Lage der Finanzen
allgemein sehr ungünstig beurtheilt. Hatte man vor sechs Jahren schlechter-
dings nicht glauben wollen, daß in Preußen ein Deficit bestehen könne,
so hielt man jetzt den Zustand für ganz verzweifelt, weil man die Er-
giebigkeit der neuen Steuern nicht genau kannte. Motz theilte diese düstere
Ansicht nicht. Er war überzeugt, das vielbeklagte Deficit sei längst nicht
mehr vorhanden, wenn nur erst Einheit, Uebersicht, Ordnung in das
Finanzwesen komme; "aber, sagte er später zu seiner Tochter, ich hütete
mich wohl, Ueberschüsse zu versprechen, man hätte mich für wahnsinnig
gehalten."**) --

Einen minder muthigen Mann hätte die Lage des Marktes wohl
erschrecken können. Zur selben Zeit, da Motz ins Amt trat, brach über
England eine furchtbare Handelskrisis herein, eine der schwersten Er-
schütterungen, welche die Handelsgeschichte kennt. Die Eröffnung des süd-
amerikanischen Marktes hatte eine fieberische Speculation erweckt, welcher
nun der natürliche Rückschlag folgte: in fünf Vierteljahren stürzten mehr
als siebzig Banken und an 3600 Geschäftshäuser zusammen. Auch Deutsch-
land blieb von dem Unheil nicht verschont, wie bescheiden auch sein An-
theil am Weltverkehre noch war: die große Firma Reichenbach in Leipzig
und einige der ersten Häuser Berlins gingen zu Grunde. Doch was
bedeutete diese Bedrängniß des Geldmarkts neben der namenlosen Noth
des deutschen Landbaues, die wie alle landwirthschaftlichen Krisen ungleich

*) S. o. II. 130. 160. 202; III. 419.
**) Nach den Aufzeichnungen von Frau v. Brinken.

Die Kriſis im Handel und Landbau.
Verwaltung.*) Dieſe raſch hingeworfenen Arbeiten zeigen ſchon ſein ganzes
Weſen: weiten, ſcharfen Blick, vorurtheilsfreien, hochherzigen Patriotismus,
aber auch einen Zug von genialem Leichtſinn, der nothwendig zu ſeinem
Bilde gehört. Ohne ſolche Luſt am kecken Wagen und Pläneſchmieden
hätte er ſchwerlich die Kraft gefunden in einer Epoche der Ermattung
und Entſagung den Neubau des deutſchen Staates vorzubereiten. Die
ihm näher ſtanden, empfingen den Eindruck, daß hier eine groß angelegte
Natur, ein gedankenreicher, unruhiger, überaus productiver Kopf in allzu
engem Wirkungskreiſe ſich aufzureiben drohte. Der Mann bedurfte einer
großen Thätigkeit, wenn die Ideen, die in ſeinem Geiſte gährten, ſich ab-
klären, wenn ſein ſtarker Ehrgeiz und ſeine frohe Willenskraft ſich frei
entfalten ſollten.

Um das Deficit zu beſeitigen, hatte der König den neuen Miniſter
berufen. Die glückliche Löſung dieſer nächſten Aufgabe bildete zugleich die
Vorbedingung für das Gelingen der handelspolitiſchen Pläne, welche Motz
ſeit jenem Sondershauſener Vertrage nicht mehr aus den Augen verloren
hatte; nur wenn das Gleichgewicht des Staatshaushalts geſichert war,
konnte die Krone Zollverträge von zweifelhaftem finanziellem Erfolge wagen.
In den Kreiſen des hohen Beamtenthums wurde die Lage der Finanzen
allgemein ſehr ungünſtig beurtheilt. Hatte man vor ſechs Jahren ſchlechter-
dings nicht glauben wollen, daß in Preußen ein Deficit beſtehen könne,
ſo hielt man jetzt den Zuſtand für ganz verzweifelt, weil man die Er-
giebigkeit der neuen Steuern nicht genau kannte. Motz theilte dieſe düſtere
Anſicht nicht. Er war überzeugt, das vielbeklagte Deficit ſei längſt nicht
mehr vorhanden, wenn nur erſt Einheit, Ueberſicht, Ordnung in das
Finanzweſen komme; „aber, ſagte er ſpäter zu ſeiner Tochter, ich hütete
mich wohl, Ueberſchüſſe zu verſprechen, man hätte mich für wahnſinnig
gehalten.“**)

Einen minder muthigen Mann hätte die Lage des Marktes wohl
erſchrecken können. Zur ſelben Zeit, da Motz ins Amt trat, brach über
England eine furchtbare Handelskriſis herein, eine der ſchwerſten Er-
ſchütterungen, welche die Handelsgeſchichte kennt. Die Eröffnung des ſüd-
amerikaniſchen Marktes hatte eine fieberiſche Speculation erweckt, welcher
nun der natürliche Rückſchlag folgte: in fünf Vierteljahren ſtürzten mehr
als ſiebzig Banken und an 3600 Geſchäftshäuſer zuſammen. Auch Deutſch-
land blieb von dem Unheil nicht verſchont, wie beſcheiden auch ſein An-
theil am Weltverkehre noch war: die große Firma Reichenbach in Leipzig
und einige der erſten Häuſer Berlins gingen zu Grunde. Doch was
bedeutete dieſe Bedrängniß des Geldmarkts neben der namenloſen Noth
des deutſchen Landbaues, die wie alle landwirthſchaftlichen Kriſen ungleich

*) S. o. II. 130. 160. 202; III. 419.
**) Nach den Aufzeichnungen von Frau v. Brinken.
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[457/0473] Die Kriſis im Handel und Landbau. Verwaltung. *) Dieſe raſch hingeworfenen Arbeiten zeigen ſchon ſein ganzes Weſen: weiten, ſcharfen Blick, vorurtheilsfreien, hochherzigen Patriotismus, aber auch einen Zug von genialem Leichtſinn, der nothwendig zu ſeinem Bilde gehört. Ohne ſolche Luſt am kecken Wagen und Pläneſchmieden hätte er ſchwerlich die Kraft gefunden in einer Epoche der Ermattung und Entſagung den Neubau des deutſchen Staates vorzubereiten. Die ihm näher ſtanden, empfingen den Eindruck, daß hier eine groß angelegte Natur, ein gedankenreicher, unruhiger, überaus productiver Kopf in allzu engem Wirkungskreiſe ſich aufzureiben drohte. Der Mann bedurfte einer großen Thätigkeit, wenn die Ideen, die in ſeinem Geiſte gährten, ſich ab- klären, wenn ſein ſtarker Ehrgeiz und ſeine frohe Willenskraft ſich frei entfalten ſollten. Um das Deficit zu beſeitigen, hatte der König den neuen Miniſter berufen. Die glückliche Löſung dieſer nächſten Aufgabe bildete zugleich die Vorbedingung für das Gelingen der handelspolitiſchen Pläne, welche Motz ſeit jenem Sondershauſener Vertrage nicht mehr aus den Augen verloren hatte; nur wenn das Gleichgewicht des Staatshaushalts geſichert war, konnte die Krone Zollverträge von zweifelhaftem finanziellem Erfolge wagen. In den Kreiſen des hohen Beamtenthums wurde die Lage der Finanzen allgemein ſehr ungünſtig beurtheilt. Hatte man vor ſechs Jahren ſchlechter- dings nicht glauben wollen, daß in Preußen ein Deficit beſtehen könne, ſo hielt man jetzt den Zuſtand für ganz verzweifelt, weil man die Er- giebigkeit der neuen Steuern nicht genau kannte. Motz theilte dieſe düſtere Anſicht nicht. Er war überzeugt, das vielbeklagte Deficit ſei längſt nicht mehr vorhanden, wenn nur erſt Einheit, Ueberſicht, Ordnung in das Finanzweſen komme; „aber, ſagte er ſpäter zu ſeiner Tochter, ich hütete mich wohl, Ueberſchüſſe zu verſprechen, man hätte mich für wahnſinnig gehalten.“ **) — Einen minder muthigen Mann hätte die Lage des Marktes wohl erſchrecken können. Zur ſelben Zeit, da Motz ins Amt trat, brach über England eine furchtbare Handelskriſis herein, eine der ſchwerſten Er- ſchütterungen, welche die Handelsgeſchichte kennt. Die Eröffnung des ſüd- amerikaniſchen Marktes hatte eine fieberiſche Speculation erweckt, welcher nun der natürliche Rückſchlag folgte: in fünf Vierteljahren ſtürzten mehr als ſiebzig Banken und an 3600 Geſchäftshäuſer zuſammen. Auch Deutſch- land blieb von dem Unheil nicht verſchont, wie beſcheiden auch ſein An- theil am Weltverkehre noch war: die große Firma Reichenbach in Leipzig und einige der erſten Häuſer Berlins gingen zu Grunde. Doch was bedeutete dieſe Bedrängniß des Geldmarkts neben der namenloſen Noth des deutſchen Landbaues, die wie alle landwirthſchaftlichen Kriſen ungleich *) S. o. II. 130. 160. 202; III. 419. **) Nach den Aufzeichnungen von Frau v. Brinken.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/473>, abgerufen am 22.11.2024.