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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.

Mannichfache Anzeichen verkündeten schon, daß die Deutschen, zuerst
die Preußen, aus der trostlosen Verarmung der Kriegsjahre wieder aufzu-
steigen begannen. Ueber alle Erwartung hob sich der Verkehr, seit Preußen
den Ausbau seines Straßennetzes ernstlich in Angriff nahm. In den
kurzen fünf Jahren der Verwaltung Motz's wurden 285 Meilen neuer
Chausseen vollendet, 141 begonnen -- darunter die kostspieligen und
schwierigen Straßen durch die schlesischen und westphälischen Gebirge, durch
die Werder des Weichselthals, durch die sumpfigen Niederungen um Magde-
burg und Merseburg, denn gerade in diesen unwegsamen Gegenden war
das Verkehrsbedürfniß am stärksten. Manchen Landstrichen des entlegenen
Ostens brachten die neuen Straßen ein ganz verändertes Leben; in der
Tucheler Heide konnte man des Räuberwesens jetzt erst Herr werden, und
der Urheber des Baues, Schön verdiente wohl, daß die dankbaren Um-
wohner ihm mitten im Walde ein Denkmal setzten. Im Jahre 1831 besaß
der Staat 1147 Meilen Steinstraßen, mehr denn doppelt so viel als im
Jahre 1816. Von den 391/2 Mill. Thlr., welche der König in den Jahren
1820--34 für außerordentliche Bauten, Meliorationen und Kunstwerke
ausgeben ließ, wurden 11,6 Mill. für die Chausseen verwendet.*)

Und der Generalpostmeister verstand die Straßen zu verwerthen.
Nagler's Posten erregten den Neid der Nachbarn und griffen schon vielfach
in das verzinkte und verzackte Gebiet der Kleinstaaten hinein. Wie der
preußische Thaler überall seinen günstigen Kurs behauptete, obgleich Nassau
und andere Kleinstaaten sich redlich bemühten, ihn durch landesfürstliche
Verordnungen um einige Kreuzer unter seinen Handelswerth herabzu-
drücken, so konnte man sich auch die unheimlichen Postillone mit dem
Orangekragen nicht ganz vom Leibe halten. In den Städten Thüringens
strömte das Volk zusammen um den königlichen Eilwagen zu bewundern,
der seit 1825 zweimal wöchentlich den Tag und die Nacht hindurch zwi-
schen Berlin und Frankfurt fuhr. Die Einnahmen der Post stiegen in
sieben Jahren, bis 1830, von 2,9 auf mehr als 4 Mill. Thlr. Die Zahl der
Briefe wuchs, denn bald nach den Binnenzöllen war folgerecht auch (1824)
das Binnenporto beseitigt worden mitsammt allen den geheimnißvollen
Zuschlagstaxen der guten alten Zeit. Die Gebühren wurden jetzt einfach
nach der Entfernung erhoben. Sie blieben noch recht hoch (1--5 Sgr.
für die Entfernungen unter 30 Meilen, und dann für je 10 Meilen mehr
1 Sgr. Zuschlag); aber die Preußen wußten jetzt doch mindestens Bescheid,
während es in den Kleinstaaten noch täglich vorkam, daß etwa ein Brief
von Bremen nach Stuttgart theurer bezahlt werden mußte, als ein Brief
von Stuttgart nach Bremen.

Und schon begann die Wunderkraft des Dampfes sich auch im deut-

*) Uebersicht der Ausgaben für außerordentliche Bauten etc. 1820--34. Zusammen-
gestellt im k. Geh. Cabinet 1835.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.

Mannichfache Anzeichen verkündeten ſchon, daß die Deutſchen, zuerſt
die Preußen, aus der troſtloſen Verarmung der Kriegsjahre wieder aufzu-
ſteigen begannen. Ueber alle Erwartung hob ſich der Verkehr, ſeit Preußen
den Ausbau ſeines Straßennetzes ernſtlich in Angriff nahm. In den
kurzen fünf Jahren der Verwaltung Motz’s wurden 285 Meilen neuer
Chauſſeen vollendet, 141 begonnen — darunter die koſtſpieligen und
ſchwierigen Straßen durch die ſchleſiſchen und weſtphäliſchen Gebirge, durch
die Werder des Weichſelthals, durch die ſumpfigen Niederungen um Magde-
burg und Merſeburg, denn gerade in dieſen unwegſamen Gegenden war
das Verkehrsbedürfniß am ſtärkſten. Manchen Landſtrichen des entlegenen
Oſtens brachten die neuen Straßen ein ganz verändertes Leben; in der
Tucheler Heide konnte man des Räuberweſens jetzt erſt Herr werden, und
der Urheber des Baues, Schön verdiente wohl, daß die dankbaren Um-
wohner ihm mitten im Walde ein Denkmal ſetzten. Im Jahre 1831 beſaß
der Staat 1147 Meilen Steinſtraßen, mehr denn doppelt ſo viel als im
Jahre 1816. Von den 39½ Mill. Thlr., welche der König in den Jahren
1820—34 für außerordentliche Bauten, Meliorationen und Kunſtwerke
ausgeben ließ, wurden 11,6 Mill. für die Chauſſeen verwendet.*)

Und der Generalpoſtmeiſter verſtand die Straßen zu verwerthen.
Nagler’s Poſten erregten den Neid der Nachbarn und griffen ſchon vielfach
in das verzinkte und verzackte Gebiet der Kleinſtaaten hinein. Wie der
preußiſche Thaler überall ſeinen günſtigen Kurs behauptete, obgleich Naſſau
und andere Kleinſtaaten ſich redlich bemühten, ihn durch landesfürſtliche
Verordnungen um einige Kreuzer unter ſeinen Handelswerth herabzu-
drücken, ſo konnte man ſich auch die unheimlichen Poſtillone mit dem
Orangekragen nicht ganz vom Leibe halten. In den Städten Thüringens
ſtrömte das Volk zuſammen um den königlichen Eilwagen zu bewundern,
der ſeit 1825 zweimal wöchentlich den Tag und die Nacht hindurch zwi-
ſchen Berlin und Frankfurt fuhr. Die Einnahmen der Poſt ſtiegen in
ſieben Jahren, bis 1830, von 2,9 auf mehr als 4 Mill. Thlr. Die Zahl der
Briefe wuchs, denn bald nach den Binnenzöllen war folgerecht auch (1824)
das Binnenporto beſeitigt worden mitſammt allen den geheimnißvollen
Zuſchlagstaxen der guten alten Zeit. Die Gebühren wurden jetzt einfach
nach der Entfernung erhoben. Sie blieben noch recht hoch (1—5 Sgr.
für die Entfernungen unter 30 Meilen, und dann für je 10 Meilen mehr
1 Sgr. Zuſchlag); aber die Preußen wußten jetzt doch mindeſtens Beſcheid,
während es in den Kleinſtaaten noch täglich vorkam, daß etwa ein Brief
von Bremen nach Stuttgart theurer bezahlt werden mußte, als ein Brief
von Stuttgart nach Bremen.

Und ſchon begann die Wunderkraft des Dampfes ſich auch im deut-

*) Ueberſicht der Ausgaben für außerordentliche Bauten ꝛc. 1820—34. Zuſammen-
geſtellt im k. Geh. Cabinet 1835.
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[464/0480] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. Mannichfache Anzeichen verkündeten ſchon, daß die Deutſchen, zuerſt die Preußen, aus der troſtloſen Verarmung der Kriegsjahre wieder aufzu- ſteigen begannen. Ueber alle Erwartung hob ſich der Verkehr, ſeit Preußen den Ausbau ſeines Straßennetzes ernſtlich in Angriff nahm. In den kurzen fünf Jahren der Verwaltung Motz’s wurden 285 Meilen neuer Chauſſeen vollendet, 141 begonnen — darunter die koſtſpieligen und ſchwierigen Straßen durch die ſchleſiſchen und weſtphäliſchen Gebirge, durch die Werder des Weichſelthals, durch die ſumpfigen Niederungen um Magde- burg und Merſeburg, denn gerade in dieſen unwegſamen Gegenden war das Verkehrsbedürfniß am ſtärkſten. Manchen Landſtrichen des entlegenen Oſtens brachten die neuen Straßen ein ganz verändertes Leben; in der Tucheler Heide konnte man des Räuberweſens jetzt erſt Herr werden, und der Urheber des Baues, Schön verdiente wohl, daß die dankbaren Um- wohner ihm mitten im Walde ein Denkmal ſetzten. Im Jahre 1831 beſaß der Staat 1147 Meilen Steinſtraßen, mehr denn doppelt ſo viel als im Jahre 1816. Von den 39½ Mill. Thlr., welche der König in den Jahren 1820—34 für außerordentliche Bauten, Meliorationen und Kunſtwerke ausgeben ließ, wurden 11,6 Mill. für die Chauſſeen verwendet. *) Und der Generalpoſtmeiſter verſtand die Straßen zu verwerthen. Nagler’s Poſten erregten den Neid der Nachbarn und griffen ſchon vielfach in das verzinkte und verzackte Gebiet der Kleinſtaaten hinein. Wie der preußiſche Thaler überall ſeinen günſtigen Kurs behauptete, obgleich Naſſau und andere Kleinſtaaten ſich redlich bemühten, ihn durch landesfürſtliche Verordnungen um einige Kreuzer unter ſeinen Handelswerth herabzu- drücken, ſo konnte man ſich auch die unheimlichen Poſtillone mit dem Orangekragen nicht ganz vom Leibe halten. In den Städten Thüringens ſtrömte das Volk zuſammen um den königlichen Eilwagen zu bewundern, der ſeit 1825 zweimal wöchentlich den Tag und die Nacht hindurch zwi- ſchen Berlin und Frankfurt fuhr. Die Einnahmen der Poſt ſtiegen in ſieben Jahren, bis 1830, von 2,9 auf mehr als 4 Mill. Thlr. Die Zahl der Briefe wuchs, denn bald nach den Binnenzöllen war folgerecht auch (1824) das Binnenporto beſeitigt worden mitſammt allen den geheimnißvollen Zuſchlagstaxen der guten alten Zeit. Die Gebühren wurden jetzt einfach nach der Entfernung erhoben. Sie blieben noch recht hoch (1—5 Sgr. für die Entfernungen unter 30 Meilen, und dann für je 10 Meilen mehr 1 Sgr. Zuſchlag); aber die Preußen wußten jetzt doch mindeſtens Beſcheid, während es in den Kleinſtaaten noch täglich vorkam, daß etwa ein Brief von Bremen nach Stuttgart theurer bezahlt werden mußte, als ein Brief von Stuttgart nach Bremen. Und ſchon begann die Wunderkraft des Dampfes ſich auch im deut- *) Ueberſicht der Ausgaben für außerordentliche Bauten ꝛc. 1820—34. Zuſammen- geſtellt im k. Geh. Cabinet 1835.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/480>, abgerufen am 22.11.2024.