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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
langsamer überwunden wurde? Die Hungerjahre waren kaum überstanden,
da fielen die Preise aller landwirthschaftlichen Erzeugnisse schnell und an-
haltend. Die Zollgesetze des Auslands und der elende Zustand der Straßen
hemmten die Abfuhr der überreichen Ernten; selbst die technischen Fort-
schritte, welche die deutsche Landwirthschaft ihren Lehrern Thaer und
Schwerz verdankte, wirkten für jetzt nachtheilig, da die Consumtion dem
gesteigerten Angebote so rasch nicht zu folgen vermochte. Der Werth der
Grundstücke sank in manchen Landestheilen tiefer als einst zur Zeit des
Krieges. Nur die Schäfereien behaupteten sich noch; Deutschland allein
führte nach England über zweimal so viel Wolle aus als alle übrigen
Länder zusammen. Aber auch dieser Vortheil drohte zu schwinden, seit die
Fremden von uns zu lernen begannen, deutsche Hirten und Schafe in Ruß-
land, Schweden, Frankreich, Australien verwendet wurden. Am härtesten
litt das unglückliche Altpreußen; während der Kriegsjahre war mehr als die
Hälfte seines Viehstandes drauf gegangen, jetzt stand in einzelnen Gegen-
den der Tagelohn auf 3 bis 4 Sgr., in anderen wurde der Scheffel
Roggen für 5 Sgr. ausgeboten. Schön's Schwager, Oberst Brünneck,
suchte den Nachbarn zu helfen durch die Einführung der Schafzucht und
anderer technischer Verbesserungen; doch nur wenige waren im Stande
sich auf neue Unternehmungen einzulassen. Auf die flehentliche Bitte der
Stände gewährte der König "dieser alten Kernprovinz" abermals außer-
ordentliche Unterstützungen: Chausseen wurden gebaut, große Getreide-
ankäufe für die Armee angeordnet, auch Magazine angelegt, welche den
Preis des Scheffels Roggen auf der Höhe von 1 Thlr. halten sollten.*)

Dann erlangte Schön noch eine neue Bewilligung von 3 Mill. Thlr.
zur Rettung verschuldeter Grundbesitzer. Als guter Patriot wollte er vor-
nehmlich die alten, mit der Geschichte des Landes verwachsenen Geschlechter
im Besitze ihrer Stammgüter erhalten. Dieselbe Meinung vertrat sein
Freund Stägemann im königlichen Cabinet; der war, obwohl ein An-
hänger der neuen Volkswirthschaftslehre, doch von jeher der Ansicht ge-
wesen, daß durch den Untergang der alten Grundbesitzer der Staat
selber zu Grunde gehe: "es scheint mir ganz simpel, weil ein anderer
Staat daraus wird." Aber die bewilligte Summe reichte nicht von fern
aus, obwohl sie fast den sechzehnten Theil der gesammten Staatsein-
nahmen ausmachte; zudem mußte die große Creditanstalt der Provinz,
die "Landschaft", der die bedrängten Grundherren allesammt verschuldet
waren, um jeden Preis vor dem Bankrott bewahrt werden, wenn man
nicht das ganze Land dem Verderben preisgeben wollte. Daher befahl
der König auf Schön's Vorschlag (1824), die Unterstützungsgelder zwar
zunächst zur Rettung der alten Grundherrengeschlechter zu verwenden;

*) Eingabe des Comites der ostpreußischen Stände an den König, 18. Febr.,
Cabinetsordre an das Staatsministerium, 11. April 1822.

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
langſamer überwunden wurde? Die Hungerjahre waren kaum überſtanden,
da fielen die Preiſe aller landwirthſchaftlichen Erzeugniſſe ſchnell und an-
haltend. Die Zollgeſetze des Auslands und der elende Zuſtand der Straßen
hemmten die Abfuhr der überreichen Ernten; ſelbſt die techniſchen Fort-
ſchritte, welche die deutſche Landwirthſchaft ihren Lehrern Thaer und
Schwerz verdankte, wirkten für jetzt nachtheilig, da die Conſumtion dem
geſteigerten Angebote ſo raſch nicht zu folgen vermochte. Der Werth der
Grundſtücke ſank in manchen Landestheilen tiefer als einſt zur Zeit des
Krieges. Nur die Schäfereien behaupteten ſich noch; Deutſchland allein
führte nach England über zweimal ſo viel Wolle aus als alle übrigen
Länder zuſammen. Aber auch dieſer Vortheil drohte zu ſchwinden, ſeit die
Fremden von uns zu lernen begannen, deutſche Hirten und Schafe in Ruß-
land, Schweden, Frankreich, Auſtralien verwendet wurden. Am härteſten
litt das unglückliche Altpreußen; während der Kriegsjahre war mehr als die
Hälfte ſeines Viehſtandes drauf gegangen, jetzt ſtand in einzelnen Gegen-
den der Tagelohn auf 3 bis 4 Sgr., in anderen wurde der Scheffel
Roggen für 5 Sgr. ausgeboten. Schön’s Schwager, Oberſt Brünneck,
ſuchte den Nachbarn zu helfen durch die Einführung der Schafzucht und
anderer techniſcher Verbeſſerungen; doch nur wenige waren im Stande
ſich auf neue Unternehmungen einzulaſſen. Auf die flehentliche Bitte der
Stände gewährte der König „dieſer alten Kernprovinz“ abermals außer-
ordentliche Unterſtützungen: Chauſſeen wurden gebaut, große Getreide-
ankäufe für die Armee angeordnet, auch Magazine angelegt, welche den
Preis des Scheffels Roggen auf der Höhe von 1 Thlr. halten ſollten.*)

Dann erlangte Schön noch eine neue Bewilligung von 3 Mill. Thlr.
zur Rettung verſchuldeter Grundbeſitzer. Als guter Patriot wollte er vor-
nehmlich die alten, mit der Geſchichte des Landes verwachſenen Geſchlechter
im Beſitze ihrer Stammgüter erhalten. Dieſelbe Meinung vertrat ſein
Freund Stägemann im königlichen Cabinet; der war, obwohl ein An-
hänger der neuen Volkswirthſchaftslehre, doch von jeher der Anſicht ge-
weſen, daß durch den Untergang der alten Grundbeſitzer der Staat
ſelber zu Grunde gehe: „es ſcheint mir ganz ſimpel, weil ein anderer
Staat daraus wird.“ Aber die bewilligte Summe reichte nicht von fern
aus, obwohl ſie faſt den ſechzehnten Theil der geſammten Staatsein-
nahmen ausmachte; zudem mußte die große Creditanſtalt der Provinz,
die „Landſchaft“, der die bedrängten Grundherren alleſammt verſchuldet
waren, um jeden Preis vor dem Bankrott bewahrt werden, wenn man
nicht das ganze Land dem Verderben preisgeben wollte. Daher befahl
der König auf Schön’s Vorſchlag (1824), die Unterſtützungsgelder zwar
zunächſt zur Rettung der alten Grundherrengeſchlechter zu verwenden;

*) Eingabe des Comités der oſtpreußiſchen Stände an den König, 18. Febr.,
Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 11. April 1822.
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[458/0474] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. langſamer überwunden wurde? Die Hungerjahre waren kaum überſtanden, da fielen die Preiſe aller landwirthſchaftlichen Erzeugniſſe ſchnell und an- haltend. Die Zollgeſetze des Auslands und der elende Zuſtand der Straßen hemmten die Abfuhr der überreichen Ernten; ſelbſt die techniſchen Fort- ſchritte, welche die deutſche Landwirthſchaft ihren Lehrern Thaer und Schwerz verdankte, wirkten für jetzt nachtheilig, da die Conſumtion dem geſteigerten Angebote ſo raſch nicht zu folgen vermochte. Der Werth der Grundſtücke ſank in manchen Landestheilen tiefer als einſt zur Zeit des Krieges. Nur die Schäfereien behaupteten ſich noch; Deutſchland allein führte nach England über zweimal ſo viel Wolle aus als alle übrigen Länder zuſammen. Aber auch dieſer Vortheil drohte zu ſchwinden, ſeit die Fremden von uns zu lernen begannen, deutſche Hirten und Schafe in Ruß- land, Schweden, Frankreich, Auſtralien verwendet wurden. Am härteſten litt das unglückliche Altpreußen; während der Kriegsjahre war mehr als die Hälfte ſeines Viehſtandes drauf gegangen, jetzt ſtand in einzelnen Gegen- den der Tagelohn auf 3 bis 4 Sgr., in anderen wurde der Scheffel Roggen für 5 Sgr. ausgeboten. Schön’s Schwager, Oberſt Brünneck, ſuchte den Nachbarn zu helfen durch die Einführung der Schafzucht und anderer techniſcher Verbeſſerungen; doch nur wenige waren im Stande ſich auf neue Unternehmungen einzulaſſen. Auf die flehentliche Bitte der Stände gewährte der König „dieſer alten Kernprovinz“ abermals außer- ordentliche Unterſtützungen: Chauſſeen wurden gebaut, große Getreide- ankäufe für die Armee angeordnet, auch Magazine angelegt, welche den Preis des Scheffels Roggen auf der Höhe von 1 Thlr. halten ſollten. *) Dann erlangte Schön noch eine neue Bewilligung von 3 Mill. Thlr. zur Rettung verſchuldeter Grundbeſitzer. Als guter Patriot wollte er vor- nehmlich die alten, mit der Geſchichte des Landes verwachſenen Geſchlechter im Beſitze ihrer Stammgüter erhalten. Dieſelbe Meinung vertrat ſein Freund Stägemann im königlichen Cabinet; der war, obwohl ein An- hänger der neuen Volkswirthſchaftslehre, doch von jeher der Anſicht ge- weſen, daß durch den Untergang der alten Grundbeſitzer der Staat ſelber zu Grunde gehe: „es ſcheint mir ganz ſimpel, weil ein anderer Staat daraus wird.“ Aber die bewilligte Summe reichte nicht von fern aus, obwohl ſie faſt den ſechzehnten Theil der geſammten Staatsein- nahmen ausmachte; zudem mußte die große Creditanſtalt der Provinz, die „Landſchaft“, der die bedrängten Grundherren alleſammt verſchuldet waren, um jeden Preis vor dem Bankrott bewahrt werden, wenn man nicht das ganze Land dem Verderben preisgeben wollte. Daher befahl der König auf Schön’s Vorſchlag (1824), die Unterſtützungsgelder zwar zunächſt zur Rettung der alten Grundherrengeſchlechter zu verwenden; *) Eingabe des Comités der oſtpreußiſchen Stände an den König, 18. Febr., Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 11. April 1822.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/474>, abgerufen am 22.11.2024.